Peripherie: Zeitschrift für Politik und Ökonomie in der Dritten Welt 31 (2011), 2

Titel der Ausgabe 
Peripherie: Zeitschrift für Politik und Ökonomie in der Dritten Welt 31 (2011), 2
Weiterer Titel 
Im Namen der Sicherheit

Erschienen
Münster (Westf.) 2011: Westfälisches Dampfboot
Erscheint 
4 Nummern in 3 Ausgaben
ISBN
978-3-89691-828-4
Anzahl Seiten
252 S.
Preis
€ 21,00

 

Kontakt

Institution
Peripherie: Politik • Ökonomie • Kultur
Land
Deutschland
c/o
PERIPHERIE Redaktionsbüro c/o Michael Korbmacher Stephanweg 24 48155 Münster Telefon: +49-(0)251/38349643
Von
Korbmacher, Michael

Unter dem Titel „Im Namen der Sicherheit“ befasst sich die Ausgabe 122/123 der PERIPHERIE mit der zunehmenden Verknüpfung und gegenseitigen Durchdringung von „Entwicklung“ und „Sicherheit“. Dahinter scheint neben dem Bestreben zur Legitimation eines häufig kritisierten Politikfeldes auch ein Wandel globaler Interessenstrukturen, politischer Prioritäten und Strategien zu stehen. Die „Versicherheitlichung“ eines Feldes wie Entwicklungspolitik führte verstärkt seit dem 11. September 2001 zu immer engerer Kooperation mit militärischen Unternehmungen im Rahmen einer global ausgreifenden NATO. Zugleich erhalten unterschiedlichste Sachverhalte und Prozesse, die als Gefahren und Risiken kommuniziert werden, sicherheitspolitische Relevanz. Es schreiben:

Marcel M. Baumann & Reinhart Kößler: Von Kundus nach Camelot und zurück: militärische Indienstnahme der „Entwicklung“

Gabriele Zdunnek & Thomas Zitelmann: Wirkungen von Friedensförderung, Entwicklungszusammenarbeit und Militarisierung – Konzepte und Praxis in Afghanistan

Alexander Brand: Sicherheit über alles? Die schleichende Versicherheitlichung deutscher Entwicklungspolitik

Jan Pospisil: Resilience und Fragilität: Ein konzeptioneller Wandel im entwicklungspolitischen Verständnis von Sicherheit?

Jan Bachmann: Das US-Militärkommando AFRICOM und der neue Interventionismus zwischen Aufstandsbekämpfung, Stabilisierung und Entwicklung

Benjamin Schaffner: Le clan du destin – irreguläre Bootsmigration von Westafrika auf die Kanaren im Visier von Frontex und Entwicklungspolitik

Susanne Schultz: Anti-zivil-militärisch? Politik von deutschen entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen in und zu Afghanistan

Wolfgang Hein & Theo Mutter: Die Kontrolle nicht-beherrschter Räume: Widersprüche neoliberaler Globalisierung und die Rolle der Entwicklungspolitik

Gabriele Zdunnek: PERIPHERIE-Stichwort: Sicherheit

Marcel M. Baumann & Reinhart Kößler: PERIPHERIE-Stichwort: „Gerechter Krieg“

ZU DIESEM HEFT

Im Namen der Sicherheit

Die Entwicklungspolitik hat in den zwei Jahrzehnten seit Ende des Kalten Krieges wesentliche Veränderungen durchgemacht. Neben deutlichen geographischen Verschiebungen und der Ausweitung der Handlungsfelder (Konditionalität hinsichtlich der Entwicklung politischer Institutionen, Good Governance, Korruptionsbekämpfung) steht dabei seit langem die Verknüpfung zwischen den Schlagwörtern „Entwicklung“ und „Sicherheit“ im Brennpunkt. Befürworter dieser Verknüpfung betonen, eine globalisierte Weltwirtschaft (und tendenziell auch die „Weltgesellschaft“) benötige gemeinsame Ordnungsstrukturen – zumal die Probleme der „globalisierten Ungleichheit“ zunehmend auf die Industrieländer zurückwirkten, so u.a. auf die Sicherung weltweiter ökonomischer Integration (Funktion globaler Produktionsketten, Handel, Zugang zu Rohstoffen), auf andere Formen transnationaler Interaktion (Migration, Kultur, Zivilgesellschaft) oder auf die „Fragilität“ von Staatlichkeit in Gesellschaften des Südens. Aufgaben wie Kriminalitätsbekämpfung und Grenzkontrollen könnten damit nicht mehr zuverlässig erfüllt werden. Dies impliziere, dass diese Staaten in die Lage versetzt werden müssten, ihre Territorien im Einklang mit „globalen Normen“ zu kontrollieren. Stichwörter zur Stärkung solcher Ordnungsstrukturen lauten „Stabilisierung“ und „(global) Governance“.

Kritiker der Verbindung von „Sicherheit“ und „Entwicklung“ betonen dagegen einen allgemeinen Trend der Eingliederung mehr oder weniger zentraler Problemstellungen, Konflikte und Krisen in Handlungsfelder, die im polizeilichen oder militärischen Sinne als sicherheitsrelevant erscheinen. In der angelsächsischen Debatte wird dieser Trend als „Securitization“ („Versicherheitlichung“) beschrieben. In diesem Prozess können, um nur einige Beispiele zu nennen, so unterschiedliche Dinge wie Bevölkerungsfragen, Migration, Ernährungssicherung, Wasserversorgung ebenso wie organisierte Kriminalität und Drogenhandel entlang einer offenen Skala ziviler und militärischer Einsatzfelder verhandelt werden. Deklamatorisch hat sich die „Securitization“ von Entwicklungspolitik speziell in der Paris Declaration on Aid Effectiveness (2005) niedergeschlagen. Entwicklungspolitiken einzelner nationaler Gesellschaften werden im Rahmen des globalen Wandels und der damit verbundenen Veränderung in der Formulierung und Durchsetzung von Interessen allerdings bisher nicht gleichförmig umgesetzt.

Diese ungleichzeitigen Entwicklungen verdeutlichen die Ambivalenz des semantischen Feldes „Sicherheit“, den Januskopf sozialer Ordnungen: Der Begriff verweist gerade auch in seinen Weiterentwicklungen während der 1990er Jahre im Sinne der „human security“ oder auch eines erweiterten Sicherheitsbegriffs einerseits auf gesellschaftliche Kooperation, die Organisation von Solidarsystemen und auf den Schutz vor Gewalt, impliziert anderseits aber auch die Reproduktion bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse ebenso wie potentielle Konfrontationen zwischen konkurrierenden Macht- und Kontrollansprüchen. Dabei wird deutlich, dass auch das zur Domestizierung von Gewaltverhältnissen durchwegs empfohlene staatliche Monopol legitimer Gewalt im emphatischen Sinne eine Gewaltordnung darstellt, die ihrerseits gesellschaftliche Macht- und Verfügungsverhältnisse abbildet und reproduziert. Dies macht verständlich, wieso einerseits die Stichwörter Good Governance und Armutsbekämpfung ins Zentrum der entwicklungspolitischen Diskussion rückten, andererseits aber in Krisenregionen ein Primat des militärischen Sicherheitsanspruchs alle anderen Dimensionen, die einmal innerhalb eines erweiterten Sicherheitskonzeptes gedacht werden konnten, zu absorbieren droht. In den USA hat USAID (United States Agency for International Development) bereits umfangreiche Programmteile (Kolumbien, Pakistan, Afghanistan) ganz der Logik von „Counterinsurgency Programming“ unterworfen. Die deutsche Variante zeigt sich anhand der neu akzentuierten Institutionalisierung militärisch-ziviler Zusammenarbeit im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Die verstärkt nach dem Regierungsantritt der konservativ-liberalen Koalition erkennbaren Auseinandersetzungen um die Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit unterstreichen das sich hier auftuende Spannungsfeld. Es handelt sich nicht allein um die Marginalisierung ziviler Konfliktbearbeitung durch eine Militarisierung der Außenpolitik zumindest gegenüber wichtigen Weltregionen wie Zentralasien, Teilen Afrikas und – im Kontext der Drogenbekämpfung – zumindest intermittierend auch Lateinamerikas. Dabei zeigen sich deutlich voneinander unterschiedene Zielsetzungen und Interessen staatlicher und nicht-staatlicher Trägerinstitutionen der Entwicklungszusammenarbeit, die gegenwärtig zugespitzt in der Gegenüberstellung einer Unterordnung unter die Vorgaben staatlicher Politik und ihrer Kohärenz einerseits, der Effektivität und selbst der Möglichkeit genuiner Entwicklungsarbeit andererseits verhandelt werden.

Die komplexen ethischen und praktischen Fragen, die verstärkte Forderungen nach einer dichteren Kooperation zwischen zivilen Formen der Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere auch NGOs, und militärischen Strukturen mit sich bringen, untersuchen Marcel Baumann und Reinhart Kößler unter Rückgriff sowohl auf die aktuelle Debatte wie auch in längerer zeitlicher Perspektive. Insbesondere die während der 1960er Jahre am herausragenden Beispiel des „Project Camelot“ heiß diskutierte Zusammenarbeit zwischen Militär und Sozialwissenschaften kann die Risiken einer solchen Kooperation deutlich machen. Sie liegen nicht allein in der Gefahr für Leib und Leben, sondern vor allem im hegemonialen Anspruch militärischer Handlungslogiken, die sich auf dem etwa aktuell in Afghanistan durch die Civil Military Cooperation (CIMIC) bezeichneten Feld durchsetzen. Ähnlich wie in dem früheren Fall ergibt sich daraus die Wahl zwischen einer paradigmatischen Neuorientierung oder der Unterwerfung unter die Prioritätensetzung des Militärs.

Um aus Erfolgen und Misserfolgen zu lernen, müssen sowohl zivile als auch militärische Krisen-Interventionen hinsichtlich ihrer beabsichtigten und unbeabsichtigten, kurz- und langfristigen Wirkungen untersucht werden. Gabriele Zdunnek und Thomas Zitelmann gehen der Frage nach, inwieweit Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung in Krisengebieten dazu beitragen können, die gewaltsame Austragung von Konflikten zu verhindern oder zu beenden. Zunächst geben die Autorin und der Autor einen Überblick über unterschiedliche Konzepte, mit denen versucht wird, Konfliktsensibilität als Querschnittthema in der Planung, Durchführung und Evaluierung von Entwicklungsprojekten und -programmen zu verankern. Diverse Verfahren stellen in Rechnung, dass humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit selbst dann zur Verstärkung von Spannungen und Eskalation von Konflikten führen können, wenn sie zur Verbesserung der sozio-ökonomischen Situation von Zielgruppen beitragen. Ebenso können übliche Bestandteile einer Politik der Friedensförderung negative Wirkungen auf Personen und Gruppen haben. Am Beispiel Afghanistan untersuchen Zdunnek und Zitelmann, inwieweit und wie bisherige Erkenntnisse zu Problemen von Entwicklungspolitik und Friedensförderung in Krisengebieten in der Praxis umgesetzt werden und wie zivil-militärische Kooperation gestaltet wird. Aus bisher veröffentlichten Evaluierungen und Studien arbeiten sie Auswirkungen von Entwicklungspolitik, Friedensförderung und zivil-militärischer Kooperation heraus. Es wird deutlich, dass Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan bislang weitgehend „konfliktunsensibel“ gestaltet wurde und es entgegen zahlreichen programmatischen Ansprüchen nie systematische Versuche gab, das Instrumentarium ziviler Ansätze der Konflikttransformation und Friedensförderung einzusetzen.

Spätestens nach dem Amtsantritt von Dirk Niebel wird die Frage gestellt, ob Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland zunehmend unter sicherheitspolitischen Vorgaben instrumentalisiert wird. Alexander Brand überprüft, inwieweit in Bezug auf die staatliche Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik Prozesse von „Versicherheitlichung“ stattfinden. Dazu berücksichtigt er folgende Aspekte: politische Programmatik und politischer Diskurs, lokale und sektorale Ressourcen-Allokation, institutionelle Reform und Kompetenzverlagerung. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass eine Versicherheitlichung der deutschen Entwicklungspolitik hinsichtlich eines begrifflich-programmatischen Wandels, d.h. die erfolgreiche Artikulation der Sicherheitsrelevanz von Entwicklungszusammenarbeit, seit geraumer Zeit kontinuierlich auszumachen ist und dass die Re-Definition von Entwicklungspolitik im Nachgang zu den Terroranschlägen des 11. September 2001 auch Elemente der Militarisierung einschließt. Am deutlichsten sichtbar sei dies am Beispiel Afghanistan in einer Verschiebung von zunächst dezidiert zivil orientierter Konfliktprävention durch Entwicklungszusammenarbeit hin zu stärker „kooperativen“ Formen zivil-militärischen Engagements. Jenseits der Afghanistan-Thematik erkennt der Autor jedoch derzeit keine eindeutige Tendenz.

Für Sicherheitsdiskurse hat seit einigen Jahren der Begriff der „Resilience“ zusehends an Bedeutung gewonnen. Jan Pospisil untersucht, wie dieser Begriff in Konzept- und Strategiepapieren der internationalen Entwicklungszusammenarbeit im Zusammenhang mit Problemstellungen entlang des Entwicklungs-Sicherheits-Nexus verwendet wird – z.B. als mögliche Zielbestimmung unter Bedingungen fragiler Staatlichkeit. Seiner Auffassung nach zeigt das verstärkte Aufkommen des Begriffs – in Deutsch in etwa „Widerstandsfähigkeit“ – eine weitergehende, paradigmatische Veränderung im Verständnis von Entwicklungspolitik an. „Resilience“ habe das Potenzial, im kommenden Jahrzehnt geradezu zu einem entwicklungspolitischen Leitkonzept zu werden. An die Stelle einer zielorientierten Entwicklungsanstrengung rücke mit diesem Konzept eine beständige Adaptionsleistung in den Blick. „Resilience“ sei somit das mögliche Resultat einer Transformation des Konzepts der Nachhaltigkeit im Sinne des Entwicklungs-Sicherheits-Nexus, also der Name einer umfassend zu verstehenden „nachhaltigen Sicherheit“.

Die Gründung des AFRICOM (United States African Command) stand in engem Zusammenhang mit der strategischen Ausweitung militärischer Mandate auf bislang als „zivil“ verstandene Politikbereiche, in denen neue Quellen von Bedrohungen – z.B. aufgrund „schlechter“ Regierungsführung oder in Bezug auf „unregierte“ Räume – ausgemacht werden. Jan Bachmann analysiert die diskursive und materielle Neupositionierung des amerikanischen Militärs und die Vermischung westlicher Sicherheits- und Entwicklungsagenden. Es zeigt sich, dass sich mit der Ausweitung des militärischen Verantwortungsbereiches hin zu Krisenprävention und dem Aufbau von Governance-Strukturen Bedeutungszuschreibungen des „Militärischen“ sowie des „Zivilen“ verändern und dass tendenziell die Grenzen zwischen beiden verschwimmen. AFRICOM wird als präventiv orientierter, auf menschliche Sicherheit und Entwicklung abzielender Akteur präsentiert – als „zuhörender“, „lernfähiger“ und auf die Bedürfnisse der afrikanischen Akteure reagierender „Partner“. Durch diese diskursive Strategie gerate jedoch die reale Bereitschaft zum Einsatz von Gewalt aus dem Blick.

Sicherheitsfragen werden auch auf ganz anderer Ebene virulent. Die Verbindung von Entwicklungszusammenarbeit und Migrationskontrolle durch die europäische Grenzsicherung FRONTEX, dargestellt am Beispiel des Senegals, ist das Thema des Beitrages von Benjamin Schaffner. Den Hintergrund bildet eine ethnographische Fallstudie in der Lebenswelt zurückgeführter Bootsflüchtlinge, hier ausschließlich junger Männer, die mindestens einmal an der Passage vom Senegal zu den Kanarischen Inseln teilgenommen haben. Der Autor kontrastiert einen Annahmekanon, der Migration aus Entwicklungsdefiziten ableitet und „Entwicklung“ als Gegenmittel einsetzen will, mit den Motivationsstrukturen der potenziellen Migranten und mit den transnationalen Prozessen, die im Migrationswunsch und dessen praktischer Umsetzung zum Ausdruck kommen. Die Öffnung eines maritimen Transitraumes, in dem das technische Wissen marginalisierter Hochseefischer genutzt werden konnte, folgte auf die Schließung der Transsahara-Migrationsroute und die Erschwerung offizieller Visaerteilung. „Erfolge“ in der Migrationseindämmung sind hier nur von kurzer Dauer.

Wie entwicklungspolitisch aktive Nicht-Regierungsorganisationen mit der Frage „Anti-zivil-militärisch?“ umgehen, beleuchtet Susanne Schultz anhand der aktuellen Debatte um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Ihrer Auffassung nach sprechen sich die im VENRO (Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen) organisierten Nicht-Regierungsorganisationen zwar gegen die Versicherheitlichung von Entwicklungspolitik im Sinne einer direkten Kooperation mit der Bundeswehr vor Ort aus, in öffentlichen Erklärungen mangele es aber an Reflexion darüber, inwiefern sie in die Strategien der internationalen Intervention und in das Projekt des von außen induzierten Staatsaufbaus nach westlichem Vorbild eingebunden sind. Dadurch gerieten diese Organisationen in das Dilemma, mit ihrer Arbeit einerseits zur Legitimität des afghanischen Staates und der militärischen Intervention beizutragen, andererseits aber gleichzeitig im Zuge der Diskreditierung der Karsai-Regierung und ihrer Unterstützer in Misskredit bei der afghanischen Bevölkerung zu geraten.

Die Debatte über die Versicherheitlichung unterschiedlichster Themenfelder weist – etwa in der Rede von fragilen Staaten oder staatsfreien Räumen – einen zumindest impliziten Raumbezug auf. Wolfgang Hein und Theo Mutter gehen auf diese Problematik aus der Perspektive einer Weltgesellschaft ein, in der nicht beherrschte Räume nicht nur unvermeidlich sind, sondern auch verstärkt auftreten und als Bedrohung sowie als Sicherheitsrisiko wahrgenommen werden. Die mit Versicherheitlichung verknüpften Veränderungen der Entwicklungspolitik im Lauf der letzten anderthalb Jahrzehnte lassen sich so als Teil des Versuchs verstehen, derartige Räume zu eliminieren bzw. ihre „Inklusion“ in den durch Regelhaftigkeit und dichte Kommunikation charakterisierten weltgesellschaftlichen Zusammenhang voranzutreiben. Der Beitrag erläutert eine weitere konzeptionelle Sichtweise auf den Heftschwerpunkt unter Bezug auf ein Spektrum von Problemfeldern, das von Armutsbekämpfung und dem informellen Sektor bis hin zu Gesundheitspolitik und HIV/AIDS reicht.

Unter dem Stichwort „Sicherheit“ gibt Gabriele Zdunnek einen Überblick über die Diskussion zu Konzepten von „menschlicher“ und „erweiterter“ Sicherheit und geht auch auf Probleme und Kritik bezüglich der „Versicherheitlichung“ von Themen ein.

Im zweiten Stichwort skizzieren Marcel Baumann und Reinhart Kößler die vor allem in der westlichen intellektuellen Tradition verankerte Lehre vom Gerechten Krieg und schlagen eine kritische Lektüre vor, die entgegen landläufigen Vorstellungen von den Legitimationsleistungen dieser Lehre geeignet ist, tatsächliche Kriege gerade zu delegitimieren.

Die Konflikthaftigkeit von „Entwicklung“ und EZ steht auch weiterhin im Blickpunkt der Zeitschrift. Unter dem Titel „Land – Konflikt, Politik, Profit“ wird sie im Herbst durch eine Einzelausgabe über Auseinandersetzungen um Landeigentums- und -nutzungsrechte (Nr. 124) beleuchtet. Dem folgt als Eröffnung des 32. Jahrgangs ein Heftschwerpunkt zu Recht und Entwicklung (Nr. 125). Die Landfrage wollen wir erneut in der Ausgabe 126/127 aufgreifen. Als Anschluss des nächsten Jahrgangs planen wir eine kritische Auseinandersetzung mit dem Fair Trade und seinem Umfeld. Die Calls for Papers für diese Hefte finden sich wie immer auf unserer Homepage. Zu diesen und anderen Themen sind Beiträge gleichfalls wie immer sehr willkommen.

Für unsere weitgehend ehrenamtliche Arbeit sind wir auch weiterhin auf die Beiträge der Mitglieder der Wissenschaftlichen Vereinigung für Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik (WVEE) e.V., die die PERIPHERIE herausgibt, und auf Spenden angewiesen. Wir freuen uns daher über neue Vereinsmitglieder ebenso wie über einmalige Spenden. Um die Resonanz der so wichtigen Kritik aktueller Tendenzen in der internationalen Politik zu verbessern, sind wir auch für neue Abonnentinnen und Abonnenten sehr dankbar. Alle WVEE-Mitglieder und PERIPHERIE-Leserinnen und -Leser sind daher herzlich eingeladen, unsere Zeitschrift noch bekannter zu machen.

SUMMARIES

Marcel M. Baumann & Reinhart Kößler: From Kundus to Camelot and Back: The enlistment of „development“ into the military. Based on recent critiques of securitisation, this paper takes on the concept of „networked security“ recently propagated by the German Ministry of Economic Cooperation and Development. The authors demonstrate the explicit ascendancy of the military in strategies based on these conceptions which are exemplified by Cicil Military Cooperation (CIMIC). However, in contrast to official claims to the novelty of such cooperation, the basic tenets of CIMIC can be traced to the counterinsurgency strategies of the 1950s and 1960s. Here, Project Camelot – a particularly salient example of military and civic collaboration – is highlighted as a case in which the consequences of military funding and agenda setting have been well-exposed and from which lessons have been drawn. Following, this paper shows how current cases of military-civil collaboration in the field of developmental practice can be detrimental to the causes of humanitarian as well as development aid – as is amply documented, in particular, by interventions of concerned NGO representatives, who highlight the risks and predicaments incurred by being regimented into the role of „development gendarmes“. Finally, the prospects for a critical turn, which would involve opting out of the logic of subservience to the military and a fundamental revision of the underlying concepts of development, are sketched.

Gabriele Zdunnek & Thomas Zitelmann: The Impact of Peacebuilding, Development Cooperation and Militarization – Concepts and Practice. In this article the authors question whether and how far development cooperation and peacebuilding in crisis areas can contribute to the prevention or reduction of violence. They provide an overview of different approaches which aim to integrate conflict sensitivity as a crosscutting issue into the planning, implementation and evaluation of development projects and programs. It has become widely accepted that even if humanitarian aid and development cooperation contribute to the improvement of the socio-economic situation of target groups, they might, at the same time, (unintentionally) lead to increased tensions and the escalation of conflicts. Likewise, common components of peacebuilding – such as the reintegration of refugees or the demobilization of militias – might have a negative impact on individuals and groups. Using Afghanistan as an example, it is investigated whether and how methods of civil crisis management and conflict transformation are applied in practice and how civil-military cooperation is organized. The authors argue that development cooperation and humanitarian aid in Afghanistan have, so far, been largely conflict-insensitive and – contrary to numerous programmatic claims – there have been no systematic attempts to use instruments of civil conflict transformation and peacebuilding.

Alexander Brand: Security above all else? The gradual securitization of German development policy. In current development debates it has become a staple for policymakers to see development policy through a security lens. Whether or not official German development efforts confirm this assessment, however, is debatable. In this article, recent dynamics and trends in German development cooperation are analyzed from the perspective of such an alleged „securitization“. The focus is on five dimensions of securitization and its effects: 1. shifts in developmental discourse; 2. local patterns of the allocation of development funds; 3. sectoral patterns of resource allocation; 4. eventual security-related implications of institutional reforms in the development sector; and, 5. authority shifts among agencies and bureaucracies. That is, the concept of securitization has been broadened to encompass changes in political action and, at the structural level, shifts in thinking. In the German case, the results indicate that securitization taking the form of „militarization“ has, so far, been sporadic at most. This is likely because of the long-term and incremental nature of shifts in perception, which have preceded (and enabled) forms of civil-military cooperation in the development sector, however, future developments will have to be watched closely. The current experiences in Afghanistan will help decide the contours of future official development policy in this regard.

Jan Pospisil: Resilience and fragility: A conceptual change in the developmental understanding of security? Since 2008, the term „resilience“ has been used in the concept papers of the OECD-DAC and by several other development actors that deal with problems concerning the development-security nexus. In particular, the concept was recently discussed and applied in discussions on possible developmental responses to so-called „fragile states“ or „fragile situations“. Going beyond the problem of „fragility“, the term „resilience“ offers a radical perspective on the development-security nexus itself. It represents the expansion of development policy into a truly global enterprise, linked with global and cross-acting threats; it highlights interconnectedness and, at the same time, the separate threats and responsibilities of all. Moreover, the concept expresses a specific post-liberal rationality. „Resilience“, in this sense, can be seen as the overcoming of the liberal contradiction between security and freedom, which dissolves the autonomy of individuals in the necessity of continuous threat-driven adaptation. In turn, „resilience“ could become a positive-sounding description of what is actually a post-liberal safety phenomenon. It could become a substitute for the possibility of freedom in the global context.

Jan Bachmann: US African command and the new interventionism between counterinsurgency, stabilization and development. The establishment of a military command for Africa (US AFRICOM) symbolizes the radical repositioning of the US military. Facilitated by the consensus in contemporary Western foreign policies – that there can be no development without security – over the last ten years the US military has expanded its activities into civilian domains including development and conflict prevention. As a reaction to the wars in Afghanistan and Iraq, recent US military doctrines on counterinsurgency and stability operations have singled out the need for more civilian and long-term activities as a precondition for success. AFRICOM has put most of these „military innovations“ into practice. Due to the command's focus on development activities, on civil-military coordination and its proposed engagement in non-war situations, in military circles AFRICOM is seen as a role model for future military practices. This paper problematizes the military's expanding mandate and discusses its implications. It argues that the military's increasing engagement in issues of governance and development deeply blurs the normative boundary between the military and the civilian and exposes development as a technology of security. Furthermore, the military's repositioning follows the dominant securitization of so-called „fragile states“ and classifies social spaces along Western strategic interests. As a consequence, targeted communities find it hard to separate development efforts aimed at countering poverty and those aimed at countering insurgency.

Benjamin Schaffner: „Le clan du destin“ – Exploring irregular boat migration from West Africa to the Canary Islands through the perspective of Fontex and development politics. European policies that regulate migration from the global South to the European Union are founded on a mentality of restriction. Police operations at continental borders and spaces of transit, as well as Development Cooperation with African countries, are the most common instruments to stem irregular „migration flows“, which are often perceived as a threat by „Western“ destination societies. Irregular south-north migration – and in the case of this article, clandestine boat migration from Senegal to the Canary Islands – is not simply the outcome of desperation and a lack of development, rather, it is a societal counterpart to global structure policies. The social and cultural setting of migrants, their behaviour and local structures all indicate that this migratory movement is, in fact, a personal project and has to be located within the context of transnational processes, including policies, social mobility, resources and aspirations.

Susanne Schultz: Against civil-military cooperation? The policies of German NGOs in and about Afghanistan. Over the last few years, German non-governmental organisations (NGOs) have opposed the intents of the German government to place conditions on public project funding that aim to strengthen the cooperation between NGOs and the German armed forces operating in Afghanistan. Analysing NGOs' critiques of civil-military cooperation, the author shows the ambiguities of NGOs' declarations, which tend to oscillate between political abstinence and a critique of the military intervention. The author argues that while NGOs and their networks oppose direct civil-military cooperation at the local level, they avoid clear political position-making with regards to the broader project of international military intervention and state-building. The specific and contradictory political roles of foreign NGOs within the international project of regime change in Afghanistan are analysed and issues that NGOs should debate in order to clarify their political position, despite the probable cost of a common position within „the NGO community“, are introduced.

Wolfgang Hein & Theo Mutter: The Control of Non-Dominated Spaces: Contradictions of Neoliberal Globalization and the Role of Development Politics. Globalization implies the increasing transnational interconnectivity of individuals, civil society groups and firms, as well as government and intergovernmental representatives. This has led to the growing density of transnational social relations and to changes of spatial, temporal and cognitive relations. In this emerging global society, security, in all its dimensions, depends on collective rules and their implementation. There is, however, neither an overarching authority nor a system of cooperating isomorphic democratic regimes. Due to uneven and non-simultaneous development in different parts of the world, political regimes differ considerably concerning their adherence to global norms and in their degree of domination over their territories. Neoliberal globalization has increased social, economic and political exclusion. Growing material inequality has not only favoured an expansion of the informal sector, but also an increase in transnational criminal activities (e.g. the drug trade and smuggling goods, weapons and human beings) and the transnational organization of violent groups. Since the late 1990s it has been recognized in the field of development cooperation that „security“ cannot be reached through a combination of trade-led economic growth policies and the repression of illegal activities; rather, it depends on supporting social inclusion through poverty-reducing policies of empowerment. The dimensions of social security and „security“ through the use of force are seen as complimentary by many state actors in this field, but criticized by civil society organizations. This article concludes by pointing out that the goal of establishing a global order to strengthen the physical as well as the social security of humans has to be distinguished from imperialist interventions. It argues that violent interventions in other societies are bound to fail because (1) they intervene into societal conflicts which are based on historical and cultural preconditions which cannot be easily linked to Western-based concepts and because (2) they are still often linked to the geopolitical interests of the interveners.

Inhaltsverzeichnis

INHALT

Zu diesem Heft, S. 143

Marcel M. Baumann & Reinhart Kößler: Von Kundus nach Camelot und zurück: militärische Indienstnahme der „Entwicklung“, S. 149

Gabriele Zdunnek & Thomas Zitelmann: Wirkungen von Friedensförderung, Entwicklungszusammenarbeit und Militarisierung – Konzepte und Praxis in Afghanistan, S. 178

Alexander Brand: Sicherheit über alles? Die schleichende Versicherheitlichung deutscher Entwicklungspolitik, S. 209

Jan Pospisil: Resilience und Fragilität: Ein konzeptioneller Wandel im entwicklungspolitischen Verständnis von Sicherheit? S. 236

Jan Bachmann: Das US-Militärkommando AFRICOM und der neue Interventionismus zwischen Aufstandsbekämpfung, Stabilisierung und Entwicklung, S. 253

Benjamin Schaffner: Le clan du destin – irreguläre Bootsmigration von Westafrika auf die Kanaren im Visier von Frontex und Entwicklungspolitik, S. 275

Susanne Schultz: Anti-zivil-militärisch? Politik von deutschen entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen in und zu Afghanistan, S. 297

Wolfgang Hein & Theo Mutter: Die Kontrolle nicht-beherrschter Räume: Widersprüche neoliberaler Globalisierung und die Rolle der Entwicklungspolitik, S. 318

Gabriele Zdunnek: PERIPHERIE-Stichwort: Sicherheit, S. 346

Marcel M. Baumann & Reinhart Kößler: PERIPHERIE-Stichwort: „Gerechter Krieg“, S. 350

Rezensionen, S. 354

Jan Pospisil: Die Entwicklung von Sicherheit. Entwicklungspolitische Programme der USA und Deutschlands im Grenzbereich zur Sicherheitspolitik (Reinhart Kößler)

Claas Christophersen: Kritik der transnationalen Gewalt. Souveränität, Menschenrechte und Demokratie im Übergang zur Weltgesellschaft (Reinhart Kößler)

Sabine Collmer (Hg.): From Fragile State to Functioning State. Pathways to Democratic Transformation in a Comparative Perspective (Reinhart Kößler)

Sabine Hess & Bernd Kasparek (Hg.): Grenzregime. Diskurse, Praktiken, Institutionen in Europa (Lotte Arndt)

Alejandro Colás & Bryan Mabee (Hg.): Mercenaries, Pirates, Bandits and Empires. Private Violence in Historical Context (Reinhart Kößler)

Christopher Coker: Barbarous Philosophers. Refl ections on the Nature of War from Heraclitus to Heisenberg (Reinhart Kößler)

Moeletsi Mbeki: Architects of Poverty. Why African Capitalism Needs Changing (Sören Scholvin)

Walden Bello: Politik des Hungers (Bettina Engels)

Theo Rauch: Entwicklungspolitik. Theorien, Strategien, Instrumente (Theo Mutter)

Reiner Steinweg & Ulrike Laubenthal (Hg.): Gewaltfreie Aktion. Erfahrungen und Analysen (Fabian Hinz)

Thomas Homer-Dixon: Der heilsame Schock. Wie der Klimawandel unsere Gesellschaft zum Guten verändert (Bettina Engels)

Olaf Gerlach, Marco Hahn, Stefan Kalmring, Daniel Kumitz & Andreas Nowak (Hg.): Globale Solidarität und linke Politik in Lateinamerika (Ingrid Wehr)

Eingegangene Bücher, S. 385

Summaries, S. 387

Zu den Autorinnen und Autoren, S. 391

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