Provenienzforschung zu NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut im Brandenburgischen Landeshauptarchiv

„Elektronische Auswertung der personenbezogenen Akten der Vermögensverwertungsstelle des Oberfinanzpräsidenten Berlin Brandenburg (1933 bis 1945) zur Ermittlung von Kunstbesitz und zur Lokalisierung von NS-Raubkunst – Wissenschaftliche Erschließung einer zu digitalisierenden Massenquelle“

Projektträger
Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA)
Gefördert durch
Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) des Landes Brandenburg
PLZ des Projektträgers
14476
Ort des Projektträgers
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.10.2019 - 30.09.2023
Von
Dominic Strieder, OFP-Projekt, Brandenburgisches Landeshauptarchiv

Seit Dezember 2019 bearbeitet das Brandenburgische Landeshauptarchiv rund 42.000 Akten aus dem Bestand der Vermögensverwertungsstelle des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg im Rahmen eines Projektes zur Provenienzforschung. Das Projekt mit dem Titel „Elektronische Auswertung der personenbezogenen Akten der Vermögensverwertungsstelle des Oberfinanzpräsidenten Berlin Brandenburg (1933 bis 1945) zur Ermittlung von Kunstbesitz und zur Lokalisierung von NS-Raubkunst – Wissenschaftliche Erschließung einer zu digitalisierenden Massenquelle“ wird durch Mittel der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) des Landes Brandenburg finanziert. Projektträger ist das Brandenburgische Landeshauptarchiv (BLHA).

Die Vermögensverwertungsstelle beim Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg nahm Anfang 1942 ihre Tätigkeit auf, vor allem, um den mit den Deportationen von Jüdinnen:Juden entstandenen Arbeitsaufwand auf dem Gebiet der Vermögenseinziehung zu bewältigen. Die Vermögensverwertungsstelle war damit betraut, den gesamten Besitz der Deportierten und in der Emigration lebenden Ausgebürgerten im Verwaltungsbezirk einzuziehen und zugunsten des Deutschen Reichs zu verwerten. Dies umfasste u. a. gesamte Wohnungseinrichtungen, Grund- und Wertpapierbesitz, Bankguthaben sowie Kunst- und andere Wertgegenstände. Legitimiert wurde das Vorgehen der NS-Finanzbehörden durch eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen, die sich insbesondere auf den staatsbürgerrechtlichen Status von Verfolgten bezogen. Von besonderer Bedeutung für die Arbeit der Vermögensverwertungsstelle waren das „Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens. Vom 14. Juli 1933.“, der „Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Verwertung des eingezogenen Vermögens von Reichsfeinden. Vom 29. Mai 1941.“ und die im Zuge der Deportationen zur Vereinfachung des Einziehungs- und Ausbürgerungsvorgangs erlassene „Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Vom 25. November 1941.“

Der im Projekt bearbeitete Teilbestand der personenbezogenen Einzelfallakten von in der Stadt Berlin zuletzt gemeldeten Personen, stellt eine der größten zusammenhängenden Überlieferungen zum Raub von Eigentum von unterschiedlichen Verfolgtengruppen in der Zeit des Nationalsozialismus dar. Er dokumentiert das systematische und hoch arbeitsteilige Verfahren der Finanzbehörden bei der Verwertung des Vermögens deportierter Jüdinnen:Juden, Sinti:zze und Rom:nja sowie Widerstandskämpfer:innen und sonstigen sogenannten „Reichsfeinden“. Die sich in den rund 42.000 Akten befindlichen Dokumente geben umfassende Auskunft über die materiellen Besitz- und Lebensverhältnisse von Verfolgten vor ihrer Deportation oder Emigration. Damit spielt der Bestand für die Rechtewahrnehmung von Geschädigten in Wiedergutmachungs- und Entschädigungsverfahren eine erhebliche Rolle. Es handelt sich um „Täterakten“, in denen die Verwaltung ihre Beteiligung an nationalsozialistischen Verbrechen dokumentierte. Für die Verfolgten und deren Nachkommen, die hier oft die letzten Spuren von ihren Verwandten finden, sind die enthaltenen Dokumente darüber hinaus von hohem identitätsstiftendem Wert. Die Holocaust- und insbesondere die Deportationsforschung hat Aspekte des Bestandes bereits für diverse Forschungsvorhaben ausgewertet. Erschwert war die Recherche bislang aufgrund der Erschließungssituation. Zudem war der Zugang zu den Akten durch archivische Schutzfristen teils stark eingeschränkt.

Die im Projekt mit der Provenienzforschung beauftragten Forscherinnen werten die Akten mit Hilfe eines Dokumenten-Management-Systems elektronisch aus. Sie ordnen beschlagnahmten Kunstbesitz namentlich den früheren Eigentümer:innen zu und suchen nach aktenkundig gewordenen öffentlichen Einrichtungen als Standorte von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut. Das setzt eine intensive Grundlagenforschung zum systematischen staatlichen Raub voraus und methodisches Vorgehen bei der Rekonstruktion von Einzelfällen.

Der Provenienzforschung gehen mehrere Arbeitsschritte voraus: Durch Restauratorinnen vorgenommene konservatorische und bestandserhaltende Arbeiten sichern, dass die empfindlichen Originale langfristig erhalten bleiben und im Zuge der Digitalisierung nicht weiter beschädigt werden. Dies beinhaltet vor allem eine umfangreiche Zustandserfassung und die Betreuung der von externen Dienstleistern vorgenommenen Massenentsäuerung. Zur anschließenden Digitalisierung gehören das durch einen externen Dienstleister vorgenommene Scannen, die daran anknüpfende Qualitätssicherung, die Verarbeitung mit OCR-Daten und die Bereitstellung der angereicherten Digitalisate in einer an die Anforderungen der Provenienzforschung ausgerichteten Anwendung. Diese ermöglicht eine (teil)automatisierte softwaregestützte Auswertung und wird von einem IT-Experten in Kooperation mit einem Informationswissenschaftler im Projekt entwickelt. Gleichzeitig überarbeitet und standardisiert ein wissenschaftlicher Archivar die vorhandenen Erschließungsdaten zu den historischen Akten, prüft die Möglichkeit einer Einbindung von Normdaten und erforscht die Struktur und den Aufbau des Bestandes.

Ziel ist es nicht nur, die Nutzbarkeit für die Provenienzforschung für die Dauer der Projektlaufzeit bis September 2023 zu gewährleisten, sondern vielmehr eine nachhaltige Nutzung der Projektergebnisse, Anwendungen und nicht zuletzt der Digitalisate und Erschließungsdaten zu ermöglichen. Das beinhaltet einerseits, die Akten online recherchierbar zu machen und andererseits die digitalisierten Akten möglichst umfänglich online zur Verfügung zu stellen. Dies schließt auch die Volltext-Durchsuchbarkeit der maschinenschriftlichen Teile der Akten auf Grundlage der automatischen Texterkennung (OCR-Daten) mit ein. Damit soll es den Überlebenden und deren Nachkommen, den Opfervertretungen aber auch der historischen Forschung ermöglicht werden, ihre berechtigten Interessen selbstständig zu recherchieren und die digitalisierten Akten zu nutzen. Darüber hinaus kann der Bestand zukünftig einer breiten Öffentlichkeit digital zugänglich gemacht werden.

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie auf der Website des Brandenburgischen Landeshauptarchivs oder dem Twitter-Account des OFP-Projektes (@ofp_projekt).