Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 67 (2019), 1

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 67 (2019), 1
Weiterer Titel 
Kalter Krieg, 3. Reich

Erschienen
München 2019: De Gruyter Oldenbourg
Erscheint 
vierteljährlich
ISBN
Print ISSN 0042-5702
Anzahl Seiten
180
Preis
Jahresabo: 59,80€, Stud.abo: 34,80€ Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 49,80€, Online-Zugang: 49€, Print+Online-Abo 72€

 

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Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Jaroschka, Gabriele

VfZ Abstracts 1/2019

Aufsätze

Rüdiger Bergien, Programmieren mit dem Klassenfeind. Die Stasi, Siemens und der Transfer von EDV-Wissen im Kalten Krieg

Siemens-Computer im Dienst der Stasi – das lässt an illegalen Technologietransfer denken, an die ausgefeilten Methoden des Mielke-Apparats, durch Spionage und Schmuggel in den Besitz westlicher Hochtechnologie zu gelangen. Tatsächlich aber lieferte die Westberliner Siemens-Zweigniederlassung im Jahre 1970 drei ihrer modernsten Großrechner offiziell und mit dem Segen der Bundesregierung in die Ostberliner Wuhlheide, den „legendierten“ Standort des Rechenzentrums des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Mehr noch: Techniker, Programmierer und Vertriebsmitarbeiter der Firma Siemens leisteten bis in die 1980er Jahre umfassenden „IT-Support“ für die MfS-Abteilung XIII, lieferten Ersatzteile, neue Software-Versionen und Peripherie-Geräte. Doch während Siemens vergeblich auf Folgeaufträge aus DDR-Ministerien wartete, ermöglichte die westliche Technik der Stasi einen Schnellstart in die Digitalisierung, die ihr bis 1989 einen führenden Platz im Vergleich zu ihren östlichen „Bruderdiensten“ verschaffte.

Peter Tietze, Von der Ostforschung zur Historischen Semantik. Richard Koebner, ein deutsch-jüdischer Pionier der Begriffsgeschichte
Der deutsch-jüdische Historiker Richard Koebner (1885–1958) zählt zu den bedeutenden Pionieren der Begriffsgeschichte beziehungsweise der Historischen Semantik. Aber er war mehr als das: Er gehörte vor 1933 auch zu den führenden Vertretern der Ostforschung und nach seiner Emigration zu den Mitbegründern der modernen israelischen Geschichtswissenschaft. In seinem Leben und Werk spiegeln sich in seltener Klarheit die Extreme des 20. Jahrhunderts: Kampf gegen radikalen Antiliberalismus und Antisemitismus in der Weimarer Zeit; Immigration, Neuanfang und Wissenstransfer in Palästina; und schließlich der Einsatz für Verständigung im Konflikt zwischen Juden und Arabern. Dem begegnete Koebner mit seiner Begriffsgeschichte, die historiografische Methode, Moderne-Theorie, Ideologiekritik und eine neuartige Chronopolitik zugleich war.

Frank Grelka, Beutekunst und Kunstraub. Sowjetische Restitutionspraxis in der SBZ

Zu den verheerenden Schäden, die der Krieg NS-Deutschlands gegen die Sowjetunion dem Land beigefügt hatte, gehörte auch der umfangreiche Raub von Kunstgegenständen. Restitutions- bzw. Kompensationsforderungen der UdSSR nach der Zerschlagung des Hitlerregimes waren vor diesem Hintergrund durchaus legitim. Tatsächlich ging die Praxis der Kunstverlagerung in die Sowjetunion indes über das Prinzip der restitution in kind deutlich hinaus. Dass das kein Zufall war, sondern den von Stalin abgesegneten Planungen der entsprechenden Stäbe in Moskau entsprach, kann der Osteuropahistoriker Frank Grelka in seinem Beitrag auf der Basis neuer Quellen aus russischen staatlichen Archiven belegen. Er diskutiert politische Motive, ideologische Legitimationsmuster und thematisiert die Rolle deutscher Experten bei diesem Vorgang. Dessen Deutung als „Verlagerung von Kunst aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) als eine Form der Kompensation für den NS-Kunstraub“ in dem Gesetz der russischen Duma von 1998, welches das entsprechende Kulturgut zum Eigentum des russischen Staates erklärte, stellt er damit in Frage.

Mikael Nilsson, Hitler redivivus. „Hitlers Tischgespräche“ und „Monologe im Führerhauptquartier“ – eine kritische Untersuchung

Die Pionierstudie der berüchtigten Tischreden Hitlers – „Tischgespräche im Führerhauptquartier“ (1951) und „Monologe im Führerhauptquartier“ (1980) – verwendet viele bisher unbekannte und unberücksichtigte Quellen, die zeigen, dass die Historikerzunft diese Dokumente bisher viel zu unkritisch zitiert hat. Die Texte, deren Originale jetzt verloren sind, wurden stark überarbeitet und können nicht als wörtliche Rede Hitlers betrachtet und zitiert werden. Sie sind nicht verlässlicher als vergleichbare Notizen. Die Notizen wurden nach den jeweiligen Gesprächen fast vollständig aus dem Gedächtnis niedergeschrieben und oft lange nach den ersten Entwürfen abgeschlossen. Während des Herausgabeprozesses wurden Textteile eingefügt. Die Notizen enthalten Aussagen, die Hitler höchstwahrscheinlich nie getroffen hat. Historikerinnen und Historiker, die diese Texte zitieren, zitieren nicht Hitler, sondern die Autoren dieser Notizen.

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VfZ Abstracts 1/2019

Articles

Rüdiger Bergien, Programming with the Class Enemy. The Stasi, Siemens and the Transfer of IT Knowledge during the Cold War

Siemens computers in the service of the Stasi – this reminds us of illegal transfers of technology and of how the East German Ministry of State Security (Ministerium für Staatssicherheit, MfS, colloquially known as the Stasi) used intricate methods of spying and smuggling to gain possession of western high-tech. In 1970, however, the Siemens West Berlin branch office delivered three of their most modern mainframes quite officially and with the blessing of the West German government to East Berlin’s Wuhlheide, the location of the front company disguising the computing centre of the Stasi. Technicians, programmers and Siemens sales personnel even provided “IT support” for Department XIII of the MfS and delivered spare parts, new software versions and peripheral equipment. Yet while Siemens was unsuccessfully waiting for follow-up orders from the GDR, Western technology enabled the Stasi to jump-start its moves towards digitalisation, which provided it with a leading place in comparison to its Eastern “sister state security services” until 1989.

Peter Tietze, From Ostforschung to Historical Semantics. Richard Koebner, a German-Jewish Pioneer of Conceptual History

The German-Jewish historian Richard Koebner (1885–1958) is among the most important pioneer of Conceptual History and Historical Semantics. But he was more than that: Before 1933 he was among the leading representatives of Ostforschung (Research on the East) and after emigration was among the co-founders of modern Israeli historiography. The “Age of Extremes” of the 20th century is reflected in his life in surprising clarity: The struggle against radical anti-liberalism and antisemitism during the Weimar Republic; immigration, a new beginning and the transfer of knowledge to Palestine; and finally his personal commitment towards an understanding in the Jewish-Arab conflict. Koebner met this challenge with his conceptual history, which was simultaneously a historiographical method, a theory of modernity, a critique of ideology as well as a novel form of chrono-politics.

Frank Grelka, Stolen Art and Art Robbery. Soviet Compensation Practice in the Soviet Zone of Occupation in Germany

Nazi Germany’s war against the Soviet Union inflicted devastating damage and also included the extensive robbery of works of art. Against this background, USSR demands for restitution and compensation after the defeat of Hitler’s regime were certainly justified. In fact though the practice of relocating art to the Soviet Union went far beyond the principle of restitution in kind. On the basis of new sources from Russian state archives, East European historian Frank Grelka can show that this was no accident, but instead fitted with the plans of the respective staffs in Moscow which had received Stalin’s blessing. He discusses political motives, ideological legitimation patterns and addresses the role of German experts in this process. In doing so, he questions the interpretation of this process as a “relocation of art from the Soviet Zone of Occupation as a form of compensation for Nazi art robbery” as formulated in a law passed by the Russian Duma in 1998, which declared the respective cultural goods to be the property of the Russian state.

Mikael Nilsson, Hitler Redux. “Hitlers Tischgespräche” and “Monologe im Führerhauptquartier” – a Critical Examination

This pioneering study of the famous Hitler table talks – “Tischgespräche im Führerhauptquartier” (1951) and “Monologe im Führerhauptquartier” (1980) – uses a lot of previously unknown or overlooked sources to show that historians have been much too uncritical when citing these documents. The texts, the originals of which are now lost, were heavily edited and cannot be cited as being Hitler’s words ad verbatim. They are not more reliable than comparable notes. The notes were written down almost entirely from memory after the conversations they record, often finished long after the first drafts were written. Text was added during the editing process, and the notes contain statements that Hitler most likely did not make. Historians citing these texts are not quoting Hitler, but the words of the authors of the notes.

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Inhalt

Aufsätze

Rüdiger Bergien
Programmieren mit dem Klassenfeind
Die Stasi, Siemens und der Transfer von EDV-Wissen im Kalten Krieg

Peter Tietze
Von der Ostforschung zur Historischen Semantik
Richard Koebner, ein deutsch-jüdischer Pionier der Begriffsgeschichte

Frank Grelka
Beutekunst und Kunstraub
Sowjetische Restitutionspraxis in der SBZ

Mikael Nilsson
Hitler redivivus
„Hitlers Tischgespräche“ und „Monologe im Führerhauptquartier“ – eine kritische Untersuchung

Notizen

Die Edition der Reden Adolf Hitlers von 1933 bis 1945
Ein neues Projekt des Instituts für Zeitgeschichte

13. Aldersbacher Schreib-Praxis
Ein anwendungsorientiertes Seminar des Instituts für Zeitgeschichte und des Verlags De Gruyter Oldenbourg (22. bis 26. Juli 2019)

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