Deutschland Archiv 45 (2012), 3

Titel der Ausgabe 
Deutschland Archiv 45 (2012), 3
Weiterer Titel 
Deutsch-deutscher Literaturaustausch

Erschienen
Bielefeld 2012: W. Bertelsmann Verlag
Erscheint 
4x im Jahr
ISBN
078-3-7639-5071-3
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 14,90

 

Kontakt

Institution
Deutschland Archiv: Zeitschrift für das vereinigte Deutschland
Land
Deutschland
c/o
]init[ Redaktion Köpenicker Straße 9 10997 Berlin
Von
Ohse, Marc-Dietrich

EDITORIAL

Vor 25 Jahren schien die DDR den Gipfel ihrer internationalen Anerkennung erreicht zu haben. 15 Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik wurde mit Erich Honecker erstmals ein Staatschef aus Ost-Berlin in Bonn empfangen. Der Besuch wurde in Ost und West als Triumph Honeckers empfunden, zumal dieser sich zu keinerlei Zugeständnissen in der Frage der innerdeutschen Grenze oder gar der nationalen Einheit hatte bewegen lassen. Dass Honecker in Bonn empfangen wurde, betrachteten viele Beobachter als Zeichen dessen, dass nun auch die christlich-liberale Bundesregierung die Zweistaatlichkeit Deutschlands als unabänderlich anerkannt habe. Kohls Bekenntnisse zur nationalen Einheit, die ihren „Ausdruck in gemeinsamer Sprache, im gemeinsamen kulturellen Erbe, in einer langen, fortdauernden gemeinsamen Geschichte“ finde, wurden hingegen als politische Rhetorik abgetan.

Tatsächlich hatten damals viele Deutsche sich mit der Teilung wenn nicht abgefunden, so doch deren Überwindung auf absehbare Zeit für unrealistisch eingeschätzt. Das war insofern verständlich, als die Bundesbürger sich problemlos bei den westlichen Nachbarn umsehen konnten, während der Blick nach Osten durch die – nicht nur ästhetisch – hässliche Mauer verstellt war. Die Ostdeutschen hingegen erfuhren nach Honeckers Rückkehr, dass der an Reformen nicht interessiert war und deshalb sogar zum „großen Bruder“, zur Sowjetführung, zunehmend auf Distanz ging. Schließlich kamen aus Moskau Signale, die die Ost-Berliner Staats- und Parteiführung nur beunruhigen konnten: Glasnost und Perestroika nahmen an Fahrt auf, und einzelne russische Schriftsteller redeten gar von der deutschen Wiedervereinigung. Sie beanspruchten für sich wie für ihre deutschen Kollegen, „das Gewissen der Nation zu sein“, so Andrej Wosnessenski.

Inwiefern deutsche Schriftsteller in Ost und West diesem Anspruch Genüge taten, soll hier nicht zur Diskussion gestellt werden. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass der Austausch zwischen Schriftstellern aus der Bundesrepublik und aus der DDR aufmerksam in Ost und West verfolgt wurde, dass der Austausch von Literatur über die innerdeutsche Grenze hinweg – so beschränkt er stattfinden konnte – tatsächlich dazu beizutragen vermochte, das „Bewusstsein für die Einheit der Nation“ (Kohl) wachzuhalten. Insofern schuf der Literaturbetrieb hie und da durchaus ein „Loch in der Mauer“.

Unter diesem Titel hat im vergangenen Jahr, anlässlich des 50. Jahrestages des Mauerbaus, eine Tagung in Leipzig stattgefunden, die anhand des Literaturaustausches zwischen den beiden deutschen Staaten zeigen konnte, „dass es mehr ›Löcher in der Mauer‹ gab, als angenommen“ – so Michael Westdickenberg in seinem Bericht auf Deutschland Archiv Online. Beiträge dieser Tagung bilden den Schwerpunkt im vorliegenden Deutschland Archiv.

Mit Beiträgen über den Begleiter Peter Fechters, dessen Fluchtversuch vor 50 Jahren tödlich endete, und über die Stimmung unter Arbeitern in den Leuna-Werken zu dieser Zeit werden zudem Blicke auf die Lage in der DDR ein Jahr nach dem Mauerbau geworfen. Nicht nur an dem Beispiel einer Zeitungsmeldung über Streiks im Leuna des Jahres 1962 wird im vorliegenden Deutschland Archiv deutlich, wie schwierig sich die Aufarbeitung von Geschichte gestaltet. Gleiches gilt für die Antwort auf die Frage, ob Robert Havemann ein Antisemit gewesen sei, und für den Weg zu den Stasi-Akten über Karl-Heinz Kurras. Mit diesen konnte der West-Berliner Polizist, der 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschossen hatte, vor drei Jahren im DA als SED-Mitglied und Stasi-Spitzel enttarnt werden.

Inhaltsverzeichnis

ZEITGESCHICHTE/ZEITGESCHEHEN

Manfred Wilke: Der Honecker-Besuch in Bonn 1987, S. 389–401

Jan Schönfelder/Rainer Erices: Der ewige Flüchtling. Peter Fechters unbekannter Begleiter, S. 402–405

Udo Grashoff: Leuna im Streik? Mythos und Realität einer Zeitungsmeldung vom Sommer 1962, S. 406–411

Kornelius Ens: Religionsfreies Sterben. Sterbeethik im atheistischen Umfeld der DDR, S. 412–417

Siegfried Lokatis: Eine gesamtdeutsche Reihe? Der Nummern-Krieg und die Jubiläen der Insel-Bücherei 1962 und 1987, S. 418–424

Julia Frohn: Versuche deutsch-deutscher Literaturzeitschriften 1945 – 1961, S. 425–433

Carmen Laux: Geschiedene Gemüter, zerschnittene Beziehungen. Reclams Kampf um seine Westautoren, S. 434–444

Anke Schüler: Ein Name, zwei Wege: Reclam Leipzig und Reclam Stuttgart. Hintergründe der Trennung der Verlagshäuser in den 1950er-Jahren, S. 445–451

Berthold Petzinna: Die Beobachtung des westdeutschen Verlagswesens durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Das Beispiel des Suhrkamp-Verlags, S. 452–462

Hannah Schepers: „… da wird provoziert mit parolen und ermuntert mit hohn.“ Volker Brauns Reflexionen über die Teilung Deutschlands nach dem Bau der Mauer, S. 463–469

Patricia F. Zeckert: Die Leipziger Buchmesse, die Börsenvereine und der Mauerbau, S. 470–477

Konstantin Ulmer: Ein Loch im literarischen Schutzwall. Die Publikationskontroverse um die Luchterhand-Ausgabe von Anna Seghers’ „Das siebte Kreuz“ im Jahr nach dem Mauerbau, S. 478–483

Uwe Sonnenberg: Marginalien? Drei Blicke auf den westdeutschen linken Buchhandel (VLB) und die DDR in den 1970er-Jahren, S. 484–493

Jan König: Zwischen Ost und West. Die Publikationsgeschichte von Stefan Heyms Band „Erzählungen“, S. 494–498

Franziska Galek: Das große Volkstanzbuch von Herbert Oetke. Eine deutsch-deutsche Editionsgeschichte in fünf Akten, S. 499–506

Antonia Ritter: Eine deutsch-deutsche Koproduktion: die „Orientalische Bibliothek“, S. 507–512

DOKUMENTATION

Ingrid Sonntag: Langsamer Abschied von der DDR. Kommentar zu einer Festrede von Hans Mayer auf Anna Seghers am 26. Januar 1962, S. 513–522

Hans Mayer: Kleine Festrede, S. 522–524

FORUM

Bernd Florath: War Robert Havemann ein Antisemit? Anmerkungen zu Götz Alys Börne-Preisrede und anderen Früchten unkritischer Romanlektüre – oder: Ironie ist Glückssache, S. 525–532

Cornelia Jabs: Ein Zufallsfund? Der besondere Weg zu den Kurras-Akten, S. 533–536

REZENSIONEN

Martin Sabrow (Hg.): 1989 und die Rolle der Gewalt; Bernd Florath (Hg.): Das Revolutionsjahr 1989; Clemens Vollnhals (Hg.): Jahre des Umbruchs; Tobias Hollitzer, Sven Sachenbacher (Hg.): Die Friedliche Revolution in Leipzig; Amin Mitter: „Die Tragödie ist vorbei“; Francesca Weil: Verhandelte Demokratisierung; Stephan Bickhardt (Hg.): In der Wahrheit leben; Nicole Glocke: Spontaneität war das Gebot der Stunde (Rainer Eckert), S. 537–546

Anna Kaminsky, Dietmar Müller, Stefan Troebst (Hg.): Der Hitler-Stalin-Pakt 1939 in den Erinnerungskulturen der Europäer (Wolfgang Schlott), S. 547–550

Jörg Osterloh, Clemens Vollnhals (Hg.): NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit; Joachim Perels, Wolfram Wette (Hg.): Mit reinem Gewissen; Julia Volmer-Neumann: Bürokratische Bewältigung (Wolfgang Buschfort), S. 550–554

Sandra Meenzen: Konsequenter Antifaschismus?; Dietmar Remy, Axel Salheiser (eds./Hg.): Integration or Exclusion/Integration oder Ausgrenzung; Harry Waibel: Diener vieler Herren (Kurt Schilde), S. 555–557

Dirk von Nayhauß, Maggie Riepl: Der dunkle Ort; Harald Beer: Schreien hilft dir nicht …; André Baganz: Endstation Bautzen II (Thomas Ammer), S. 557–559

Martin Hermann, Henning Pietzsch (Hg.): DDR-Literatur zwischen Anpassung und Widerspruch; Ulrich Weißgerber: Giftige Worte der SED-Diktatur; Utz Maas: Was ist deutsch?; Annette Leo: Erwin Strittmatter; Erwin Strittmatter: Nachrichten aus meinem Leben; Carsten Gansel, Matthias Braun (Hg.): Es geht um Erwin Strittmatter oder Vom Streit um die Erinnerung (Frank Hoffmann), S. 561–567

Christiane Baumann: Hinter den Kulissen; Ralf Stabel: IM „Tänzer“; Laura Bradley: Cooperation and Conflict (Silke Flegel), S. 568–571

Hermann Kappelhoff, Bernhard Gross, Daniel Illger (Hg.): Demokratisierung der Wahrnehmung?; Thomas Schick, Tobias Ebbrecht (Hg.): Kino in Bewegung; Claus Löser: Strategien der Verweigerung (Thomas Heimann), S. 572–574

DIE AUTORINNEN UND AUTOREN DIESES HEFTES, S. 575

IMPRESSUM, S. 576

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