Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 63 (2012), 9–10

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 63 (2012), 9–10
Weiterer Titel 
Ressourcenkonflikte (Thema des Historikertages 2012 in Mainz)

Erschienen
Erscheint 
monatlich
ISBN
0016-9056

 

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Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Schinkel, Etienne

Editorial von Christoph Cornelißen

Seit dem Ende des „goldenen Zeitalters“ im Europa der 1970er Jahre sind hier wie auch in anderen Weltregionen unzählige Konflikte um Ressourcen ausgebrochen. Wo auch immer sich der Blick hin richtet, auf die hinreichende Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln und Energie, auf die Ausbeutung der Umweltressourcen oder auch auf die Reichweite der öffentlichen und privaten Haushalte, überall ist in den letzten Jahren das Bewusstsein für ihre Begrenztheit geschärft worden. Ressourcenkonflikte sind zuletzt sogar als die größten Sicherheitsrisiken des 21. Jahrhunderts identifiziert worden.

Ein stärker historisch ausgerichteter Fokus auf derartige Spannungslagen vermag jedoch aufzuzeigen, dass Konflikte um den Zugang zu materiellen und immateriellen Ressourcen seit jeher zu den bestimmenden Erscheinungen der menschlichen Geschichte gehören. So gab schon in der Antike die Ressource Land einen Schlüsselfaktor ab, wie Tanja Scheer in ihrem Beitrag herausarbeitet, wurden doch sowohl Eroberungen in Griechenland als auch außerhalb Griechenlands davon bestimmt. In methodischer Hinsicht bestechen ihre Ausführungen nicht zuletzt deswegen, weil sie verdeutlichen, dass in der griechischen Poliskultur der Besitz von Land nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Größe und der sozialen Verfügbarkeit relevant war, sondern ebenso im Hinblick auf seine kulturelle Bedeutung und Rechtfertigung.

Auch die weiteren Aufsätze dieses Heftes zeigen in unterschiedlichsten Perspektiven, wie die Beschäftigung mit Ressourcenkonflikten unser Verständnis sowohl vormoderner als auch moderner Gesellschaften zu bereichern weiß. Noch mehr: Wie Mechanismen sozialer Distinktion begründet, soziale Kontrolle ausgeübt oder auch politische Macht legitimiert beziehungsweise delegitimiert wurde. Sehr deutlich wird dies in der Abhandlung von Heinz-Elmar Tenorth, der die Ambivalenz von Bildung als gesellschaftliche Ressource und als Potential der Subjektwerdung seit dem Neuhumanismus problematisiert.

Die weiteren Beiträge des vorliegenden Themenheftes spannen einen breiten chronologischen und thematischen Bogen, der von Funktionsweisen der Königsherrschaft im Hochmittelalter (Gerd Althoff) über den Streit um den Wald in der vorindustriellen Zeit (Bernd-Stefan Grewe) bis hin zu Konflikten um die Energieressourcen im 20. Jahrhundert (Jan-Rüdiger Graf) reicht. Hierbei ist insgesamt bemerkenswert, wie sehr die Beschäftigung mit Ressourcenkonflikten überkommene Lehrmeinungen in Frage zu stellen weiß. So zeigt Althoff, dass die Königsmacht im Mittelalter einer personalen Begründung bedurfte und letztlich auf dem Prinzip der konsensualen Herrschaft beruhte, während Grewe im Gegensatz zu vorherrschenden Lehrmeinungen die vielen Streitigkeiten um den Wald in der Frühen Neuzeit gerade nicht als eine Auseinandersetzung zwischen Obrigkeit und Untertanen einordnet, sondern vielmehr als Interessenkonflikte innerhalb lokaler Institutionen deutet. Rüdiger Graf wiederum argumentiert, dass Konflikte um natürliche Ressourcen – in diesem Fall um die Ölreserven der Welt – sich in Abhängigkeit von Vorannahmen bewegen, die zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, aber auch innerhalb einzelner Fächer erheblich variieren können. Unter dem Eindruck der Ölkrisen und der stark schwankenden Preise der letzten Jahrzehnte seien jedoch die Petroleum-Geologen und -Ingenieure sowie die Politik- und Sozialwissenschaftler aufeinander zugegangen, was zu interdisziplinären und hybriden Formen eines Petroknowledge geführt hab. Dessen Konstruktion und Historizität wird von Graf eindrucksvoll herausgearbeitet.

Fragestellungen dieser Art versprechen auch für andere Themenfelder und Epochen faszinierende und weiterführende Einsichten, wie bereits jetzt das Programm des Mainzer Historikertages vom September 2012 zu erkennen gibt.

Inhaltsverzeichnis

INHALT DER GWU 9–10/2012

ABSTRACTS (S. 514)

EDITORIAL (S. 516)

BEITRÄGE

Tanja S. Scheer
Land als Ressource im archaischen und klassischen Griechenland (S. 517)

Gerd Althoff
Funktionsweisen der Königsherrschaft im Hochmittelalter (S. 536)

Bernd-Stefan Grewe
Streit um den Wald – ein Ressourcenkonflikt? Das Konfliktfeld Wald in der vorindustriellen Zeit (ca. 1500 – 1850) (S. 551)

Heinz-Elmar Tenorth
Bildung – Ressource im Konflikt (S. 567)

Rüdiger Graf
Ressourcenkonflikte als Wissenskonflikte. Ölreserven und Petroknowledge in Wissenschaft und Politik (S. 582)

INFORMATIONEN NEUE MEDIEN

Gregor Horstkemper
Menschen als entrechtete Ressourcen. Konflikte um die Abschaffung der Sklaverei (S. 600)

EINZELBESPRECHUNG

Joachim Rohlfes
Spärliche Blicke auf das Unterrichtsgeschehen. Das "Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts" (S. 603)

LITERATURBERICHT

Raimund Schulz/Uwe Walter
Altertum, Teil II (S. 611)

NACHRICHTEN (S. 635)

AUTORINNEN UND AUTOREN (S. 639)

ABSTRACTS DER GWU 9–10/2012

Tanja S. Scheer
Land als Ressource im archaischen und klassischen Griechenland
GWU 63, 2012, H. 9/10, S. 517 – 535

Die griechischen Polisstaaten, in denen Landbesitz den Bürger konstituiert, sind geprägt von Konflikten um diese knappe Ressource. Drei Konfliktebenen sind zu nennen: polisintern ist der einzelne Haushalt durch Erbteilung bedroht, und Verschiebungen im Landbesitz führen zu sozialen Unruhen. Zweitens versucht man innerhalb Griechenlands die Grenzen des Polislandes kriegerisch abzurunden oder sich die Nachbarstadt einzuverleiben. Drittens werden Landkonflikte durch Koloniegründungen externalisiert. Landbesitz (aber nicht Landarbeit) ist in der griechischen Poliskultur Schlüssel zu Reichtum und Sozialprestige. Das Fehlen von zusammenhängendem Großgrundbesitz ist nicht durch 'demokratische Gleichheitsdiskurse', sondern durch erbrechtliche und agrarwirtschaftliche Strukturen zu erklären.

Gerd Althoff
Funktionsweisen der Königsherrschaft im Hochmittelalter
GWU 63, 2012, H. 9/10, S. 536 – 550

Der Beitrag bietet einen Einblick in die Charakteristika hochmittelalterlicher Königsherrschaft, wie sie in den letzten Jahrzehnten von einer kulturalistisch ausgerichteten Forschung akzentuiert worden sind. Die neuen Akzente (Konsensherrstellung, Konfliktbewältigung, Repräsentation) markieren einen deutlichen Bruch mit Einschätzungen älterer deutscher Forschung, die unter Leitbegriffen wie 'Staat' und 'Macht' diese Epoche zur Projektionsfläche der nationalen Identität gemacht hatte. Sie akzentuieren die Fremdartigkeit der Herrschaftspraktiken und ihre Andersartigkeit im Vergleich mit staatlichen Strukturen.

Bernd-Stefan Grewe
Streit um den Wald – ein Ressourcenkonflikt? Das Konfliktfeld Wald in der vorindustriellen Zeit (ca. 1500 –1850)
GWU 63, 2012, H. 9/10, S. 551 – 566

Für die vorindustrielle Zeit stellt sich die Frage, inwieweit die immer zahlreicheren Waldkonflikte auf den mit der Bevölkerung ansteigenden Nutzungsdruck zurückzuführen sind. Angesichts der immensen materiellen Bedeutung des Holzes und anderer Waldressourcen bedeutete die in vielen Quellen beschworene „Holznot“ für die Zeitgenossen ein wahres Horrorszenario. Die Analyse von fünf typischen Konfliktformen beleuchtet tatsächliche Hintergründe und strategische Optionen der Akteure und kann zeigen, dass nur ein begrenzter Teil als Ressourcenkonflikte einzuordnen ist.

Heinz-Elmar Tenorth
Bildung – Ressource im Konflikt
GWU 63, 2012, H. 9/10, S. 567 – 581

Bildung in der Moderne, so die These dieser Abhandlung, wird schon im Ursprung um 1800 nicht nur in Staat und Gesellschaft, sondern selbst bei einigen ihrer theoretischen Protagonisten zugleich als gesellschaftliche Ressource und als zentrales Potential der Subjektwerdung betrachtet. Wegen dieser Ambivalenz kontrovers diskutiert, ist Bildung historisch primär präsent als Ressource, die Individuen zu ihrer eigenen sozialen Reproduktion benötigen und Gesellschaften für ökonomisches Wachstum, soziale Stabilität und politische Legitimation zu kontrollieren suchen. Moderne Bildungssysteme sind wesentlich für Berufszugang und Statuserwerb, sie stabilisieren Schicht- und Klassendifferenzen, eröffnen aber auch sozialen Aufstieg; der Zugang zu und die Verteilung von Bildung ist entsprechend gesellschaftlich begehrt und umstritten. Ökonomisch in ihrer Wirksamkeit vielleicht überschätzt, bleibt Bildung bis in die Gegenwart ein zentraler Mechanismus sozialer Distinktion und der Formierung von Lebensformen, Ermöglichungsform und Kontrollinstrument zugleich.

Rüdiger Graf
Ressourcenkonflikte als Wissenskonflikte. Ölreserven und Petroknowledge in Wissenschaft und Politik
GWU 63, 2012, H. 9/10, S. 582 – 599

Der Aufsatz argumentiert, dass den Konflikten um den Rohstoff Öl im 20. Jahrhundert zunächst einmal Wissenskonflikte über seine zukünftige Verfügbarkeit zugrunde lagen. Dazu werden die verschiedenen Formen des ölbezogenen Wissens, des „Petroknowledge“, untersucht, die von Petroleum-Geologen und -Ingenieuren, Ökonomen sowie Politik- und Sozialwissenschaftlern produziert wurden. Dabei wird zum einen gezeigt, dass Ölreserven keine naturwissenschaftlich exakt bestimmbaren Größen sind, sondern vielmehr hochgradig konstruierte Einheiten. Zum anderen wird anhand der Ölkrise 1973/74 untersucht, inwiefern die verschiedenen Formen des Petroknowledge politisch handlungsleitend wurden.

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