Am 31. August erschien die September-Ausgabe der „Blätter“ mit Beiträgen von Ramin Jahanbegloo, Jean-Claude Paye, Heiko Flottau, Peter Bender, Frank Decker, Alexis Passadakis, Désirée Kleiner u.v.a.
Iranische Moderne: Ideen, deren Zeit gekommen ist Ramin JAHANBEGLOO im Gespräch
Im Schatten der außenpolitischen Eskalation um die iranischen Atompläne verschärft das Regime in Teheran derzeit seine Repressionspolitik nach innen. Ende April wurde mit Ramin Jahanbegloo der wohl renommierteste iranische Philosoph der jüngeren Generation verhaftet, er wird seither im berüchtigten Teheraner Foltergefängnis Evin festgehalten. Jahanbegloo, Anhänger Gandhis und des liberalen Vordenkers Isaiah Berlin, gab kurz vor seiner Verhaftung ein Interview, in dem er den großen Einfluss westlich-liberalen Denkens auf die iranische Zivilgesellschaft beschreibt und sich für einen "weichen Universalismus" der Menschenrechte und des Dialogs, aber vehement gegen militärische Interventionen ausspricht.
Heiko FLOTTAU Politik der Eskalation Hisbollah, Israel und das koloniale Erbe
Nach 32 Tagen Krieg im Libanon schweigen seit dem 14. August die Waffen. Doch niemand weiß, wie lange. Heiko Flottau, Politikwissenschaftler und langjähriger Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ im Nahen Osten, analysiert die historischen Hintergründe für die „Politik der Eskalation“ auf beiden Seiten. Er untersucht sowohl die Strategie der Hisbollah als auch die Reaktion Israels, die den Fundamentalisten neue Munition lieferte. Die einzige Lösung der Nahostkrise, so Flottau, und damit die eigentliche Garantie des Existenzrechts Israels ist die Existenzfähigkeit eines palästinensischen Staates.
Jean-Claude PAYE Ausnahmezustand in Permanenz: 9/11 als konstitutiver Akt
Der Schock des 11. September 2001 hat eine beispiellose Transformation des Straf- und Strafverfahrensrecht in Gang gesetzt. Auch in Deutschland wird nach den jüngst gescheiterten Terroranschlägen wieder vehement die Aufhebung der Trennung von Innen- und Außenpolitik, von Polizei und Militär gefordert. Jean-Claude Paye, Soziologe am Institut de Formation de Cadres pour le Développement in Brüssel, weist nach, wie durch Notstandsverfahren der Ausnahmezustand immer mehr zur Regel wird. Steht das „Ende des Rechtsstaates“ bevor?
Jürgen WAGNER Demokratischer Imperialismus US-Geopolitik zur Rekolonialisierung der Welt
Amerika sei nie ein Imperium gewesen und beabsichtige auch keines zu werden, versicherte unlängst US-Präsident George W. Bush. Dennoch bereitet sich Washington derzeit unter dem Deckmantel von „Stabilitätsexport“ und „Nation-Building“ auf die dauerhafte Besetzung und radikale Umgestaltung so genannter failed states vor. Jürgen Wagner, Mitarbeiter der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI), zeigt auf, wie der imperiale Kurs der Bush-Regierung dem Terrorismus in die Hände spielt.
Tim ENGARTNER Von der Bürgerbahn zur Börsenbahn
Bürgerbahn statt Börsenbahn, fordert seit geraumer Zeit ein Kreis engagierter Bahnexperten. Doch von Regierungsseite wird der Ruf nach Privatisierung des letzten deutschen Staatskonzerns immer lauter. Tim Engartner, Sozialwissenschaftler und Bahnexperte, weist nach, dass der Verzicht auf die Flächenbahn und der Ausbau des Hochpreissegments zu Lasten der Bürger, aber auch des Staatshaushalts geht. Doch Alternativen sind möglich: Der Schweizer Bundesbahn gelingt es seit Jahren, bürgernah zu sein und schwarze Zahlen zu schreiben.
Lydia KRÜGER und Benedict UGARTE CHÀCON Privatisierung nach Berliner Art
In der Bundesrepublik herrscht der „gesamtdeutsche Ausverkauf“ (Werner Rügemer). Auf allen Ebenen der Politik wird staatliches Eigentum veräußert – immer im Namen der Allgemeinheit, aber selten zu ihrem Nutzen. Die Sozialwissenschaftler Lydia Krüger und Benedict Ugarte Chacón untersuchen am Beispiel des Landes Berlin Anspruch und Wirklichkeit der Privatisierungspolitik. Ihre These: Trotz Haushaltsnotlage war diese Politik keineswegs alternativlos.
Frank DECKER Der verhöhnte Souverän: Wie die Hamburger CDU das Wahlrecht aushebelt
In Hamburg spielt sich derzeit ein Lehrstück in Sachen Demokratie ab. Gerungen wird um die Ausgestaltung von Wahlrecht und Volksentscheiden, bei denen das Volk laut Grundgesetz „die Staatsgewalt ausübt“. Frank Decker, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bonn, zeigt auf, wie der CDU-Senat das Recht des Souveräns systematisch aushöhlt. Die von den Wählern beschlossene Reform des Wahlrechts ist nun bereits der dritte Volksentscheid, der von der Union für ungültig erklärt wird – notfalls auch im Alleingang durch ihre absolute Mehrheit in der Hamburger Bürgerschaft.
Außerdem:
Marc Brandstetter skizziert vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern „Die vier Säulen der NPD“ Gideon Botsch und Christoph Kopke kritisieren die „akzeptierende Jugendarbeit“ mit Rechtsextremen Alexis Passadakis erkennt angesichts des Scheiterns der WTO-Verhandlungen eine „neue Geographie des Welthandels“ Peter Bosshard untersucht die Anti-Korruptionskampagne der Weltbank Désirée Kleiner kritisiert die dürftigen Ergebnisse des euro-afrikanischen Gipfels zu „Migration und Entwicklung“ Mathias Wagner skizziert „Polens neue Armut“ seit der Wende Anja Franke analysiert die Lage in der Ukraine nach Bildung der „Kohabitations“-Regierung Siegfried Knittel sieht angesichts der jüngsten Raketentests in Nordkorea „Die Stunde des Militärs“ gekommen Peter Bender macht sich Gedanken über den Hamburger "Zeit"-Geist *
Zudem dokumentieren wir in deutscher Übersetzung, neben wichtigen Resolutionen und Standpunkten zum Libanonkrieg, den Aufruf zur Freilassung Ramin Jahanbegloos an den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, den über 400 renommierte Intellektuelle unterzeichnet haben, von Kwame Anthony Appiah über Jürgen Habermas bis Slavoj Zizek.
SONDEREDITION: DER SOUND DES SACHZWANGS - DER GLOBALISIERUNGS-READER
Mit Beiträgen von Elmar Altvater, Noam Chomsky, Mike Davis, Erhard Eppler, Johan Galtung, Jürgen Habermas, Samuel P. Huntington, Naomi Klein, Birgit Mahnkopf, Saskia Sassen u.a., 272 Seiten.
Kein Thema ist in den letzten Jahren so heiß umkämpft wie das der Globalisierung. Und es ist eine Auseinandersetzung ums Ganze: Wohin führt die Globalisierung, wie kann sie gesteuert werden? Brauchen wir „mehr Markt“ oder eine Re-Regulierung der Weltwirtschaft? Wie kann ökonomische Entwicklung gestaltet, ökologische Nachhaltigkeit gewährleistet werden? Und, vor allem, was ist politisch geboten: Empire oder Global Governance? Davos oder Porto Alegre?
Der Reader widmet sich sowohl der theoretischen Analyse der Globalisierung als auch der praktischen Suche nach Alternativen. Dabei wird der realgeschichtlichen Entwicklung keineswegs eine Art „Naturwüchsigkeit“ unterstellt. Im Gegensatz zum herrschenden Mantra insistieren die hier vertretenen Autoren auf dem eminent politischen Charakter der Globalisierung. Die Politik der Globalisierung ist niemals bloßer Vollzug vermeintlicher „Sachzwänge“, sondern immer Ausdruck gewollter Entscheidungen – für und gegen bestimmte Konzepte. Bereits das gängige Diktum von der Alternativlosigkeit erweist sich als politische Waffe, die gegen die Suche nach möglichen Alternativen zum Neoliberalismus in Stellung gebracht wird. Alle hier präsentierten Beiträge stammen aus den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ und bilanzieren die Debatte der letzten Jahre.
Sie können den Reader in jeder Buchhandlung oder direkt bei der Blätter Verlagsgesellschaft bestellen.
# September-Ausgabe: http://www.blaetter.de/bestellung.php?poi=3&heft=09/20062006
# Abobestellung http://www.blaetter.de/aktion.php
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# Globalisierungs-Reader: Der Sound des Sachzwangs http://www.blaetter.de/globalisierung.php
Inhalt der September-Blätter
KOMMENTARE UND BERICHTE
Die vier Säulen der NPD von Marc Brandstetter S. 1029
Betreuter Rechtsextremismus von Gideon Botsch und Christoph Kopke S. 1032
Die neue Geographie des Welthandels von Alexis Passadakis S. 1035
Weltbank und Korruption von Peter Bosshard S. 1039
Kanarischer Küstenschutz von Désirée Kleiner S. 1042
Polens neue Armut von Mathias Wagner S. 1045
Kohabitation in Kiew von Anja Franke S. 1049
Nordkorea: Die Stunde des Militärs von Siegfried Knittel S. 1053
MEDIENKRITIK
Hamburger „Zeit“-Geist von Peter Bender S. 1057
KOLUMNE
Wahlen als Wirtschaftszweig von William Pfaff S. 1058
ANALYSEN UND ALTERNATIVEN
Iranische Moderne: Ideen, deren Zeit gekommen ist Ramin Jahanbegloo im Gespräch S. 1061
Die Politik der Eskalation Hisbollah, Israel und das koloniale Erbe von Heiko Flottau S. 1079
Ausnahmezustand in Permanenz: 9/11 als konstitutiver Akt von Jean-Claude Paye S. 1089
Demokratischer Imperialismus US-Geopolitik zur Rekolonialisierung der Welt von Jürgen Wagner S. 1097
Der verhöhnte Souverän Wie die Hamburger CDU das Wahlrecht aushebelt von Frank Decker S. 1105
Privatisierung nach Berliner Art von Lydia Krüger und B. Ugarte Chacón S. 1113
Von der Bürger-Bahn zur Börsen-Bahn von Tim Engartner S. 1121
WIRTSCHAFTSINFORMATION
Pkw-Steuern in Europa von Margit Schratzenstaller S. 1131
UMWELTINFORMATION Risiko Nanotechnologie von Hiltrud Breyer S. 1134
DOKUMENTE ZUM ZEITGESCHEHEN
Für die Freilassung Ramin Jahanbegloos Offener Brief an den Präsidenten der islamischen Republik Iran und den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes S. 1137
Labile Ruhe im Libanon Abschlussresolution „Naher Osten“ des G8-Gipfels in St. Petersburg vom 16. Juli 2006
Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats vom 11. August 2006
Rede des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert vor der Knesset vom 17. Juli 2006
Erklärung zum Krieg im Libanon von Tariq Ali, Noam Chomsky u.a. vom 3. August 2006
„Die Vereinten Nationen stehen vor einem Moment der Wahrheit“ Kofi Annans Plädoyer für eine grundlegende UN-Reform vom 18. Juni 2006 S. 1147
CHRONIK Chronik des Monates Juli 2006
Mit freundlichen Grüßen Ihre Blätter-Redaktion