Diese Ausgabe von Quest, Miscellanea, enthält vier Aufsätze zu verschiedenen Themen der jüdischen Geschichte, die sich vor allem auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts beziehen, sowie einen Rezensionsessay. Der rote Faden des Heftes sind die katastrophalen Erfahrungen des europäischen Judentums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert. Dabei wird auch vielfach der Raum als zentrale Kategorie thematisiert, etwa im Kontext von Migration, Exil und Vertreibung oder in Form von Eingrenzung und Segregation.
Jan Kutílek untersucht die Rolle von Gerüchten beim Novemberpogrom 1918 in Lemberg. Anhand einer Fülle von Primärquellen analysiert er die Dynamik, die zum Massaker an den Juden führte und er konzentriert sich dabei auch auf die Verbreitung und Rolle von Gerüchten.
Anna Teicher geht dem intellektuellen Lebensweg des 1900 in Galizien geborenen Orientalisten und Sprachwissenschaftler David Diringer nach. Diringer hatte sein Studium 1923 in Florenz abgeschlossen und die italienische Staatsbürgerschaft erhalten. Infolge der Rassengesetze von 1938 ist er nach Großbritannien geflohen, wo er - Versuche in die USA zu emigrieren schlugen fehl - 1948 eine Stelle an der Universität Cambridge erhielt. Seit 1968 lehrte er immer wieder auch an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan.
Die Situation der weiblichen Insassen des italienischen Lagers Ferramonti in Süditalien, in dem vor allem ausländische Jüdinnen und Juden aus Mittel- und Osteuropa interniert waren, untersucht Susanna Schrafstetter – zu ihrem Aufsatz gehört das Titelbild. Schrafstetter analysiert die Zeugnisse von, geht der Arbeitstätigkeit, Gesundheit und dem Alltag der inhaftierter Frauen sowie den Geschlechterbeziehungen nach. Die Körper der Frauen waren nach Schrafstetter in Ferramonti einer strengen Überwachung sowohl durch die männlichen Lagerinsassen als auch durch die faschistischen Behörden unterworfen.
Danny Goldman analysiert die miteinander verknüpfte Geschichte deutscher, vorwiegend aus Württemberg stammender pietistischer Siedler, die 1902 südwestlich von Jaffa die Kolonie Wilhelma gegründet hatten, mit der Geschichte von jüdischen Siedlern, die im Zuge der zweiten Alija vor allem aus dem Zarenreich geflohen waren und 1914 nördlich von Jerusalem die Kolonie Atarot gegründet hatten. 1948 deportierten die britischen Mandatsbehörden die deutschen Siedler nach Australien, während die jüdischen Bewohner von Atarot in die Kolonie Wilhelmina umgesiedelt wurden. Aus Wilhelma wurde Bnei Atarot.
Im Rezensionsessay stellt Ulrich Wyrwa die 16-bändige Quellenedition "Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945" vor. Ausgehend von den frühen, von jüdischen Zeitzeugen angelegten Quellensammlungen wird die Vorgeschichte und Entstehung des Editionsprojektes beleuchtet. Im Mittelpunkt des Essays steht die Darstellung des Erscheinungsverlaufs und der Rezeptionsgeschichte der sechszehn Bände. Abschließend werden sieben Aspekte, die das Arbeiten mit diesem Quellenwerk sowie aktuelle erinnerungspolitische Debatten betreffen, diskutiert.
Contents
Jan Kutílek Looting and Killing are Permitted: Rumors in the November 1918 Pogrom in Lviv
Anna Teicher David Diringer’s Refugee Itinerary: From Foreign Student in Fascist Italy to Academic in Post-War Britain
Susanna Schrafstetter “Good Moral Conduct” in an Italian Concentration Camp: Women’s Daily Lives in Ferramonti di Tarsia, 1940-1943
Danny Goldman, Wilhelma, Israel: An Interface of Israeli and German Settlement Histories
Review Essay
Ulrich Wyrwa Back to the Sources. Over Five Thousand Documents on the “Persecution and Murder of European Jews by National Socialist Germany.” On the Completion of a 16-Volume Edition
Discussion
Ari Joskowicz, Rain of Ash: Roma, Jews, and the Holocaust Discussion by Anton Weiss-Wendt Discussion by Marius Turda Reply by Ari Joskowicz
Reviews
Natalie Zemon Davis, Listening to the Languages of the People: Lazare Sainéan on Romanian, Yiddish, and French by Andreea Kaltenbrunner
Sara Airoldi, Nazione in patria. Sionismo e identità ebraica in Italia 1918-1938 by Arturo Marzano
James McAuley, The House of Fragile Things: Jewish Art Collectors and the Fall of France by Katharina Hüls-Valenti
Barbara E. Mann, The Object of Jewish Literature: A Material History by Martina Mampieri
Dan Stone, The Holocaust: An Unfinished History by Anna Veronica Pobbe
Radu Ioanid, La Roumanie et la Shoah: Destruction et survie des Juifs et des Roms sous le régime Antonescu, 1940-1944 by Stefan Ionescu