Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 71 (2020), 7–8

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 71 (2020), 7–8
Weiterer Titel 
Medien in Forschung und Unterricht

Erschienen
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monatlich

 

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Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Michael Sauer

Die bildungspolitische Diskussion über „Medien“ findet in weiten Teilen erstaunlich verengt statt. Auch wenn schon vor einiger Zeit die Kultusministerkonferenz ambitionierte Vorgaben für eine „Bildung in der digitalen Welt“ (2016/17) formuliert hat und diese von den Bundesländern in unterschiedlicher Weise aufgegriffen worden sind, dominiert in der öffentlichen Debatte – in Corona-Zeiten immerhin noch verständlich – die Frage nach der technischen Ausstattung der Schulen. Das spiegelt sich bereits in dem verkürzten Begriff „Digitalisierung“ wider. Passender müsste man von Lehren und Lernen in einer und für eine digitale(n) Welt sprechen und danach fragen, was dies eigentlich inhaltlich bedeuten kann oder soll, welche Umsetzungs- und Anwendungsmöglichkeiten sich in den einzelnen Fächern bieten und welche spezifischen Effekte damit verbunden sind oder sein könnten. Auch beim Begriff „Unterrichtsmedien“ finden wir zumeist eine technische Schlagseite. Denn Tablets oder Whiteboards sind von sich aus noch keine Unterrichtsmedien, sondern technische Geräte, mit denen man alles Mögliche machen kann; zum Unterrichtsmedium werden sie erst durch ihren Einsatz in einem einschlägigen Kontext, zu einschlägigen Zielen, mit einschlägigen Formaten (vom Lehrvideo bis zum Arbeitsblatt) und einschlägigen Inhalten.

Denkt man diese letzten Stichworte fachspezifisch, so ist man rasch bei den klassischen Begriffen von Quelle und Darstellung: Historische Themen werden – je nach Quellengattung oder Darstellungsgenre – auf jeweils spezifische Weise überliefert oder „erzählt“. Quellen und Darstellungen, auch Hybridformen wie das Geschichtsschulbuch oder der Dokumentarfilm, sind also, wenn man von der Inhaltsseite her argumentiert, die genuinen Medien des Geschichtsunterrichts. Um (vornehmlich visuelle) Medien dieser Art geht es im vorliegenden Heft.

Christoph Hamann analysiert – vor allem anhand von Fotografien – subtil die visuellen Narrationen, mit denen die österreichische Presse über das Attentat von Sarajevo berichtet hat, und beleuchtet damit eine bislang wenig beachtete Facette der Perzeption des Ereignisses. Um den Vermittlungszusammenhang einer einzelnen Fotografie geht es im Beitrag von Michael Sauer; er zeichnet nach, wie das berühmte Foto des kleinen Jungen aus dem Warschauer Ghetto von den ersten Anfängen bis in die Gegenwart im Geschichtsschulbuch präsentiert und kontextualisiert worden ist.

Auch Filme werden im vorliegenden Heft doppelt thematisiert. Jochen Pahl betrachtet zunächst – am Beispiel von „Kolberg“ – NS-Spielfilme mit der ihnen zugeschriebenen Propagandawirkung und beschreibt den Umgang mit ihnen in der frühen Bundesrepublik. Auf einer zweiten Ebene untersucht er dann (wiederum bezogen auf „Kolberg“), wie unterschiedlich der Umgang mit dem NS-Spielfilmerbe in einschlägigen Dokumentarfilmen umgesetzt worden ist. Ausschließlich um historische Spielfilme geht es in dem Beitrag von Bernd Kleinhans. In der Rubrik „Stichworte zur Geschichtsdidaktik“ lotet er die Chancen und Herausforderungen aus, die die Gattung für den Geschichtsunterricht bietet.

Eine eher ungewöhnliche Quelle, nämlich Konversationslexika, empfiehlt Karsten Behrndt für den Einsatz in der Sekundarstufe II, und zwar im Hinblick auf eine Analyse als Medien der politischen Kommunikation in ihrer Zeit. Uwe Danker und Astrid Schwabe schließlich machen Vorschläge dafür, wie sich im Geschichtsunterricht Internet-Angebote zu historischen Themen kritisch prüfen lassen. Sie fokussieren damit fachspezifisch eine zentrale Intention des oben erwähnten KMK-Papiers, nämlich „eine kritische Reflexion in Bezug auf den Umgang mit Medien und über die digitale Welt zu ermöglichen“ – eine Intention, für die das Fach Geschichte mit seinem methodischen Handwerkszeug prädestiniert zu sein scheint.

Inhaltsverzeichnis

INHALT

ABSTRACTS (S. 354)

EDITORIAL (S. 356)

BEITRÄGE

Christoph Hamann
Affekt und Apologie
Das Attentat von Sarajewo in der Bildpresse Österreichs 1914 (S. 357)

Michael Sauer
Das Bild des kleinen Jungen aus dem Stroop-Bericht
Eine Foto-Ikone im Geschichtsschulbuch (S. 373)

Jochen Pahl
Dokumentarfilme als geschichtskulturelles Medium
Beobachtungen zu diskursivem Wandel am Beispiel der Behandlung des NS-Spielfilms „Kolberg“ (S. 385)

Karsten Behrndt
Wissen und Weltanschauung
Konversationslexika der 1840er Jahre als Medien der politischen Kommunikation (S. 402)

Uwe Danker/Astrid Schwabe
Potenziale des Faches Geschichte für Kompetenzerwerb in der digitalisierten Welt
Ein pragmatischer und fachbezogener Zugang (S. 414)

STICHWORTE ZUR GESCHICHTSDIDAKTIK

Bernd Kleinhans
Historienfilme – mehr als Kostüm und Kulisse
Didaktische Potenziale und Qualitätskriterien (S. 435)

BERICHTE UND KOMMENTARE

Jeannette van Laak
Museum Friedland – „Fluchtpunkt Friedland“ (S. 447)

INFORMATIONEN NEUE MEDIEN

Gregor Horstkemper
Spuren des deutschen Kolonialismus in alten und neuen Medien (S. 452)

LITERATURBERICHT

Josef Memminger/Dietmar von Reeken
Geschichtsdidaktik, Teil II (S. 455)

NACHRICHTEN (S. 469)

AUTORINNEN UND AUTOREN (S. 472)

ABSTRACTS

Christoph Hamann
Affekt und Apologie
Das Attentat von Sarajewo in der Bildpresse Österreichs 1914
GWU 71, 2020, H. 7/8, S. 357 – 372
Der Beitrag analysiert die Bildberichterstattung der österreichischen Presse über das Attentat von Sarajevo 1914 in den zwei Wochen nach der Tat auf der Basis von vier Periodika. Deren visuelle Repräsentationen werden als Bedeutungsträger narrativer wie symbolischer Konstruktionen untersucht. Der Einsatz der Bilder dient der ökonomisch wie politisch motivierten Affektregulierung bei der Leserschaft. Die Autorenschaft der kanonischen Aufnahme der vermeintlichen Verhaftung des Täters wird ebenso nachgewiesen wie die Identität des Verhafteten durch einen Zeitzeugenbericht (1930) belegt.

Michael Sauer
Das Bild des kleinen Jungen aus dem Stroop-Bericht
Eine Foto-Ikone im Geschichtsschulbuch
GWU 71, 2020, H. 7/8, S. 373 – 384
Das Foto des kleinen Jungen aus dem Warschauer Ghetto – Teil des sog. Stroop-Berichts – ist eine Schulbuch-Ikone. Der Beitrag untersucht, wann das Bild zum ersten Mal auftaucht, in welcher Form es präsentiert wird, wie es durch Bildlegenden und im weiteren Rahmen durch Verfassertexte kontextualisiert wird und welche Nutzungsweisen ggf. vorgeschlagen werden. Im Ergebnis zeigt sich, dass das Foto seit dem Ende der 1950er Jahre bis etwa zur Jahrtausendwende als „Opferbild“ eingesetzt wird, das über das Identifikationsangebot des kleinen Jungen Empathie hervorrufen soll. Seit auch Bildern im Schulbuch stärker Quellenfunktion zugeschrieben wird, ist das Bild weitgehend verschwunden oder wird in Einzelfällen für komplexere Erarbeitungsweisen und Erkenntnisziele eingesetzt, die verstärkt den zeitgenössischen Entstehungs- und Verwendungskontext reflektieren.

Jochen Pahl
Dokumentarfilme als geschichtskulturelles Medium
Beobachtungen zu diskursivem Wandel am Beispiel der Behandlung des NS-Spielfilms „Kolberg“
GWU 71, 2020, H. 7/8, S. 385 – 401
Spielfilme der NS-Zeit sind Gegenstand regelmäßig wiederkehrender Diskurse über vergangene und gegenwärtige Wirkung von Propaganda, Verantwortung und Schuld der Filmschaffenden und weiterer Themen, die sich im Kontext der „Zweiten Geschichte des Nationalsozialismus“ verorten lassen. Der Beitrag zeigt auf, dass insbesondere Dokumentarfilme hierbei eine bedeutende geschichtskulturelle Rolle spielen. Am Beispiel des Umgangs mit Ausschnitten aus dem Spielfilm „Kolberg“ (1945) wird dargestellt, wie sich seit dem Ende der 1960er-Jahre sowohl Themensetzungen als auch ästhetisch-gestalterische Verfahrensweisen von Dokumentarfilmen wandeln.

Karsten Behrndt
Wissen und Weltanschauung
Konversationslexika der 1840er Jahre als Medien der politischen Kommunikation
GWU 71, 2020, H. 7/8, S. 402 – 413
Historische Nachschlagewerke können im Geschichtsunterricht nicht nur als Quelle genutzt werden, um zentrale Ideen einer Zeit zu erschließen. Auch ihre Funktion als Träger weltanschaulicher Programmatik kann mit Gewinn thematisiert werden. Durch die Untersuchung von Artikeln aus deutschen Konversationslexika der 1840er Jahre erfahren die Schüler, dass die Lexika der Epoche nicht nur Wissensspeicher sind, sondern gleichzeitig Stellung zu Zeitfragen nehmen und eine meinungsbildende Funktion besaßen. Ein Informationstext ermöglicht eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Rolle von historischen und aktuellen Enzyklopädien als Wissenssammlung und Mittel der Wissenskonstruktion und Meinungsbildung.

Uwe Danker/Astrid Schwabe
Potenziale des Faches Geschichte für Kompetenzerwerb in der digitalisierten Welt
Ein pragmatischer und fachbezogener Zugang
GWU 71, 2020, H. 7/8, S. 414 – 434
Förderung von Medienkompetenz gilt in einer zunehmend digitalisierten Welt als grundlegende schulische Aufgabe. Ausgehend von einem schlaglichtartigen Blick auf aktuelle bildungspolitische Rahmenbedingungen zur „Bildung in der digitalen Welt“ (KMK 2016) stellt der Beitrag konkrete Ideen zur Förderung einer historischen Medienkompetenz im Geschichtsunterricht vor, die fachspezifischen Umgang mit digitalen Medien als Lerngegenständen und die Auseinandersetzung mit exemplarischen historischen Inhalten zusammen denkt. Im Mittelpunkt steht die kriteriengeleitete Bewertung von Web-Angeboten.

Bernd Kleinhans
Historienfilme – mehr als Kostüm und Kulisse
Didaktische Potenziale und Qualitätskriterien
GWU 71, 2020, H. 7/8, S. 435 – 445
Historienfilme können im Geschichtsunterricht einen Beitrag zur Förderung des reflektieren Geschichtsbewusstseins leisten. Sie entwerfen ein auditiv-visuelles Gesamtbild der Geschichte, das vielfältige Möglichkeiten des Erlebens von historischen Wirklichkeiten bietet. Durch die emotionale Einbeziehung werden die Rezipienten zu eigenständiger Urteilsbildung aufgefordert. Fachspezifische Kompetenzen wie Narrationskompetenz und Destruktionskompetenz können mit Historienfilmen eingeübt werden. Daraus lassen sich didaktische Qualitätskriterien für die unterrichtliche Auswahl von Historienfilmen ableiten.

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Bestandsnachweise 0016-9056