Peripherie: Politik • Ökonomie • Kultur 36 (2016), 3

Titel der Ausgabe 
Peripherie: Politik • Ökonomie • Kultur 36 (2016), 3
Weiterer Titel 
Politik mit Kunst

Erschienen
Leverkusen 2016: Barbara Budrich Verlag
Erscheint 
4 Nummern in 3 Ausgaben
ISBN
978-3-8474-0534-4
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
16,90

 

Kontakt

Institution
Peripherie: Politik • Ökonomie • Kultur
Land
Deutschland
c/o
PERIPHERIE Redaktionsbüro c/o Michael Korbmacher Stephanweg 24 48155 Münster Telefon: +49-(0)251/38349643
Von
Korbmacher, Michael

Die Begegnung, das Zusammenspiel, die Vermischung von künstlerischer Aktion und sozialer Bewegung ist kein neues Phänomen: von Künstlerinnen bzw. Bild‑ und Graphikexpertinnen gestaltete Transparente, Flugblätter, Plakate und Wandbilder geben politischen Inhalten eine ästhetische Form. Gleiches gilt auch für engagiertes Liedgut, Prosa, Lyrik, Graffiti, Film und Fotografie. Performative Konzepte wie das Theater der Unterdrückten stellen temporäre Aktionsräume im öffentlichen Raum her, die auf Missstände hinweisen und in denen mit alternativen Handlungsweisen experimentiert wird. Den Hoffnungen, durch künstlerische Interventionen politischen Handlungsraum zu öffnen und damit auf eine Veränderung der Kräfteverhältnisse hinzuwirken, stehen einige Fallstricke gegenüber, bspw. die Fähigkeit der Institutionen, (künstlerischen) Widerstand und deren Protagonist*innen zu integrieren. So kann diese Kunst zur Ressource der Erneuerung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse werden. Peripherie 144 erörtert die Bedingungen, unter denen künstlerischer und politischer Aktivismus ineinandergreifen oder gar ununterscheidbar werden, und die daraus entstehenden Möglichkeiten und Probleme für emanzipatorische Praxis. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf der spezifischen Situation in Regionen der Peripherie und auf der weltweiten Vernetzung und Mobilität von Menschen, Ideen und Konzepten.

Inhaltsverzeichnis

INHALT

Zu diesem Heft
S. 411

Paula Marie Hildebrandt: Escamouflage oder ein Faultier Performative Bürgerschaft, künstlerisch erforscht
S. 414

Ksenia Robbe: Erinnerung als Waffe der Dekolonisierung Kunst und Student*innen-Bewegung im heutigen Südafrika
S. 432

Vanesa Coscia & Marina Moguillansky: Militantes Kino und transnationaler Aktivismus in Dokumentationen über übernommene Fabriken in Argentinien
S. 455

Susanne Spindler: (Post-)nationale Grenzen im städtischen Gefüge: Was wichtig wird und wichtig bleibt, wenn Migration und Nationalität entkoppelt sind
S. 481

ESSAY

Pavel Eichin: Como aprendí a ser chileno – Wie ich lernte, Chilene zu sein
S. 504

PERIPHERIE-STICHWORT

Anja Steidinger & Olaf Berg: Künstlerische Intervention (Interventionskunst/kreativer Aktivismus)
S. 522

REZENSIONEN
S. 527
Zahia Rahmani, Jean-Yves Sarazin (Hg.):
Made in Algeria. Généalogie d’un territoire (Lotte Arndt) / Sammelrezension zu: Sammy Baloji: Hunting & Collecting / Larissa Förster & Holger Stoecker: Haut, Haar und Knochen. Koloniale Spurensuche in naturkundlichen Sammlungen der Universität Jena (Reinhart Kößler) / Ingo Schneider & Martin Sexl (Hg.): Das Unbehagen an der Kultur (Gerhard Hauck) / Franziska Baumbach: Die Natur des Menschen und die (Un)Möglichkeit von Kapitalismuskritik. Menschenbilder als Ideologie (Gerhard Hauck) / Hans-Jürgen Burchardt & Stefan Peters (Hg.): Der Staat in globaler Perspektive. Zur Renaissance der Entwicklungsstaaten (Malte Lühmann) / Michael von Hauff & Thuan Nguyen (Hg.): Nachhaltige Wirtschaftspolitik (Wolfgang Hein)

Eingegangene Bücher
S. 542

Summaries
S. 544

Zu den Autorinnen und Autoren
S. 546

Jahresregister
S. 547

Gute Buchläden, in denen die Peripherie zu haben ist
S. 552

Editorial

Zu diesem Heft

Politik mit Kunst

Die Begegnung, das Zusammenspiel, die Vermischung von künstlerischer Aktion und sozialer Bewegung ist kein neues Phänomen: von Künstlerinnen bzw. Bild- und Graphikexpertinnen gestaltete Transparente, Flugblätter, Plakate und Wandbilder geben politischen Inhalten eine ästhetische Form. Gleiches gilt auch für engagiertes Liedgut, Prosa, Lyrik, Graffiti, Film und Fotografie. Performative Konzepte wie das Theater der Unterdrückten stellen temporäre Aktionsräume im öffentlichen Raum her, die auf Missstände hinweisen und in denen mit alternativen Handlungsweisen experimentiert wird. Auf ähnliche Weise intervenieren Aktivist*innen der Kommunikationsguerilla, um Zonen zu produzieren, in denen Unsichtbares sichtbar wird.

Den Hoffnungen, durch künstlerische Interventionen politischen Handlungsraum zu öffnen und damit auf eine Veränderung der Kräfteverhältnisse hinzuwirken, steht eine Reihe von Fallstricken gegenüber. Diese zeigen sich exemplarisch in der Fähigkeit der Institutionen, (künstlerischen) Widerstand und deren Protagonist*innen zu integrieren. Institutionen zeigen grundsätzlich ein Interesse an künstlerischen Interventionen als rebellischen, avantgardistischen Impulsen und nehmen dabei die Repräsentation von Minderheiten gerne als Supplement mit, solange dies alles auf der Darstellungsebene verbleibt, ohne strukturelle Veränderung zu bewirken. Ein Kunstdiskurs, der auf Wissensproduktion, Research, post- und dekolonialen Gender- und Queer- etc. Konzepten aufbaut, wird so zur Ressource der Erneuerung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse.

Mit dem vorliegenden Heft wollen wir die Bedingungen, unter denen künstlerischer und politischer Aktivismus ineinandergreifen oder gar ununterscheidbar werden, untersuchen und die daraus entstehenden Möglichkeiten und Probleme für emanzipatorische Praxis erörtern. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf der spezifischen Situation in Regionen der Peripherie und auf der weltweiten Vernetzung und Mobilität von Menschen, Ideen und Konzepten. Wir freuen uns, für diesen Heftschwerpunkt Artikel von Autorinnen aus Südafrika und Argentinien gewonnen zu haben, die anhand konkreter Beispiele das Spannungsfeld veranschaulichen, in dem sich künstlerischer Aktivismus bewegt. Andere Beträge zeigen, wie sich dieses Spannungsfeld im Globalen Norden darstellt, wenn Menschen aus dem Globalen Süden hier leben.

Paula Marie Hildebrandt geht den Fragen nach, was Bürgerschaft performativ ausmacht und wie Idee und Praxis künstlerischer Forschung den Begriff von Bürgerschaft verändert. Am Beispiel ihres Forschungsprojekts Welcome City zeigt sie, dass Bürgerschaft als eine spezifische Form der (Selbst-)Präsentation stets um Verhältnisse von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Affirmation und Verweigerung kreist. Vor diesem Hintergrund eröffnet ein performatives Verständnis von Bürgerschaft die Möglichkeit, aktuelle Fragen von Flucht und Vertreibung, Migration und Integration, Bürgerrechten und Bürgerpflichten kritisch zu reflektieren.

Hingegen widmet sich Ksenia Robbe künstlerischen Interventionen im Kontext einer spezifischen Protestbewegung: Sie untersucht die Rolle von Poesie in den "Fees-Must-Fall"-Studierendenprotesten 2015 in Südafrika. In den Texten, so ihre These, werde die Erinnerung an die Zeit der Apartheid und Verfolgung des Widerstands im Untergrund aufgerufen, um nach 20 Jahren Post-Apartheid, in denen sich nur wenig an den sozialen Unterschieden entlang rassistischer Grenzen und der Verteilung des Reichtums im Land getan hat, einzufordern, dass nun endlich die Ziele verwirklicht werden müssen, für die gekämpft und gelitten wurde.

Die Verbindung von Dokumentarfilm und politischem Aktivismus steht im Mittelpunkt des Beitrags von Vanesa Coscia und Marina Moguillansky. Die Autorinnen nehmen dabei besonders das Verhältnis von lokalen Akteur*innen und internationalen Filmschaffenden in den Blick. Anhand einer vergleichenden, kulturwissenschaftlichen Analyse dreier Dokumentarfilme über die besetzte Fabrik Zanón in Argentinien arbeiten sie heraus, wie die Beteiligung transnationaler Akteure an der Filmproduktion im Film sichtbar wird. Sie zeigen auf, dass der Versuch der Filme, die Situation in Argentinien als beispielhaft für die Politiken des Neoliberalismus und für das Vorgehen der Belegschaft von Zanón als Modell für erfolgreiche Gegenwehr zu interpretieren, eine Tendenz zur Vereinfachung mit sich bringt, bei dem die historische und lokale Besonderheit des Falls verloren geht.

Ergänzt werden die drei Artikel durch einen Essay, in dem Pavel Eichin verschiedene Textgenres mit dem Ziel kombiniert, die Bedeutung der Musik für die chilenische Exilgemeinde in Frankfurt a.M. herauszustellen. Ausgehend von persönlichen Erfahrungen und Liedanalysen zeigt der Autor die identitätsstiftende Rolle der Figur des Exils, vermittelt über die Nueva Canción Chilena, auf. Insbesondere für die zweite im Exil aufgewachsene Generation ergebe sich ein Identitätskonflikt in dem Moment, an dem "Chilenisch-Sein" an die Überwindung des Exils geknüpft werde, gehe doch damit eine Negation der eigenen Lebenserfahrung im Exil einher.

Alle für den Heftschwerpunkt ausgewählten Beiträge betrachten das Spannungsfeld von Kunst und Politik anhand konkreter, die Peripherie betreffender Beispiele. Der empirische Fokus des Schwerpunktes wird durch das PERIPHERIE-Stichwort "Künstlerische Intervention" ergänzt, in dem Olaf Berg und Anja Steidinger in die existierenden Debatten zum emanzipatorischen Potenzial von künstlerischer Intervention einführen. Sie zeigen die Spannbreite der künstlerischen Positionen auf, die von am Kunstmarkt orientierter Interventionskunst bis zu in sozialen Bewegungen verankertem, kreativem Aktivismus reicht.

Außerhalb des Heftschwerpunkts greift Susanne Spindler das in PERIPHERIE Nr. 141 behandelte Konfliktfeld Stadt auf. Sie untersucht, warum in Buenos Aires trotz eines gesetzlich verankerten Menschenrechts auf (Im-)Migration sozial-räumliche Grenzziehungen entlang nationaler und ethnischer Zugehörigkeiten bedeutend sind und welche Rolle dabei die villas genannten, informellen Siedlungen im städtischen Raum spielen.

Für die folgenden Jahrgänge bereiten wir Schwerpunkthefte zu den Themen "Rassismus", "Konzepte gewaltfreier Selbstverteidigung", "Macht und Prognose" sowie "Anspruch und Wirklichkeit ziviler Konfliktbearbeitung und Friedensförderung" vor. Auch das Thema "künstlerischer Aktivismus" wird uns weiter beschäftigen. Zu diesen und anderen Themen sind Beiträge sehr willkommen. Sobald sie veröffentlicht werden, finden sich die entsprechenden Calls for Papers auf unserer Homepage.

Zum Abschluss des aktuellen Jahrgangs möchten wir uns wieder herzlich bei den Gutachterinnen bedanken, die einmal mehr durch ihre gründliche, engagierte und kritische Arbeit zum Gelingen der Hefte maßgeblich beigetragen haben. Ihre Namen sind in alphabetischer Reihenfolge im Jahresregister aufgeführt. Ferner gilt unser Dank Sarah Becklake, die als englische Muttersprachlerin die Summaries korrigiert hat. Schließlich bedanken wir uns bei allen Leserinnen, Abonnentinnen sowie bei den Mitgliedern der Wissenschaftlichen Vereinigung für Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik e.V., der Herausgeberin der PERIPHERIE. Unsere größtenteils ehrenamtliche Arbeit ist weiterhin von Spenden abhängig. Wir freuen uns daher über neue Vereinsmitglieder ebenso wie über einmalige Spenden. Unsere Bankverbindung finden Sie, liebe Leserinnen, im Impressum. Wir wünschen Ihnen und Euch eine anregende Lektüre und einen guten Start ins Jahr 2017.

Zusammenfassungen / Summaries

Paula Hildebrandt:
Escamouflage oder das Faultier – Performative Bürgerschaft künstlerisch erforscht. Was ist performative Bürgerschaft? Wie verändert die Idee und Praxis künstlerischer Forschung den Begriff von Bürgerschaft? Der Beitrag widmet sich dieser grundsätzlichen Fragestellung in der Kombination von künstlerischer Praxis mit Ansätzen aus der Migrationsforschung, der postkolonialen Theorie und politischen Philosophie und zeigt: ein performatives Verständnis von Bürgerschaft bietet einen gewinnbringenden Ansatz, um aktuelle Fragen von Flucht und Vertreibung, Migration und Integration, Bürgerrechte und Bürgerpflichten kritisch zu reflektieren. Das Verhältnis von Bürgerschaft und Performance wird am konkreten Beispiel des künstlerischen Forschungsprojekts Welcome City diskutiert. Das Projekt bietet in seiner Fragestellung, Methodik und Widersprüchlichkeit manch hilfreiche Anknüpfungspunkte für eine kritische Reflexion künstlerischer Forschung sowie Hinweise für einen zeitgemäßen – performativen – Begriff von Bürgerschaft. Die der Forschung vorausgehende These lautete, dass Bürgerschaft als eine spezifische Form der (Selbst-)Präsentation stets um Verhältnisse von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Affirmation und Verweigerung kreist; auf diese Bewegung zielt der Begriff der Escamouflage.

Paula Hildebrandt:
Escamouflage and the Sloth: Artistic Research on Performative Citizenship. The term 'escamouflage', made up of the German verb eskamotieren (to spirit or to conjure s.o. or s.th. away) and the French noun camouflage (the act, means, or result of obscuring things to deceive an enemy), is a form of strategic mimicry and stands for a contemporary practice of gaining artistic and political agency. Taking a recent intervention by the Hamburg-based Welcome City Group as an example, the text outlines how artistic or performative research can contribute to developing a new vocabulary for performing and/or enacting citizenship. The aim of the three-year research project Welcome City is to explore the secret, mostly unspoken rules for living, visiting and settling in a new city – the hidden protocols that you are supposed to know or which you did not even know exist. Experiences within an open and self-organised working group of newcomers, performative appearances in urban space, a multi-author blog indicate that 'escamouflage', that is becoming invisible, becoming animal, is a very effective strategy to perform as a citizen on the stage of the big city.

Ksenia Robbe:
Erinnerung als Waffe der Dekolonisierung: Kunst und Student*innenbewegung im heutigen Südafrika. Beim Beobachten derzeitiger Protestbewegungen in der Postkolonie, besonders solchen von Studierenden, die die Ungleichheit auf dem Campus und in Gesellschaften allgemein thematisieren, lässt sich die Rolle der Kunst bei der Sichtbarmachung der verknüpften Formen des Kolonialismus und des Kapitalismus nicht übersehen. Diese Repräsentationen verleihen nicht nur abstrakten Ideen Sichtbarkeit, sie beinhalten zudem auch symbolische Repertoires, um Regime der Kolonialität anzugehen. Indem sie Erinnerungen an Kolonialisierung, Sklaverei und die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte wachrufen, machen sie die kolonialen Ursprünge der heutigen sozialen Beziehungen sichtbar. Der Artikel reflektiert den Einsatz der Erinnerung anhand von poetischen und visuellen Praktiken, die 2015 Teil der Bewegungen #RhodesMustFall und #FeesMustFall an der Universität Kapstadt waren. Der Artikel argumentiert, dass heutige Erinnerungspraktiken ähnlich wie in früheren Beispielen von Kunst und Gedichten der Anti-Apartheid-Bewegung ein neues kollektives Narrativ zu erschaffen versuchen – in diesem Fall ein alternatives Erinnern der Transition der 90er Jahre. Allerdings verdeutlicht in diesen Darstellungen die Erinnerung der Kolonialisierung die täglichen Schwierigkeiten, eine Identität auszubilden und Handlungsfähigkeit auszuüben; sie sensibilisieren für die Anstregungen, die beim Ausbilden neuer Identitäten auf den Ruinen der alten unternommen werden müssen.

Ksenia Robbe:
Memory as a Decolonising Weapon. Art and Student Mobilisation in South Africa today. When observing contemporary protest movements in the post-colony, particularly those led by students and addressing issues of equality on campuses and in societies at large, one cannot circumvent the role of art in making visible the interlinking forms of colonialism and capitalism. Not only do artistic representations lend particular visibility to abstract ideas, but they also provide symbolic repertoires for tackling regimes of coloniality. They often do so by evoking memories of colonisation, slavery and the exploitation of cheap labour, revealing the colonial roots of social relations today. Focusing on the poetic and visual practices that were part of the #Rhodes Must Fall and #Fees Must Fall movements at the University of Cape Town during 2015, this article reflects on the uses of memory in such projects. Similarly to the earlier anti-apartheid examples of art and poetry, the paper argues that contemporary memory practices aim to create a new collective narrative – in this case, an alternative memory of the 1990s transition. However, in these performances, the memory of colonisation elucidates the present-day difficulties of forming an identity and exercising agency; it cautions one of the efforts to be invested into forging new collective identities on the ruins of the old.

Vanesa Coscia & Marina Moguillansky:
Militantes Kino und transnationaler Aktivismus in Dokumentationen über übernommene Fabriken in Argentinien. Der Prozess der Besetzung von Fabriken während der argentinischen Wirtschaftskrise um das Jahr 2001 wurde durch ein Ensemble an Dokumentarfilmen aufgegriffen, welche sich einer weitläufigen Verbreitung auf alternativen Informationskanälen erfreuten. Viele dieser Dokumentarfilme nehmen eine transnationale Perspektive ein, weil sie in transnationaler Zusammenarbeit von Künstlerinnen, Aktivistinnen und Fonds realisiert wurden. Die Verbreitung der Filme war nicht auf das nationale Umfeld begrenzt, sondern überquerte Ländergrenzen und erreichte andere Krisenzusammenhänge in Spanien, Italien und Griechenland. In dieser Arbeit untersuchen wir die Schnittstellen zwischen Kunst, Aktivismus und Politik und fokussieren so die Nord-Süd-Beziehungen in Dokumentarfilmen über übernommene Fabriken. Wie drücken sich in diesen Dokumentarfilmen die Interessen lokaler und/oder ausländischer Regisseure, multipler Geldgeber und verwundbarer, sozialer Kollektive aus? Welche Bedeutung hat das Transnationale in Bezug auf die Erzeugung von Dokumentarfilmen, welche die argentinische Krise und ihre sozialen Korrelate erfassen? Um diese Fragestellungen zu beantworten, konzentriert sich unsere Analyse auf die Filme Mate, Ton und Produktion. Zanon – eine Fabrik unter Arbeiterkontrolle (2003, Ak Kraak und Alavío), The Take (Die Übernahme, 2004, Klein und Lewis) und Fasinpat (2004, Incalcaterra). Diese Lektüre zeigt in Bezug auf die Übernahme von Fabriken die Spannungen und Ambivalenzen auf, welche bezüglich der Prozesse bestimmter Vorgänge der Thematisierung, Kontextualisierung bis hin zur Interpretation wahrgenommen und konkretisiert werden.

Vanesa Coscia & Marina Moguillansky:
Militant Movies and Transnational Activism in Documentaries about Recuperated Factories in Argentina. The process of occupying factories during the economic crisis in Argentina, circa 2001, was depicted in various documentary films. Many of these documentaries imply a transnational view, as they were produced in collaboration with transnational activists and funds. Similarly, these audiovisual records were broadly circulated through various alternative channels. Indeed, the documentaries crossed borders and reached other contexts of crisis, such as Spain, Italy and Greece. Focusing on three such documentaries, including 'Mate and Clay: Zanon under workers' control' (2003, Ak Kraak and Alavío), 'The Take' (2004, Klein and Lewis) and 'Fasinpat' (2004, Incalcaterra), the article explores how art, activism, and politics are connected, with a special focus on North-South relations. It asks: how are the logics of transnational funding agencies, artistic projects, and the political demands of social movements articulated in these documentaries? What are the implications of the transnational networks that were created to produce these documentaries depicting the Argentinean crisis? Focusing on the documentaries' themes, contexts, and interpretations, we highlight various tensions and ambivalences.

Susanne Spindler:
(Post )nationale Grenzen im städtischen Gefüge: Was wichtig wird und wichtig bleibt, wenn Migration und Nationalität entkoppelt sind. Argentinien hat das Recht auf Migration als Menschenrecht gesetzlich verankert und eröffnet Migrantinnen damit auch den Zugang zu allen sozialen Rechten. Dennoch sind immer Rechte von Migrantinnen immer noch umkämpft. In verschiedenen Arenen wie dem Kampf um Wohnen zeigen sich (Re )Konstitutionen interner Grenzziehungen, die eigentlich in einem Widerspruch zum Recht auf Migration stehen. Die Megacity Buenos Aires ist der Zielort der Migration für viele Migrantinnen und der Ort, an dem diese widerstreitenden Prozesse beobachtete werden können. Die Gleichzeitigkeit von migrantischen Rechten und internen Barrieren und ihre Folgen für Positionierungen von Migrantinnen in sozialen wie in räumlichen Bezügen werden in diesem Artikel untersucht.

Susanne Spindler:
(Post-)National Frontiers in Urban Spaces. Like in no other country in Argentina the right to migration as a human right is established in its law. The right to migration implies full access to social rights. Nevertheless fights for rights of migrant subjects are evoked in urban spaces. In various arenas – like in the fight for housing – (re-)configurations of internal frontiers and urban barrieres for migrants are obvious – which is contradictory to the right to migrate. The megacity Buenos Aires is the target space for many migrants and the place, in which those reconfigurations can be observed. The coexistence of migrants rights and internal barrieres and their constitution and consequences for diverse forms of social and geografical mobility of migrants are figuered out in this article.

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