Das von der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) geförderte und am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur der Universität Leipzig (GWZO) angesiedelte Projekt untersucht am Beispiel des Gebiets Krasnodar im Süden der Rußländischen Föderation und der separatistischen Dnjestr-Republik im Ostteil Moldovas das Verhältnis von Geschichtspolitik, Eskalationsdynamik und Nationsbildung im östlichen Europa. Hauptanliegen ist, die Funktion der historischen Sinnstiftung im Kontext nationalistischer Gewaltentfaltung für einen Teilbereich des postsowjetischen Raumes aufzuhellen, wo seit dem Systemwechsel Vergangenheitsbilder, sprachliche Zuordnung und Konfessionszugehörigkeiten von nationalen Eliten zum Ausbau ihrer Herrschaft benutzt werden. Dieser Prozeß beinhaltet die Ersetzung der kommunistischen Ideologie durch ethnonationale Identitäten und die Überformung des territorial-administrativen Umbaus durch die Renaissance der nationalen Idee.
Mit der Souveränität haben die Nationen indes nicht nur ihre Geschichte zurückerobert. Die Vergangenheit wurde vielmehr als Steinbruch zum Ausbau nationaler Identitäten benutzt. Zu der Irritation über Abweichungen von präferierten Modernisierungen gesellt sich damit ein Befremden über den Umgang mit Geschichte, weil Teile der Vergangenheit durch eine konstruierte Historie ersetzt wurden. Festzustellen ist eine Ethnisierung von politischen Prozessen, mit der sich eine soziale Mobilisierungsabsicht verbindet, der es um die Aktivierung von ethnisch interpretierbaren Identitäten geht. Ob sich diese reaktivieren lassen, hängt wesentlich von der Integration der im Konflikt befindlichen Nationalitäten ab und den Intentionen der nationalen Eliten, die jedoch selten als verantwortungsvolle Modernisierungsträger handeln. Die gängige Bezeichnung „ethnischer Konflikt“ greift somit zu kurz: sie verstellt den Blick auf das eigentliche Anliegen der Konfliktakteure.
Die Geschichtsregion um das Schwarze Meer ist ein solcher Brennpunkt ethnopolitischer Konflikte in postkommunistischer Zeit, wo „ethnische Unternehmer“ Gewalt als Mittel zur Polarisierung ihrer Zielgruppen einsetzen und ‚Geschichte’ als zentrale Ingredienz bei der Stiftung regionaler Identitäten verwenden. Bei der Klärung dieser Verhältnismäßigkeiten für Moldova, Transnistrien und das Krasnodarer Gebiet geht es um die Frage, in welcher Weise Geschichtspolitik an interethnischer Gewalt der Gegenwart Anteil hat und ob sie zur Eskalation vorhandener Konfliktlagen beiträgt.
Das Projekt untersucht die Schnittstelle von Reproduktion, Deutung und Indienstnahme von Vergangenheit durch staatliche Eliten und führt dazu eine historisch-vergleichende Untersuchung von ethnopolitischen Konflikten im nördlichen Schwarzmeergebiet durch. Damit integriert es Forschungsstränge, die sich aus dem Diskurs zur Geschichtspolitik, aus Untersuchungen zur Konfliktgenese im ethnonationalen Kontext und zur Konfliktprävention entwickelt haben. Das Vorhaben ergänzt die Friedens- und Konfliktforschung um eine Perspektive, die nach den Entstehungsbedingungen und den konkreten Grundlagen ethnonationaler Konflikte in regionalen Spannungsgebieten fragt. Es zielt auf die spezifischen Problemen der europäischen Friedensordnung im osteuropäischen Transformationsraum und will einen theoretischen Beitrag zur Konfliktprävention leisten.
Projektleiter ist der Osteuropahistoriker Prof. Dr. Stefan Troebst (Professur für Kulturstudien Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig und GWZO), die Projektkoordination und -bearbeitung liegt in den Händen des Ethnologen und Historikers PD Dr. Dittmar Schorkowitz (schorko@rz.uni-leipzig.de, Tel. 0341/97-35 567).
Eine ausführlichere Projektbeschreibung samt englischer Fassung und Projektbibliographie findet sich auf der DSF-Homepage (URL http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de/html/body_troebst.html).