Berliner Debatte Initial 18 (2007), 3

Titel der Ausgabe 
Berliner Debatte Initial 18 (2007), 3
Weiterer Titel 
Erinnerungen an Gewalt

Erschienen
Berlin 2007: Selbstverlag
Erscheint 
6 Ausgaben jährlich
ISBN
978-3-936382-52-5
Anzahl Seiten
112
Preis
10

 

Kontakt

Institution
Berliner Debatte Initial. Sozial- und geisteswissenschaftliches Journal
Land
Deutschland
c/o
Berliner Debatte Initial, PF 580254, 10412 Berlin, Tel.: (+49-331) 977 4540, Fax: (+49-331) 977 4696, E-Mail: redaktion@berlinerdebatte.de; Redaktion: Ulrich Busch, Erhard Crome, Wolf-Dietrich Junghanns, Raj Kollmorgen, Thomas Möbius, Thomas Müller (verantwortlicher Redakteur), Gregor Ritschel, Robert Stock, Matthias Weinhold, Johanna Wischner. Redaktionelle Mitarbeit: Adrian Klein, Benjamin Sonntag.
Von
Müller, Thomas

Europa ist nicht arm an Erinnerungskulturen. Die postsozialistische Gesellschaftsentwicklung hat dieses Phänomen noch verstärkt, denn die Nationalstaatsbildung nach dem Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens brachte enormen Schwung in die Re-Konstruktion nationaler Erzählungen. Die (Wieder-)Entdeckungen und (Gegen-)Erinnerungen an Gewalt und Vertreibung produzieren dabei neue Trennlinien, Brüche und Verbindungen, schaffen neue Gedenkpraxen und politische Ansprüche. Oft wird erst ausgehandelt, welche Formen der Erinnerung überhaupt in Frage kommen, je nachdem, ob große Bevölkerungsgruppen integriert werden sollen oder ob eine lokale Rekonstruktion mit einem neuen Deutungsmuster im Vordergrund steht. Der in diesem Heft beginnende Themenschwerpunkt versammelt Aufsätze zu verschiedenen Facetten der Vielfalt dieser neuen Erinnerungsformen in postsozialistischen Gesellschaften. Zwei weitere, für die Diskussion unverzichtbare Aufsätze werden in Heft 4 erscheinen. Alle Beiträge sind „Nahaufnahmen“ der ethnologischen Feldforschung, die Einsichten in die Technik, Inszenierung und strategische Umsetzung des Erinnerns vermitteln. Den Autoren geht es primär darum, wie eine traumatische Vergangenheit im Alltag verankert werden kann und wie (nicht was) erinnert bzw. vergessen wird. Die ethnologische Perspektive ermöglicht es, die mnemotechnischen Praktiken „von unten“ zu erfassen, die Mikropolitiken kollektiver Gedächtnisbildung aufzudecken, wie im Interview mit Wolfgang Kaschuba erörtert. Wie eine schwierige Vergangenheit selektiv zum Ausdruck gebracht und für die politische Zukunft eines Staates eingesetzt wird, thematisiert Tsypylma Darieva, während Stephan Feuchtwang zeigt, wie selektive Erinnerung die vielfach durch den Holocaust gebrochenen jüdische Familiengeschichten zu einem neuen Kontinuum zusammenbindet. Zentral für postsozialistische Erfahrung ist die Verschiebung einst privater Erinnerungen in die Öffentlichkeit. Wie Verluste und Traumata durch die öffentliche Darstellung verarbeitet werden können, veranschaulicht der Beitrag von Elza-Bair Guchinova. Michaela Schäuble zeigt, wie Erinnerungen an Gewalt durch den Körper zum Ausdruck gebracht werden, welche Funktionen die dramatisierende Inszenierung von Kriegstraumata hat. Schließlich dienen gemeinsame Erinnerungen der Bildung sozialer Netzwerke und der Stabilisierung von Identitäten, wie bei Christiane Falge nachzulesen ist, die die Narrative der Nuer im postsozialistischen Äthiopien untersucht. Alle Beiträge des Schwerpunkts zeigen, wie durch die Rekonstruktion von Erinnerung öffentliche Orte modifiziert werden, wie weit Privates in diese hineinreicht, und welche Spannungen zwischen dem offiziellen Kanon einer Gedächtniskultur und den informellen Praktiken des Erinnerns existieren. Dabei scheinen sich die Aneignungsweisen der Erinnerung an die gewaltsamen Konflikte der jüngeren Vergangenheit zu beschleunigen, was für die Zukunft auf Veränderungen in Darstellung und Vermittlung von Traumata schließen läßt.

Inhaltsverzeichnis

Erinnerungen an Gewalt
Zusammengestellt von Tsypylma Darieva und Ingrid Oswald

Editorial (S. 2)

Wolfgang Kaschuba im Interview mit Tsypylma Darieva und Ingrid Oswald: Ethnologie und Gewalt: Erinnern und Vergessen (S. 3-9)

Tsypylma Darieva: Vom Lokalen zum Globalen. Zur postsozialistischen Transformation armenischer Erinnerungspraktiken (S. 10-23)

Michaela Schäuble: Spiel mit dem Terror? Reflexionen über die Gewaltinszenierung eines ehemaligen kroatischen Kampfsoldaten (S. 24-35)

Stephan Feuchtwang: „Wohin gehören wir?“ Jüdisch-gemischte Verwandtschaft und die Brüche im Europa des 20. Jahrhunderts (S. 36-47)

Elza-Bair Guchinova: Die Deportation der Kalmücken unter Stalin. Vergessenes und Erinnertes in Schüleraufsätzen (S. 48-57)

Christiane Falge: Krieg, Vertreibung und Transnationalisierung. Erinnerungen und Identitätskonstruktionen bei den äthiopischen Nuer (S. 58-68)

Weitere Beiträge:

Thomas Rid: Der degradierte General. Clausewitz und zivil-militärische Beziehungen in den USA (S. 69-78)

Cornelia Heintze: Der Staat als Arbeitgeber im skandinavisch-deutschen Vergleich. Empirische Befunde und theoretische Anmerkungen (S. 79-94)

Oliver Nachtwey: Gerechtigkeitsprobleme der Marktsozialdemokratie. Zur Debatte um ein neues Grundsatzprogramm der SPD (S. 95-106)

Rezensionen und Besprechungen:

Robert Chr. van Ooyen: Politik und Verfassung. Beiträge zu einer politikwissenschaftlichen Verfassungslehre. Rezensiert von Steven Schäller (S. 107-109)

Rudolf Stichweh: Inklusion und Exklusion. Studien zur Gesellschaftstheorie. Rezensiert von Jörg Nicht (S. 110-112)

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