Daniel Bellingradt, Institut für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg
ZUM GEDENKEN AN HOLGER BÖNING
Arnulf Kutsch und Rudolf Stöber: Nachruf auf Holger Böning
Wilbert Ubbens: Personalbibliografie Holger Böning
FORUM KOMMUNIKATIONSGESCHICHTE
Das Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte widmet sich seit mehr als 25 Jahren der Vielfalt an möglichen Zugängen zu historischer Kommunikation und interdisziplinären Perspektiven auf sie. Die anhaltenden Fragen zu Konturen, Werkzeugen und Denkmustern kommunikationshistorischer Erkenntnisinteressen gaben uns Anlass, 2018 ein Beitrags-Forum zu begründen, dessen Grundfrage »Was ist Kommunikationsgeschichte?« aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen und im Blick auf verschiedene Epochen erörtert werden soll. Die bewusst kurz gehaltenen und mit wenigen Anmerkungen versehenen Beiträge dieses Forums sollen fragende, einordnende und anregende Impulse geben, um kommunikationsgeschichtliche Ansätze innerhalb historisch arbeitender Disziplinen konzeptionell zu stützen. Zu diesem Zweck werden die einzelnen Beitragenden ihr fachliches Verständnis von Kommunikationsgeschichte vorstellen und begründen sowie Potentiale und Grenzen des eigenen Ansatzes erörtern.
Rudolf Stöber (Bamberg)
Wie war Kommunikation früher möglich? Plädoyer für eine empirisch fundierte Kommunikationswissenschaft
Astrid Blome (Bremen)
Kommunikationsgeschichte und digitalisierte Zeitungssammlungen. Exemplarische Einblicke am Beispiel des nordrhein-westfälischen Zeitungsportals zeit.punktNRW
Patrick Rössler (Erfurt)
Digital Humanities und ihre Herausforderungen für die Kommunikations- und Mediengeschichte
AUFSÄTZE
Kaarel Vanamölder (Tallinn)
Die Presse in Riga im 17. und 18. Jahrhundert
Zusammenfassung: Der Aufsatz untersucht die Geschichte der Presse in den baltischen Provinzen Livland und Estland im späten 17. und 18. Jahrhundert mit besonderem Augenmerk auf die in der livländischen Hauptstadt Riga veröffentlichten deutschsprachigen Publikationen. In der Geschichte der baltischen Presse wurde diese Periode lange Zeit unter dem Gesichtspunkt der Diskontinuität und des Wiederauflebens betrachtet – ab 1710, als Russland im Zuge des Großen Nordischen Krieges (1700–1721) die baltischen Provinzen von Schweden erobert hatte, wurden in Riga und anderswo in Livland und Estland für ein halbes Jahrhundert (bis 1761) fast keine Zeitungen mehr gedruckt. Die Gründe für diese »Presselücke« in Riga zwischen 1710 und 1761 werden im Folgenden untersucht und es wird gezeigt, dass das Fehlen einer nominellen lokalen Presse nicht zu einem generellen Vakuum auf dem Rigaer Nachrichtenmarkt führte, da die führenden ausländischen deutsch- und französischsprachigen Zeitungen der Zeit in der Stadt anstelle der lokalen Publikationen gelesen wurden. Wie im übrigen Europa ist die Geschichte der Presse auch in den baltischen Provinzen mit der Aufklärung verbunden, die sowohl von ausländischen als auch von einheimischen Medien getragen wurde. Spätestens seit dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts waren die baltischen Provinzen durch einen gut ausgebauten regelmäßigen Postverkehr mit Mitteleuropa (vor allem Hamburg) verbunden, so dass die frühneuzeitliche baltische Pressegeschichte in einem größeren gesamteuropäischen Kontext als Verflechtungsgeschichte betrachtet werden kann.
Abstract: This article examines the history of the press in the Baltic provinces of Livonia and Estonia in the late 17th and 18th centuries, with a particular focus on German-language publications published in the Livonian capital of Riga. In the history of the Baltic press, this period has long been seen as one of discontinuity and revival – from 1710, when Russia conquered the Baltic provinces from Sweden during the Great Northern War (1700–1721), almost no newspapers were printed in Riga and elsewhere in Livonia and Estonia for half a century (until 1761). The reasons for this »press gap« in Riga between 1710 and 1761 are examined below, and it is shown that the lack of a nominal local press did not lead to a general vacuum in the Riga news market, as the leading foreign German and French-language newspapers of the time were read in the city instead of local publications. As in the rest of Europe, the history of the press in the Baltic provinces is linked to the Enlightenment, which was supported by both foreign and local media. The early the last quarter of the 17th century at the latest, the Baltic provinces were connected to Central Europe (especially Hamburg) by a well-developed regular postal service, so that the early modern history of the Baltic press can be seen in a wider pan-European context as a history of interdependence.
Esther-Beate Körber (Berlin) und Johannes Arndt (Münster)
Frauen im frühneuzeitlichen Periodikaverlag – ein Ländervergleich
Zusammenfassung: Die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen im frühneuzeitlichen Verlagsgewerbe hingen nicht nur von der Stellung ihrer Männer ab, sondern auch von den rechtlichen Rahmenbedingungen. Im Heiligen Römischen Reich und den Niederlanden verband sich die Verlegerrolle für ein Periodikum meist entweder mit dem Druckgewerbe oder mit dem Buchhandel. In beiden Berufen nahmen Frauen teil an der Arbeit ihrer Männer. Als Witwen führten sie oft den Betrieb selbständig weiter und nannten sich auf den Periodikatiteln als Verlegerinnen. Auch setzten sie sich dafür ein, das Privileg in der Familie zu halten. In Frankreich setzten die Witwen von Buchhändlern ihre Namen auf Periodikatitel und bekundeten damit die legale Weiterführung des Buchhandels. Das Privileg für den Verlag einer Zeitschrift oder Zeitung wurde aber in Frankreich fast ausschließlich dem Redakteur gegeben, war deshalb personengebunden, nicht vererbbar und außerdem sehr teuer. Dadurch wurde es für Frauen unmöglich, in Frankreich als Verlegerinnen von Periodika tätig zu sein.
Abstract: The agency of women as editors of periodicals in early modern times depended not only from the position of their husbands but also from the legal framework concerning the (book) trade. In the Holy Roman Empire and in the Netherlands, editing was a relatively “free” enterprise, usually combined with printing or bookselling. In these professions, women often participated in their husbands’ work. As widows they often continued printing or bookselling on their own, naming themselves on the title pages. Women also fought for keeping printing privileges through the generations, for their sons or daughters. In France, bookselling women (often widows) named themselves on title pages, thereby telling they had a legal right to sell the book or periodical. In France, however, the privilege of publishing a magazine or newspaper was given almost exclusively to the author and was therefore personal, non-inheritable and also very expensive. Besides, they were very costly, and so for many reasons it was not possible for women to edit a periodical or newspaper.
Sarah Luft (Kassel)
Die Leserbriefe der La Femme de France zur Zeit der Années folles – ein analoges Soziales Medium?
Zusammenfassung: In der Leserbriefrubrik La Ruche nutzen vornehmlich Leserinnen die Möglichkeit, sich in der 1915–1938 in Paris erschienenen Zeitschrift La Femme de France bzw. Les Modes de la Femme de France ohne großen Aufwand öffentlich zu äußern. Sie schaffen einen Kommunikationsraum, der im mediengeschichtlichen Rückblick auf die Entwicklung von Leserbriefrubriken als innovativ zu verstehen ist. In über 100.000 Leserbriefeinsendungen werden neben anfänglichen Fragen der Mode, des Konsums und des Lifestyles zunehmend moralische und gesellschaftliche Fragestellungen diskutiert und Netzwerke aufgebaut. Die folgende geschlechter- und kommunikationsgeschichtliche Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass die Rubrik aufgrund der ausgeweiteten vielfältigen Interaktionsformen der Leserbriefschreibenden als eine Art analoges Soziales Medium verstanden werden kann. Sie bot bürgerlichen Frauen in dieser Zeit die Chance zu einer kommunikativen Selbstermächtigung, die Einblicke in unterschiedliche Formen von weiblichem Selbstverständnis gibt.
Abstract: In the readers’ letter section La Ruche, primarily female readers took the opportunity to express themselves publicly without much effort in the magazine La Femme de France / Les Modes de la Femme de France, which was published in Paris from 1915 to 1938. They created a communicative space that, within a media-historical retrospective of the evolution of readers’ letter sections, is considered innovative. In over 100,000 reader letter submissions, in addition to initial questions about fashion, consumption and lifestyle, moral and social issues were increasingly discussed and networks were established. The following analysis from the perspective of gender and communication history shows that, due to the expanded and diverse forms of interaction among the letter writers, the section is to be understood as a kind of analogue social medium. This medium offered middle-class women in this period the opportunity for communicative self-empowerment, providing insights into different forms of female self-perception.
MISZELLEN
Jana Keck (Washington)
»Großer Eröffnungs-Lunsch«. Digitale Ansätze zur Untersuchung der deutschen Sprache als wiederkehrendes Thema in der deutschamerikanischen Presse des 19. Jahrhunderts
Zusammenfassung: Ziel dieses Beitrags ist es, sowohl anhand von Textbeispielen die Komplexität des Sprachgebrauchs, der Spracherhaltung und der Sprachkompetenz der Diaspora am Beispiel der deutschamerikanischen Presse im 19. Jahrhundert zu verdeutlichen, als auch auf die Möglichkeiten hinzuweisen, die sich durch die Nutzung digitalisierter Quellen und digitaler Methoden für eine solche Analyse ergeben. Die divergent, transregional, multilokal und digital angelegte Untersuchung beleuchtet das Potential und die Herausforderungen digitalisierter Zeitungen und computergestützter Methoden, um Diskurse über Spracherhalt in deutschsprachigen Blättern über bundesstaatliche Grenzen und Jahrzehnte hinweg zu kartieren. Über den korpusbasierten Zugang zeigt sich, dass die Geschichte der deutschen Sprache in den USA nicht als ein schlichter Verlust, sondern als eine Geschichte des Sprachkontakts und des Code Mixing zu verstehen ist.
Abstract: The article discusses the complexity of language use, preservation, and proficiency within the diaspora of German Americans in the nineteenth century through the lens of the immigrant press. The study is diverse, transregional, multilocal, and digital. Its aim is to illuminate both the potential and challenges of digitized newspapers and computational methods for tracing discourses on language preservation in German-American newspapers across states and decades. The corpus-based approach shows that the history of the German language in the U.S. should be seen not merely as a story of loss and decline but as one of language interaction and code mixing.
REZENSIONEN
Der Open-Access-Rezensionsteil bietet rund 80 Neuerscheinungen zur Kommunikationsgeschichte. The reviews section features about 80 reviews.
BIBLIOGRAFIE (Wilbert Ubbens, Bremen)
Die Bibliographie verzeichnet mehr als 1000 kommunikationshistorische Aufsätze aus internationalen Zeitschriften. The bibliography on new literature comprises of about 1000 entries.