Die „Blätter“ im Mai
Die neue Ausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ widmet der 60. Wiederkehr des Kriegsendes einen Schwerpunkt zum nationalen und globalen Kampf um das Erinnern.
Außerdem finden sich Beiträge u.a. zur neuen Macht und Politik der Banken, zum „Fall Wolfowitz“, zum Männerbund Putin-Schröder und zu Europas Afrikapolitik.
Mit Artikeln von Micha BRUMLIK, Sabine VON SCHORLEMER, Gerd WIEGEL, Otto KÖHLER, Werner RÜGEMER, Albert SCHARENBERG und vielen anderen.
Micha BRUMLIK Holocaust und Vertreibung Das ambivalente Gedenken der Kriegskindergeneration
Auch sechzig Jahre nach Kriegsende ist die Deutung der Geschichte umkämpft – nicht nur in der Politik. Micha BRUMLIK, Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Frankfurt a. M. und Direktor des Fritz Bauer Instituts, analysiert die aktuelle literarische Verarbeitung von Holocaust, Krieg und Vertreibung am Beispiel von Günter Grass, Ulla Hahn, Stephan Wackwitz und Uwe Timm in ihrer sowohl familiengeschichtlichen als auch ethnisch-nationalen Ambivalenz.
Gerd WIEGEL Niederlage, Befreiung oder Sieg Der 8. Mai im Spiegel seiner Jubiläen
Der Umgang mit dem 8. Mai spiegelt die geistige Verfassung der Bundesrepublik. Bis heute bietet er Anlass für geschichtspolitische Debatten, historische Bekenntnisse und symbolische Politik. Der Politikwissenschaftler Gerd WIEGEL zeichnet nach, wie sich die Darstellung des 8. Mai in der bundesrepublikanischen Geschichte immer wieder verschoben hat – bis hin zum gegenwärtigen „Wechsel auf die Seite der Sieger“.
Albert SCHARENBERG Rückkehr der Führer? Rechtsparteien in Europa
In Europa ist es zu einem Aufschwung rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien gekommen, der noch vor zwei Jahrzehnten für unmöglich gehalten wurde. In vielen Ländern West- wie Osteuropas haben sich Rechtsparteien erfolgreich in den Parlamenten etabliert; zum Teil sind sie sogar an nationalen Regierungen beteiligt. „Blätter“-Redakteur Albert SCHARENBERG, Politikwissenschaftler und Historiker, untersucht ihre Entstehung aus der „Mitte“ der Gesellschaft auf der Basis „folkloristischer“ Agitation gegen die muslimische Einwanderung.
Katrin BASTIAN und Roland GÖTZ Unter Freunden? Die deutsch-russische Interessenallianz
Sowohl der Bundeskanzler als auch sein Intimus, der russische Präsident Putin, postulieren eine wertorientierte „strategische Partnerschaft“ zwischen beiden Ländern. Tatsächlich betreiben sie jedoch, wie die Politikwissenschaftler Katrin BASTIAN und Roland GÖTZ darlegen, eine bloße Interessenallianz. Damit unterlaufe die Bundesrepublik die EU-Kooperation in der Russlandpolitik und befördere die reaktionär-autokratische innerrussische Entwicklung.
Lutz HOLLÄNDER und Ronja KEMPIN Europas Platz an der Sonne Afrika und die europäische Sicherheitspolitik
Die kriegerischen Konflikte in Afrika haben den „vergessenen Kontinent“ wieder in Erinnerung gerufen. In Europa gibt es jedoch nach wie vor kein einheitliches Konzept für den sicherheits- und militärpolitischen Umgang mit Krieg und Entwicklung. Wird die EU künftig auf den Einsatz von „Battlegroups“ oder auf zivile Entwicklungswege setzen? Lutz HOLLÄNDER und Ronja KEMPIN von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zeigen auf, wie sehr die Afrikapolitik der EU zwischen der „interventionistischen“ Haltung Frankreichs und der traditionell eher zurückhaltenden britischen Politik schwankt und entwerfen das Szenario einer künftigen EU-Politik.
Werner RÜGEMER Diskrete Treuhänder Die neue Macht der privaten Banken
Seit geraumer Zeit ist die „Rückkehr der Armut“ in den Debatten der Republik angekommen. Dass es, förmlich spiegelbildlich, auch zu einer enormen Zunahme des Reichtums kommt, wird dagegen zumeist geflissentlich verschwiegen oder als bloße Neiddebatte abgetan. Der Publizist und Berater Werner RÜGEMER dokumentiert am Beispiel des Bankhauses Oppenheim die zunehmend wichtige Rolle der privaten Banken bei der „Refeudalisierung“ des Geldadels.
Jörn-Carsten GOTTWALD Stellenabbau trotz Milliardengewinn Deutsche Großbanken in der Globalisierung
Kaum hatte die Deutsche Bank AG angekündigt, trotz eines Jahresgewinns von gut 2,5 Mrd. Euro mehr als 6 400 Arbeitsplätze abzubauen, hagelte es heftige Kritik, nicht zuletzt seitens der Bundesregierung. Doch die tatsächlichen Konsequenzen? Fehlanzeige. Der Politologe Jörn-Carsten GOTTWALD zeigt auf, wie sich die Großbanken dem nationalen Zugriff mehr und mehr entziehen und auf europäischer Ebene reorganisieren, während die Politik in Brüssel der Globalisierung hilflos hinterherhinkt.
Sabine VON SCHORLEMER Kunst und Freihandel Der UNESCO-Streit um kulturelle Vielfalt
Wie kann der weltweite Prozess der Öffnung von Märkten „kulturverträglich“ gestaltet werden? Diese Frage beschäftigt derzeit die UNESCO bei der Ausarbeitung eines Übereinkommens zum Schutz der kulturellen Vielfalt. Sabine von SCHORLEMER, Professorin für Völkerrecht und internationale Beziehungen in Dresden und als unabhängige Expertin am Entwurf der Konvention beteiligt, analysiert den komplizierten Konflikt zwischen Kultur und Freihandel.
Außerdem veröffentlichen wir vorab aus dem „Memorandum 2005: Sozialstaat statt Konzern-Gesellschaft“ Auszüge zu Hartz IV, Liberalisierung der EU und Studiengebühren. In diesem Gegengutachten zur Wirtschaftspolitik der Bundesregierung diagnostiziert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik eine hegemoniale Reformpolitik, die darauf abzielt, eine „dauerhafte Veränderung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse zum gesellschaftlichen Normalzustand zu machen und damit auch die demokratische Qualität der Gesellschaft zu untergraben“. Dagegen entwirft das Gutachten die „Perspektive eines alternativen Entwicklungstyps“.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre „Blätter“-Redaktion
Inhaltsverzeichnis
Chronik des Monats März 2005 S. 516
KOMMENTARE UND BERICHTE
Die Antigonen des AA von Otto Köhler S. 519
Rot-Grün: Ende oder Wende von Thomas Knoop S. 522
Superhorst kann nicht fliegen von Frank Lübberding S. 525
Homoeheähnlich von Sabine Berghahn und Maria Wersig S. 528
Der „Fall Wolfowitz“ von Daniela Setton S. 532
Multilaterale Renaissance? von Bastian Loges S. 536
Kirgisischer Betriebsunfall von Alexander Warkotsch´S. 539
Japan, China, Korea im Kampf um die Geschichte von Siegfried Knittel S. 543
KOLUMNE George Kennan und der Kalte Krieg von William Pfaff S. 547
ANALYSEN UND ALTERNATIVEN
Holocaust und Vertreibung Das ambivalente Gedenken der Kriegskindergeneration von Micha BrumlikS. 549
Niederlage, Befreiung oder Sieg Der 8. Mai im Spiegel seiner Jubiläen von Gerd Wiegel S. 564
Rückkehr der Führer? Rechtsparteien in Europa von Albert Scharenberg S.571
Unter Freunden? Die deutsch-russische Interessenallianz von Katrin Bastian und Roland Götz S. 583
Europas Platz an der Sonne Afrika und die europäische Sicherheitspolitik von Lutz Holländer und Ronja Kempin S. 593
Diskrete Treuhänder Die neue Macht der privaten Bankhäuser von Werner Rügemer S. 600
Stellenabbau trotz Milliardengewinn Deutsche Großbanken in der Globalisierung von Jörn-Carsten Gottwald S. 609
Kunst und Freihandel Der UNESCO-Streit um kulturelle Vielfalt von Sabine von Schorlemer S. 619
MEDIENKRITIK Sex in der Vorstadt von Günter Giesenfeld S. 627
WIRTSCHAFTSINFORMATION Standortkonkurrenz und nationale Innovationspolitik von Ulrich Dolata S. 628
UMWELTINFORMATION Feinstaub – zur Dramaturgie einer absehbaren Krise von Hans Diefenbacher S. 631
DOKUMENTE ZUM ZEITGESCHEHEN Memorandum 2005 der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (Auszüge) S. 634