Die neue Ausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ widmet sich in einem Schwerpunkt der Frage: Scheitern oder Zukunft der EU?
Weitere Beiträge beschäftigen sich u.a mit der großen Debatte um das Buch von Götz Aly, der (atomaren) Militär- und Geopolitik der USA und Russlands sowie der Selbstentsorgung von Rot-Grün.
Mit Artikeln von Ingeborg MAUS, Peter BENDER, Claudia PINL, Georg VOBRUBA, Götz ALY, Hans-Ulrich WEHLER, Micha BRUMKLIK, Peter WAHL und vielen anderen.
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Terror aus Gefälligkeit? Götz ALY im Streitgespräch mit Hans-Ulrich WEHLER, Hans MOMMSEN und Micha BRUMLIK
Die geschichtspolitischen Debatten dieses Jahres werden wesentlich geprägt durch das neue Buch von Götz Aly, „Hitlers Volksstaat“. Aly argumentiert, dass der NS mit sozialpolitischen Wohltaten eine „Gefälligkeitsdikatur“ geschaffen haben, die weit mehr auf Massenbestechung als auf dem Führerkult basierte. Im Streitgespräch verteidigt Aly seine Thesen gegen seine Kritiker – auch gegenüber dem Vorwurf, er denunziere den bundesrepublikanischen Sozialstaat als faschistisch kontaminiert und legitimiere damit dessen Abbau.
Georg Vobruba Die Dynamik Europas und der zwanglose Zwang der Türkei-Integration
So paradox es klingt: Die Referenden in Frankreich und den Niederlanden sprechen für den Erfolg der europäischen Integrationspolitik der letzten fünfzig Jahre: Das Europa der Bürger versagt sich dem Spezialistenprojekt. Das bedeutet jedoch nicht, so der Leipziger Soziologieprofessor Geoorg VOBRUBA, dass nun alles anders wird. Im Gegenteil: Die Dynamik der EU wird in Kürze noch deutlicher werden, nämlich beim Beitritt der Türkei zu einer abgestuft integrierten EU – mit Zentrum und Peripherie.
Arne HEISE Schulmeister Deutschland oder: Wie Europa getietmeyert wurde
Die jüngsten Ablehnungen der EU-Verfassung belegen: Irgendetwas läuft fundamental falsch in der EU. Doch selbst in der kritischen Auseinandersetzung wird fast ausschließlich auf die Angst der Bevölkerung vor der Dominanz des neoliberalen angelsächsischen Modells abgestellt. Arne HEISE, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der HWP Hamburg, zeigt dagegen, dass die entscheidenden Konstruktionsfehler der EU dabei übersehen werden. Diese wurzeln tief in der Entstehungsgeschichte der Europäischen Währungsunion und in der hier angelegten „Germanisierung Europas“.
Albrecht VON LUCKE Rot-grüne Selbstentsorgung
1987 äußerte Willy Brandt öffentlich Zweifel daran, ob es seine SPD in 20 Jahren als Volkspartei noch geben werde. Seit Gerhard Schröders Ankündigung von Neuwahlen ist die SPD der Befürchtung Brandts ein großes Stück näher gekommen. Mit dem 22. Mai 2005 hat sich das deutsche Parteiensystem fundamental verändert. Albrecht VON LUCKE, Redakteur der „Blätter“, analysiert den Prozess der Selbstzerstörung von Rot-Grün und die Aussichten einer zukünftigen linken Reformalternative.
Eberhard SCHNEIDER Russisches Machtmikado Putin und die Oligarchen
Es war ein Exempel, als der Ölmagnat Michail Chodorkowski nach einem an sowjetische Zeiten erinnernden Schauprozess zu neun Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. Eberhard SCHNEIDER, Russland-Referent der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, untersucht die Hintergründe des Falles Jukos vor der Folie des fragilen Putinschen Machtsystems. Schneider zufolge ist das Urteil sowohl Drohung an die Oligarchen als auch Ausdruck der geschwächten Macht Putins gegenüber den Sicherheitsapparaten.
Peter BENDER Imperium als Mission Rom und Amerika im Vergleich
Charakter und Bedeutung der „Weltmacht Amerika“ werden gegenwärtig viel diskutiert. Sind die USA „Supermacht“, „Hegemon“ oder „Empire“? Der bekannte Publizist Peter BENDER vergleicht die Vereinigten Staaten mit dem Römischen Weltreich und fördert dabei – 2000 Jahren Zeitunterschied zum Trotz – erstaunliche Parallelen zutage: die Macht des Militärs, den Anspruch auf Weltherrschaft und die hegemoniale „soft power“ der Kultur. Dennoch werden die Vereinigten Staaten, so Bender, im Gegensatz zu Rom auf den Status eines „Informal Empire“ beschränkt bleiben.
Norman PAECH Die Zäsur von Potsdam 1945 als Ende einer völkerrechtlichen Epoche
Vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 berieten die Staatschefs der siegreichen Alliierten in Potsdam das Abkommen über die Regelung der Nachkriegszeit. Norman PAECH, Professor em. für Öffentliches Recht an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik, analysiert, welche Ziele die Alliierten mit dem Potsdamer Abkommen verfolgten. Dabei geht er auch der Frage nach, inwieweit dieses Abkommen heute als Modell für internationale Friedensregelungen dienen kann.
Claudia PINL Gender Mainstreaming: Vom radikalen Gedanken zur technokratischen Umsetzung
Ursprünglich in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit entstanden, hat das Konzept des Gender Mainstreaming seit der 4. UN-Weltfrauenkonferenz auch in den industrialisierten Staaten einen fulminanten Aufschwung erlebt. Die Publizistin Claudia PINL fragt, was von der radikalen Idee, die Geschlechterperspektive in alle politischen Handlungskonzepte zu integrieren, übrig geblieben ist. Angesichts ihrer institutionell-technokratischen Umsetzung fordert Pinl eine Repolitisierung frauenpolitischer Netzwerke.
Inhalt:
Chronik des Monats Mai 2005 S. 772
KOMMENTARE UND BERICHTE
Rot-grüne Selbstentsorgung von Albrecht von Lucke S. 775
Armut global von Peter Wahl S. 779
Nukleare Schurken von Oliver Meier S. 783
Algerische Filetstücke von Bernard Schmid S. 787
Zocken leicht gemacht von Stefan Welzk S. 790
KOLUMNE
Realitätsverlust im Pentagon von William Pfaff S. 794
ANALYSEN UND ALTERNATIVEN
Barbarei aus Gefälligkeit? Götz Aly im Streitgespräch mit Hans-UlrichWehler, Hans Mommsen und Micha Brumlik S. 796
Die Dynamik Europas und der zwanglose Zwang der Türkei-Integration von Georg Vobruba S. 811
Schulmeister Deutschland oder: Wie Europa getietmeyert wurde von Arne Heise S. 819
Die Rekonstruktion demokratischer Souveränität Zur Verteidigung der Verfassungsprinzipien des „alten“ Europa (II) von Ingeborg Maus S. 829
Russisches Machtmikado Putin und die Oligarchen von Eberhard Schneider S. 841
Imperium als Mission Rom und Amerika im Vergleich von Peter Bender S. 851
Die Zäsur von Potsdam 1945 als Ende einer völkerrechtlichen Epoche von Norman Paech S. 864
Gender Mainstreaming: Vom radikalen Gedanken zur technokratischen Umsetzung von Claudia Pinl S. 877
WIRTSCHAFTSINFORMATION Weltbank: Chancengleichheit als Ideologie von Jörg Goldberg S. 884
UMWELTINFORMATION Verantwortlich fliegen von Lukas Vischer S. 887
DOKUMENTE ZUM ZEITGESCHEHEN
„Non“ und „Nee“: EU-Verfassung vor dem Aus Erklärungen von Bundeskanzler Gerhard Schröder (Wortlaut), Staatspräsident Jacques Chirac (Wortlaut), Josep Borrell Fontelles, Jean-Claude Juncker, José Manuel Barroso (Wortlaut) und Dominique de Villepin (Auszüge) S. 890
„Historische Chance nicht vertun“ Appell für ein gemeinsames Wahlprojekt der politischen Linken in der Bundesrepublik (Wortlaut) S. 894
US-Nuklearwaffen aus Deutschland abziehen Antrag der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag vom 12. April 2005 (Wortlaut) S. 895
Mit freundlichen Grüßen
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