Globalisierung des Terrors
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Inhaltsverzeichnis
PROKLA-Redaktion: Editorial
Wolf-Dieter Narr: Das nicht so neue Tandem: Gewalt und Globalisierung
Joachim Hirsch: Globalisierung und Terror
Brigitte Young, Simon Hegelich: "Neue Weltordnung": Nach dem 11. September bleibt vieles, wie es war
Margit Mayer, Thomas Greven: Die USA nach dem 11. September. The War at Home
Sabah Alnasseri: Zur Krisensituation der arabischen Gesellschaften
Volker Eick, Martin Beck, Carsten Wiegrefe: "Als das Wuenschen noch geholfen hat..." Das World Trade Center als Security Shopping Mall
Iris Buenger: Apocalypse Now? Kritische Diskursanalyse der Berichterstattung der BILD- Zeitung vom 12.9.01 bis zum 7.11.01
Trevor Evans: Die oekonomische Entwicklung in den USA und die Anschlaege vom 11. September
Hansjoerg Herr: Das Kaninchen vor der Schlange. Europaeische Wirtschaftspolitik nach dem Anschlag vom 11. September
PROKLA-Redaktion
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Editorial: Globalisierung des Terrors
Die Attentate vom 11. September und die darauf folgenden Reaktionen, nicht nur der von George Bush junior ausgerufene "langanhaltende Krieg gegen den Terror", dem sich die Bundesrepublik inzwischen auch militaerisch angeschlossen hat, sondern auch die verschiedenen "Sicherheitsgesetze", die vor zukuenftigen Anschlaegen schuetzen sollen, waren der Anlass fuer dieses kurzfristig konzipierte Heft Globalisierung des Terrors. Der Titel ist bewusst mehrdeutig gehalten. "Terroranschlaege" sind global geworden: Selbstmordattentate, mit dem Ziel moeglichst viele Menschen zu toeten, finden nicht mehr nur in Israel oder Sri Lanka statt, sondern auch in den als bislang weitgehend sicher geltenden Zentren des Westens, in New York und Washington. "Terror" auf einem globalen Niveau bringen aber auch die Reaktionen auf die Anschlaege hervor: die Bomben, die auf Afghanistan niedergegangen sind und dort "Kollateralschaeden" an der Zivilbevoelkerung hervorgerufen haben, wurden von den betroffenen Menschen wohl kaum weniger schrecklich erfahren als von den Buergern New Yorks die Flugzeuge, die das World Trade Center zerstoerten. Und schliesslich - auch dies sollte der Titel - andeuten, lassen sich Attentate, wie die von New York und Washington, nicht einfach von den gegenwaertig stattfindenden Globalisierungsprozessen trennen und einem unbestimmten Aussen zuordnen, wie es die Rede vom "Boesen" (Bush) oder vom Angriff "auf die gesamte zivilisierte Welt" (Schroeder) suggeriert. Von der amerikanischen Regierung und den meisten Massenmedien der westlichen Welt wurden die Attentate Osama bin Laden und der Organisation Al-Qaida zugerechnet. Die angeblich sicheren Beweise wurden vielleicht den verbuendeten Regierungen zugaenglich gemacht (genaues weiss man nicht), bis jetzt aber nicht der Oeffentlichkeit. Bin Laden selbst hat in verschiedenen Videos zwar nicht die Urheberschaft fuer die Attentate zugegeben, doch er hat sie begruesst und mit deutlich antisemitischen Toenen zum Kampf gegen "Amerikaner und Juden" aufgerufen. Die dichotome Weltsicht des Kampfes zwischen dem Guten und dem Boesen wird offensichtlich von Bin Laden und Bush gleichermassen geteilt. Solange Bin Laden noch Kaempfer gegen die Sowjetunion sammelte, das fruehere "Reich des Boesen", bildete diese Weltsicht eine gute Grundlage fuer die Zusammenarbeit von US-amerikanischen Geheimdiensten und islamischen Mudjadehin.
Als Werk "des Boesen" sind die Attentate unfassbar. Der oft wiederholte Verweis, sie seien unvorstellbar gewesen, steht allerdings in eigentuemlichen Kontrast zu den seit Jahren durchgespielten Szenarien moeglicher Terrorangriffe auf die USA. Unerwartet war lediglich die Primitivitaet der Mittel: statt High-Tech Angriffen wurden simple Teppichschneider zur Kaperung von Flugzeugen benutzt, die sodann in Bomben verwandelt wurden. Diese Primitivitaet der Mittel kontrastiert auch mit der immer wieder erhobenen Behauptung, die Vorbereitung der Attentate habe ungeheure logistische und finanzielle Mittel erfordert - einige Tausend Dollar fuer Flugstunden und der Abgleich verschiedener Flugplaene reichten wohl aus. Entscheidend war nicht eine umfangreiche Logistik als vielmehr die Existenz einer Gruppe von Menschen, die bereit ist, monatelang eine Aktion vorzubereiten, die den sicheren eigenen Tod mit einschliesst, was die Frage nach den gesellschaftlichen Umstaenden aufwirft, die eine solche Gruppe hervorbringt und die sie auf Sympathie fuer ihre Tat hoffen laesst.
Indem die Attentate jedoch einem von aussen kommenden Boesen zugerechnet werden, erscheint die eigene Gesellschaft als gut und im Grunde gewaltfrei: Gewalttaetig ist der Angreifer, die eigene Gewalt ist nur die legitime Abwehr der "freien Welt". Die Gewalt eigener Staatlichkeit, die nicht nur historisch bei der "blut- und schmutztriefenden" (Marx) Geburt des Kapitalismus eine Rolle spielte, sondern auch weiterhin spielt, wird damit erfolgreich ausgeblendet. Diese aus dem oeffentlichen Diskurs verdraengte, historisch wie auch aktuelle Gewaltfoermigkeit buergerlicher Verhaeltnisse steht im Zentrum des Beitrags von Wolf-Dieter Narr. Dass die Anschlaege von New York und Washington nicht unabhaengig von der neoliberalen Globalisierung und der von ihr hervorgebrachten in weiten Teilen immer katastrophischere Zuege annehmenden "Weltordnung" betrachtet werden koennen, zeigt der Text von Joachim Hirsch auf. Sabah Alnasseri beschaeftigt sich schliesslich mit der Krise der arabischen Gesellschaften als Voraussetzung fuer ein Verstaendnis des Kontextes der Anschlaege.
Sind die Attentate auch nicht von den oekonomischen, politischen und sozialen Verwuestungen der Globalisierung zu trennen, so macht sie dies aber noch lange nicht zu einem - wie auch immer verdrehten oder verrueckten - Ausdruck des Kampfes um Befreiung. Die Flugzeuge, die das World Trade Center zerstoerten und das Pentagon beschaedigten, trafen nicht nur Symbole der oekonomischen und militaerischen Macht der USA, sie toeteten zugleich Tausende von Menschen. Diese Toten waren kein "Nebeneffekt" der Anschlaege, sie muessen wohl eines ihrer Ziele gewesen sein, denn es ist nicht erkennbar, dass etwa durch eine Bombenwarnung die Zahl der Opfer haette reduziert werden sollen. Der Massenmord an mehr oder weniger zufaellig anwesenden Menschen als Ziel gab es bisher nur bei Anschlaegen mit einem faschistischen Hintergrund, wie etwa dem Bombenattentat auf den Bahnhof von Bologna oder den Anschlag auf das Regierungsgebaeude in Oklahoma City.
Entspringen die Attentate einem unfassbaren Boesen, sind sie nur Ausdruck eines Anschlags auf die "Zivilisation", dann kann es nur noch um den Kampf zwischen Gut und Boese, Zivilisation und Barbarei gehen. Geht der Angriff vom "Boesen" aus, dann steht man selbst offensichtlich auf der Seite des Guten und hat nachgerade die Pflicht, den Kampf aufzunehmen, koste es was es wolle. In den stark religioesen USA laesst sich der Krieg als "Kreuzzug" verkaufen, und es wird von Regierungsvertretern ganz offen ueberlegt, dass es wohl guenstiger sei, wenn man Bin Laden tot geliefert bekaeme, als ihn lebend gefangen zu nehmen. Ob der Krieg gegen Afghanistan (und seine eventuelle Fortsetzung gegen den Irak oder Somalia) tatsaechlich den "Terror" ausmerzt, laesst sich bezweifeln. Allerdings ist es der USA gelungen, unter ihrer Fuehrung eine Allianz zu schmieden, die noch breiter ist als zu Zeiten des Kalten Krieges. Unabhaengig davon, ob diese Allianz laengerfristig Bestand hat, wird die USA nach dem Ende des Krieges in Afghanistan in jedem Fall im rohstoffreichen Zentralasien, wo sie bislang ohne grossen Einfluss war, eine entscheidende Rolle spielen. Mit der Aussenpolitik der USA, die auch nach den Attentaten mehr Kontinuitaeten als Diskontinuitaeten aufweist, beschaeftigt sich der Artikel von Brigitte Young und Simon Hegelich.
Im saekularisierten Deutschland ist nicht von einem Kreuzzug, sondern von "Verantwortung" und "Verpflichtung" die Rede, der man sich nicht entziehen koenne. Ganz verantwortungsbewusst beteiligt sich die rot-gruene Bundesregierung in ihrer kurzen Regierungszeit bereits am zweiten Krieg. Dass der amerikanische Verteidigungsminister erst auf deutsche Intervention hin betont, man haette auch ein paar deutsche Soldaten angefordert (dass die USA tatsaechlich auf 3900 deutsche Soldaten angewiesen seien, ist angesichts ihrer ueberwaeltigenden Militaermaschine eine recht befremdlich Idee), macht deutlich worum es tatsaechlich geht: Indem die rot-gruene Regierung ihren militaerischen Beitrag der amerikanisch-britischen Allianz aufdraengt, setzt sie bruchlos den Kurs ihrer konservativen Vorgaengerregierung fort, aus dem endlich vereinten Deutschland eine ganz normale Mittelmacht zu machen, die eben auch militaerisch und nicht nur oekonomisch und politisch weltweit zum Zuge kommen will.
Auf die Attentate wurde aber nicht nur "nach aussen" mit einem Krieg gegen die "Unterstuetzer des Terrorismus" reagiert, sondern auch "nach innen" mit einem "War at Home". Ausufernde Sicherheitsgesetze, die eine Vielzahl neuer Ueberwachungsmassnahmen mit sich bringen, wurden sowohl in den USA als auch in Deutschland verabschiedet bzw. sind geplant (vgl. dazu die Beitraege von Margit Mayer/Thomas Greven und von Volker Eick/Martin Beck/Carsten Wiegrefe). Zwar ist bei den meisten Massnahmen nicht zu erkennen, wie sie zur Verhinderung der Attentate vom 11. September haetten beitragen koennen, ihrer Zustimmung durch die Abgeordneten tat dies in eine Atmosphaere diffuser Bedrohung durch "Fremdes" aber keinen Abbruch. Die diskursive Vermittlung solcher Bedrohungsszenarien durch die Medien, zeigt Iris Buenger anhand einer Analyse der Berichterstattung der BILD-Zeitung von September bis November.
Sowohl die US-amerikanische als auch die deutsche Wirtschaft befanden sich zum Zeitpunkte der Anschlaege am Rande einer Rezession. Wie sich die wirtschaftlichen Perspektiven der USA und Deutschlands unter dem Eindruck der Anschlaege darstellen, untersuchen die Beitraege von Trevor Evans und Hansjoerg Herr.
Summaries PROKLA 125, Vol. 31 (2001), No. 4
Wolf-Dieter Narr: Violence and Globalization. After the 11th of September the old and much too suppressed topic about the - causal?, dialectic? - relation between capital development and its newest stage, i.e. globalization and violence has to be taken up again. Going back to Marx´ famous and still very readable Part VIII of 'Capital' (The So-Called Primitive Accumulation) it will be argued, that the inbuilt violence of the capitalist development is increasing but not decreasing in the wake of its globalization. Therefore the search for alternatives has to be pushed forward much harder that it has been the case during the stupidifying discussion about the end of history.
Joachim Hirsch: Globalization and Terror. The new form of international terrorism shows complex relations to the capitalist globalization process. It is argued that the present international system - despite of the absolute economic and military dominance of the "strong states" under US- leadership - is marked by a fundamental lack of political hegemony. The crisis of politics resulting from this "non hegemonial" situation is based in a fundamental contradiction of the neoliberal globalization project. The reactions of the dominant states to the terrorist attacks are suited to deepen and to intensify this political crisis.
Brigitte Young, Simon Hegelich. The attacks on 11th September are - according to the current belief - a turning point in the US-foreign policy. The authors contest this popular view and suggest that a new military policy was already designed in the aftermath of the collaps of the Soviet Union in 1990. Focussing on the Gulf War and the Comprehensive Test Ban Treaty the authors argue, that the USA has relied on both unilateralism and mulitlateralism to further its particular foreign policy intersts.
Margit Mayer, Thomas Greven: The USA after 11.th September - The War at Home The article outlines the domestic consequences of 9-11. It details the war on the homefront by describing steps taken in the immediate aftermath of the attacks, such as the passage and content of the USA Patriot Act, its consequences for immigrants as well as U.S. citizens, and the secrecy surrounding the detention of more than a thousand suspects in what looks like a massive campaign in racial profiling. It also looks at the congressional debate on how the government should intervene to support affected economic sectors and regulate airport security.
Sabah Alnasseri: On the crise situation in the arabic space. If anything brings the construction Bin-Laden discoursivly to the fore it is a specific conflict situation with the participation of the USA in the arabic space: a conflict situation between the dominant political regimes, the opposing conservativ-liberal blocks, and an extremist wing. The conflict could be characterized as between two political strategies about the restructuring of this economic as well as geostrategic important space. The construction Bin-Laden is the name of this violence game.
Volker Eick, Martin Beck, Carsten Wiegrefe: "When Wishing was still allowed." The World Trade Center as a Security Shopping Mall. The actual, so-called German "anti-terrorism" laws are not conceptualized to fight against "terrorism", and they won't help to prevent against "terrorism". More over, their rassist focus is mainly against foreigners, and against constituional and human rights. Not only in a German but as well in European context, "terrorism" will become a synonym for political protest and resistance. The paper argues that this development follows the logic of a neoliberal economic globalization as a political one.
Iris Buenger: Apocalypse Now? Critical Discourse Analysis of the Reports of BILD-Zeitung. The role played by the media in the construction of societal reality is both - determined by discourse and determines discourse. The media can be regarded as a kind of "magnifying glass" that collects information and focuses it for the masses. The reporting of the BILD- Zeitung, a leading figure in mass print media is analysed after the attacks on US-targets on September 11, 2001. The discursive strategy to define terror as war and to prepare the military counter attacks entailing "unlimited German Solidarity" is demonstrated by illumination of the argumentation strategies and collective symbolism.
Trevor Evans: The US economic slowdown and the impact of the 11 September attacks. The US economy was poised on the edge of a recession even before 11 September. Following the attacks, the immediate financial shocks were contained. But, despite plans by the Bush government to provide a large boost to the economy, because of massive overinvestment and overborrowing, a serious recession is on the cards in the US. With a recession also underway in Japan, and slower growth in Europe, this looks set to impart a strong deflationary impulse to the rest of the world economy.
Hansjoerg Herr: European Economic Policy after the Attack at 2001-11-9. The terror-attack hit the western world in a situation of a sharp cyclical downturn in the USA, Europe and Japan. Mainly because of increased uncertainty the downturn will be intensified by the attack. Immediately after the attack US monetary and fiscal policy became even more expansive. In Europe monetary policy reacted very reluctantly. Active fiscal policy in the Euro-area is nearly not existing as the Stability and Growth Pact as well as neo-liberal ideology prevents fiscal measures. The inactive economic policy in the Euro-area is not only dangerous for Europe but also a depressing factor for the world economy.