Jahrbuch für Politik und Geschichte 7 (2016–2019)

Titel der Ausgabe 
Jahrbuch für Politik und Geschichte 7 (2016–2019)
Weiterer Titel 
Schwerpunkt Virtuelle Erinnerungskulturen

Erschienen
Stuttgart 2019: Franz Steiner Verlag
Erscheint 
jährlich
ISBN
978-3-515-12502-4

 

Kontakt

Institution
Jahrbuch für Politik und Geschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktionsanschrift: Dr. Claudia Fröhlich Leibniz Universität Hannover Historisches Seminar Im Moore 11 30167 Hannover
Von
Schmid, Harald

Wie verändern, wie schaffen virtuelle Welten und Digitalisierung Kulturen des Erinnerns? Mit dieser Frage nach der Neujustierung des Blicks von Gesellschaft auf Vergangenheit durch Digitalisierung und Virtualisierung beschäftigen sich die Beiträge im Schwerpunktthema des siebten Jahrbuchs für Politik und Geschichte.

Die jüngere interdisziplinäre Forschung der memory studies hat diese große Frage natürlich längst konkretisiert, wobei insbesondere die Folgen für den Umgang der Gesellschaft mit der NS-Vergangenheit im Mittelpunkt stehen. Deutlich wird mittlerweile, dass Digitalisierung und Virtualisierung im Kontext gegenwärtiger politischer und soziologischer Rahmenbedingungen von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur zu diskutieren sind. So lässt sich fragen: Welche Bedeutung haben diese Faktoren etwa im Rahmen des generationenbedingten Abschieds von den Zeitzeugen? Wie verändern die Produktion von virtuellen Räumen und Rekonstruktionen zerstörter Orte die Beschäftigung mit Geschichte und das Lernen an – seit Jahrzehnten nicht sichtbaren – historischen Stätten? Verändern digitale Medien mit den Lernprozessen auch Partizipation, indem sie das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden neu bestimmen? Welche Auswirkungen haben hierarchische gesellschaftliche Strukturen im Zeitalter der Digitalisierung auf Geschichtsbilder und Erinnerungskulturen?

Diese Fragen bilden den weiten konzeptionellen Rahmen unseres Schwerpunkts „Virtuelle Erinnerungskulturen“. Habbo Knoch eröffnet die Rubrik mit einem breit angelegten diskursiven Überblick über das Verhältnis von Erinnerungskultur und Digitalisierung im Kontext einer grundlegenden Neubestimmung von „Gedenken“ und „Erinnerung“ unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts. Michele Barricelli und Markus Gloe befassen sich in ihrem Aufsatz „Neue Dimensionen der Zeugenschaft. Digitale 2D/3D-Zeugnisse von Holocaust-Überlebenden aus fachdidaktischer Sicht“ mit einer gegenwärtig auch öffentlich viel diskutierten Frage. Veränderung von Lernprozessen durch digitale Angebote untersucht auch Katrin Biebighäuser in ihrem Beitrag „Virtuelles Erinnern? Chancen und Grenzen des historischen Lernens im virtuellen Raum“. Die Frage, wie das Medium (in diesem Fall das World Wide Web) den Inhalt (das Wissen über Geschichte) prägt, beschäftigt auch Peter Hoeres in seinem Beitrag „Geschichtsvermittlung und Geschichtspolitik in der Wikipedia“. Einem von der Geschichtswissenschaft bisher kaum behandelten Thema widmet sich Nico Nolden mit seinem Aufsatz „Levelaufstieg. Impulse für den geschichtswissenschaftlichen Umgang mit digitalen Spielen zwischen Geschichtsbildern und Erinnerungskultur".

In den Beiträgen der Rubrik "Atelier & Galerie" geht es in diesem Band um zwei – wenn auch ganz verschiedene – gegenwärtig umstrittene und konfliktgeladene erinnerungskulturelle Praxen. Die seit einigen Jahren insbesondere von der ehemaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, vorgebrachte Kritik an den mittlerweile europaweit über 70.000 verlegten „Stolpersteinen“ zur Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, war Anlass für Julia Gilowsky und Horst-Alfred Heinrich „Eine empirische Annäherung an die alltägliche Rezeption“ der Stolpersteine zu wagen. Magnus Koch und Peter Pirker werfen einen Blick auf eine „Entrümpelung postnazistischer Geschichtspolitik“, indem sie die „Transformation“ des Wiener Heldendenkmals 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges thematisieren.

Um das vielleicht größte erinnerungskulturelle und geschichtspolitische Ereignis in Deutschland seit der Wiedervereinigung, das Reformationsjubiläum im Jahr 2017, geht es dieses Mal im "Aktuellen Forum". Benjamin Hasselhorn analysiert die erinnerungskulturellen und geschichtspolitischen Dimensionen des bereits mit einer Erinnerungsdekade vorbereiteten Großereignisses. Unter der Überschrift „(Re-)Kapitulation“ diskutiert David Zolldan die Einführung des 20. Juni als „Opfergedenktag und erinnerungskulturelles Instrument“, mit dem „unter besonderer Betonung von Flucht und Vertreibung der Deutschen“ den Opfern von Zwangsmigrationen am Weltflüchtlingstag gedacht werden soll.
Als "Fundstück" präsentieren wir Jens Rönnaus Foto und Reflexion über eine „Erinnerungskultur der besonderen Art“, nämlich des Bismarck-Denkmals auf dem Aschberg in Schleswig-Holstein.

Eine breit angelegte Literaturübersicht zur „Vergegenwärtigung des Nationalsozialismus in Gedenkstätten in Deutschland“ bietet Harald Schmid in seinem Forschungsbericht.

Inhaltsverzeichnis

Claudia Fröhlich, Harald Schmid
Editoria
(7–11)

Schwerpunkt: Virtuelle Erinnerungskulturen

Habbo Knoch
Grenzen der Immersion Die Erinnerung an den Holocaust und das Zeitalter der Digitalität
(15–44)

Michele Barricelli, Markus Gloe
Neue Dimensionen der Zeugenschaft Digitale 2D/3D-Zeugnisse von Holocaust-Überlebenden aus fachdidaktischer Sicht
(45–65)

Katrin Biebighäuser
Virtuelles Erinnern? Chancen und Grenzen des historischen Lernens im virtuellen Raum
(67–80)

Peter Hoeres
Geschichtsvermittlung und Geschichtspolitik in der Wikipedia
(81–101)

Nico Nolden
Levelaufstieg. Impulse für den geschichtswissenschaftlichen Umgang mit digitalen Spielen zwischen Geschichtsbildern und Erinnerungskultur
(103–117)

Atelier & Galerie

Julia Gilowsky, Horst-Alfred Heinrich
Stolpersteine. Eine empirische Annäherung an die alltägliche Rezeption
(121–140)

Magnus Koch, Peter Pirker
Entrümpelung postnazistischer Geschichtspolitik: Das Wiener Heldendenkmal und seine Transformation 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
(141–169)

Aktuelles Forum

Benjamin Hasselhorn
Reformation als Gedenkort im Jahr 2017. Überlegungen zum erinnerungskulturellen Ertrag des Reformationsjubiläums
(173–187)

David Zolldan
(Re-)Kapitulation. Der 20. Juni als Opfergedenktag und erinnerungskulturelles Instrument
(189–202)

Fundstück

Jens Rönnau
Erinnerungskultur der besonderen Art: Adolf Brütts Bismarck-Denkmal auf dem Aschberg
(204–207)

Forschungsbericht

Harald Schmid
„Erinnerung kann nicht überleben an einem toten Ort“ – Vergegenwärtigung des Nationalsozialismus in Gedenkstätten in Deutschland
(211–251)

Autorinnen und Autoren
(253–257)

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