Der Prozess der Aufarbeitung der Dikatur(en) hat sich schmerzhaft gezeigt, dass sich Nachwirkungen, Konsequenzen und Spätfolgen nicht mit einer Datumsgrenze oder dem Erreichen von Jahrestagen erledigt haben. Aktuell wird ein „Sechstes Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR“ in den Deutschen Bundestag eingebracht. Mit gesetzlichen Veränderungen soll die Situation der – noch lebenden – SED-Opfer verbessert werden, dazu gehört die Einrichtung eines Härtefallfonds, die Dynamisierung der Zuwendung für Haftopfer, die Anpassung der Definition der Opfergruppen an die Forschungslage sowie die Erleichterung der Beantragung und Bewilligung von Hilfen und Leistungen. Durch das vorzeitige Ende der Ampel-Regierung im November 2024 wird eine Verabschiedung wiederum hinausgezögert.
Obwohl Rehabilitierungen, Entschädigungen und Restitutionen fortlaufend stattfinden, lassen sich mit der Zahlung symbolischer Beträge erlittenes Leid nicht lindern oder versperrte Lebens- und Karrierewege nachträglich ausgleichen. Wenn auch nicht täglich sichtbar, bleiben die Diktaturfolgen präsent und nicht auf die unmittelbar Betroffenen beschränkt, denn wir alle tragen und zahlen diese Kosten mit Zins und Zinseszins. Dazu zählen unter anderem die finanziellen Aufwendungen, etwa für die enormen Entsorgungs- und Sanierungskosten.
Zu fragen wäre also nicht allein, was „uns“ die Einheit gekostet hat, sondern welche Kosten die Teilung (bis heute) verursacht. Folgenreich war vor allem der Verlust an Menschen, die das Land vor und nach der Einmauerung verließen. Von diesem Aderlass, allein drei Millionen bis 1961, hat sich der Osten nie erholt. Nach 1990 verloren die „neuen“ Bundesländer nochmals über eine Million Menschen durch Fortzug. Diese und andere Diktaturfolgen werden im neuen Heft verhandelt und dargestellt. Darunter die Markierung des Haftortes Hohenleuben als DENKOrt, die Langzeitfolgen für das ehemalige Wismut-Bergbaugebiet, die fehlende Rehabilitierung von Zersetzungsopfern der SED-Diktatur, die Kulturgutentziehungen in SBZ und DDR sowie Traumatisierungen, unter denen viele von politischem Unrecht Betroffene und ihre Angehörigen bis heute leiden.
In den Rubriken Zeitgeschichte und Zeitgeschehen warten weitere spannende Beiträge, etwa zu Erfurter Fußballfans im Visier der Staatssicherheit und der Erinnerung an sowjetische Verhaftungen und Speziallager seit 1989/90. Rezensionen zu Neuerscheinungen über ostdeutsche Erotikshops, der „Riesaer Petiton“ von 1976 und der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarność ergänzen das Heft.
TITELTHEMA DIKTATURFOLGEN
03 Alexa Hennings – Zersetzung 2.0 Opfer von DDR-Unrecht werden zweimal bestraft
08 Mathias Deinert – „... eine noch nicht abgeschlossene Aufgabe“ Kulturgutentziehungen in SBZ und DDR
14 Sabine Loewe-Hannatzsch – Die SDAG Wismut im Transformationsprozess Langzeitfolgen für eine Region
20 Stefanie Falkenberg – Hohenleuben Ein Haftort wird zum DENKOrt
27 „Verfolgungserfahrungen sind nicht bewältigbar, sie verschwinden nicht, sie verändern sich aber.“ Ein Gespräch mit der Traumaberaterin Petra Morawe
ZEITGESCHICHTE
32 Matthias Steinbach – Hindenburg auf dem Kyffhäuser Sozialistische Professoren, Chinaveteranen und ein halber Denkmalsturz
40 Peter Joachim Lapp – Ein „klassenfremdes Element“ Vincenz Müller als erster Stabschef und militärische Nummer eins von KVP und NVA
44 Frank Michael Wagner – Kulturelle Ermutigung zum nahenden Umbruch Ein Provinz-Theater, Klubs und Jugendinitiativen mucken auf – Teil 1: 1988
50 Oliver Parchwitz – „Nur der RWE!“ Erfurter Fußballfans im Visier der Stasi
ZEITGESCHEHEN / DISKUSSION
56 Franz Waurig – Steingewordenes Gedenken ohne Wissen? Die Erinnerung an sowjetische Verhaftungen und Speziallager seit 1989/90
60 Lutz Wohlrab – Wohn-HAFT und Gedächtnis-Verlust Über die Mail Art von Gerd Börner
64 Jörg Bernhard Bilke – Kein Buch für Westleser Jenny Erpenbecks mildes DDR-Bild hat Erfolg
REZENSIONEN
66 Bettina Köhler – Intime Transformationsgeschichte(n) Ein Buch über die Lust und das Überleben in Ostdeutschland
68 Krzysztof Okoński – Solidarność Ein Wort aus dem europäischen Glossar
70 Daniel Börner – Ein kollektiver Ausreiseantrag Die Geschichte der „Riesaer Petition“ von 1976