Quest. Issues in Contemporary Jewish History 26 (2024)

Titel der Ausgabe 
Quest. Issues in Contemporary Jewish History 26 (2024)
Weiterer Titel 
Jewish Experiences during the Great Depression in East Central Europe (1929-1934)

Anzahl Seiten
160 S.
Preis
Kostenfreier Zugang im Internet

 

Kontakt

Institution
Quest. Issues in Contemporary Jewish History
Land
Italy
c/o
Fondazione Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea via Eupili 8 20145 Milano Italy E-Mail: <mail@quest-cdecjournal.it> Tel.: +39 02.31.63.38; 02.31.60.92
Von
Ulrich Wyrwa, Historisches Institut, Universität Potsdam

Der Zusammenbruch der New Yorker Börse im Oktober 1929 hatte weltweit verheerende Wirkungen, die in der historischen Rückschau vor allem mit der sozialen Verelendung der Massen und der politischen Demoralisierung im Mittelstand verknüpft werden. Zu den Folgen gehörte ferner der Aufstieg rechtsnationalistischer Parteien und autoritärer Entwicklungen in Europa, in Deutschland die Aushändigung der Staatsmacht an die von ihrem antisemitischen Wahn besessene NSDAP. Die Furcht, der Schrecken und das Elend, das damit für die jüdische Bevölkerung in Europa hereingebrochen war, verdeckt die Erinnerung daran, welche desaströsen Folgen die Weltwirtschaftskrise für die jüdische Bevölkerung hatte. Bis auf eine grundlegende Studie über New York, in der auch das Titelbild dieser Ausgabe abgebildet ist, liegen dafür keine systematischen historischen Untersuchungen vor. Mit diesem Heft wird damit ein bisher unbeachtetes Forschungsfeld eröffnet. Der Fokus liegt dabei auf jenem Raum in Europa, in dem seinerzeit etwa 46 % der jüdischen Bevölkerung der Welt lebte: auf Ostmitteleuropa.

Péter Buchmüller und Ágnes Kelemen untersuchen die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Juden in Ungarn. Sie zeigen welche Folgen der Niedergang der ungarischen Wirtschaft für das ungarische Judentum hatte und konzentrieren vor allem auf die jüdischen Universitätsstudenten und Anwälte, jene sozialen Gruppen, die in der Krise den heftigsten anti-semitischen Anfeindungen ausgesetzt waren.

Für die Tschechoslowakei geht Daniela Bartakova der Berichterstattung über die Folgen der Großen Depression in jüdischen Zeitungen nach, insbesondere in der tschechischsprachigen zionistischen Zeitschrift Židovské Zprávy (Jüdische Nachrichten).

Klaus Richter widmet sich der Frage, wie sich die Weltwirtschaftskrise auf die litauischen Juden, ihr Verhältnis zu den ethnischen Litauern und zum litauischen Staat auswirkte. Die Regierung sah in der ökonomischen Krise die Möglichkeit, ihr Ziel einer „Litauisierung“ der nationalen Wirtschaft zu forcieren, mit dramatischen Folgen für die jüdische Bevölkerung in Litauen. Es öffneten sich dabei aber auch Möglichkeiten für Juden außerhalb der Schtetl eine Existenz aufzubauen.

Mit den jüdischen Erfahrungen in Lettland während der Wirtschaftskrise befasst sich Paula Oppermann. Lettische Jüdinnen und Juden waren besonders in jenen Wirtschaftssektoren vertreten, die am stärksten von der Krise betroffen waren. Sie geht den kollektiven und individuellen Reaktionen der jüdischen Bevölkerung in Lettland nach und widmet sich den jüdischen Kreditgenossenschaften, den jüdischen Suppenküchen und den Aktivitäten der lettischen Partei Agudas Israel. Obwohl die Juden in Lettland eine heterogene Gruppe waren, begegneten sie der Krise oft mit vereinten Kräften, mitunter auch über die ethnischen Grenzen hinweg, da die lettischen Juden in der Zivilgesellschaft verwurzelt waren. Dennoch nutzten lettische Nationalisten die Krise, um Hass gegen Juden zu schüren, und die Politik des autoritären Regimes nach 1934 traf die Juden oft härter als die Wirtschaftskrise.

Zeitgenössische jüdische Zeitungen haben, wie Wyrwa und Richter in ihrer Einleitung zeigen, sehr genau und ausführlich über die jüdischen Erfahrungen und die sozialpsychologischen Auswirkungen der Großen Depression berichtet. Doch die Erinnerungen daran sind von dem bald folgenden weit größeren Schrecken und dem Mord an den europäischen Juden verdeckt worden.

Wie wenig Beachtung diese Frage in der historischen Forschung und den jüdischen Studien bisher gefunden hat, zeigte sich auch an der Absage von zwei bereits zugesagten Aufsätzen kurz vor Redaktionsschluss. Diese sollten sich zudem auf die für die jüdische Geschichte Ostmitteleuropas so entscheidenden Länder Polen und Rumänien beziehen. Es bleibt somit eine gravierende Lücke. Zu verschmerzen ist sie allein deswegen, weil mit diesem Heft nur ein Anfang beschritten werden konnte, der zu weiteren, auch die anderen Teile Europas einbeziehenden Forschung anregen sollte.

Inhaltsverzeichnis

Ulrich Wyrwa and Klaus Richter,
Introduction

Péter Buchmüller and Ágnes Kelemen
The Great Depression and its Effect on Hungarian Jews

Daniela Bartakova,
Jewish News and Reflections on the Great Depression in Czechoslovakia

Klaus Richter,
Jews, the Great Depression, and the “Lithuanianisation” of the National Economy

Paula Oppermann,
The World Economic Crisis. Jewish Experiences and Responses in Latvia

Discussion

Daniel Boyarin The No-State Solution: A Jewish Manifesto
Discussion by Arie M. Dubnov

Reviews

Mara Josi, Rome 16 October 1943: History, Memory, Literature
by Michele Sarfatti

Sharon Hecker and Raffaele Bedarida, eds., Curating Fascism: Exhibitions and Memory from the Fall of Mussolini to Today
by Francesco Cassata

Magda Teter, Christian Supremacy: Reckoning with the Roots of Antisemitism and Racism
by Matteo Caponi

Tamás Turán, Ignaz Goldziher as a Jewish Orientalist: Traditional Learning, Critical Scholar-ship, and Personal Piety
by George Y. Kohler

Liat Steir-Livny, Holocaust Representations in Animated Documentaries: The Contours of Commemoration
by Guido Vitiello

Omer Bartov, Tales from the Borderlands: Making and Unmaking the Galician Past
by Hana Kubátová

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