Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 59 (2008), 5-6

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 59 (2008), 5-6
Weiterer Titel 
Olympische Spiele

Erschienen
Erscheint 
monatlich

 

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Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Sauer, Michael

Editorial von Joachim Rohlfes

Es gibt ein Ideal-, ein Traumbild Olympischer Spiele: die Sportjugend der Welt, zusammengekommen zu ehrlichem, fairem Wettkampf, in der täglichen Begegnung im kosmopolitischen Olympischen Dorf; ein Gastgeberland, das sich von seiner charmantesten, weltoffensten, gastlichsten Seite zeigt; ein internationales Publikum, das das Flair des Völkergemischs genießt und die Gelegenheit zum Austausch mit den unterschiedlichsten Menschen zu schätzen weiß; und nicht zuletzt die Feststimmung, die über allem liegt und die in der Eröffnungsfeier und den Siegerehrungen wie in den mancherlei kulturellen und folkloristischen Rahmenveranstaltungen zum Erlebnis wird. Wohl für jeden Sportler zählt die Olympia-Teilnahme zu den absoluten Höhepunkten seiner Karriere, und auch die meisten Besucher erinnern sich Zeit ihres Lebens besonders gern an das Ereignis „Olympia“. Oft gilt dies auch für die nach Milliarden zählenden Fernsehzuschauer in aller Welt, die als engagierte „Fans“, Liebhaber sportlicher Höchstleistungen oder für die bunte Vielfalt unserer Welt aufgeschlossene Zeitgenossen zu Zeugen des Geschehens wurden.
Es gibt aber auch ein anderes Gesicht der Olympischen Spiele: ihre hemmungslose kommerzielle Verwertung von den oft unsäglichen Souvenirs bis zu den ausgiebigen Werbeeinlagen in der Berichterstattung; die Dopingskandale, die das Vertrauen in die Ehrlichkeit des Sports untergraben; die chauvinistischen Auswüchse nationaler Rivalitäten; die Indienstnahme des Sportfestes für die politische Propaganda, wie sie insbesondere von autokratischen Regimen betrieben wird; und ganz besonders die Verquickung der Spiele mit politischen Animositäten und Feindbildern, bis hin zu Boykotten, die das Veranstalterland desavouieren sollen.
Genau dies erleben wir wieder im Vorfeld der Sommerspiele von Peking 2008. Das rigorose Vergehen der chinesischen Staatsmacht gegen tibetische Aufständische hat eine lebhafte Diskussion über einen Boykott ausgelöst. Auch wenn dessen Befürworter in einer deutlichen Minderheit sind, ist ein enormer Prestigeverlust für die Pekinger Führung nicht mehr abzuwenden. Strahlende Spiele sind kaum noch zu erwarten.
Diese Verschränkung von (internationaler) Politik und Sport ist nicht eine Erscheinung nur unserer Tage. Man begegnet ihr bereits in der griechischen Antike genau so wie in der Neuzeit. Die Spiele von 1936 sind dafür ein eklatantes Beispiel, aber beileibe nicht das einzige.
Deutschland, nach beiden Weltkriegen international geächtet, sah sich von den Spielen 1920, 1924 und 1948 ausgeschlossen. Wegen der Afghanistan-Invasion der UdSSR 1979 blieben viele westliche Staaten den Moskauer Spielen von 1980 fern, und der Ostblock revanchierte
sich 1984 mit dem Boykott von Los Angeles. 364 v. Chr. kam es während der Wettkämpfe direkt am Ort des Geschehens zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Eleiern und Arkadiern, die sich um das Recht der Schirmherrschaft stritten. Und 1936 war es jedem halbwegs sensiblen Beobachter klar, dass die Nazis der Weltöffentlichkeit das schöne Bild eines toleranten NS-Staates vorgaukelten, das so gar nicht der Wirklichkeit entsprach.
Aber neben solchen fatalen, die „olympische Idee“ konterkarierenden Erscheinungen gab es auch gegenläufige, Hoffnung machende Momente. Im antiken Hellas gelang es, inmitten aller fast nie abreißenden kriegerischen Konflikte, stets erneut, den persönlichen Schutz für die Sportler und Zuschauer während der Wettkämpfe sowie der An- und Abreise und die Einhaltung der im „Olympischen Eid“ gelobten Wettkampfregeln zu gewährleisten. Das Erlebnis panhellenischer Gemeinsamkeit vermochte regelmäßig die vielen sonstigen Animositäten und Konflikte zwischen den Poleis zu überstrahlen. Und auch 1936 kam ungeachtet aller Propaganda immer wieder die „originäre Faszinationskraft des Sports“ (S. 292) zu ihrem Recht, und der Völkerfriede war momentane Realität und auch Verheißung.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt der Ausgabe

ABSTRACTS (S. 274)

EDITORIAL (S. 275)

BEITRÄGE
Uwe Walter
Friedensfest oder Krieg ohne Schießen?
Die Olympischen Spiele in der griechischen Antike (S. 276)

Ewald Grothe
Die Olympischen Spiele von 1936 – Höhepunkt der NS-Propaganda? (S. 291)

Robert Jütte
Zur Geschichte des Dopings (S. 308)

Raimund Schulz
Das neue Bild der Spätantike als Epoche der europäischen Geschichte (S. 323)

INFORMATIONEN NEUE MEDIEN
Gregor Horstkemper/Alessandra Sorbello Staub
„Citius, altius, fortius“ oder Lorbeeren und Oliven wachsen nicht nur am Mittelmeer: Olympiaden virtuell (S. 336)

LITERATURBERICHT
Eduard Mühle
Ostmitteleuropa, Teil IV (S. 338)

NACHRICHTEN (S. 357)

AUS DEM VERBAND DER GESCHICHTSLEHRER
Veranstaltungen des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands auf dem 47. Deutschen Historikertag (Dresden 30.9.–3.10.2008) (S. 365)

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Abstracts

Uwe Walter
Friedensfest oder Krieg ohne Schießen?
Die Olympischen Spiele in der griechischen Antike
GWU 59, 2008, H. 5/6, S. 276–290
Das Fest und die athletischen Wettkämpfe im Zeusheiligtum von Olympia, ein Leitfossil der antiken griechischen Kultur, bieten auch im Zeichen des Posthumanismus Anlass zur historischen Reflexion von Grundlagen menschlichen Zusammenlebens. Die Olympischen Spiele fanden im archaischen und klassischen Griechenland in einer von struktureller Friedlosigkeit der zwischenstaatlichen Beziehungen geprägten Umwelt statt und waren einmal – im Jahr 364 v. Chr. – sogar Kriegsschauplatz. Doch die im Regelwerk verankerte Gleichheit und Vereinzelung der Athleten waren der außergewöhnlich zugespitzte Ausdruck eines agonalen Prinzips, welches das Denken und Handelns der Hellenen insgesamt stark prägte. Es begünstigte kreative Leistungen, machte aber auch immer wieder Vereinbarungen und Vorschriften erforderlich, um die soziale Sphäre zu stabilisieren.

Ewald Grothe
Die Olympischen Spiele von 1936 – Höhepunkt der NS-Propaganda?
GWU 59, 2008, H. 5/6, S. 291–307
Die Meinungen über die Olympischen Spiele von 1936 gehen weit auseinander. Dabei bewegen sich die Ansichten zwischen heller Begeisterung für das bis dahin größte Sportspektakel der Neuzeit und dem Vorwurf eines für politische Zwecke missbrauchten Sportereignisses. Nachfolgend werden Organisation, Werbemaßnahmen und Medienlenkung sowie Inszenierung und Ästhetisierung der Spiele untersucht. Es wird die Wirkung der Propaganda im In- und Ausland und deren Rolle im Rahmen der NS-Politik erörtert sowie ihre Bedeutung für das Regime gewürdigt. Es zeigt sich, dass die Propaganda zwar mit einem hohen Aufwand betrieben wurde, aber ihre tatsächliche Wirkung begrenzt blieb.

Robert Jütte
Zur Geschichte des Dopings
GWU 59, 2008, H. 5/6, S. 308–323
Die heutige Wortbedeutung von Doping im Sinne von ,betrügerischer Leistungssteigerung‘ entstand Ende des 19. Jahrhunderts in den USA im Kontext mit Manipulationen beim Pferderennen. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurde ,Doping‘ zum festen Bestandteil des deutschen Wortschatzes. Allerdings erlangte der aus dem Englischen übernommene Begriff erst seit den 1950er Jahren einen allgemeinen Bekanntheitsgrad, als die ersten Dopingfälle die noch junge Bundesrepublik erschütterten. Trotz aller Versuche fehlt es bis heute an einer klaren und umfassenden Definition des Dopings, da dauernd
neue leistungssteigernde Methoden und Substanzen entwickelt werden und soziale Normen (nicht nur im Leistungssport) sich wandeln können.

Raimund Schulz
Das neue Bild der Spätantike als Epoche der europäischen Geschichte
GWU 59, 2008, H. 5-6, S. 324–336
Die jüngere Forschung hat ein differenziertes und vielfach neues Bild der Spätantike gezeichnet. Der Aufsatz präsentiert kritisch die wesentlichen Entwicklungsfaktoren, die der neuen Einschätzung zugrunde liegen und die Epoche geprägt haben. Das spätantike Imperium erscheint als ein Reich, das angesichts massiver äußerer Bedrohungen mit begrenzten Mitteln die vorhandenen Kräfte zu bündeln und die Belastungen auf alle Reichsbewohner zu verteilen suchte. Von einer generellen Krise der Wirtschaft und des Städtewesens kann dabei ebenso wenig die Rede sein wie von einer ununterbrochenen Abfolge militärischer Niederlagen. Die Kaiser des Westens überließen vielmehr germanischen Führern hohe Feldherrnstellen sowie Siedlungsland und damit sukzessive auch die Macht im Reich, während der Osten stabil blieb und wirtschaftlich erblühte.

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