Grenzgänge 17 (2010), 33

Titel der Ausgabe 
Grenzgänge 17 (2010), 33
Weiterer Titel 
Maskeraden der Schönheit

Erschienen
Erscheint 
2 mal jährlich
ISBN
0944-8594
Anzahl Seiten
194 S.
Preis
10 €

 

Kontakt

Institution
Grenzgänge. Beiträge zu einer modernen Romanistik
Land
Deutschland
c/o
Dr. Thomas Höpel Redaktion GRENZGÄNGE c/o Geistes- und Sozialwissenschaftliches Zentrum im Zentrum für Höhere Studien und Literaturen Emil Fuchs-Straße 11 D - 04105 Leipzig Tel. (0341) 9730286 Fax: (0341) 9605261 e-mail: hoepel@rz.uni-leipzig.de Nathalie Noel c/o Institut für romanische Sprachen Universität Leipzig Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Grüneburgplatz 1 D - 60629 Frankfurt am Main Tel. (069) 79822198 Fax (069) 79828937
Von
Thomas Höpel

Martina Stemberger: Editorial

‚Schönheit’ war und ist ein hoch kontroverses Thema – dies verrät bereits ein kurzer Blick auf die einschlägige Literatur, die den „Schönheitsmythos“ zu demontieren versucht, vor der „Schönheitsfalle“ warnt, „Die Tyrannei der Schönheit“ denunziert, die „Schönheitsjunkies“ verachtet und/oder bedauert. Auch im wissenschaftlichen Diskurs findet eine „äußerst angespannte Auseinandersetzung […] mit körperlicher Attraktivität“ statt. Schönheit in all ihrer „polyvalence“ ist ebenso wie Mode, stets „Kultur und Symptom“ zugleich, ein Ambivalenzgenerator erster Klasse. Diese Ambivalenzen sind etwa über das Konzept der ‚Maskerade’ zu reflektieren, das nicht nur in traditionellen Mode- bzw. Anti-Mode-Diskursen überaus präsent, sondern vor allem auch eines der zentralen Theoreme ist, mit denen in den Gender Studies Geschlecht als kulturelles Konstrukt analysiert wird. Entgegen ihren klassischen negativen Konnotationen kann Maskerade, verstanden als „technology of identity“, auch „pleasurable, excessive, sometimes subversive“ sein.

In diesem Sinne ist dieses Heft den ‚Maskeraden der Schönheit’ gewidmet; dem „Schönheitskonsum“ und der „Schönheitsarbeit“, der ästhetisierenden Inszenierung eines Körpers, der erst in bekleidetem, bemaltem, frisiertem und sonstwie ‚bearbeitetem’ Zustand zum „soziale[n] Körper“ wird; all den Techniken, die der Mensch als „autoplastisches Tier“ zur Transformation des eigenen Körpers erfunden hat und weiter erfindet – und die eben nicht nur „disciplinary practices“, sondern auch menschliche „Souveränitätstechniken“ sind.

Abstracts:

Johanna Abel:
„Aunque la virgen sea blanca, píntame angelitos negros“: Paradoxien in den kolonialen Schönheitsdiskursen der hispano-karibischen Literatur des 19. Jahrhunderts

Anhand verschiedener Beispiele aus der karibischen Literatur des 19. Jahrhunderts und transatlantischer Aspekte europäischer Deutungshoheiten werden unterschiedliche Paradoxa in Schönheitsdiskursen des Kolonialismus beleuchtet. Sei es das Paradox eines schwarzen Künstlermonopols im Kuba des 19. Jahrhunderts oder das der „schwarzen Engel“ in der postkolonialen Dichtung Venezuelas und Mexikos – die Geschichte der abendländischen Schönheit besitzt ihre verleugneten Inspirationsfiguren. Das Paradox der körperlichen Überlegenheit und Schönheit kreolischer Protagonisten im Gegensatz zu den weißen Figuren karibischer Romane, ihre paradoxe Apotheose im Gewand antiker Götter von Herkules bis Venus und nicht zuletzt das literarisierte Schönheits-Ranking zwischen den Kontinenten zeigen, wie das komplexe Aushandeln von westlicher Schönheit in der Moderne nicht ohne die Heterogenität der Neuen Welt funktioniert.

Lydia Bauer:
Apollon und Dionysos: Die Vergänglichkeit menschlicher Schönheit im Werk von Michel Houellebecq

Michel Houellebecq greift in seinem Werk wiederholt zwei ästhetische Prinzipien auf, die sich auf die Antipoden Apollon und Dionysos in der Philosophie Friedrich Nietzsches zurückführen lassen. Form und Ordnung des Kunstwerks und der Wissenschaft werden Formlosigkeit und Chaos des Daseins gegenübergestellt. Houellebecqs Figuren arbeiten am Bild des idealschönen Körpers, jedoch wirken Alterungsprozesse und Krankheiten dem apollinischen Ideal entgegen. Erst die in den Romanen thematisierte Schöpfung eines neuen Menschen – der Mensch als Kunstwerk – bietet schließlich eine Möglichkeit, die Natur endgültig zu überwinden. Das nach Nietzsche notwendige Gleichgewicht der beiden Kräfte wird gestört – der Preis für ewige Schönheit und Jugend ist der Verlust von Lebendigkeit.

Susanne Gramatzki:
Anatomie der Schönheit: Künstliche Körper und Geschlechtertransgressionen in der französischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts

Mit L’Ève future schuf Villiers de l’Isle-Adam gegen Ende des wissenschaftsgläubigen und technikbegeisterten 19. Jahrhunderts eine ironische Variante zum Motiv der Erschaffung einer perfekten Frau. Die Androide Hadaly scheint geist- und seelenvoller, natürlicher und lebendiger zu sein als ihr menschliches Vorbild und damit das Glücksversprechen der Schönheit zu erfüllen. Es soll im Beitrag untersucht werden, welcher Schönheitsbegriff der Umkehrung der Konzepte ‘Natürlichkeit’ und ‘Künstlichkeit’, ‘Realität’ und ‘Imagination’ zugrunde liegt und ob die (De-)Konstruktion weiblicher Schönheit der Affirmation oder Subversion tradierter Geschlechterdifferenzen dient. Zur Beantwortung dieser Fragen wird ein weiteres Motiv herangezogen, dem, wie der Schaffung des künstlichen Menschen, das Ideal der Kalokagathie eingeschrieben ist: der Geschlechtertausch als (selbst)bewusste Inszenierung begehrenswerter Körperlichkeit in Rachildes Monsieur Vénus und Balzacs Sarrasine.

Ralf Junkerjürgen:
Schwindel, Sturz, blondierte Locken: Zur Mythologie der falschen Blondine

Haarfärbung ist eine historisch bis in die altägyptische Zeit nachweisbare Praxis, die stets von moralischer Kritik begleitet wurde und bei den Kirchenvätern eine eschatologische Dimension erhielt. Dies änderte sich erst mit der technischen Optimierung der Haarfärbung, denn der Kosmetikindustrie gelangt es, über geschickte Werbestrategien Haarfärbung einerseits zu „naturalisieren“ und andererseits im Kontext der blonden Hollywoodstars zu mythisieren und damit Vorbehalte weitgehend abzubauen. Vor diesem Hintergrund sollen zwei herausragende mediale Inszenierungen von Haarfärbung des 20. Jahrhunderts verständlich gemacht werden, und zwar Alfred Hitchcocks Vertigo (1958) und Jean Echenoz’ Les grandes blondes (1995), der in direkter Anspielung auf den Filmklassiker eine Umkehrung der Haarfarbcodierung vornimmt. Beide zeigen, welche mythische Kraft vom gefärbten Haar ausgeht und wie es Wahrnehmung und Lebenschancen der Betroffenen tief greifend verändert.

Andreas Kraß:
Die schöne Helena: Ästhetik und Poetik der Mode in den Trojaromanen Benoîts de Sainte-Maure, Herborts von Fritzlar und Konrads von Würzburg

Der Beitrag untersucht ästhetische Modelle der literarischen Inszenierung weiblicher Schönheit in der Vormoderne. Als Fallbeispiel dient die Figur der Helena in den mittelalterlichen Trojaromanen Benoîts de Sainte-Maure, Herborts von Fritzlar und Konrads von Würzburg. Ausgangspunkt sind die Überlegungen zu den ästhetischen Möglichkeiten von Literatur und Malerei, die Lessing in seiner Schrift Laokoon am Beispiel der schönen Helena anstellt. Konrad von Würzburg zeigt, dass auch die detaillierte Beschreibung (Descriptio), von der Lessing den Schriftstellern abrät, ein produktives Verfahren der ästhetischen Inszenierung von Schönheit sein kann. Sie erzielt Wirkungen, die man mit Roland Barthes als Realitätseffekt bezeichnen kann.

Martina Stemberger:
(Anti-)Éloge du maquillage oder Kosmetische Katastrophen: Baudelaire, Despentes, Darrieussecq

Baudelaires Éloge du maquillage (aus Le Peintre de la vie moderne, 1863) postuliert nicht nur ein weibliches Recht auf, sondern sogar eine weibliche Pflicht zur Kosmetik: die Pflicht der Frau, sich selbst in ein Idol zu Zwecken der männlichen Anbetung zu verwandeln. Vor dem Hintergrund dieses ambivalenten Lobliedes auf die Kosmetik, die dem männlichen Betrachter einen ganzen Kosmos eröffnet, wird hier ein Blick auf die kosmetischen Katastrophen geworfen, die die Texte zweier zeitgenössischer französischer Autorinnen inszenieren: Virginie Despentes’ Baise-moi (1993) und Marie Darrieussecqs Truismes (1996). In beiden Texten finden sich groteske Zerrbilder des Baudelaireschen Mythos kosmetisch präparierter ‘göttlicher’ Weiblichkeit. Weibliche Schönheit wird zu ihrer eigenen Karikatur, wobei der Körper zugleich gegen ein ästhetisch mortifiziertes (Ideal-)Bild der ‘Weiblichkeit’ und gegen die sozioökonomische ‘Kosmetik’ einer chauvinistischen Gesellschaft rebelliert.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Martina Stemberger: Editorial

Johanna Abel: "Aunque la virgen sea blanca, píntame angelitos negros": Paradoxien in den kolonialen Schönheitsdiskursen der hispano-karibischen Literatur des 19. Jahrhunderts

Lydia Bauer: Apollon und Dionysos: Die Vergänglichkeit menschlicher Schönheit im Werk von Michel Houellebecq

Susanne Gramatzki: Anatomie der Schönheit: Künstliche Körper und Geschlechtertransgressionen in der französischen Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts

Ralf Junkerjürgen: Schwindel, Sturz, blondierte Locken: Zur Mythologie der falschen Blondine

Andreas Kraß: Die schöne Helena: Ästhetik und Poetik der Mode in den Trojaromanen Benoîts de Sainte-Maure, Herborts von Fritzlar und Konrads von Würzburg

Martina Stemberger: (Anti-)éloge du maquillage oder kosmetische Katastrophen: Baudelaire, Despentes, Darrieussecq

Forschungsbericht

Martina Stemberger: Texte und Textilien: Einige Reflexionen zu Mode und Literatur

Romanistik und Gesellschaft

Joachim Born: Akkreditierung und Reakkreditierung von Studiengängen

Marjorie Berthomier: Die Umsetzung des Bologna-Prozesses und die Deutsch-Französische Hochschulzusammenarbeit

Simone Kroschel: Akkreditierung: Anforderungen, Auflagen, Widersprüche, Rückmeldungen

Barbara Reitmeier: Reakkreditierung von Studiengängen im Vergleich zur erstmaligen Akkreditierung von Studiengängen

Jochen Mecke: Vom Bologna-Prozess zum Prozess gegen Bologna ?

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