Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 70 (2019), 7–8

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 70 (2019), 7–8
Weiterer Titel 
DDR-Geschichte vermitteln

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Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Sauer, Michael

Ist von Erinnerungs- und Gedenkorten in Deutschland die Rede, wird man zunächst spontan an die Zeit des Nationalsozialismus denken. Dabei existiert mittlerweile auch zur Geschichte der DDR eine reiche Erinnerungslandschaft. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur weist insgesamt 900 Erinnerungsorte aus, die freilich unterschiedlicher Gestalt sein können – vom Museum bis zum Gedenkzeichen. Mit wenigen Ausnahmen geht es darum, die Unrechtsgeschichte der DDR zu dokumentieren und im Gedächtnis zu halten. Das entspricht dem vorherrschenden öffentlichen DDR-Narrativ von langjähriger Parteiherrschaft und Unterdrückung und deren Überwindung durch eine „friedliche Revolution“. Die Gegenerzählung eines „normalen“ DDR-Alltags, in dem man relativ ungestört ein „richtiges Leben im falschen“ führen konnte, spielt dagegen lediglich in der tradierten privaten Erinnerung eine – allerdings zentrale – Rolle.

Aber auch wenn das „Diktatur-Gedächtnis“ die öffentliche Erinnerungslandschaft dominiert, unterscheiden sich doch die Intentionen, die örtlichen Gegebenheiten, die Materialien und Methoden der Vermittlung je nach Einrichtung erheblich. Dies will das vorliegende Heft exemplarisch an ausgewählten Orten verdeutlichen. Eine Besonderheit: Bei drei Beiträgen haben jeweils zwei Personen zusammengearbeitet, von denen eine aus einer einschlägigen Einrichtung, die andere aus der Geschichtsdidaktik bzw. aus dem Bereich der Public History kommt, so dass bereits in der Autorschaft unterschiedliche Perspektiven angelegt sind. Alle Beiträge orientieren sich an denselben Leitfragen: Was sind die Ziele der Vermittlungsarbeit vor Ort? Steht Information oder historisch-politische Bildung im Vordergrund? Sollen bestimmte Werte und Einstellungen vermittelt werden? Welche Inszenierungskonzepte werden verfolgt? Welche Rolle spielen Emotionen und Kontroversen? Und wie können die Erfahrungen aller Beteiligten aufgegriffen werden?

In ihrer Einführung charakterisieren Juliane Brauer und Irmgard Zündorf Figuren und Orte der DDR-Erinnerung. Als Prinzipien der Vermittlungsarbeit, die zugleich Gütekriterien für deren Realisierung darstellen, erörtern sie Transparenz/Konstruktionscharakter, Kontextualisierung, Kontroversität/Multiperspektivität/Pluralität sowie Verzicht auf Emotionalisierung. Abermals Juliane Brauer und Catrin Eich berichten von der aufwendigen und methodisch avancierten Zeitzeugenarbeit, die in der „Gedenkstätte Lindenstraße 54“ praktiziert wird. Sie erörtern dabei auch grundsätzliche Potenziale und Probleme – unter anderem eine Dominanz der Opfer- bzw. Repressionsgeschichte. Die Vermittlungsmodule, die die „Gedenkstätte Berliner Mauer“ anbietet, werden von Monika Fenn und Katrin Passens vorgestellt und im Hinblick auf das historische Lernen von Schülerinnen und Schülern gewürdigt. Christine Gundermann analysiert die Ausstellungsinszenierung der Leipziger „Gedenkstätte Museum in der ,Runden Ecke‘“. Das Bürgerkomitee Leipzig, Gründer und Träger der 1990 ins Leben gerufenen Ausstellung, bemüht sich bis heute darum, die ehemaligen Stasi- Räumlichkeiten so „authentisch“ wie möglich zu erhalten – Anlass für die Autorin, das Konzept „Authentizität“ genauer zu diskutieren und zu problematisieren. Sie regt an, die Ausstellung selbst zu historisieren bzw. zu musealisieren: als eine erkennbar perspektivische und zeitgebundene Deutung der DDR- und Stasi-Geschichte. Abschließend stellen Irmgard Zündorf und Ralf Marten die Angebote der „Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus“ vor und konstatieren dabei einerseits eine besondere Vielfalt, andererseits aber auch mangelnde Kohärenz und unzureichende Kontextualisierung. Alles in allem bieten die Texte über die jeweils beschriebenen Orte hinaus Impulse zur Wahrnehmung, Reflexion und kritischen Würdigung einschlägiger Erinnerungsinstitutionen.
Von Michael Sauer

Inhaltsverzeichnis

INHALT

Abstracts (S. 370)
Editorial (S. 372)

Beiträge

Juliane Brauer/Irmgard Zündorf
DDR-Geschichte vermitteln
Lehren und Lernen an Orten der DDR-Geschichte (S. 373)

Juliane Brauer/Catrin Eich
Projektwerkstatt „Lindenstraße 54“ Potsdam
Zeitzeug/innen in der Gedenkstättenarbeit mit Jugendlichen (S. 390)

Monika Fenn/Katrin Passens
Vergangenheit und Geschichte am historischen Ort forschend entdecken
Potential des historischen Lernens in der Gedenkstätte Berliner Mauer (S. 402)

Christine Gundermann
„Die Quellen sprechen für sich!“
Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ in Leipzig als Lernort (S. 418)

Irmgard Zündorf/Ralf Marten
Vom Zuchthaus zum Menschenrechtszentrum
Vielfältige Herausforderungen der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus (S. 436)

Informationen Neue Medien

Gregor Horstkemper
Alltag, Repression und Resistenz
Die DDR in Geschichts-Apps (S. 450)

Literaturbericht

Mark Spoerer
Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte (S. 453)

Nachrichten (S. 475)

Autorinnen und Autoren (S. 480)

ABSTRACTS

Juliane Brauer/Irmgard Zündorf
DDR-Geschichte vermitteln
Lehren und Lernen an Orten der DDR-Geschichte
GWU 70, 2019, H. 7/8, S. 373 – 389
Museen oder Gedenkstätten zur DDR-Geschichte sind vielfältig und in unserer heutigen Geschichtskultur sehr präsent. Doch gerade bei ihnen ist die Präsentation und Aneignung der Geschichte von zum Teil sehr emotional geführten Kontroversen geprägt, die sich auf die Art und Weise der Vermittlung auswirken. Der Beitrag diskutiert zum einen, welchen spezifischen erinnerungskulturellen Logiken die Orte unterworfen sind. Zum anderen werden die Vermittlungsarbeit aus der Perspektive der Public History analysiert und mögliche Prinzipien für die Arbeit in DDR-Erinnerungsorten zur Diskussion gestellt.

Juliane Brauer/Catrin Eich
Projektwerkstatt „Lindenstraße 54“ Potsdam
Zeitzeug/innen in der Gedenkstättenarbeit mit Jugendlichen
GWU 70, 2019, H. 7/8, S. 390 – 401
In der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Potsdam gibt es seit 2002 die Projektwerkstatt „Lindenstraße 54“. Die Besonderheit dieses Lernortes ist, dass die pädagogischen Angebote auf die angeleitete und intensive Begegnung von Schulklassen mit Zeitzeug/innen setzen. Der Beitrag setzt sich mit dem aktuellen Phänomen von Zeitzeug/innenschaft auseinander. Anhand der Module für Zeitzeug/innenbegegnung in der Projektwerkstatt werden Potenziale benannt und Herausforderungen problematisiert, die die Gespräche mit Zeitzeugen/ innen für die Lernenden mit sich bringen.

Monika Fenn/Katrin Passens
Vergangenheit und Geschichte am historischen Ort forschend entdecken
Potential des historischen Lernens in der Gedenkstätte Berliner Mauer
GWU 70, 2019, H. 7/8, S. 402 – 417
Die Gedenkstätte Berliner Mauer ist der zentrale Erinnerungs- und Gedenkort für die deutsche Teilung. Für das historische Lernen bietet der Ort viele Ansatzpunkte. Der Beitrag stellt Lernarrangements vor und reflektiert sie aus geschichtsdidaktischer Sicht. Auf der Grundlage empirischer Befunde zum Besuch Jugendlicher in Gedenkstätten werden Überlegungen für methodisch-inhaltliche Zugriffe angestellt. Als besonders effektiv wird das forschend-entdeckende Lernen mit dem Ziel erachtet, die historische Methodenkompetenz zu fördern, und die damit verbundene Chance, das Verständnis für nature of history zu wecken.

Christine Gundermann
„Die Quellen sprechen für sich!“
Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ in Leipzig als Lernort
GWU 70, 2019, H. 7/8, S. 418 – 435
Der folgende Beitrag widmet sich der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ in Leipzig. Das Bürgerkomitee Leipzig e.V. hat das Museum und die spätere Gedenkstätte 1990 gegründet und gestaltet seitdem die Dauerausstellung und vielfältige andere Angebote. Diese werden nach einer kurzen Einführung in die Geschichte des Hauses und dessen geschichtspolitische Positionierung vorgestellt und Angebote historischen Lernens werden analysiert. Dabei wird der These nachgegangen, inwieweit das Haus eine „doppelte Musealisierung“ der Zeitgeschichte anbietet, die weniger Geschichte und dafür deutlicher ein spezifisches historisches Erbe in der deutschen Erinnerungskultur verankern will.

Irmgard Zündorf/Ralf Marten
Vom Zuchthaus zum Menschenrechtszentrum
Vielfältige Herausforderungen der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus
GWU 70, 2019, H. 7/8, S. 436 – 449
Die Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus ist Eigentum des Menschenrechtszentrums Cottbus e. V., dessen Mitglieder überwiegend ehemalige politische Häftlinge des Cottbuser Gefängnisses sind. Die Zeitzeugen nehmen in Cottbus somit eine besondere Rolle ein, die sich sowohl in der Konzeption der Ausstellungen als auch in den pädagogischen Programmen spiegelt. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die Geschichte des Ortes, stellt die dortigen Präsentationen und Vermittlungsstrategien vor und untersucht diese hinsichtlich der Aspekte Transparenz, Kontextualisierung, Kontroversität und Emotionalität.

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