Peripherie 101/102 (26. Jg. 2006), 1

Titel der Ausgabe 
Peripherie 101/102 (26. Jg. 2006), 1
Weiterer Titel 
Eigentum: Aneignen - Enteignen - Nutzen

Erschienen
Münster (Westf.) 2006: Westfälisches Dampfboot
Erscheint 
4 Nummern in 3 Ausgaben
ISBN
3-89691-812-5
Anzahl Seiten
248 S.
Preis
18,20 €

 

Kontakt

Institution
Peripherie: Politik • Ökonomie • Kultur
Land
Deutschland
c/o
PERIPHERIE Redaktionsbüro c/o Michael Korbmacher Stephanweg 24 48155 Münster Telefon: +49-(0)251/38349643
Von
Korbmacher, Michael

Die neueste Ausgabe der PERIPHERIE diskutiert unter dem Titel "Eigentum: Aneignen - Enteignen - Nutzen" diskutiert aktuelle Probleme der Eigentumsrechte. Eingeleitet durch kritisch-historische Überlegungen zum Eigentum kommen u.a. Probleme der Wasserversorgung, Konflikte um die Landverteilung in Brasilien, Formen des Widerstands gegen die Ausdehnung geistiger Eigentumsrechte, Nanotechnologie und die Auseinandersetzungen um die Privatisierung des mexikanischen Energiesektors zur Sprache. Nähere Informationen: info@zeitschrift-peripherie.de.

Inhaltsverzeichnis

Wolfgang Hein, Reinhart Kößler & Michael Korbmacher: Historisch-kritische Überlegungen zum Eigentum. Statt eines Editorials, S. 3

Zu den Artikeln, S. 18

Uwe Hoering: Der Markt als Wassermanager. Aufbau eines neuen Wasserregimes durch die Weltbank, S. 21

Hanns Wienold: Brasiliens Agrarfront: Landnahme, Inwertsetzung und Gewalt, S. 43

Christiane Gerstetter & Gregor Kaiser: Gemeinsam die Allmende verteidigen?! Ansätze und Formen des Widerstands gegen die Ausdehnung geistiger Eigentumsrechte in den Bereichen pflanzengenetische Ressourcen und Software, S. 69

Joscha Wullweber: Der Mythos Nanotechnologie. Die Entstehung und Durchsetzung einer neuen Inwertsetzungstechnologie, S. 99

Christian Zeller: Intellektuelle Eigentumsmonopole und die Erzielung von Renten in der globalen Enteignungsökonomie, S. 119

Miriam Heigl: Private is beautiful? Zu den Auseinandersetzungen um die Eigentumsrechte am mexikanischen Energiesektor, S. 147

Martina Krause: Zwischen alten Vorurteilen und neuen Denkweisen - Programme zur reproduktiven Gesundheit in Mexiko, S. 166

Diskussion
Heide Mertens: Eigentumsrechte am Leben selbst? Oder: Warum das Leben heilig ist, S. 191

Rezensionen
Elmar Altvater: Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik. Reinhart Kößler, S. 202
Walden Bello: De-Globalisierung. Widerstand gegen die neue Weltordnung. Reinhart Kößler, S. 208
Joscha Wullweber: Das grüne Gold der Gene. Globale Konflikte und Biopiraterie. Ulrich Brand, S. 210
Ulrich Brand: Gegen-Hegemonie. Perspektiven globalisierungskritischer Strategien. Reinhart Kößler, S. 211
Esst keine Schrimps! Der Garnelenring. Ein Film von Dorit Siemers und Heiko Thiele. Jens Kastner, S. 213
Ulrich Menzel: Paradoxien der neuen Weltordnung. Politische Essays. Reinhart Kößler, S. 214
Hansjörg Dilger: Leben mit AIDS. Krankheit, soziale Beziehungen und Tod in Afrika. Marian Burchardt, S. 217
Lene Bull-Christiansen: Tales of the nation. Feminist nationalism or patriotic history? Defining national history and identity in Zimbabwe. Rita Schäfer, S. 219
Lars Clausen, Elke M. Geenen & Elisio Macamo (Hg.): Entsetzliche soziale Prozesse. Theorie und Empirie der Katastrophen. Reinhart Kößler, S. 220
Claus Leggewie (Hg.): Die Türkei und Europa. Die Positionen. Reinhart Kößler, S. 224
Franziska Becker & Jigal Beez (Hg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907. Reinhart Kößler, S. 227
Eingegangene Bücher, S. 231

Summaries, S. 234
Zu den Autorinnen und Autoren, S. 238
Impressum, S. 248

Editorial
Wolfgang Hein, Reinhart Kößler & Michael Korbmacher

Historisch-kritische Überlegungen zum Eigentum. Statt eines Editorials

In der kritischen Entwicklungsländerdiskussion sind Eigentumsrechte ein heikles Thema: Wer die Festlegung und Sicherung von Eigentumsrechten als ein prioritäres Entwicklungsproblem bezeichnet, läuft Gefahr, als neoliberal oder zumindest als Anhänger/in der Modernisierungstheorie abgestempelt zu werden. Dieser Zusammenhang erscheint auf den ersten Blick als evident, geht es etwa bei der Auseinandersetzung um intellektuelle Eigentumsrechte doch darum, Gegenstände, Wissensbestände oder auch Prozesse und Praktiken abzugrenzen, sie öffentlichen Nutzungschancen zu entziehen, die Nutzung natürlicher Potentiale aber auch sogenannter lokaler Wissensbestände zu monopolisieren und dem privaten Profitinteresse unterzuordnen. Es geht aber längst nicht mehr nur um das westlich-kapitalistische Prinzip des Privateigentums, sondern vor allem um dessen (globale) Anwendung und Verteilungswirkungen. Die Brisanz zeigt sich insbesondere an aktuellen Debatten im Rahmen der weiteren Liberalisierung des Welthandels. In neueren Beiträgen zur Imperialismus-Diskussion (vgl. u.a. Zeller 2004) wird darauf verwiesen, dass kapitalistische Verwertungsprobleme aktuell zunehmend durch Akkumulationsmechanismen gelöst werden, die auf Enteignung basieren. Dies ist insofern nicht ganz so neu, wie es den Anschein hat, als dazu Formen der klassischen ursprünglichen Akkumulation gehören, also die Enteignung und damit einhergehende Aneignung von Gütern oder auch Landflächen, die zuvor beispielsweise in kollektiver Nutzung waren; dazu gehört aber auch die Erweiterung kapitalistischer Eigentums- und Produktionsverhältnisse, etwa in Form der Privatisierung zuvor öffentlicher Unternehmen und Einrichtungen; weiter quasi-räuberische und vermögenszerstörerische Praktiken wie bestimmte Unternehmensfusionen, die systematisch zur Ausschlachtung von Konkurrenten, zu Werksschließungen und Betriebsverlagerungen führen; schließlich die Abschöpfung von in anderen Organisationen erzeugtem Wert wie des in Universitäten erarbeiteten Wissens durch private Verträge, aber auch Formen des subcontracting und der Patentierung, erleichtert durch die Ausweitung intellektueller Eigentumsrechte.

Hier spielen vor allem zwei Tendenzen eine wichtige Rolle:

a) die räumliche und sektorale Universalisierung bestehender Eigentumsformen: Das betrifft zum einen die eigentumsbezogene Zuordnung von Land oder Gegenständen, wo Eigentumsverhältnisse bisher im privatrechtlichen Sinne nicht geklärt waren (periphere Räume, nicht rechtlich abgesichertes Kollektiveigentum, nicht-transferierbare Eigentumsrechte), zum anderen die Privatisierung staatlichen Eigentums, d.h. die Unterwerfung sehr unterschiedlicher Unternehmen und Einrichtungen - von Stahlwerken über Eisenbahnen bis zu Wasserwerken - unter Marktregeln. In diesem Zusammenhang sind auch Prozesse der internationalen Rechtsangleichung zu nennen, wie sie das TRIPS-Abkommen (Abkommen über handelsbezogene intellektuelle Eigentumsrechte) im Rahmen der WTO verlangt).

b) die Ausweitung privater Eigentumsrechte auf Bereiche, in denen diese bisher nicht geklärt waren bzw. für unzulässig gehalten wurden: Das betrifft sowohl komplexere Rechte an lebenden Organismen (genetische Ressourcen, Patentierbarkeit natürlicher Prozesse) als auch Aspekte der intellektuellen Eigentumsrechte, und die Rechte, z.B. über das "lokale Wissen" indigener Gemeinschaften zu verfügen.

In diesen beiden Tendenzen kommt der Prozess zum Ausdruck, den Karl Marx ironisch als "sogenannte ursprüngliche Akkumulation" bezeichnet hat (1968: Kap. 24). Im Gegensatz zum Alltagsverstand zeigte er nämlich, dass die zentrale Voraussetzung dafür, dass kapitalistische Akkumulation in gesellschaftlichem Maßstab in Gang kommen kann, nicht das Aufhäufen - wörtlich die "Akkumulation" - von Geldmitteln ist, sondern vielmehr die Herstellung bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse. Auch das Kapital ist für Marx ja nicht eine Menge Geldes, sondern in erster Linie ein gesellschaftliches Verhältnis. Die entscheidende Voraussetzung für den kapitalistischen Akkumulationsprozess im Sinne einer ihrer Tendenz nach immer weiter ausgreifenden, im Prinzip schrankenlosen Produktion und Aneignung von Wert sind demnach zwei miteinander verknüpfte Prozesse der Freisetzung: Marx charakterisiert "die geschichtliche Bewegung, die die Produzenten in Lohnarbeiter verwandelt, einerseits als ihre Befreiung von Dienstbarkeit und Zunftzwang ... Andrerseits aber werden diese Neubefreiten erst Verkäufer ihrer selbst, nachdem ihnen alle ihre Produktionsmittel und alle durch die alten feudalen Einrichtungen gebotnen Garantien ihrer Existenz geraubt sind. Und die Geschichte dieser Expropriation ist in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer." (1968: 743) Der Emanzipation aus persönlichen Abhängigkeiten und der Verfügung über die eigene Person, die zuvor den meisten Menschen verweigert worden war, steht demnach die andere Seite eines einheitlichen Prozesses gegenüber: ihre Freisetzung auch von den Mitteln, durch selbständige Arbeit ihr Leben zu erhalten. Jetzt unterliegen die Arbeitenden nicht mehr rechtlichen Bestimmungen oder regelmäßiger Gewaltausübung, sondern sozialstrukturellen Gegebenheiten, dem "stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse", der "die Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter [besiegelt]" (ebd.: 765). Es ist eine der wesentlichen, durch Rosa Luxemburg (1913: III. Abschnitt) vor allem im Hinblick auf die koloniale Expansion Ende des 19. Jahrhunderts bereits formulierte, aber immer noch nicht konzeptionell eingeholten Einsichten der späteren dissidenten Marx-Debatte, dass Gewaltsamkeit und Rechtsbruch, einschließlich gewaltsamer Enteignung, mit der Etablierung dieses stummen Zwanges nicht zur Ausnahme werden, sondern nach wie vor systematisch eine integrale Dimension kapitalistischer Verhältnisse darstellen (vgl. Bensch 1998).

Dies gilt besonders da, wo kapitalistische Inwertsetzung alltäglich durch gewaltsame, oft keinen Regeln folgende, oder formal durch zentralstaatliche Rechtssetzung legitimierte, jedenfalls als willkürlich erfahrene Enteignung vonstatten geht, ohne Rücksicht auf die Lebensgrundlagen derer, die die neuerdings beanspruchten Gebiete nutzen. Ähnliches gilt aber auch für die Zerstörung von Lebensgrundlagen etwa durch Betriebsverlagerungen, die Folgen von Privatisierungen oder feindlichen Übernahmen oder auch von "Reformen" der Sozialsysteme, die Sicherheiten vernichten, auf die beispielsweise Rentenversicherte jahrzehntelang glaubten vertrauen zu dürfen, und die sie sich selbst erarbeitet haben. Gerade die faktische, zumindest partielle Aufkündigung der staatlichen Garantien für die großen, in Deutschland seit Bismarcks Zeiten eingeführten Sozialfonds enthält daher potentiellen sozialen Sprengstoff - ganz unabhängig davon, dass dies weltweit eine Nivellierung nach unten bedeuten mag. Angesichts der Erfahrung der Enteignung fügt der Appell an die "Eigenverantwortung" dem Schaden noch den hochoffiziellen Spott hinzu. Solchem Vorgehen setzen soziale Bewegungen und lokale Zusammenhänge von "Widerstands-" aber auch der "Projektidentität" (Castells 2002: 10ff) zunehmend kollektive Abwehr- und Gegen-Aneignungsstrategien entgegen. Diese Strategien beziehen sich auf materielle Aneignungspraktiken, die in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden sind und Kriterien spezifischer Moralökonomien folgen. Sie gehen darüber hinaus, wenn sie auf nationale und internationale Rechtsnormen einwirken.

Der Sprung von einer pauschalen Kritik des Privateigentums zur alleinigen Unterstützung solcher Gegenstrategien greift u.E. jedoch ungeachtet praktisch-politischer Probleme auch auf konzeptioneller Ebene zu kurz. Eigentum ist keine Erfindung des Kapitalismus, die Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt Eigentum muss also viel früher als mit einer vordergründigen Kapitalismuskritik ansetzen. Genauer: Die im Kapitalismus hegemonialen Grundannahmen des Besitzindividualismus (Macpherson 1967) werden überhaupt erst eigentlich kritisierbar vor dem Hintergrund eines Begriffs vom Eigentum, der dieses eben nicht auf das private bürgerliche Volleigentum, das ius disponendi de re sua (Kant 1983: 387) beschränkt, also das umfassende, restlose und individuelle Verfügungsrecht über den Gegenstand des Eigentums. So hat Karl Marx in einem seiner instruktivsten Texte (1953: 363-415) die gesamte Menschheitsgeschichte mit dem Fluchtpunkt der Entstehung des modernen Kapitalismus als Abfolge von Trennungs- und Enteignungsprozessen rekonstruiert, die in der Auflösung von Dorfgemeinschaften und residualen Almenderechten in den ersten Einhegungen von Weideland im England des 16. Jahrhunderts in den Prozess der "sogenannten ursprünglichen Akkumulation" (Marx 1968: Kap. 24) überleiteten (vgl. Kößler & Wienold 2001: Kap. 3.3). Man muss nicht an Marx' durch die Sozialgeschichte Mitte des 19. Jahrhunderts geprägten Vorstellungen von universellen Gemeindeformen festhalten, um die theoretische Grundeinsicht zu teilen, die hier besonders deutlich herausgearbeitet ist: Aneignung und Enteignung sind unvermeidlich zwei Seiten einer Medaille. Das bedeutet, dass Eigentum immer andere von seinem Gegenstand ausschließt, während es jedoch zugleich auch inklusiv wirkt: Im Falle des Kollektiveigentums bildet es geradezu ein wesentliches Moment, das das jeweilige Kollektiv - sei es eine Gemeinde, eine Kooperative, aber auch eine Familie und letztlich eine Aktiengesellschaft - konstituiert. An den Beispielen zeigt sich zugleich, dass das Gewicht des Eigentums ebenso wie die Bedeutung des mit ihm verknüpften Kollektivs für die beteiligten Individuen überaus unterschiedlich ausfallen können. Dies bedeutet zugleich, dass Marx keineswegs, wie oft kolportiert, "Eigentum" etwa abgelehnt hätte. Die von ihm formulierte Perspektive "Die Expropriateurs werden expropriiert" meinte genau besehen das gerade Gegenteil, nämlich die bestimmte Negation eines Zustandes, in dem einer zunehmend verschwindend kleinen Zahl privater Eigentümer (den "Expropriateurs") die riesige Mehrheit derer gegenüber stand, die - enteignet waren. Nach der Logik von Inklusion und Exklusion konnte dies nur dadurch verändert werden, dass das private Eigentum der Minderheit von der Mehrheit gesellschaftlich angeeignet, zu ihrem gemeinsamen Eigentum gemacht wurde. In einer Welt zunehmender Ungleichheit auf regionaler (nationaler) wie globaler Ebene erscheint dies nicht gänzlich obsolet.

Entscheidend aber bleibt, dass die Appropriation irgendeines Gegenstandes oder Gutes bedeutet, dass andere von dessen Eigentum ausgeschlossen bleiben. Das machte in der Morgenröte der bürgerlichen Gesellschaftstheorie John Locke (1991) eindrucksvoll klar, als er die Aneignung herrenloser Natur durch individuelle Arbeit in "Amerika" ansiedelte, das anders als Locke sehr wohl bekannt war, hier als unbesiedeltes, herrenloses und wüstes Land konstruiert wurde. Aus gutem Grund: Nur unter der Voraussetzung der terra nulius, die fast immer Fiktion ist und im Zuge der westeuropäischen Expansion und Siedlung über die vier übrigen Erdteile strategisch als solche eingesetzt wurde, lässt sich individuelles Eigentum ohne die mit der Exklusion verbundenen Konflikte konstruieren - und die Aneignung ohne die Expropriation anderer. Die Realität sah bekanntlich völlig anders aus, und die angebliche Zivilisationsleistung war auch in Nordamerika von einem über etwa 300 Jahre hinweg in Phasen verübten Völkermord nicht zu trennen (vgl. etwa Wilson 1998). Die ideologische Annahme, Eigentum zumal an Land, das nicht privat auf eine Einzelperson bezogen ist, sei frei, vor allem derartiges Land sei "herrenlos", sowie die damit verknüpfte Fiktion, Repräsentanten der Gemeinschaften, die solches Land gewohnheitsmäßig nutzten, seien als private Eigentümer berechtigt, darüber frei zu verfügen, dienten immer wieder als Grundlage für den Abschluss von "Schutzverträgen" oder auch ausdrücklichen "Kauf" solchen Landes (vgl. dazu schon Bebel 1997: 681f; auch Luxemburg 1913: 355ff)

Wenn private Eigentumsrechte also zweifellos ein zentrales Element moderner kapitalistischer Gesellschaften darstellen, so haben Eigentumsrechte im Allgemeinen eine sehr viel weiterreichendere und umfassendere Bedeutung. So lesen wir bereits in den Zehn Geboten (Exodus 20,1-17 und Deuteronomium [Dtn] 5,6-21), die hier paradigmatisch für eine ganze Anzahl früher Ansätze zur Formalisierung von Recht und Verfahren stehen mögen: "Und begehre nicht das Weib deines Genossen und lasse dich nicht lüsten nach dem Haus deines Genossen, seinem Feld und seinem Knecht und seiner Magd, seinem Ochsen und seinem Esel, und was alles deines Genossen ist." (Dtn 5,21 in der "Verdeutschung" von Martin Buber & Franz Rosenzweig). Die Vorstellung von Eigentum, auch von persönlichem Eigentum, ist ganz offenbar weit älter als der moderne Kapitalismus.

Diese Regelungen dürfen freilich nicht als vorbürgerlicher Kodex missverstanden werden. Sie sind vielmehr aufschlussreich gerade als "Grundgesetz" einer auf Autonomie und Egalität ausgerichteten Rechtsordnung (vgl. Veerkamp 1993). Die Reichweite dieses Grundgesetzes ist begrenzt auf den "Genossen", das heißt: Zunächst sind nur die Angehörigen des Volkes gemeint, das den Namen Israel trägt. Ton Veerkamp spricht unter Bezug auf die Ausarbeitung einer Formulierung Émile Durkheims durch Christian Sigrist (1967) von einer "regulierten Anarchie", die sich nach der Zerstörung Jerusalems und damit des Königtums Juda und der Deportation der judäischen Eliten im Jahre 586 v.u.Z. durch Babylon sowie der Ermordung des babylonischen Statthalters Gedalja unter der dort verbliebenen "Volksarmut" (dal ha'am) gebildet habe (vgl. auch Gunneweg 1984, S. 126-129). Dem Ziel von Autonomie und Egalität dienen zahlreiche Vorschriften, die die freie Verkaufbarkeit von Land einschränken und dessen Preisbildung regulieren, auch die Regelungen um das "Sabbatjahr" (allgemeiner Schuldenerlass in jedem siebten Jahr) sowie eine große Landreform in jedem 50. Jahr (nach 7x7 Jahren), die die alten Besitzverhältnisse wiederherstellen sollen (vgl. Kessler 2001). Sie spiegeln die Notwendigkeiten einer patriarchalischen Gesellschaft wider, deren Produktion agrarisch geprägt war und im Wesentlichen der Subsistenz diente. Eine ausgeprägte Arbeitsteilung - und also umfassenden Warenhandel - gab es nicht. Unter diesen Umständen ist die Regelung des Zugriffs auf die unmittelbaren Produktionsmittel Land, Ochse (Arbeitsmittel) und Esel (Reise- und Transportmittel), Arbeitskräfte (Weib, Knecht, Magd) und auf das Haus als unverzichtbares Lebensmittel und als Symbol für die Familie/Sippe unabdingbar. Ihre konkreten Formen speisen sich aus der Vision eines Israel, wonach jeder Mann auf seinem eigenen Acker und in seinem eigenen Haus lebt und dort seinen Lebensunterhalt erarbeitet. Dabei steht der Mann aber wiederum nicht als Individuum da, sondern als Oberhaupt der Familie/Sippe. Zugleich gilt er nicht als Eigentümer des Landes, sondern als Nutznießer. Obereigentümer ist der Gott Israels - im Gegensatz zu allen Nachbarvölkern Israels, wo der König Obereigentümer des Landes ist. Es geht also darum, die Monopolisierung des hauptsächlichen Produktionsmittels zu verhindern. Die Regelungen werden dabei als universalisierbar auch für Nicht-Israeliten aufgefasst. Darum wird das toratreue Israel oft als "Licht für die Völker" bezeichnet.

Rainer Kessler bestreitet allerdings, dass die ökonomischen Regeln jemals eingehalten wurden. Denn erstens, so argumentiert er, hätte zwar alle sieben resp. 50 Jahre ein Schuldenerlass ausgerufen werden können, aber niemand hätte gezwungen werden können, im 7. oder 49. Jahr noch einen Kredit zu gewähren. Zweitens habe es keine Instanz gegeben, die die Durchsetzung der Regeln hätte erzwingen können, so dass ihre Verallgemeinerung stets die Form einer freiwilligen Selbstverpflichtung habe, die bald nach ihrer Bestätigung wieder gebrochen worden sei (Kessler 2001).

Zudem stehen im Hintergrund des Dekalogs politische Erfahrungen, die die Untertanen und diejenigen Mitglieder der Noblen, die sich auf die Seite der einfachen Leute schlugen, mit ihren Königen gemacht hatten, paradigmatisch verdichtet in der Parabel um Nabots Weinberg im 1. Buch der Könige (Kapitel 21): Ahab, König von Israel, möchte Nabot, einem der Noblen Samarias, seinen Weinberg abkaufen oder gegen einen besseren eintauschen, weil der Weinberg an seinen Palast angrenzt. Nabot weigert sich, zu verkaufen, weil es sich nicht bloß um ein beliebiges Wirtschaftsgut, sondern um sein "Vätereigentum" (Buber & Rosenzweig) handelt, das er nach der Tora gar nicht verkaufen darf. Daraufhin inszeniert Ahabs Frau Isabel, sidonische Prinzessin, einen Schauprozess, um zu demonstrieren, wie man Königtum über Israel durchführt. In diesem Prozess wird Nabot wegen Gottes- und Königslästerung zum Tode verurteilt und anschließend zu Tode gesteinigt. Nun kann Ahab den Weinberg Nabots in Besitz nehmen. Dieser ganze Vorgang wird in der Bibel zugleich als Beispiel dafür interpretiert, was es heißt, statt dem Gott Israels (wie Nabot) dem Ba'al (wie Isabel und in ihrem Gefolge Ahab) zu dienen. Denn "Weinberg" ist immer eine Metapher für Israel als Projekt von Autonomie und Egalität und im Gegensatz zu Kanaan/Ägypten als "Haus der Dienstbarkeiten" (vgl. Veerkamp 1983: 106-115). Die Geschichte ist zweifellos fiktiv, denn erstens zeigt ein genauerer Blick, dass sie sehr sorgfältig komponiert ist. Zweitens unterstellt sie, dass alle Akteure die Tora kennen, was in historischer Perspektive unmöglich ist. Denn Ahab war 870-851 v.u.Z. König in Israel, die Tora hingegen ist erst nach 586 v.u.Z. entstanden. Zwar mögen die Akteure der Erzählung auch historische Gestalten gewesen sein, hier jedoch sind sie literarische Figuren. Dennoch macht die Geschichte gerade in ihrer Fiktionalität, die erlaubt, zu sehen, was die Fakten eher verbergen, deutlich, dass es sich zwischen König und Untertanen um ein Klassenverhältnis auf Leben und Tod handelt, weil der Konflikt um das grundlegende Produktionsmittel geht. Zudem wird Mord auch unter Ahab verboten gewesen sein. In diesem Sinne hat der Dekalog also auch eine herrschaftskritische Spitze. Autonomie und Egalität waren indes nur von kurzer Dauer, denn bereits ab 539 v.u.Z. geriet das Gebiet unter persische Oberhoheit. Tribut war in Geld zu entrichten, was dazu zwang, für einen Markt zu produzieren, und bei der vorherrschenden Subsistenzproduktion zu einer raschen Verarmung der ansässigen Bevölkerung und zur Monopolisierung des hauptsächlichen Produktionsmittels in den Händen weniger führte.

Freilich ist festzuhalten, dass der Dekalog in den zitierten Geboten einerseits deutlich ein Ausschlussgebot formuliert, die Forderung, das, was des "Genossen" ist, als solches zu respektieren; dass andererseits aber hier auch Eigentumsgegenstände genannt werden, die nach heutiger Sicht - anders: vom Standpunkt des modernen Kapitalismus - aus eigentumsrechtlichen Bestimmungen gerade ausgeschlossen sind und die gesellschaftlichen Verhältnisse Alt-Israels reflektieren: "Weib, Knecht, Magd" also Sklaven und Frauen, die unter die Macht des patriarchalischen Familienoberhauptes fielen (das Verbot des Ehebruchs ist einem anderen Gebot vorbehalten). Zugleich handelt der gesamte Text unverkennbar von der Regelung der Beziehungen zwischen dem Gott Israels und den Israeliten einerseits sowie vermittelt über den göttlichen Willen der Israeliten untereinander. Zu letzteren gehört neben Kindesgehorsam oder der Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit eben auch der Schutz des Eigentums.

Dies verweist darauf, dass Eigentumsinstitutionen in vielen unterschiedlichen Formen für gesellschaftliches Zusammenleben eine zentrale Rolle spielen. Die Sicherheit des Umgangs mit "Eigentum" stellt offenbar ein zentrales Element der Sicherheit von Individuen bzw. primärer sozialer Gruppen dar. Die Regelung von Eigentumsbeziehungen, zu denen immer auch der Transfer von Eigentum, etwa durch Tausch, Schenkung und vor allem Vererbung gehört, bildet damit auch ein wesentliches Element der Reproduktion von gesellschaftlichen, zumal von Verwandtschaftsbeziehungen und eine wichtige Garantie gesellschaftlichen Friedens und Zusammenhalts.

Die Institution "Eigentum" wurde historisch über gesellschaftlich anerkannte und häufig formalisierte (kodifizierte), meist auch - wie in den Zehn Geboten - religiös sanktionierte Normen abgesichert. In anderen Fällen berief man sich auf Gesetz- und Normgeber wie Hammurabi, Drakon, Solon oder Konfuzius. Dabei war freilich die Definition ausschließlicher Nutzungsrechte, die genau einer Person bzw. einem einzigen Rechtssubjekt (juristische Person) vollständige, absolute Verfügungsgewalt zusprechen, wie dies heutzutage von modernen Verhältnissen her vertraut ist, eher die Ausnahme. So waren im westeuropäischen Mittelalter Verkäufe oft an ein Rückkaufsrecht gebunden, Landnutzungsrechte wurden im Lehnsrecht durch "Verleihung" zugeteilt, konnten aber ihrerseits erblich werden und sich auf Individuen ebenso wie auf Kollektive beziehen. Weltweit war häufig das Recht auf die Oberfläche des Bodens von dem auf den Untergrund getrennt. Nicht zuletzt weist die Institution der Sklaverei bei genauerer Betrachtung eine Vielzahl unterschiedlicher Formen und Grade auf, in denen Sklaven über ihre eigene Person begrenzt verfügen konnten und damit die Verfügungsrechte und Nutzungsmöglichkeiten, die Willkür des Herrn eingeschränkt waren. Soweit dies in der wohl wichtigsten rezenten Form der Sklaverei, der aus dem transatlantischen Sklavenhandel hervorgegangenen Plantagenwirtschaft in Brasilien, der Karibik und den Südstaaten der USA häufig eher wenig ausgeprägt war, mag dieser Umstand gerade auf die Modernität dieser Verhältnisse verweisen, die dem modernen Kapitalismus mit der Bereitstellung der Baumwolle für die ersten Industrien zum "Piedestal" (Marx) dienten.

Der moderne, betriebsmäßig organisierte Kapitalismus (Max Weber) benötigt nämlich als zentrale Voraussetzung für seine Existenz vor allem eines: klare und berechenbare Verhältnisse. Will man ordentlich kalkulieren, Risiken berechnen und Sicherheiten stellen können, sind Reservatsrechte Dritter schlicht fehl am Platz. Das funktional begründete Erfordernis, dass allgemein Sicherheit darüber herrschen muss, dass Verträge eingehalten werden oder dass Verkäufer über die angebotenen Waren - einschließlich Grundstücke - auch wirklich rechtlich zu verfügen in der Lage sind, ist, wie Max Weber (vgl. 1985: 487f) und in seiner Nachfolge Georg Lukács (1923: 119f) eindrucksvoll nachgewiesen haben, ein entscheidender Anstoß für die Herausbildung des rationalen Rechts und einer Justiz gewesen, die nicht mehr unter Würdigung des Einzelfalls im Sinne der von Weber so bezeichneten Kadi-Justiz entscheidet, sondern nach allgemein gültigen Rechtstatbeständen, unter die sich die einzelnen Sachverhalte nach feststehenden Regeln subsumieren lassen. Im Idealfall, so Weber, sollten Justiz wie Bürokratie im modernen Staat so funktionieren, dass bei Eingabe bestimmter Daten eine vorher genau absehbare Entscheidung herauskomme (vgl. 1988: 321ff). Auch wenn dies im Alltag keineswegs immer der Fall ist, so ist es doch wesentlich, sich diese gesellschaftlichen Erfordernisse in Erinnerung zu rufen, die dem rationalen Recht und auch der rationalen Bürokratie zugrunde liegen. Damit wurde die Entwicklung eines komplexen, rationalen Eigentumsrechtes zu einer der zentralen Aufgaben des bürgerlichen Staates. Wie bereits angedeutet, muss die "juristische Person", die Subjekt dieses Eigentums ist, nicht notwendig ein Individuum, eine "natürliche Person" sein: Auch wenn die Aufhebung von Kollektiveigentum ein wesentliches Element des Prozesses der sogenannten ursprünglichen Akkumulation darstellt, bestehen vielfältige Formen kollektiven Eigentums sowohl des Eigentums an Sachen und Boden als auch des Kapitaleigentums (Genossenschaften, gemeinsame Unternehmen, Aktiengesellschaften, Aktienfonds) und sind teilweise im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung überhaupt erst entstanden. Freilich müssen in solchen Fällen die jeweiligen Anteile von Individuen und die Modalitäten des Transfers von Eigentum in justiziabler Form festgelegt sein. Dennoch tragen heute gerade solche, nicht auf Einzelpersonen bezogenen Formen des Kapitaleigentums wesentlich zur Anonymität gerade großer Kapitaleinheiten und den Schwierigkeiten bei, deren Entscheidungen nachzuvollziehen und irgendeiner Kontrolle zu unterwerfen. Schließlich gibt es öffentliches Eigentum mit einem politisch zu bestimmenden Zugriff auf dessen Nutzung. Dies ist im Prinzip gesellschaftlich gewollt, aber - und das darf bei der Kritik von Privatisierungsvorhaben nicht vergessen werden - die Nutzung öffentlichen Eigentums folgt einer anderen Handlungslogik als diejenige privaten Kapitaleigentums im Kapitalismus. Bei der Kritik an Privatisierungsmaßnahmen ist daher zweierlei zu beachten: (a) Die historischen Rahmenbedingungen für die Wünschbarkeit bestimmter Eigentumsformen können sich ändern, und (b) öffentliche Interessen sind durch Regulierung und Besteuerung prinzipiell auch gegenüber privaten Eigentümern durchsetzbar. Hinzu kommt etwa in Deutschland die im Verfassungstext klar festgeschriebene "Sozialbindung" des Eigentums. Sie wird einerseits gern angerufen, um zu belegen, in der Realität sei die mit dem bürgerlichen Volleigentum begrifflich implizierte Tendenz zu willkürlicher Verfügung doch nicht so tragisch zu nehmen, zum anderen zeigen gerade neuere Prozesse der Deregulierung und der mit ihr einhergehenden öffentlichen Debatten und Diskurse, dass auch diese Norm keineswegs zeitlos ist, sondern vielfältigen Interpretationen unterliegt und so gesehen umkämpftes Terrain darstellt.

Die grundlegenden Probleme des modernen Eigentums sind damit jedoch keineswegs erschöpft. Das "Palladium des sittlichen Staats", wie Heinrich Heine es bezeichnete, figuriert nicht zufällig in sämtlichen Menschenrechts- und Grundrechtskatalogen, und dies nicht nur, weil die Eigentumsgarantie die erwähnten zentralen Voraussetzungen für kapitalistisches Wirtschaften schafft. Wie wir gesehen haben, umfasst ein historisch informierter Begriff des Eigentums sehr viel mehr als nur das private Eigentum an Gegenständen, Boden oder Kapital und die damit einhergehende Verfügungsgewalt. Auch unter der Voraussetzung, dass die Verfügung über die eigene Person garantiert ist, bleiben andere bürgerliche Schutzrechte wie der Schutz der Wohnung und eben auch des Eigentums von großer Bedeutung. Nicht zufällig wurden sie vor 300 oder 200 Jahren in England und später in den USA und in Frankreich dem absolutistischen Staat abgetrotzt oder auf seinen Trümmern proklamiert. Das Recht auf Eigentum ist eben auch vor dem Hintergrund einschneidender und handfester Erfahrungen mit willkürlichen staatlichen Eingriffen in die persönlichen Verhältnisse von Untertanen zu sehen. Es macht einen gewaltigen Unterschied aus, ob der Müller seine Mühle behalten darf, weil der preußische König sich zufällig als Aufklärer und Philanthrop versteht und zufällig mitbekommen hat, dass sie enteignet werden soll, oder ob der Enteignung des Müllers kodifizierte Rechte und Verfahren entgegenstehen. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Rechten von Anwohnern, die sich heutzutage beispielsweise gegen einen Autobahnbau und die damit einhergehende Zerstörung ihres Lebenszusammenhanges zur Wehr setzen. Gewiss: Der Müller kann nur als Eigentümer Rechte geltend machen, und auch die Anwohner der geplanten Autobahn haben eine starke Rechtsposition als Hauseigentümer, und das muss man erst einmal sein bzw. werden. Auch darin zeigt sich eine der tiefen Ambivalenzen bürgerlicher Rechte, die von konkreten Umständen systematisch keine Notiz nehmen und nicht nehmen können. Bert Brecht hatte ja recht mit seinem bissigen Verweis auf die - zuweilen fehlende - materielle Grundlegung formaler Rechte, nämlich dass "wenn wir eine Wohnung hätten / Wäre diese Wohnung unverletzlich. / Unverletzlich ... / Wenn wir aber auf der Straße liegen / Sind wir dann natürlich sehr verletzlich. / Verletzlich." (Brecht 1968: 380) Nur ist es damit nicht getan. Auch bürgerliche Eigentumsrechte sind in verschiedener Richtung mobilisierbar, wie seit knapp 30 Jahren die Auseinandersetzung des Grafen Bernstorff als eines der Grundeigentümer am Salzstock von Gorleben um den Bau des geplanten Endlagers zeigt, mit der es ohne den grundgesetzlichen Schutz dieses Eigentums schnell vorbei gewesen wäre. Derartige Ambivalenzen stehen mit einem weit fundamentaleren Sachverhalt in Zusammenhang: Wie besonders Fernand Braudels Unterscheidung zwischen "Marktwirtschaft" und "Kapitalismus" deutlich gemacht hat (vgl. Braudel 1986), ist alltägliches Marktgeschehen und damit einhergehende Rechtssicherheit gesellschaftlich nicht ohne weiteres gleichzusetzen etwa mit dem Aktienmarkt, den Strategien transnationaler Konzerne und erst recht nicht mit dem Vorgehen von Pensions- und hedge funds. Zwar wird dies in einem Großteil der marxistischen Tradition kurzgeschlossen, doch beruht diese sehr folgenreiche Sichtweise nicht zuletzt auf einem realistischen Missverständnis der Behandlung der Analyse der kleinen Warenproduktion in der "Kritik der politischen Ökonomie": Am folgenreichsten hatten die Bolschewiki unterstellt, daraus folge, jegliches Marktgeschehen berge den Keim zum Kapitalismus in sich. Das kann hier nicht weiter verfolgt werden, doch ist die Braudelsche Unterscheidung wichtig, um sich die differenzierten Kontexte vor Augen zu führen, unter denen auch heute Tauschbeziehungen stattfinden, die auf individuellem ebenso wie auf kollektivem Eigentum beruhen, und in denen dieses durch den Tausch realisiert wird.

Gerade die Annahme, Eigentum, Markt und Kapitalismus stünden in einem Bedingungs- ja notwendigen Kausalzusammenhang mag eine Erklärung dafür sein, dass Eigentumsverhältnisse in der linken Diskussion lange Zeit eher vernachlässigt wurden. Doch ist die Verbindung von Eigentum und Handlungsmotivation ein altes Thema nicht nur im Kontext der Modernisierungstheorien, sondern etwa auch in der Diskussion über kleinbäuerliche Entwicklung: Probleme wie die Strukturen von Kooperativen, Agrarreformen und die von ihnen geschaffenen Landbesitz- und -eigentumsverhältnisse, weiter die Möglichkeiten, Grundbesitz zu veräußern sowie die staatliche Regulierung von Agrarpreisen als Modifikation oder selbst Ausschaltung des Marktes, wenn der ländlichen Sphäre und den dort Arbeitenden die Rolle der Akkumulationsbasis für eine künftig zu schaffende, städtisch orientierte Volkswirtschaft zugeschrieben wurde, schließlich die Diskussion über Anreize oder Behinderungen der Akkumulation von Kapital oder auch um die Kreditfähigkeit von Kleinproduzenten und insbesondere von Frauen - all dies kreist immer wieder um die Form und Verfügbarkeit von Eigentum, um kollektive und individuelle Verfügungsberechtigung. Ein wichtiger Fall, in dem die eingangs angesprochene Nivellierung von in Wirklichkeit sehr unterschiedlichen Eigentumsformen weitreichende Konsequenzen für die entwicklungsbezogene Debatte und Praxis gezeitigt hat, ist die These, das Fehlen privaten Eigentums führe zum Raubbau an natürlichen Ressourcen in Sinne einer "Tragedy of the commons" (Hardin 1968). Die nähere Betrachtung zeigt, dass Gemeineigentum keineswegs bedeutet, dass alle freien Zugang haben, sondern es gerade regelt, Angehörige welcher Gruppen zu welchem Anrechte auf die Nutzung einer Ressource geltend machen können (vgl. Kraemer 2005: 258-262). Eigentum ist nicht geschlechtsneutral, und z.B. die geschlechtssegregierte Vererbbarkeit von Boden bildet einen zentralen Bestandteil von lokalen Gender-Regimen. Ähnliches gilt für Zugangsrechte zu Gemeineigentum.

Von zentraler Bedeutung ist die Eigentumsfrage schließlich für die Analyse der großen Transformation am Übergang zur gesellschaftlichen Moderne, die für Karl Polanyi (1977) entscheidend mit der Marktgängigkeit und damit die Möglichkeit der Enteignung vor allem von Boden und Arbeit verknüpft war. Auch das Recht auf die Anerkennung und exklusive Nutzung intellektuellen Eigentums (Patentrecht, Urheberrecht), dessen Ursprünge bis in die oberitalienischen Stadtrepubliken des Spätmittelalters zurück zu verfolgen sind, hat vor allem in der industriellen Revolution einen raschen Bedeutungsgewinn zu verzeichnen gehabt. Durch die Vergabe zeitlich begrenzter Monopole der Nutzung von Erfindungen sollten Investitionen in Forschung und Entwicklung gefördert und damit Innovationsprozesse beschleunigt werden. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft sind zumindest ambivalent: Zum einen mögen die Konsumenten von der Existenz einer Erfindung profitieren (je nachdem, um was es sich handelt!), zum anderen müssen sie dafür über längere Zeit höhere Preise bezahlen, als wenn das entsprechende Produkt von anderen relativ kurzfristig nachgebaut werden dürfte (als Überblick: Drahos 2002).

Die Einführung oder bewusste Nicht-Einführung von Patentrechten in bestimmten Branchen war historisch immer ein Aspekt internationaler Wettbewerbsfähigkeit bzw. von Strategien nachholender Entwicklung. So haben die führenden Nationen meist relativ rigide intellektuelle Eigentumsrechte eingeführt, während Nachzügler versuchten, von der Möglichkeit des Nachbaus ("reverse-engineering") zu profitieren. Solange die Kosten des Nachbaus einerseits, die Möglichkeiten von Handelsbeschränkungen andererseits aber noch relativ hoch waren, konnten auch die technologischen Spitzenproduzenten damit leben. Es gab zwar seit Ende des 19. Jahrhunderts internationale Vereinbarungen zum Patentrecht, doch diese bleiben relativ lückenhaft und wurden nur begrenzt eingehalten.

Der Globalisierungsprozess und die Fähigkeit einer wachsenden Zahl von Produzenten in Entwicklungsländern, bei einer gleichzeitig zunehmenden Bedeutung globaler Märkte, Produkte "nachzubauen" bzw. Markenartikel zu imitieren, läutete eine neue Phase ein. Gleichzeitig stiegen in vielen Bereichen (u.a. in der Pharmaindustrie) die Innovationskosten erheblich an. Das Interesse dieser Industrien, diese Investitionen zu amortisieren (aber auch zusätzliche Profite einzustreichen), führte dazu, dass die Verhandlung eines Abkommens für "Handelsbezogene intellektuelle Eigentumsrechte" (TRIPS) zu einem Bestandteil der Aushandlung der WTO-Verträge im Rahmen der Uruguay-Runde des GATT wurde. TRIPS setzt internationale Mindeststandards für intellektuelle Eigentumsrechte fest, die - auch wenn verschiedenen Gruppen von Entwicklungsländern unterschiedliche Übergangsphasen für die Verabschiedung bzw. Anpassung der Gesetzgebung gewährt wurde - Ländern die Möglichkeit nimmt, ähnlich wie es Nachzügler unter den heutigen Industrieländern noch konnten, von niedrigen Standards des Schutzes intellektuellen Eigentums zu profitieren. Besonders gravierend sind die Auswirkungen auf den Zugang zu Medikamenten, wo die Möglichkeit, billige Nachahmermedikamente (Generika) zu produzieren, in vielen Fällen lebensrettend sein kann, da die Originalpräparate etwa im Falle der Behandlung von HIV/AIDS für arme Länder nicht bezahlbar sind. Hier ist zwar inzwischen Einiges in Bewegung geraten (vgl. etwa Hein & Kohlmorgen 2005), doch ist das Grundproblem, das ja fundamentale Menschenrechte betrifft, damit nicht gelöst.

Ein weiterer Aspekt, der zu einem neuen Feld an Eigentumsrechten geführt hat, hängt mit der wachsenden Bedeutung von Biotechnologien in vielen Technologiebereichen, vor allem in der Pharmaindustrie und in der Saatgutproduktion, zusammen. Dies betrifft natürlich die Frage des Eigentums an lebenden Organismen, aber auch das Verhältnis eines wie auch immer definierten intellektuellen Eigentums an technischen Innovationen zu den Ausgangs-"Materialien", die durch die entsprechende Erfindung verändert wurden. Wenn die Bedeutung "biologischer Diversität" als Rohstoff an Bedeutung gewinnt, dann mag das einen stärkeren Anreiz bieten, diese Diversität zu schützen, was zunächst einmal positiv zu werten ist. Es stellt sich aber auch die Frage, wer für diesen Schutz die Verantwortung übernimmt oder wem diese Ressourcen "gehören". Die Biodiversitäts-Konvention (Convention on Biological Diversity, CBD) hat dies grundsätzlich territorialstaatlich geregelt: Die Ressourcen "gehören" dem Land, aus dessen Territorium sie entnommen werden, das dafür Kompensationen verlangen kann. Anders ist die Situation, wenn gezüchtete Pflanzensorten den Ausgangspunkt biotechnologischer Forschung und Entwicklung (F&E) bilden. Diese Sorten sind häufig über Generationen hinweg von Menschen gezüchtet worden, die - nach dem Verständnis der Gesetzgebung zu intellektuellem Eigentum - deren Eigentümer sind. Da die eigentlichen Erfinder nicht individuell zu bestimmen sind, entstand das Konzept der "farmers' rights", das im sog. International Undertaking on Plant Genetic Resources grundsätzlich akzeptiert worden ist, ohne dass man sich bisher auf Formen zu ihrer Implementierung geeinigt hätte.

Alle diese noch anhaltenden Entwicklungen verweisen wie die großen historischen Transformationsprozesse auf den übergreifenden Sachverhalt, dass das moderne Privateigentum nur eine der historischen Eigentumsformen ist. Das bedeutet vor allem, dass diese Eigentumsform keine quasi-anthropologische Grundkonstante und auch keine Existenzbedingung einer jeglichen Gesellschaft ist. Dagegen haben wir gesehen, dass Eigentum in ganz allgemeiner Bestimmung sehr wohl konstitutiv für Gesellschaft ist. Es kommt aber darauf an, zwischen dieser sehr allgemeinen Aussage und der historisch-konkreten Formbestimmung klar zu unterscheiden. Dann lässt sich vor allem auch die Ausdehnung des modernen Privateigentums nicht allein - etwa in der Tradition von John Locke - als Gesellschaft überhaupt konstituierender Aneignungs- und geradezu als Zivilisierungsprozess verstehen; vielmehr muss dann berücksichtigt und anerkannt werden, dass mit der Etablierung dieser spezifischen Eigentumsform immer auch die Enteignung anderer, häufig unter zuvor bestehenden Eigentumsformen kollektiver Eigentümer einhergeht. Dies gilt natürlich auch für viele andere Formen des Eigentums, aber nicht universell, etwa da, wo es wie in Afrika südlich der Sahara, aber auch in Teilen Europas große Rückzugsräume gegeben hat und der Abzug zwar die Aufgabe zuvor genutzten Bodens bedeutete, aber zumindest nicht notwendig die gravierenden Folgen mit sich brachte, die generell mit Enteignung assoziiert werden.

Eigentum ist als Prozess in der historischen Herausbildung von Machtstrukturen diskutiert worden. Neuere Bestrebungen und Tendenzen zur Ausweitung des Geltungsbereichs privater Eigentumsrechte auf neue, zuvor nicht davon erfasste Bereiche unterstreichen dies nachdrücklich. Andererseits zeichnet sich durch die Entwicklung in der Computernutzung, vor allem durch das Internet, möglicherweise ein neues Verständnis von Eigentum ab. Da sich durch die elektronische Datenverarbeitung der Unterschied zwischen Original und Kopie auflöst, geht die Kontrolle über das Kopieren verloren. Zum Teil wird in diesem Zusammenhang bewusst auf das Geltendmachen von Eigentumsrechten verzichtet. Bei den Auseinandersetzungen um die Forderung nach open source stehen Grundprinzipien des Umgangs mit bestimmten (Wissens-)Ressourcen zur Debatte, freilich nicht unbedingt kapitalistisches Wirtschaften, weil sich mit Linux durchaus Geld verdienen lässt. Demgegenüber verweist die Moral des ausdrücklich gegen das Copyright gerichteten copyleft sehr viel eher auch auf ein alternatives subkulturelles Lebensgefühl (vgl. Castells 2005: 24). Diese Tendenzen unterstreichen zudem einmal mehr, dass es bei Eigentumsfragen immer um Abgrenzungen und hier vor allem um die Möglichkeit und denkbare Modalitäten von Abgrenzung geht.

Literatur

Bebel, August (1997): "Das Recht zur Revolution hat jedes Volk und jede Völkerschaft, die sich in ihren Menschenrechten aufs alleräußerste bedrückt fühlt. Rede im Deutschen Reichstag zum Haushaltsetat 1904. 30. Januar 1905". In: Bebel, August: Ausgewählte Reden und Schriften. Band 7/2: Reden und Schriften 1899 bis 1905. München, S. 677-699.
Bensch, Hans-Georg (1998): "Grundrente und Mehrwert". In: Gesellschaftswissenschaftliches Institut Hannover (Hg.): Das automatische Subjekt bei Marx. Studien zum Kapital. Lüneburg, S. 33-58.
Braudel, Fernand (1986): Die Dynamik des Kapitalismus. Stuttgart.
Brecht, Bertolt (1968): "Drei Paragraphen der Weimarer Verfassung". In: Brecht, Bertolt: Gesammelte Werke Bd. 8 (Werkausgabe edition suhrkamp), S. 379-381.
Castells, Manuel (2002): Das Informationszeitalter. Band II: Die Macht der Identität. Opladen.
Castells, Manuel (2005): Die Internet-Galaxie. Wiesbaden.
Drahos, Peter (2002): Developing Countries and Intellectual Property Standard-setting. London (Commission on Intellectual Property Rights, Study Paper 8).
Gunneweg, Antonius H.J. (1984): Geschichte Israels bis Bar Kochba. 5. durchges. u. erg. Aufl. Stuttgart.
Hardin, G. (1968): "The Tragedy of the Commons". In: Science, Bd. 162, S. 1243-1248.
Hein, Wolfgang; Kohlmorgen, Lars (2005): Global Health Governance: Conflicts on Global Social Rights. Hamburg (DÜI, Working Papers, Nr.7; www.duei.de/workingpapers)
Kant, Immanuel (1983): "Die Metaphysik der Sitten" (1797). In: Kant, Immanuel: Werke (Weischedel). Darmstadt, Bd. 7, S. 305-634.
Kessler, Rainer (2001): "Das Wirtschaftsrecht der Tora". In: Füssel, Kuno; Segbers, Franz (Hg.): "... so lernen die Völker des Erdkreises Gerechtigkeit". Ein Arbeitsbuch zu Bibel und Ökonomie. Luzern/Salzburg, S. 78-94.
Kößler, Reinhart; Hanns, Wienold (2001): Gesellschaft bei Marx. Münster.
Kraemer, Klaus (2005): Die soziale Konstitution von Umwelt. Ein Beitrag zur soziologischen Fundierung der Nachhaltigkeitsdebatte. Soziologische Habilitationsschrift Fachbereich 06, Universität Münster.
Locke, John (1991): "Second Treatise of Government". In: Locke, John: Two Treatises of Government. Student Edition. Cambridge.
Lukács, Georg (1923): Geschichte und Klassenbewußtsein. Berlin.
Luxemburg, Rosa (1913): Die Akkumulation des Kapitals. Berlin.
Macpherson, Crawford B. (1967): Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Von Hobbes bis Locke. Frankfurt a.M.
Marx, Karl (1953): Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. Berlin (DDR)
Marx, Karl (1968): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Band I, Buch 1: Der Produktionsprozeß des Kapitals. Berlin (DDR) (MEW 23).
Polanyi, Karl (1977): The Great Transformation. Wien.
Sigrist, Christian (1967): Regulierte Anarchie. Olten & Freiburg i.B.
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Wilson, James (1998): The Earth Shall Weep. A History of Native America. London u.a.
Weber, Max (1985): Wirtschaft und Gesellschaft. 5. Aufl., Tübingen.
Weber, Max (1988): "Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland" (Mai 1918). In: Weber, Max: Gesammelte Politische Schriften, 5. Aufl., Tübingen, S. 306-443.
Zeller, Christian (Hg.) (2004): Die globale Enteignungsökonomie. Münster.

Anschrift der Autoren:
Wolfgang Hein
hein@duei.de

Reinhart Kößler
r-koessler@gmx.de

Michael Korbmacher
info@zeitschrift-peripherie.de

Zu den Artikeln

Die in diesem Heft veröffentlichten Beiträge diskutieren aktuell relevante Fragen der Aneignung, Enteignung und Nutzung von Gütern. Mit seinem Beitrag "Der Markt als Wassermanager. Aufbau eines neuen Wasserregimes durch die Weltbank" eröffnet Uwe Hoering die Diskussion. Er richtet den Fokus auf die Frage, inwieweit die Weltbank durch die Förderung handelbarer Wasserrechte in ihrer neuen Wasserpolitik de facto Eigentumsrechte an Wasser und damit die Zurichtung der Ressource für eine marktförmige Inwertsetzung durchsetzt - und welche Veränderungen diese systematische Kommodifizierung von Wasser als "Wirtschaftsgut" für Nutzung und Verteilung bringen würde - sowohl innerhalb der Landwirtschaft, als auch zwischen Agrarbereich, Städten und Industrien.

Mit der Bildung von Privateigentum an Boden und der Aneignung neu erschlossener Gebiete bei der kontinuierlichen Ausweitung der Agrargrenze im Amazonasgebiet Brasiliens befasst sich der Artikel "Brasiliens Agrarfront: Landnahme, Inwertsetzung und Gewalt" von Hanns Wienold. Ausgehend von Theorien der Verwandlung von Boden in eine Ware zeichnet er die Geschichte und die Formen des Bodeneigentums in Brasilien nach. Dabei wird deutlich wie die Landnahme und die "Inwertsetzung" bis heute stets mit gewaltsamer Auseinandersetzung verbunden war. Analysiert werden die Krisen der brasilianischen Agrarstruktur, die kontinuierliche Reproduktion der enormen Bodenkonzentration und das Weichen der amazonischen Wälder für die spekulative Expansion von Rinderfarmen und Sojaplantagen für den Export. Abschließend fragt Wienold nach möglichen politischen und ökonomischen Grenzen der Agrarexpansion.

Um die Ausdehnung geistiger Eigentumsrechte geht es im Beitrag "Gemeinsam die Allmende verteidigen?! Ansätze und Formen des Widerstands gegen die Ausdehnung geistiger Eigentumsrechte in den Bereichen pflanzengenetische Ressourcen und Software" von Christiane Gerstetter und Gregor Kaiser. Am Beispiel von Patenten auf pflanzengenetische Ressourcen und auf Software zeigen sie, wie Eigentumsrechte in zwei Feldern abgesteckt werden, die vormals zu allgemein verfügbarem Gut, zur Allmende gehörten. Sie fragen danach, welche Folgen diese Entwicklungen für die "Erste" und die "Dritte Welt" haben und welche Formen des Widerstands sich abzeichnen.

Joscha Wullweber analysiert in seinem Artikel "Der Mythos Nanotechnologie. Die Entstehung und Durchsetzung einer neuen Inwertsetzungstechnologie" den Hype um Nanotechnologie als Mythos, der vor allem dazu geeignet ist, die "perception wars" zugunsten der Akzeptanz dieser neuen technologischen Entwicklungen zu entscheiden. Die Folgen für die "Dritte Welt" sind noch nicht völlig überschaubar. Dennoch scheint die Durchsetzung dieser Technologie nicht nur der Graben zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden zu vertiefen, sondern auch weitere Differenzierungsprozesse innerhalb des globalen Südens in Gang zu bringen.

In Auseinandersetzung mit der marxistischen Diskussion um die sog. ursprüngliche Akkumulation und mit rezenten Beispielen aus der Biotechnologie- und Pharmaindustrie kontextualisiert der Beitrag "Intellektuelle Eigentumsmonopole und die Erzielung von Renten in der globalen Enteignungsökonomie" von Christian Zeller intellektuelle Eigentumsrechte im Setting des globalen Kapitalismus. In diesem bildet laut Zeller die Erlangung von monopolisierten Eigentumstiteln an intellektuellen Ressourcen und die damit einhergehende Enteignung eine immer zentralere Strategie, auf die tendenzielle Überakkumulation im globalen finanzdominierten Akkumulationsregime zu reagieren. Die dadurch erzielten Gewinne analysiert Zeller als Renten, wodurch er zeigen will, dass ähnlich wie bei der Enteignung bzw. Aneignung des Bodens durch das Kapital es auch bei der Einhegung intellektueller Eigentumstitel darum geht, Einkommen auf lange Zeit festzuschreiben, das fortlaufend global produzierten Mehrwert abschöpft. Diese theoretische Einbindung sektoraler und lokaler Auseinandersetzungen um Eigentumsrechte in den global hierarchisierten bzw. imperialistischen Kontext wirft nicht zuletzt die brisante Frage auf, ob diese Auseinandersetzungen ohne entscheidende Veränderungen der globalen Systembedingungen erfolgsversprechend sind.

Miriam Heigls Beitrag "Private is beautiful? Zu den Auseinandersetzungen um die Eigentumsrechte am mexikanischen Energiesektor" untersucht am Fall des Energiesektors in Mexiko, warum sich hier im Gegensatz zu den meisten anderen ehemals staatlichen Sektoren nur ansatzweise eine Privatisierung durchsetzen ließ. Die Analyse einer Ausnahmeerscheinung soll dabei den Blick auf das gesamte Phänomen von Privatisierungen schärfen. Dabei zeigt Heigl, dass sich die Durchsetzung des Neoliberalismus nicht einfach an einem Fall abbildet. Vielmehr setzen sich allgemeine Entwicklungen vermittelt über konkrete gesellschaftliche Kräfteverhältnisse und institutionelle Konfigurationen durch bzw. nicht durch. Bei der Übertragung von staatlichen Eigentumsrechten auf den privaten Sektor handelt es sich im untersuchten Beispiel weniger um rationale Entscheidungen zur Effizienzmaximierung, wie von der Property-Rights-Theorie postuliert, sondern im Sinne einer an Poulantzas angelehnten Sichtweise um massive gesellschaftliche Konflikte. Der Privatisierungsprozess des mexikanischen Energiesektors konnte somit aufgrund einer komplexen Akteurskonstellation, eines zersplitterten institutionellen Settings und nicht zuletzt eines historisch-nationalistischen Mythos des Sektors nicht abgeschlossen werden.

Schwerpunktfremd analysiert Martina Krause in ihrem Artikel "Zwischen alten Vorurteilen und neuen Denkweisen - Programme zur reproduktiven Gesundheit in Mexiko" zehn Jahre nach der Bevölkerungskonferenz von Kairo, wie der viel gepriesene Konsens dieser Konferenz innerhalb des mexikanischen Gesundheitssystems umgesetzt wird. Der Ansatz der "reproduktiven Rechte" von Frauen hat zwar zu einer grundlegenden Diskussion und neuen Ausrichtung der Konzepte zur Gesundheitsversorgung von Frauen beigetragen. Konfrontiert mit den bestehenden sozialen und ethnischen Zuschreibungen, die nicht zuletzt die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Gesundheitssystem selbst tradieren, und knappen Mitteln, bleibt die postulierte Wahlfreiheit gerade indigener Frauen jedoch meist auf der Strecke.

In unserer Rubrik "Diskussion", die aktuell auf gesellschaftliche Debatten reagieren soll, erörtert der Beitrag von Heide Mertens "Eigentumsrechte am Leben selbst" die beiden gegenwärtig einflussreichsten und einander scheinbar unversöhnlich gegenüberstehenden Positionen in der Auseinandersetzung um die rechtliche Regelung bioethischer Fragen: die substanzialistische oder essentialistische, die die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens und insbesondere die Unbeeinflussbarkeit von dessen Beginn und Ende bedingungslos vertreten, und die subjektivistische oder konsequentialistische, die eine Ethik zu etablieren sucht, welche die Ziele und Konsequenzen der Handlungen gegeneinander abwägt und mit Kosten-Nutzen-Kalkülen argumentiert. Sie kommt zu dem Ergebnis, bei allen berechtigten Einwänden, die sich gegen beide Positionen formulieren lassen, gebe es doch gute Gründe für die Definition des "Lebens an sich" als heilig, die stärker zu gewichten seien als individuelle Kosten-Nutzen-Kalküle.

Summaries

Uwe Hoering
The Market as Water Manager. Attempts by the World Bank to build a new water regime
After a flood of studies about water markets and tradable water rights in the 1990s, many of them sponsored by the World Bank, the Bank is now using her position as influential global "adviser" on water sector reforms to create the legal, institutional, infrastructural and organistional preconditions for the management of water resources by market mechanisms. In the center of the ambition, to make water a marketable good, is the reorganisation of the existing systems of water user rights, many of them informal, customary and communal, into a new regime of secured, formalised and individualised de facto property rights, which could be traded between different water users.
Starting point for the article is a brief overview over the various existing water rights regimes, with the focus on countries, where tradable water rights and water markets have been introduced already, leading to a catalogue of preconditions for the establishment of functioning water markets as a mechanism for economic valuation and allocation of water. Against this background, the new water policy of the World Bank is analysed in as far it is contributing to the creation of those conditions. Concluding, there is an outlook on the impacts of these market mechanisms on water distribution and use within agriculture, regarding for example food security, as well as between agriculture and urban areas.

Hanns Wienold
The agricultural Frontier in Brazil: Illegal Acquisition of Land, Valorisation and rural Violence
Today´s agricultural expansion in Brazil transforms, year after year, huge tracks of Amazonian rainforest and cerrado in pasture and arable land. Beef and soybeans for national and international markets are booming sectors of national and transnational agribusiness in Brazil. Large landowners and enterprises, migrating peasants, Indian people, and "traditional" populations like rubber and nuts collectors are locked in a bitter and bloody fight for access to land. The article argues that the origins of the present-day rural conflicts, violence and illegal acquisition of public land can be traced back to the "conservative modernization" of Brazilian agriculture since the forties of the last century. Already in the past, the special Brazilian model of "primitive accumulation" dominated the agricultural frontiers in the South and Centre-West of Brazil. On the one hand, the monstrous concentration of private land and, on the other hand, the mass misery of mini-farmers are reproduced by the creation of modern latifundios in Amazonia. It is argued that social exclusion through private ownership of land which by no means can rationally be justified is not a solution, but the origin and permanent source of rural conflict and violence.

Christiane Gerstetter & Gregor Kaiser
Defending the Public Domain together?! Approaches to and Forms of Protesting against the Extension of Intellectual Property Rights on Plant Genetic Resources and Software
In this article, the authors trace parallels between different areas in which IPR are cur-rently in the process of being extended to what was before part of the public domain. The focus is on a particularly important form of IPR: patents. The issue areas compared are patents on plant genetic resources and software.
Firstly, two major current projects of extending patents are analysed, the negotiations of a Substantive Patent Law Treaty in the framework of the World Intellectual Property Organization (WIPO) and the (for the time being, failed) attempt to enact a software patent directive within the European Community. Secondly, parallels concerning the driving forces between the extension of patents in the different areas and their effects on the public domain are described. Special focus is put on the effects of stricter IPR protection on developing countries. The third and central part of the text is dedicated to strategies and approaches used by actors from the so called civil society in their struggle against the extension of IPR. Again, a comparative approach between the areas is taken. Major points of comparison are the main actors and their protest forms as well as goals in the respective areas.

Joscha Wullweber
Nanotechnology - the construction of a myth
Nanotechnology is widely accepted as the emerging future technology. This apparently marvellous technology becomes important for government technology policies in a lot of countries. A global nanotechnology race has started. However, nanotechnology represents more than a new technology. It is a myth that serves certain interests and strategies to reconstruct society. The governing of nanotechnology is in align with the reconstruction of a knowledge-based economy and fosters the creation of a competition state. Within this process the commodification of knowledge and nature is intensified with considerable impacts especially for the global south. The regulation of this process is conflict-ridden and characterised by contradictions. And governments have to win the "perception wars" to achieve acceptance for nanotechnology by the citizen.

Christian Zeller
Intellectual Property Monopolies and the Extraction of Rents in the global Economy of Dispossession
The emergence of a finance-dominated accumulation is accompanied by an extension of processes of commodification and procedures of dispossession similar to forms of original accumulation. This is an answer of capital to the problem of over-accumulation. As an expression of dispossessing accumulation, the implementation and extension of intellectual property monopolies is of particular importance. In the context of an increasing socialization of labor, in particular of innovative activities, the private appropriation of knowledge in the shape of intellectual property monopolies and its commercial valorization has become a strategic goal of firms. Income based on such property titles has developed into a central form of the appropriation of resources in the finance-dominated accumulation regime.
The article applies the Marxian rent theory to the intellectual property monopolies. Findings from the pharmaceutical and biotechnology industries reveal the growing importance of appropriation mechanisms of knowledge by firms and the contradictory effects of intellectual property monopolies. Based on specific power relations the owners of property titles can appropriate resources and values. Rent extraction processes take place on different scales: they reach from the enforcement of property monopolies over gene sequences up to the role of the USA as a rentier state on a global scale. Hence, the global configuration of this regime of intellectual property monopolies is highly hierarchical.

Miriam Heigl
Private is beautiful? Some Remarks on the Conflicts over Property Rights in the Mexican Energy Sector
The article aims at contributing to discussions about privatisation processes. It is argued from a perspective referring to Poulantzas that privatisation processes - contrary to the assumptions of property-rights-theory - should be considered as conflicts within society over the property rights for public goods and services. In order to analyse these conflicts and their outcome, it is important to recognize the efforts of different actor coalitions to influence institutional decision-making processes as well as the institutional configuration of the state apparatus and the ideological orientation of civil servants. The article focuses on the privatisation processes in the Mexican electricity and oil sector which have not yet been finished and therefore constitute a remarkable exception from the overall privatisation process that has taken place in Mexico from 1983 onwards. These exceptional cases are chosen in order to extend our understanding of the phenomenon of privatisation.

Martina Krause
Old Prejudices and New Thinking - Reproductive Health Programmes in Mexico
The study focuses on the new paradigma of reproductive health as introduced at the UN Conference on Population and Development 1994, how it is implemented at the regional level of the National Programs of Mexico. The author asks if the programs do bring more self determination and better health conditions for women.
Within the efforts of modernization the health ministry of Mexico used the constructions of gender and ethnicity to face cuts in public budgets by focusing on more self initiatives and communal resources. At the same time it insisted on the goal of reducing population growth especially of the indigenous population. The author contrasts the popular thesis of the incapability of "ethnic" and "modern" with case studies of the reproductive and health related behaviour of indigenous men and women. She refers to social aspects as the patterns of interethnic relationships and the cultural concepts of body and health.

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