Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58 (2010), 1

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58 (2010), 1
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2010: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Preis
Jahresabo: 66 €, Stud.abo: 38 € Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 52,80 €, Online-Zugang: 66 €, Print- und Online-Abo 66 €

 

Kontakt

Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Jaroschka, Gabriele

Liebe Listenmitglieder,

Influenzapandemien erschüttern in regelmäßigen Abständen die Welt. Die tödlichste ist bislang die "Spanische Grippe", der 1918/19 zwischen 25 und 39 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Eckard Michels setzt sich im neuesten Heft der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte mit Verlauf, Folgen und Deutungen der Seuche in Deutschland im Kontext des Ersten Weltkriegs auseinander und kommt dabei zu überraschenden Ergebnissen.

Ihr Oldenbourg Wissenschaftsverlag

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

Aufsätze

Eckard Michels, Die „Spanische Grippe“ 1918/19. Verlauf, Folgen und Deutungen in Deutschland im Kontext des Ersten Weltkriegs

Die Influenza-Pandemie von 1918/19, auch als Spanische Grippe bekannt, forderte im Deutschen Reich mit etwa 320 000 bis 350 000 Toten mehr Opfer als aller anderen Epidemien der letzten 150 Jahre. Gleichwohl ist dieses Ereignis bislang vornehmlich unter lokal- oder regionalgeschichtlichen Gesichtspunkten und zudem nur als Phänomen der Zivilgesellschaft, nicht auch des Militärs, erforscht worden. Die Auswertung sowohl ziviler wie militärischer Quellen erlaubt es, ein umfassenderes Bild über den Verlauf und die Folgen der spanischen Grippe in Deutschland auf nationaler Ebene zu erhalten. Es wird deutlich, dass die Grippe trotz ihrer außergewöhnlichen Virulenz im Sommer und Herbst 1918 im Vergleich zum sich abzeichnenden Zusammenbruch des Kaiserreichs nur wenig Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wie auch bei den militärischen und zivilen Behörden erfuhr. Der Aufsatz zeigt ferner durch eine international vergleichende Perspektive, dass die Kriegsumstände des Jahres 1918 nicht etwa, wie damals vielfach behauptet und z. T. in die spätere Historiographie übernommen, einen wesentlich schwereren Verlauf der Grippe in Deutschland als in anderen kriegführenden oder neutralen Ländern bewirkte. Vielmehr gibt es Indikatoren, die darauf hinweisen, dass durch den Kriegszustand die Grippe in Deutschland sogar weniger Opfer gefordert hat als wäre sie in Friedenszeiten in einer prosperierenden, international vernetzten Gesellschaft ausgebrochen.

Eckard Michels, The Spanish Flu 1918/19. Course, Consequences and Interpretations in Germany in the Context of the First World War

Responsible for approximately 320 000 to 350 000 deaths, the Influenza Pandemic of 1918/19, also known as the Spanish Flu, claimed more victims in Germany than any other epidemic of the last 150 years. However so far, the event has been researched mostly from a local perspective, and only as a phenomenon of the home front while neglecting the military and its medical statistics. An analysis of both civil and military sources establishes a much more complete picture of the course and consequences of this pandemic on a national scale. It becomes obvious that compared to the looming collapse of Imperial Germany and despite its virulence in the summer and autumn of 1918, the epidemic attracted relatively little attention in public or from the military and civil authorities. An international and comparative perspective reveals that the war situation of 1918 did not result in a more severe course of the epidemic in Germany than in other belligerent or neutral countries, as many contemporaries believed at the time (and some historians have claimed since). On the contrary, there are clear indicators that the state of war in 1918 led to fewer losses of life in Germany than if the Spanish Flu had hit a prosperous and internationally integrated society during peacetime.

Rainer Behring, Normalisierung auf Umwegen. Polen in den politischen Konzeptionen Willy Brandts 1939–1966

Die Rolle Polens in Willy Brandts politischen Konzeptionen hat jenseits des Warschauer Vertrags und des Kniefalls vor dem Mahnmal im Warschauer Ghetto 1970 bislang keine Aufmerksamkeit in der zeitgeschichtlichen Forschung gefunden. Der Aufsatz versucht, Brandts einschlägige Überlegungen bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein erstmals systematisch zu erfassen und zu analysieren. Dabei läßt sich seine Haltung zu Polen über weite Strecken nur indirekt erschließen, da ein dezidiertes Interesse Brandts an dem Land und seiner Bevölkerung nicht zu erkennen ist. Vielmehr stand als Konsequenz seiner linkssozialistisch-revolutionären Prägung eine idealisierte Sowjetunion bis in die zweite Hälfte der vierziger Jahre für Brandt im Zentrum aller Überlegungen zur internationalen Politik; eine Bedrohung der Freiheit Polens durch die sowjetische Neuordnung Ostmitteleuropas vermochte er lange nicht zu erkennen. Erst nach dem kommunistischen Putsch in Prag Anfang 1948 bekannte sich Brandt als Gegner der totalitären Regime in Moskau und Warschau. Gleichwohl zweifelte er nicht an der Notwendigkeit, auch mit diesen Regierungen in Dialog zu treten, um über Grenzfragen, Wege zur Zusammenarbeit und über Polens Rolle in Europa zu verhandeln. Doch läßt sich trotz frühzeitiger Appelle zur Versöhnung und zur Aktivierung der Ostpolitik weder eine schlüssige langfristige Konzeption Brandts noch ein direkter Weg zu einer Normalisierungspolitik gegenüber Polen ausmachen. Der Warschauer Vertrag folgte eher Imperativen der internationalen Politik als spezifischen Anstößen Willy Brandts.

Rainer Behring, Circuitous Normalisation. Poland in Willy Brandt's Political Conceptions, 1939-1966

Except for the Warsaw Treaty and his kneeling down in front of the Warsaw Ghetto Monument in 1970, the role of Poland in Willy Brandt's political conceptions has hitherto not been considered by historical research. For the first time, this article tries to systematically collect and analyse Brandt's thoughts on the matter up to the 1960s. In many places it is only possible to unlock his attitude to Poland indirectly, as Brandt did not exhibit a decided interest in Poland and its people. Rather, his left-wing socialist-revolutionary imprinting placed an idealised Soviet Union at the centre of his thinking on international policy until the second half of the 1940s; for a long time, he was not able to perceive any danger to Poland's liberty from the Soviet reorganisation of Eastern Central Europe. Only after the Communist coup in Prague in early 1948 did Brandt openly declare himself an opponent of the totalitarian regimes in Moscow and Warsaw. However, he did not doubt the necessity of also opening up dialogue with these governments to negotiate border questions, forms of cooperation and Poland's role in Europe. Despite his early appeals for reconciliation and an activation of Eastern policy, neither a coherent long-term conception nor a direct route to a policy of normalisation towards Poland by Brandt can be perceived. The Warsaw Treaty followed the imperatives of international policy rather than specific impulses from Brandt.

Gerhard Neumeier, „Rückkehrer“ in die DDR. Das Beispiel des Bezirks Suhl 1961 bis 1972

In dem Artikel geht es um jene Menschen, die den Bezirk Suhl in der DDR nach dem Mauerbau illegal“ in die Bundesrepublik verließen, um dann wieder in die DDR zurückzukehren. Es waren vor allem junge Arbeiter, die hauptsächlich aus ökonomischen und beruflichen Gründen, aber auch wegen mangelnder Freiheitsrechte die DDR unter Lebensgefahr verließen. Die Männer stammten weit überdurchschnittlich häufig aus dem 5-km-Sperrgebiet der DDR, ein Hinweis darauf, dass sie, die die Verhältnisse dort gut kannten, ihre Chance auf Freiheit wahrnehmen wollten. In der Bundesrepublik konnten sie beruflich und ökonomisch schnell Fuß fassen, litten aber sehr unter der Trennung von ihren Familien und scheiterten an der sozialen Integration. Die Ursachen für die riskante Rückkehr sind vielschichtig, lagen aber vor allem an der insgesamt misslungenen Integration in die BRD. Bei den Verhören durch die Staatssicherheit im Bezirksaufnahmeheim Schmalkalden zeigten sich die Rückkehrer“ meist kooperativ; sie berichteten in der Regel alles, was sie dem Bundesnachrichtendienst im Not-aufnahmelager Gießen über die DDR erzählt hatten. Trotzdem wurden sie mehrheitlich zu einigen Jahren Haft verurteilt. Eine Minderheit von ihnen entging dieser harten Strafe durch eine zukünftige Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit.

Gerhard Neumeier, Returnees to the GDR 1961 to 1972. Migration under Secret Service Supervision

The article covers those persons who “illegally” left the Suhl District in the GDR for the Federal Republic after the construction of the Berlin Wall but then returned back to the GDR. They were mostly young workers who left the GDR under life-threatening conditions for economic and job-related reasons, but also due to insufficient freedoms. In many cases the men came from the 5-km off-limits border zone of the GDR, which indicates that they knew the conditions there well and wanted to take their chances to achieve freedom. In the Federal Republic, they were quickly able to gain ground professionally and economically, but suffered because of the separation from their families and failed to integrate socially. The reasons for their risky return were complex, but were mostly founded in their – on the whole – unsuccessful integration into the Federal Republic. During the interrogations by State Security in the District Reception Centre at Schmalkalden, the “returnees” were mostly cooperative; they generally reported everything they had said about the GDR to the Federal Intelligence Service in the Emergency Reception Centre at Gießen. Even so, most of them were sentenced to some years in prison. A minority escaped this harsh punishment by signing up for future service as unofficial Stasi informants.

Othmar Plöckinger, Frühe biografische Texte zu Hitler. Zur Bewertung der autobiografischen Teile in „Mein Kampf“

Die Darstellung von Hitlers Biografie wurde und wird stark von seinem Buch „Mein Kampf“ bestimmt. Frühe biografische Texte über Hitler zeigen jedoch, dass alle wesentlichen Aspekte seiner Vita bereits vor dem Erscheinen von „Mein Kampf“ in der Öffentlichkeit bekannt waren und ihre legendenhafte Ausgestaltung zuweilen weit über Hitlers spätere Selbstinszenierung hinausging. Tatsächlich präsentierte Hitler in seinem Buch den Zeitgenossen kaum Neues über seinen Werdegang und schuf damit keineswegs eine Biografie im üblichen Sinn, sondern er griff lediglich bereits Bekanntes auf, um es neu zu gewichten und durch die beständige Einbettung in politische Betrachtungen einem ideologischen Ziel unterzuordnen, also sein Leben als idealtypisch im nationalsozialistischen Sinn zu präsentieren. Der Verzicht selbst auf Details, die bereits in der Öffentlich bekannt waren, und die Eliminierung von biografischen Bruchstellen und Widersprüchen waren daher nur konsequent, ging es ihm doch ganz bewusst nicht um die Darstellung eines bisher unbekannten, sondern eines idealen nationalsozialistischen Kämpfers.

Othmar Plöckinger, Early Biographical Texts about Hitler. On the Assessment of the Autobiographical Parts of “Mein Kampf”

The depiction of Hitler's biography was and is substantially influenced by his book “Mein Kampf” [My Struggle]. However early biographical texts about Hitler show that all essential aspects of his life were already known in public before the publication of “Mein Kampf” and that their legendary embellishment sometimes exceeded Hitler's later self-promotion by far. In fact Hitler presented little new about his background to his contemporaries in his book and thus did not create a biography in the usual sense, instead taking up already known information while shifting emphasis and subordinating it to an ideological goal by continuously embedding his life in political reflections; thus he presented his life as an archetype in the National Socialist sense. Even forgoing details already widely known in public and eliminating biographical breaks and contradictions was consistent in this context, as he was consciously aiming at the description not of an unknown, but rather of an ideal National Socialist fighter.

Veronika Heyde, Amerika und die Neuordnung Europas vor dem Marshallplan (1940–1944)

Als die USA nach dem Zweiten Weltkrieg den Ländern Westeuropas mit dem Marshallplan zu wirtschaftlichem Wiederaufbau verhalfen, verlangten sie, dass die europäischen Regierungen bei der Verteilung der Mittel supranational zusammenarbeiten sollten. Damit trugen die USA zu ihrer engeren politischen Kooperation bei. Schon ab 1940 waren in der amerikanischen Regierung vielfältige Überlegungen über die Neuordnung der Welt und insbesondere Europas nach dem Krieg angestellt worden. In drei Studienkomitees, eingesetzt von Franklin D. Roosevelt, berieten hochkarätige Experten, ob Europa als Zollunion, als Staatenbund oder als Bundesstaat aufgebaut werden sollte. Der Aufsatz untersucht, welche Debatten die amerikanischen Experten führten, bevor sie 1944 ihren Abschlussbericht verfassten. Ihre Schlussfolgerung skizzierte mitnichten den Weg, den die USA nach dem Krieg tatsächlich einschlugen. Im Gegenteil: sie lautete, dass Amerikas Handels- und Sicherheitsinteressen von einem geeinten Europa beeinträchtigt werden würden und dass daher eine nationalstaatliche Organisation Europas vorteilhafter sei. Erst nachdem Harry S. Truman die Präsidentschaft übernommen hatte und der Expansionswille der Sowjetunion überdeutlich geworden war, änderte sich die amerikanische Einschätzung. Die Organisation eines geeinten Europas erhielt nun strategische Bedeutung.

Veronika Heyde, America and the Reorganisation of Europe before the Marshall Plan (1940–1994)

When the USA helped the countries of Western Europe rebuild economically with the Marshall Plan after the Second World War, they demanded that the European governments cooperate super-nationally in the distribution of the funds. Thus the USA contributed towards closer political cooperation. Already in 1940, the American government had engaged in manifold deliberations about the post-War reorganisation of the world in general and Europe in particular. Top-class experts in three study committees appointed by Franklin D. Roosevelt debated whether Europe should be rebuilt as a customs union, a confederation or a federal state. The article investigates what debates the American experts engaged in before they wrote their final report in 1944. Their conclusions were by no means the blueprint for the course the United States actually followed after the War. On the contrary: they surmised that American trade and security interests would be compromised by a united Europe and that consequently the organisation of Europe as nation states would be more advantageous. Only after Harry S. Truman had taken over the Presidency and the expansion drive of the Soviet Union had become conspicuous did the American assessment change. Now, the organisation of a united Europe gained strategic importance.

Matthias Steinbach und Uwe Dathe, Ein deutscher Tory zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik. Der Nachlass Clemens von Delbrücks (1856–1921)

Im Beitrag wird der kürzlich entdeckte und in der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek verwahrte Nachlass Clemens von Delbrücks (1856–1921) vorgestellt – ein zentraler Quellenbestand zur Geschichte des Deutschen Kaiserreichs und der frühen Weimarer Republik. Delbrück durchlief eine außergewöhnliche Karriere, die ihn in hohe Positionen der preußischen Verwaltung führte und darin gipfelte, dass er als Staatssekretär von 1909 bis 1916 die Reichsinnenpolitik federführend mitbestimmte. 1918 war Delbrück letzter Chef des Kaiserlichen Zivilkabinetts. 1919 gehörte er zu den maßgeblichen Autoren der Weimarer Reichsverfassung. Der Nachlass wird seit dem 1. Oktober 2009 in einem gemeinsamen Projekt der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek und des Historischen Seminars der TU Braunschweig erschlossen und online veröffentlicht.

Matthias Steinbach and Uwe Dathe, A German Tory between the German Empire and the Weimar Republic. The Papers of Clemens von Delbrück (1856–1921)

The article focusses on the recently discovered papers of Clemens von Delbrück (1856-1921), which are held by the Thuringian University and State Library in Jena – a central source for the history of the German Empire and the early Weimar Republic. Delbrück enjoyed a remarkable career, which took him to high positions within the Prussian administration, culminating in his time as a Secretary of State from 1909 to 1916, when he decisively co-determined German domestic policies. In 1918 Delbrück was the last director of the Imperial Civil Cabinet. In 1919 he was among the leading authors of the Weimar Constitution. Since the October 1st 2009 the Delbrück-papers are being made accessible within a joint project of the Thuringian University and State Library and the Historical Seminar of the Braunschweig University of Technology. The results will be published online.

Notizen

Schreib-Praxis. Das Institut für Zeitgeschichte und der Oldenbourg Verlag veranstalten zum vierten Mal ein anwendungsorientiertes Schreibseminar (6.–10. September 2010)

The Institute of Contemporary History and Oldenbourg Publishing organise a practical writing seminar for the third time (September 6th¬–10th, 2010)

Rezensionen online (Oktober–Dezember 2009)
Reviews online (October-December 2009)

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