Die „Blätter“ im Mai
Am 27. April erscheint die Mai-Ausgabe der "Blätter" - mit Beiträgen von Norman Birnbaum, Jürgen Habermas, Margret Johannsen, Oliver Eberl und Andreas Fischer-Lescano, Lothar Peter u.v.a.
Norman BIRNBAUM Gefangene der eigenen Allmachtsphantasien Bushs „imperiale Präsidentschaft“ in der Krise
Das Chaos im Irak, ausbleibende Erfolge im „Krieg gegen den Terror“, die Kritik der U.S.-Generäle an der Kriegführung – Präsident George W. Bush und seine Regierung geraten mit ihrer Außenpolitik auch in den Vereinigten Staaten selbst immer stärker unter Druck. Angesichts der im Herbst stattfindenden Kongresswahlen, bei denen die Republikaner um ihre Mehrheit in Repräsentantenhaus wie Senat bangen müssen, nehmen die Absetzbewegungen vom zunehmend unpopulären Präsidenten zu. Norman BIRNBAUM, Publizist und Professor em. der Georgetown University in Washington, D.C., untersucht diese Risse in der republikanischen Koalition. Sein beunruhigendes Fazit: Gerade angesichts der innenpolitischen Probleme könnte die Regierung Bush zum Krieg gegen den Iran neigen, um auf diese Weise wieder die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hinter sich zu versammeln.
Margret JOHANNSEN Sprachlos hinter Mauern Israel und Palästina nach der Wahlentscheidung
Die Wahlen in Palästina und in Israel haben die politische Landkarte des Nahen Ostens nachhaltig verändert. Während in Israel die noch von Ariel Scharon gegründete Partei Kadima die Wahlen gewann, siegte in den Palästinensergebieten überraschend die islamistische Hamas vor der Fatah. Margret JOHANNSEN, Nahostexpertin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH), analysiert die neue Lage und skizziert die Situation der Palästinenser angesichts ihres anhaltenden Kampfes um die interne Machtverteilung. Dabei kritisiert Johannsen aber auch die Einstellung der Hilfszahlungen seitens der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten, welche die Palästinenser veranlasse, beispielsweise im Iran und in Saudi-Arabien um Unterstützung zu ersuchen. Eine „realpolitische“ Wende der regierenden Hamas werde auf diese Weise erschwert.
Jürgen HABERMAS Ein avantgardistischer Spürsinn für Relevanzen Was den Intellektuellen auszeichnet
In diesem Jahr ging der „Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch“ an den Philosophen und Mitherausgeber der „Blätter“ Jürgen HABERMAS. In seiner Dankesrede anlässlich der Entgegennahme des Preises geht Habermas der Frage nach, „was den Intellektuellen auszeichnet“. Ausgehend von den austromarxistischen Intellektuellen zeichnet er die Umbrüche nach, denen die Rolle und Funktion des Intellektuellen im 20. Jahrhundert ausgesetzt waren. Gerade angesichts der „Talkshowisierung“ des politischen Diskurses und der „Internet-Beliebigkeit“ sei von den Intellektuellen heute „ein bisschen Phantasie für den Entwurf von Alternativen und ein wenig Mut zur Polarisierung, zur anstößigen Äußerung, zum Pamphlet“ gefordert. Nur so könne auch die große Herausforderung unserer Zeit, die politische Einigung Europas, vorangetrieben werden.
Oliver EBERL und Andreas FISCHER-LESCANO Der Kampf um ein demokratisches und soziales Recht Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Abendroth
Als „Partisanenprofessor im Land der Mitläufer“ hat Jürgen Habermas einst Wolfgang Abendroth beschrieben. Und in der Tat war Abendroth in der bundesdeutschen Nachkriegszeit eine Ausnahmeerscheinung – gerade mit Blick auf die Rechtswissenschaft. In ihrem Beitrag untersuchen Oliver EBERL und Andreas FISCHER-LESCANO das Wirken Abendroths in der frühen Bundesrepublik. Im Mittelpunkt ihrer Darstellung steht dabei sein unermüdlicher Einsatz für eine demokratische und soziale Interpretation des Grundgesetzes, die nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat.
Lothar PETER Wozu noch Gesellschaftskritik?
„There is no such thing as society“, verkündete einst Margaret Thatcher. Heute scheint es ihr ein Großteil der bundesdeutschen Soziologie gleichtun zu wollen: Der Begriff Gesellschaft kommt allenfalls noch im Zusammenhang mit „Risiko-“, „Wissens-“ oder „Erlebnisgesellschaft“ vor. Diesem Abschied von Analyse und Kritik der Gesellschaft stellt Lothar PETER, Professor für Soziologie an der Universität Bremen, deren Aktualität und Notwendigkeit entgegen. Gerade die heutigen Verhältnisse verlangten, so Peter, dass man nicht nur die Macht-, sondern auch die Herrschaftsverhältnisse erforscht, denen die Menschen unterworfen sind.
Sarah BORMANN Das „System Lidl“ und die globale Discountierung
Die Arbeitsverhältnisse bei dem Unternehmen Lidl stehen seit einiger Zeit in der Kritik. Sarah BORMANN, Mitarbeiterin der Nichtregierungsorganisation WEED, zeichnet den unmittelbaren Zusammenhang zwischen einem Prozess „globaler Discountierung“ und immer schlechteren Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im (Discount-) Einzelhandel nach. Auch wenn Gegenwehr für die rund 33.000 Beschäftigten angesichts der Marktmacht Lidls wie auch der repressiven Firmenpolitik (beispielsweise gegenüber Betriebsratsgründungen) schwer fällt, haben die Protestkampagnen von Verdi und Attac bereits erste Erfolge zu verzeichnen.
Cornelius Lehnguth Opfer Österreich Erinnerungspolitik von Waldheim bis Haider
Die These, Österreich sei das „erste Opfer der nationalsozialistischen Angriffspolitik“ gewesen, bildete lange das Fundament des politischen Selbstverständnisses der Alpenrepublik. Der Politik- und Kulturwissenschaftler Cornelius LEHNGUTH sieht in ihr gar den „eigentlichen Gründungsmythos der Zweiten Republik“. Erst die Opferthese, so Lehnguth, ermöglichte die weitgehende Externalisierung der Verantwortung – und damit auch die „Entsorgung“ der eigenen Mitschuld. Nur durch den internationalen Druck in der Folge der „Waldheim-Affäre“, die sich im Mai zum zwanzigsten Mal jährt, bekam dieses Selbstbild erste Risse. Unter der Regierung Schüssel/Haider wird indes versucht, die inzwischen bestimmende Narration der Mittäterschaft Österreichs wieder zu relativieren.
Außerdem:
Albert SCHARENBERG diskutiert die Streitigkeiten zwischen PDS und WASG auf dem Weg zur „Linksfusion mit Hindernissen“ Stefan WELZK sieht angesichts der Privatisierungswelle „Heuschrecken an der Wohnungstür“ Martin STAIGER betrachtet die „Hartz-IV-Unterkunft“ für Langzeitarbeitslose Christoph PALME analysiert den Vormarsch der Grünen Gentechnik Wolf-Dieter NARR und Elke STEVEN sehen einen drohenden „Rückfall ins Berufsverbot“ Andreas BAUMER untersucht den Waffenstillstand der ETA und die spanische Innenpolitik Wolf OSCHLIES sieht in der Abstimmung über die Unabhängigkeit in Montenegro ein „Referendum als Farce“ Hauke RITZ zählt „Iranische Petro-Euro“ an der neuen Ölbörse in Kisch Mohssen MASSARRAT diskutiert „Europas Versagen“ in der Irankrise *
Wir dokumentieren die wesentlichen Auszüge des Memorandum 2006 der Gruppe Alternative Wirtschaftspolitik sowie Vorschläge zur zivilen Lösung des Irankonflikts der „Kooperation für den Frieden“. In diesem Dossier analysiert die Autorengruppe um Andreas Buro die politische Entwicklung und warnt eindringlich vor einem Krieg gegen den Iran. Stattdessen werden Wege der „zivilen Konfliktbearbeitung, Gewalt und Kriegsprävention“ angeregt.
Inhaltsverzeichnis
KOMMENTARE UND BERICHTE
Linksfusion mit Hindernissen von Albert Scharenberg S. 517
Heuschrecken vor der Wohnungstür von Stefan Welzk S. 521
Hartz-IV-Unterkunft von Martin Staiger S. 524
Grüne Gentechnik auf dem Vormarsch von Christoph Palme S. 527
Rückfall ins Berufsverbot von Wolf-Dieter Narr und Elke Steven S. 531
ETA ohne Waffen von Andreas Baumer S. 534
Montenegro: Referendum als Farce von Wolf Oschlies S. 537
Iranische Petro-Euro von Hauke Ritz S. 541
Der Iran und Europas Versagen von Mohssen Massarrat S. 544
MEDIENKRITIK
Staatskunst von Günter Giesenfeld S. 548
WILLIAM PFAFFS KOLUMNE
Was die Franzosen umtreibt von William Pfaff S. 549
ANALYSEN UND ALTERNATIVEN
Ein avantgardistischer Spürsinn für Relevanzen Was den Intellektuellen auszeichnet Jürgen Habermas S. 551
Gefangene der eigenen Allmachtsphantasien Bushs „imperiale Präsidentschaft“ in der Krise Norman Birnbaum S. 559
Sprachlos hinter Mauern Israel und Palästina nach der Wahlentscheidung Margret Johannsen S. 567
Der Kampf um ein demokratisches und soziales Recht Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Abendroth Oliver Eberl und Andreas Fischer-Lescano S. 577
Wozu noch Gesellschaftskritik? Lothar Peter S. 587
Das „System Lidl“ und die globale Discountierung Sarah Bormann S. 600
Opfer Österreich Erinnerungspolitik von Waldheim bis Haider Cornelius Lehnguth S. 609
WIRTSCHAFTSINFORMATION
Forschungsstandort Deutschland von Ulrich Dolata S. 619
UMWELTINFORMATION
Schwarz-rote Umweltpolitik von Stefan Wilhelmy S. 622
DOKUMENTE ZUM ZEITGESCHEHEN
Memorandum 2006 Studie der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik vom April 2006 (Auszüge) S. 625
Zivile Lösung statt Krieg Vorschläge zur Beilegung des Irankonflikts von der „Kooperation für den Frieden“, April 2006 (Auszüge) S. 632
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