Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 67 (2016), 1–2

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 67 (2016), 1–2
Weiterer Titel 
Deutsche Einheit – Blicke von außen

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monatlich

 

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Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Sauer, Michael

Editorial
von Christoph Cornelißen

Die deutsche Einheit hat Geschichte geschrieben, gleichzeitig ist sie zu einem historischen Ereignis abgesunken. Während die Fülle und insbesondere das Tempo der politischen Umbrüche seit 1989/90 vielen Zeitgenossen das Gefühl vermittelte, in beschleunigten Zeiten zu leben, die bis heute kaum in Worte zu fassen sind, ist inzwischen eine neue Generation herangewachsen, deren Angehörige die deutsche Einheit zunehmend als eine Selbstverständlichkeit betrachten. Angesichts dieser Entwicklungen vermitteln die Jahre des ausgehenden Kalten Krieges und die rapiden Einschnitte an seinem Ende rückblickend oft den Eindruck, es habe sich dabei um mehr oder minder unvermeidlich ablaufende Prozesse gehandelt. Eine historische Teleologie dieser Art wird aber der Komplexität der Vorgänge gewiss nicht gerecht. Tatsächlich bringt das Studium der konkreten Umstände und Entscheidungen sowohl der Außen- als auch der Innenpolitik ganz andere Bilder zum Vorschein. Die Geschichtswissenschaft hat sich bislang mit der Erkundung des Terrains aus naheliegenden Gründen schwer getan, sind doch die archivarischen Dokumente für diese Phase bis heute weitgehend nicht zugänglich. Gleichwohl sind inzwischen verschiedene Sondereditionen amtlicher und halb-amtlicher Dokumente erschienen; zusammen mit den veröffentlichten Memoiren, Tagebüchern und den Erinnerungsberichten zahlreicher Akteure liegen damit schon jetzt aufschlussreiche Quellen für eine kritische Analyse vor.

Das vorliegende Themenheft widmet sich in vier Beitragen dem "Blick von außen" auf die deutsche Einheit. So vermag Dominik Geppert in seiner Analyse der britischen Außenpolitik aufzuzeigen, dass Margaret Thatcher in der entscheidenden Phase keineswegs unnachgiebig den Kurs der Außenpolitik ihres Landes bestimmte, sondern sie öffentlich selbst noch dann die Rolle einer Bedenkenträgerin spielte, als sie intern schon längst den Verfechtern eines kompromissbereiteren Kurses im britischen Außenministerium die Federführung der Politik überlassen hatte. Im Vergleich dazu spricht Ulrich Pfeil von einer insgesamt flexibleren Haltung in Paris als in London, weil sich unter der Leitung von Francois Mitterand ein Wandel von einer eher ablehnenden zu einer kooperativen Deutschlandpolitik vollzogen habe. Nachdem der französische Präsident erkannt habe, dass er Sicherheit vor Deutschland nur mit und eben nicht gegen Deutschland erreichen könne, sei er auf einen stärker europapolitischen Kurs eingeschwenkt. Gabriele D'Ottavio wiederum verweist darauf, dass der Fall der Berliner Mauer die politischen Gleichgewichte auf dem alten Kontinent insgesamt durcheinander wirbelte und auch die italienische Außenpolitik direkt davon betroffen war. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, wie sehr in der breiten Öffentlichkeit Italiens eine große Zustimmung für das Projekt der deutschen Einheit aufkam, wohingegen auf Seiten der politischen und intellektuellen Eliten die Sorge vor kaum mehr kontrollierbaren Szenarien vorherrschte. Obwohl auch auf tschechoslowakischer Seite ähnliche Befürchtungen geäußert wurden, weist Miroslav Kunštát nach, dass der schon 1985 von Prager Reformintellektuellen lancierte "Prager Aufruf" die Vision einer Vereinigung Europas unter Berücksichtigung der Wiedervereinigung Deutschlands verbreitete. Auch nach 1989 habe in der tschechoslowakischen Diplomatie gerade im Vergleich zu der Polens eine bemerkenswert positive Einstellung zu einer schnellen Vereinigung Deutschlands vorgeherrscht, obwohl die offenen vermögensrechtlichen Fragen aus dem Zweiten Weltkrieg das bilaterale Verhältnis weiterhin belasteten. Zukünftige Beiträge zu diesem Themenfeld werden die Geschichte der deutschen Einheit weiter aufhellen und ausdifferenzieren. Schon jetzt aber ist zu erkennen, dass hierbei Stimmen aus dem Ausland eine wichtige Korrekturfunktion ausüben, um einer deutschen Selbstbespiegelungeinen Riegel vorzuschieben.

Inhaltsverzeichnis

INHALT DER GWU 1–12/2016

ABSTRACTS (S. 2)

EDITORIAL (S. 4)

BEITRÄGE

Dominik Geppert
Isolation oder Einvernehmen? Großbritannien und die deutsche Einheit 1989/90 (S. 5)

Ulrich Pfeil
Bremser oder Wegbereiter? Frankreich und die deutsche Einheit 1989/90 (S. 23)

Gabriele D'Ottavio
1989 oder das Ende der "parallelen Geschichten" Deutschlands und Italiens? (S. 39)

Miroslav Kunštát
Die Wiedervereinigung Deutschlands und die Tschechoslowakei (S. 58)

Walter D. Kamphoefner
Deutschamerikaner in den Sklavenstaaten: Außenseiter oder Angepasste? Ein Bilanz 150 Jahre nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg (S. 74)

INFORMATIONEN NEUE MEDIEN

Gregor Horstkemper
Deutschland vereinigt und Europa verwandetlt. Materialien zum Zwei-plus-Vier-Vertrag im Netz (S. 91)

LITERATURBERICHT

Raimund Schulz/Uwe Walter
Altertum (S. 94)

NACHRICHTEN (S. 122)

AUTORINNEN UND AUTOREN (S. 127)

ABSTRACTS DER GWU 1–2/2016

Dominik Geppert
Isolation oder Einvernehmen? Großbritannien und die deutsche Einheit 1989/90
GWU 67, 2016, H. 1-2, S. 5–22
Von den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs machte Großbritannien 1989/90 die schlechteste Figur. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher spielte den Part der bissigen, aber letztlich erfolglosen Bedenkenträgerin. Der Beitrag hinterfragt, ob Thatcher in den für die deutsche Wiedervereinigung entscheidenden Monaten zwischen Herbst 1989 und Herbst 1990 tatsächlich die prägende Gestalt der britischen Außenpolitik war, welchen Handlungsspielraum das Außenministerium in dieser Zeit besaß und in welche Richtung es seinen Einfluss auf die britische Deutschland- und Europapolitik geltend machte.

Ulrich Pfeil
Bremser oder Wegbereiter? Frankreich und die deutsche Einheit 1989/90
GWU 67, 2016, H. 1-2, S. 23–38
Frankreichs Haltung zur deutschen Wiedervereinigung sorgt auch 25 Jahre später noch für Diskussionen und entzweit die Historiker. Im Mittelpunkt der Kontroversen steht der damalige Staatspräsident Francois Mitterand, in dem die einen einen Bremser, die anderen einen Wegbereiter der deutschen Einheit sehen. Ziel dieses Beitrages ist es daher, Mitterands Haltung gegenüber Deutschland, seine operative Deutschlandpolitik in den Monaten der "friedlichen Revolution" und den internationalen Kontext zu analysieren. Wichtige Hinweise liefert dafür seine Reise in die DDR im Dezember 1989, an der sich bis heute die Geister scheiden.

Gabriele D'Ottavio
1989 oder das Ende der parallelen Geschichten Deutschlands und Italiens?
GWU 67, 2016, H. 1-2, S. 39–57
Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit dem Wendepunkt, den die Ereignisse von 1989 für die Geschichte der Beziehungen zwischen Italien und Deutschland und ihre anschließende Aufarbeitung in historiographischem Rahmen darstellten. Dabei werden sowohl die unterschiedlichen Reaktionen der Italiener auf den Fall der Berliner Mauer herausgearbeitet, vom "Mann von der Straße" bis zu den intellektuellen und politischen Eliten, als auch die umwälzenden Implikationen analysiert, die diese Ereignisse für die italienische Innenpolitik und für die europäische Politik hatten.

Miroslav Kunštát
Die Wiedervereinigung Deutschlands und die Tschechoslowakei
GWU 67, 2016, H. 1-2, S. 58–73
Der Beitrag analysiert die Stellungnahme der Tschechoslowakei (der offiziellen Diplomatie als Ganzes sowie der Einzelakteure) zum Prozess der deutschen Vereinigung im Jahre 1990, insbesondere im Zusammenhang mit dem Verhandlungsprozess des "Zwei-plus-Vier-Vertrages" und der nachfolgenden bilateralen Verträge. Auch der interne Diskurs der tschechoslowakischen Dissidenten zum Thema der deutschen Einheit und dessen Auswirkung auf die offizielle Außenpolitik nach 1989 wird berücksichtigt. Größere Aufmerksamkeit wird in diesem Zusammenhang auch dem deutsch-tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrag von 1992 und weiteren konkreten Konsequenzen der deutschen Einheit für die Tschechoslowakei gewidmet.

Walter D. Kamphoefner
Deutschamerikaner in den Sklavenstaaten: Außenseiter oder Angepasste? Eine Bilanz 150 Jahre nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg
GWU 67, 2016, H. 1-2, S. 74–90
Die Rolle der deutschen Einwanderer im Zeitalter des Amerikanischen Bürgerkriegs und auch deren Einstellung zur Sklaverei und Sklavenbefreiung und die Bürgerrechte der Schwarzen nach dem Krieg war und bleibt immer noch kontrovers. Dieser Aufsatz bietet einen Überblick über die Ansichten und Aktionen der Deutschamerikaner bezüglich dieser Fragen, vor allem in Texas und Missouri, den zwei Sklavenstaaten mit der stärksten deutschen Einwanderung. Auch wenn die neuere Forschung versucht, Deutsche näher an den südlichen "Mainstream" zu rücken, wird hier der Beweis geboten, dass sie über den Kriegszeitraum hinaus weiterhin abseits von der Mehrheit der Südstaatler blieben.

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