Liebe Leserinnen und Leser,
In der Oktober-Ausgabe erläutert Wolfgang Thierse, was wir aus der Erfahrung der Diktatur für den Umgang mit heutigen Diktaturen lernen können. Ein Jahr nach dem verheerenden Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 beleuchtet Richard C. Schneider den doppelten Existenzkampf des jüdischen Staates. Jens Balzer verteidigt die Ideen der woken Linken – gegen konservative Kritiker wie gegen ideologische Verirrungen in den eigenen Reihen. Seyla Benhabib plädiert, in Anlehnung an Adorno, für eine nicht-identitäre Solidarität. Naika Foroutan fordert, die islamistische Gefahr, nicht aber die Migration zu bekämpfen. Jason Stanley zeigt auf, wie Faschisten die Wissenschaft attackieren und damit den öffentlichen Diskurs zersetzen. Und Lucas Brang analysiert die Neue Rechte in China und ihre ideologischen Verbindungen zum Westen.
Weitere Themen im Oktober: Deutschland unregierbar, von Thüringen bis Berlin?, Deutsche Bahn: Desaster mit Ansage, Pflege: Der Kampf um die Fachkräfte, Aus neu mach alt: Südafrikas erste Vielparteienregierung, Indopazifik: Der Kampf um die Hegemonie, Geschlechterpolitik im Sport u.v.m.
Mit herzlichen Grüßen
Ihre „Blätter“-Redaktion
https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/oktober
KURZGEFASST
Wolfgang Thierse: In Verteidigung der Freiheit. Was wir aus der Erfahrung der Diktatur für den Umgang mit der Diktatur lernen können, S. 45-56
Die deutsche Wiedervereinigung zeigt, dass Diktaturen durch innere Widersprüche und äußere Einflüsse überwunden werden können. Der Bürgerrechtler und ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse fordert, aus den Erfahrungen des Kalten Krieges zu lernen – gerade auch im Umgang mit Diktaturen wie Russland. Neben militärischer Verteidigung müsse heute auch die Diplomatie wieder stärker zu ihrem Recht kommen
Richard C. Schneider: Nach außen wie nach innen: Israels doppelter Existenzkampf, S. 57-62
Das von der Hamas verübte Massaker vom 7. Oktober 2023 stellt für Israel eine existenzielle Tragödie dar. Doch diese zeigt sich nicht nur in den Opferzahlen, sondern ist auch metaphysischer Natur, so der Journalist Richard C. Schneider. Nach innen wie nach außen kämpft das in sich völlig zerstrittene Israel um sein Überleben und sucht nach einer neuen Definition des Zionismus wie der liberalen Demokratie, die den Staat in die Zukunft tragen können.
Jens Balzer: Ein Jahr 7. Oktober: Ist die woke Linke noch zu retten?, S. 63-72
Ausgerechnet woke Linke reagierten auf die Terrorangriffe der Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres oft mit unkritischer Parteinahme für die Palästinenser und antisemitisch gefärbter Israelkritik. Konservative haben das zum Anlass genommen, die Bewegung als ganze für gescheitert zu erklären. Demgegenüber plädiert der Autor Jens Balzer für eine Rückkehr zum eigentlichen Kern der Wokeness, der Wachsamkeit gegenüber Diskriminierungen – bei gleichzeitiger Abkehr von ideologischen Verirrungen.
Seyla Benhabib: Adorno und die Utopie der Nicht-Identität, S. 73-82
Ob im Populismus, in der Migrationsdebatte oder als Reaktion auf den Gazakrieg: Identitäres Denken nimmt stetig zu. Da lohnt der Rückgriff auf Theodor W. Adorno, so die Philosophin und „Blätter“-Mitherausgeberin Seyla Benhabib. Denn Adorno hielt in seinem Denken die Nicht-Identität hoch. Davon ausgehend ist es möglich, eine nicht-identitäre Solidarität zu begründen, die Verschiedenheit respektiert und ermöglicht.
Naika Foroutan: Die geschürte Migrationspanik. Warum wir die islamistische Gefahr und nicht die Zuwanderung bekämpfen müssen, S. 83-88
Seit dem islamistischen Anschlag von Solingen bestimmen Forderungen nach radikaler Migrationsabwehr den öffentlichen Diskurs wie die Politik. Doch damit, so die Migrationsforscherin Naika Foroutan, lässt sich weder einer islamistischen Radikalisierung vorbeugen – noch die Zukunft der Einwanderungsgesellschaft gestalten.
Jason Stanley: Der Campus als Schlachtfeld. Wie faschistische Politik den öffentlichen Diskurs zersetzt, S. 89-98
Faschistische Bewegungen versuchen zunehmend, Expertenwissen und wissenschaftliche Forschung infrage zu stellen und die Meinungsfreiheit einzuschränken. Der Politikwissenschaftler Jason Stanley beschreibt diese Angriffe als Teil einer breit angelegten Strategie mit dem Ziel, das Verständnis für kulturelle Vielfalt und demokratische Werte zu zerstören.
Lucas Brang: Von Carl Schmitt über Dugin bis Trump: Die Neue Rechte in China, S. 99-108
Ein unerwarteter westlicher Ideenimport findet in China immer mehr Anklang: die Schriften des NS-Kronjuristen Carl Schmitt. Die neurechten Strömungen in der Volksrepublik, analysiert der Jurist Lucas Christopher Brang, gehen dabei ideologische Verbindungen zur Neuen Rechten in Europa, Russland und den USA ein.
Simone Schlindwein: Flucht aus der »Hölle auf Erden«. Die Verbrechen von Darfur und die riskante Suche nach Gerechtigkeit, S. 109-114
Seit April 2023 herrscht im Sudan ein verheerender Bürgerkrieg und mehren sich die Anzeichen für einen Völkermord, so die Journalistin Simone Schlindwein. Doch selbst in Nachbarländern wie Uganda bedrohen die paramilitärischen RSF-Milizen sudanesische Geflüchtete und erschweren so die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs.
Christa Wichterich: Aufwerten statt abwerben. Zum Fachkräftemangel im Care-Bereich, S. 115-122
Angesichts des Notstands im deutschen Gesundheitssystem wirbt die Bundesregierung um Fachkräfte aus dem Globalen Süden. Doch dadurch entstehen neue Ungleichheiten und verschärft sich die Versorgungskrise in den Herkunftsländern, so die Soziologin Christa Wichterich. Das Abwerben von Arbeitskräften allein kann die Krise des hiesigen Gesundheitssystems nicht entschärfen, vielmehr bedürfe dieses einer grundlegenden Reform.
Inhaltsverzeichnis
KOMMENTARE
Deutschland unregierbar, von Thüringen bis Berlin? Von Albrecht von Lucke, S. 5
DB: Desaster mit Ansage von Anja Krüger, S. 9
Kampf um den Indopazifik von Felix Heiduk, S. 13
Aus neu mach alt: Südafrikas erste Vielparteienregierung von Janine Walter, S. 17
Die Slowakei vor der Orbánisierung? Von Jens Becker , S. 21
Der Kampf um Anerkennung: Geschlechterpolitik im Sport von Martin Krauss, S. 25
IN MEMORIAM
Friedrich Schorlemmer: Theologe, Autor, Widerständler von Bettina Röder, S. 33
Die Entdeckung der Müdigkeit von Friedrich Schorlemmer, S. 36
»Wehe, wenn sie losgelassen/wachsend ohne Widerstand« von Friedrich Schorlemmer, S. 40
ANALYSEN UND ALTERNATIVEN
In Verteidigung der Freiheit. Was wir aus der Erfahrung der Diktatur für den Umgang mit der Diktatur lernen können von Wolfgang Thierse, S. 45-56
Nach außen wie nach innen: Israels doppelter Existenzkampf von Richard C. Schneider, S. 57-62
Ein Jahr 7. Oktober: Ist die Woke Linke noch zu retten? von Jens Balzer, S. 63-72
Adorno und die Utopie der Nicht-Identität von Seyla Benhabib, S. 73-82
Die geschürte Migrationspanik. Warum wir die islamistische Gefahr und nicht die Zuwanderung bekämpfen müssen von Naika Foroutan, S.83-88
Der Campus als Schlachtfeld. Wie faschistische Politik den öffentlichen Diskurs zersetzt von Jason Stanley, S. 89-98
Von Carl Schmitt über Dugin bis Trump: Die Neue Rechte in China von Lucas Brang, S.99-108
Flucht aus der »Hölle auf Erden«. Die Verbrechen von Darfur und die riskante Suche nach Gerechtigkeit von Simone Schlindwein, S. 109-114
Aufwerten statt abwerben. Zum Fachkräftemangel im Care-Bereich von Christa Wichterich, S. 115-122
DEBATTE
Afghanistan helfen, trotz der Talibanherrschaft! von Julian Busch, S.29
AUFGESPIESST
Double Hater auf gut Deutsch von Jan Kursko, S. 60
BUCH DES MONATS
Gegen die Welt von Tara Zahra, S. 125
EXTRAS
Kurzgefasst, S. 43
Dokumente, S. 124
Zurückgeblättert, Impressum, Autoren und Autorinnen, S. 128