Im Rahmen ihrer Förderinitative „Einheit in der Vielfalt? Grundlagen und Voraussetzungen eines erweiterten Europa“ fördert die VolkswagenStiftung das Forschungsprojekt „Bodenrecht, Kataster und Grundbuchwesen im östlichen Europa 1918–1945–1989“ . Projektleiter sind die Historiker Hannes Siegrist (Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig) und Stefan Troebst (Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig/GWZO) gemeinsam mit Bogdan Murgescu (Historische Fakultät der Universität Bukarest). Das auf drei Jahre angelegte Projekt ist am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig angesiedelt und wird von dem Osteuropahistoriker Dietmar Müller koordiniert. Kooperationspartner sind die Universitäten Bukarest, Belgrad und Krakau.
Mit dem Projekt wird das Ziel verfolgt, Begriff, Institutionen und Praxisformen von Eigentum an Grund und Boden in Ländern Ostmittel- und Südosteuropas im 20. Jahrhundert – vornehmlich Polen und Rumänien sowie andere Vergleichspartner aus der Region – in den Blick zu nehmen. Das Projekt behandelt Grundeigentum als vielschichtiges Phänomen, in dem sich kulturelle, soziale und gesetzliche Regeln für den Umgang mit Boden im ländlichen Raum bündeln. Es wird nach seiner Bedeutung und Funktion für die politische Ordnung und Kultur, aber auch für die individuellen, familialen und betrieblichen Erwartungshorizonte gefragt. Die institutionelle Seite wird durch die historische Rekonstruktion von Gesetzen, Verordnungen und Doktrinen zum Bodenrecht sowie durch dessen technische und administrative Grundlagen in Gestalt von Katastern und Grundbüchern erforscht. Die gesellschaftliche Dimension des Bodenrechts wird mit einem Zugriff aus der Professionalisierungsforschung erschlossen, indem eigentumsrelevante Berufsgruppen (Geodäten, Agronomen, Rechtsanwälte und Notare) sowie die bäuerlichen Bevölkerung in den Blick genommen werden. Zentrale Arbeitshypothese des Projekts ist, dass in die property rigths an Grund und Boden, als eine der zentralen Stellschrauben zur Durchsetzung ideologischer Gesellschaftsprojekte, im 20. Jahrhundert wiederholt und massiv eingegriffen wurde. Das Versprechen eines allgemeinen und formal gleichen Eigentumsrechtes, das soziale Erwartungssicherheit und individuelle Autonomiegewährleistet, wurde weitgehend nicht eingelöst. Die nationale Überformung der Eigentumsordnung in der Zwischenkriegszeit ebenso wie die kommunistische in der Nachkriegszeit lasten als schwere Erbschaft auf der postkommunistischen (Re)Konstruktion einer liberal-individualistischen Eigentumsordnung. Inwiefern das „habsburgische Erbe“ in Gestalt von Katastern und Grundbüchern in Ostmittel- und Südosteuropa wirkungsmächtig geblieben ist, bleibt genauer zu bestimmen.
Das Projekt versteht sich durch seine theoretisch-methodische Verortung sowie durch die Zusammensetzung der Forschergruppe als interdisziplinär und beabsichtigt, Beiträge zur kultur-, begriffs- und sozialgeschichtlichen Eigentumsforschung, zur Sozialanthropologie sowie zur Professionalisierungsforschung zu liefern.