Historische Sozialkunde 42 (2012), 4

Titel der Ausgabe 
Historische Sozialkunde 42 (2012), 4
Weiterer Titel 
Terrorismus und Staat. Schwerpunkt Naher und Mittlerer Osten

Erschienen
Erscheint 
vierteljährlich
Anzahl Seiten
48 S.
Preis
€ 5,00

 

Kontakt

Institution
Historische Sozialkunde: Geschichte, Fachdidaktik, politische Bildung
Land
Austria
c/o
Die Zeitschrift wurde Ende des Jahres 2018 eingestellt. Der "Verein für Geschichte und Sozialkunde" ist seit Juni 2019 aufgelöst. Ein Kontakt zu den ehemaligen Herausgebern ist nicht mehr möglich.
Von
Fuchs, Eduard

Vorwort

Seit 9/11 wird Terror zumeist mit fundamentalistischem Islamismus identifiziert und im bedenklicheren Fall generell mit Islam assoziiert. Dies hat sich zuletzt auch deutlich bei der Auseinandersetzung mit den Ermittlungen rund um die seit Mitte der 90er Jahre aktive rechtsextremistische Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gezeigt, die über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren zahlreiche Morde und Anschläge an ausländischen Bürgern begangen hatte. Nach Auffliegen der Terrorzelle und dem darauf folgenden Suizid der beiden Hauptverdächtigen wurden nicht nur viele Ermittlungsfehler in Bezug auf das Umfeld der „Verdächtigten“ sowie Pannen deutlich, sondern es zeigte sich auch, dass Organe der Staatssicherheit über Jahre mit V-Männern kooperierten, die dem Unterstützerkreis der NSU zuzurechnen waren.

In seinem Einleitungsbeitrag umreißt Thomas Kolnberger insbesondere den transitorisischen Charakter dieser Gewaltstrategie mit fließenden Übergängen zu anderen Gewaltformen wie Guerilla-Taktik, Partisanenkrieg, Warlord-Systemen bis hin Formen des organisierten Verbrechens, welche sich allesamt terroristischer Methoden bedienen.

Terrorismus ist also vornehmlich Methode, derer sich Gruppierungen unterschiedlichster politischer Ausrichtung zur Durchsetzung Ihrer Ziele bedienen , die aber durchaus auch von Staaten als Strategie zur Bekämpfung solcher Aktivitäten verwendet werden oder, wie wir es von faschistischen Gewaltregimen oder Militärregierungen kennen, zu staatsterroristischen Systemen mutieren können. Es ist also in jedem Fall zu analysieren, wer sich zu welchem Zweck und auf welchem historischen und politischen Hintergrund solcher Methoden bedient und dabei auch „Kollateralschäden“ an der Zivilbevölkerung in Kauf nimmt, um hier verbrecherische Zielsetzungen und berechtigte Befreiungsinteressen auseinander halten zu können. Und es ist auch jeweils zu überprüfen, inwiefern die Mittel, derer sich Staaten zum Schutz gegen „terroristische Gefahren“ bedienen, tendenziell bürgerliche Freiheiten zu untergraben vermögen und dazu angetan sind, in einen Überwachungsstaat zu münden. So haben erst jüngst die Ermittlungen gegen österreichische Tierschützer und die dabei angewandten Methoden, die erst im Zuge des Prozessverlaufs an die Öffentlichkeit kamen, ein sehr dubioses Rechtsverständnis in Hinblick auf solche „Ausnahmegesetzgebungen“ an den Tag gebracht.

In einem inzwischen vergriffenen Heft aus dem Jahr 2002 hat sich die Historische Sozialkunde erstmals mit dem Themenkomplex Fundamentalismus auseinandergesetzt, und es war uns bereits damals ein besonderes Anliegen, unmittelbar nach 9/11 den generell antimodernistischen und antipluralistischen Charakter unterschiedlichster fundamentalistischer Strömungen in den Blickpunkt zu nehmen. Insbesondere die politischen Veränderungen im Nahen und Mittleren Osten im Zuge des „Arabischen Frühlings“ haben den fundamentalistischen Generalverdacht gegen islamische Länder konterkariert und die aktuellen Ereignisse in Ägypten zeigen, dass jene Teile der Bevölkerung, die wesentlich an der Vertreibung des alten Regimes beteiligt waren, kein Interesse am Eintausch von Mubarak gegen Mursi haben.

Die Kernbeiträge dieses Hefts widmen sich – neben einem grundlegenden Beitrag von Thomas Kolnberger über das facettenreiche Beziehungsgeflecht von Terrorismus und Staat – vor allem dem Raum des Nahen und Mittleren Ostens. Ein weiteres Heft in jüngerer Zukunft soll sich mit terroristischen Bewegungen aus dem rechten und linken Spektrum auseinandersetzen.

In einem Beitrag von Thomas Schmidinger geht dieser am Beispiel der Entwicklungen im Irak, in Syrien und in Libyen den Zusammenhängen von Terrorismus, Staatsschwäche und internationalen Militärinterventionen nach. Nach einem kritischen Exkurs mit dem Terrorismusbegriff versucht er, das in allen drei Ländern existierende Beziehungsgeflecht zwischen zunehmend staatsterroristisch agierenden Systemen im Konflikt mit verschiedenen politischen und religiösen Gruppierungen sowie divergierenden wirtschaftlichen und politischen ausländischen Interessen zu skizzieren und aufzuzeigen, wie naiv es letztlich wäre, sich von direkten oder indirekten militärischen Interventionen von außen eine grundlegende Bereinigung des Problems zu erwarten, wie gerade die aktuelle Situation in Libyen nach dem Sturz des Qaddafi-Regimes deutlich macht.

In einem Beitrag von Kerim Epidoglu wird der Frage nachgegangen, inwieweit innerreligiöse Strömungen und Entwicklungen im Islam diesen für eine Instrumentalisierung durch politische Regime und fundamentalistische Strömungen empfänglicher gemacht haben. Er konstatiert eine zunehmende Abwendung von einer ursprünglich pluralistischen Grundhaltung des frühzeitlichen Islam hin zu widerspruchsfeindlichen, intoleranten Sichtweisen: Religionen werden demnach oft mit einem Alleinvertretungsanspruch von Wahrheit in Verbindung gebracht. „Wo Religion ist, da kann es quasi nur Rechthaberei geben. Besonders dem Islam wird gerne eine solche Neigung zu einem eingeschränkten Verständnis für die Suche nach Wahrheit zugeschrieben. Betrachtet man die Nachrichtenlage über die islamische Welt der letzten 30 Jahre, scheint sich diese Vermutung auch zu bestätigen. Man erkennt zweifellos ein erschreckendes Potential an Gewalt, das mit sektiererischen/innerislamisch-konfessionellen Konflikten in der islamischen Welt in Verbindung gebracht wird“. (Epidoglu, im vorliegenden Heft, S 24)

Die zwei Fachdidaktik-Beiträge nähern sich aus unterschiedlichen Sichtweisen dem Thema an. Johannes Meyer-Hamme analysiert die historische Dimension der öffentlichen Auseinandersetzung mit Terrorismus, Islamismus und anderen radikalen Strömungen. Jeweils wird historisch argumentiert, wobei im interkulturellen Dialog häufig Kulturkonflikte thematisiert werden, um die eigene Position zu untermauern. Er reflektiert die in diesen historischen Narrationen liegen-den Möglichkeiten für historisches Lernen und zeigt, wie Gegenwartsbezüge in historischen Narrationen unterschieden und für historisches Lernen fruchtbar gemacht werden können. Diese Überlegungen werden sowohl auf konkrete Unterrichtssituationen bezogen als auch Schülerporträts gegenüber gestellt. Denn die Auseinandersetzung mit radikalen Positionen sei charakteristisch dafür, dass die Heranwachsenden in der Geschichtskultur mit widersprüchlichen Sinnbildungs- und Identitätsangeboten konfrontiert werden, zu denen sie sich verhalten müssen, auch wenn sie – wie die porträtierten SchülerInnen – diese radikalen Positionen nicht vertreten.

Wolfgang Buchberger bietet ein sehr unterrichtsnahes und materialreiches Konzept, um den Terrorismusbegriff anhand von historischen und politischen Fallbeispielen in der Schule bearbeiten zu können. Dabei sieht er die ‚theoretischen Fallstricke’ in Bezug auf die Definition von Terrorismus durchaus als Chance für den Unterricht: „Versucht man mit Schülerinnen und Schülern zum Konzept ‚Terrorismus‘ zu arbeiten, kann genau über diese definitorischen Schwierigkeiten nachgedacht werden. Dabei soll es gelingen, historische bzw. politische Sachkompetenz anzubahnen, indem zuerst in der Beschäftigung mit historischen Beispielen die charakteristischen Merkmale von Terrorismus analysiert und in der Folge die unterschiedlichen Perspektiven auf terroristische Aktivitäten aufgezeigt werden.“ (Buchberger, im vorliegenden Heft, S 36) Wichtig ist ihm in dieser Auseinandersetzung auch die Thematisierung der Legitimität staatlicher Gegenstrategien. „Beschäftigen sich Schülerinnen und Schüler auch mit der Frage des Überwachungsstaates, kann der Bogen über historische Beispiele zur Gegenwart und Zukunft der Lernenden geschaffen werden. Damit versuchen die hier gebotenen Unterrichtsbausteine für die Sekundarstufe II auch einen Beitrag einerseits zur historischen Orientierungskompetenz und andererseits zur politischen Urteilskompetenz zu leisten, indem die SchülerInnen fertig vorliegende Urteile hinterfragen und zu begründeten eigenen Urteilen gelangen“.(ebd.)

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Eduard Fuchs
Vorwort, S 2–3

Thomas Kolnberger
Terrorismus und Staat. Ein facettenreiches Beziehungsgeflecht, S 4–14

Thomas Schmidinger
Terrorismus, Staatsschwäche und internationale Militärinterventionen am Beispiel Irak, Syrien und Libyen, S 15–23

Kerim Epidoglu
Konkurrierende Wahrheiten – eine innerislamische Perspektive, S 24–29

Fachdidaktik

Johannes Meyer-Hamme
Radikale historische Orientierungen und ihre Chancen für historisches Lernen. Von den Schwierigkeiten mit widersprüchlichen historischen Orientierungen in der Geschichtskultur umzugehen, S 30–35

Wolfgang Buchberger
Terrorismus – mit historischen und politischen Fallbeispielen an einem fachlichen Konzept arbeiten, S 36–47

Weitere Hefte ⇓