In den Jahren 2007 bis 2009 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Leipziger Forschungsprojekt „Griechenland und die Makedonische Frage (1944-1995): Erinnerungskultur, Geschichtspolitik und nationale Öffentlichkeit in Südosteuropa“. Projektleiter ist der Osteuropahistoriker Prof. Dr. Stefan Troebst (Institut für Slavistik und GWZO), die Projektkoordination und –bearbeitung übernimmt der Zeithistoriker Adamantios Skordos M. A (skordos@rz.uni-leipzig.de).
Das Projekt fragt am Beispiel der griechischen Überreaktion auf die Staatswerdung der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Makedonien im Jahr 1991 nach den Ursachen dafür, dass das Bild des Balkans im gegenwärtigen Griechenland weiterhin stark von nationalen Stereotypen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts geprägt ist. Das kulturgeschichtliche Forschungsvorhaben rekonstruiert in einer Langzeitperspektive Ansichten, Wahrnehmungen, Verhaltensmuster und vor allem Erinnerungsrituale einer südosteuropäischen Gesellschaft bezüglich eines von ihr so genannten – und auch so empfundenen – „nationalen Themas“. Dieses ist die Makedonische Frage, die neben anderen eine Teilfrage der im 18. Jahrhundert entstandenen Orientalischen Frage ist
Ziel des Forschungsprojekts ist es, die negative Reaktion der griechischen Gesellschaft auf die Gründung eines Staates mit dem Namen „Makedonien“ kulturgeschichtlich zu beleuchten bzw. die Rolle von Geschichte und historischer Erinnerung anhand des erinnerungskulturellen/geschichtspolitischen Ansatzes dabei festzulegen. Die Studie geht grundsätzlich davon aus, dass sowohl historische Ereignisse per se als auch die Art und Weise, wie deren Aufarbeitung oder Nicht-Aufarbeitung in der südöstlichen „Peripherie“ Europas erfolgte und immer noch erfolgt, für die Entstehung von Konflikten jüngeren Datums bzw. für ihre „Wiederkehr“ aus der langen wie kurzen Vergangenheit von hervorragender Bedeutung sind. Dementsprechend untersucht das Projekt, ob bzw. wie, drei identitätsstiftende Ereignisse und Erinnerungen der griechischen Nation, nämlich der Griechische Bürgerkrieg in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre mit seiner ausgeprägten makedonischen Dimension, das antike Makedonien Alexander des Großen sowie der antislawische „Makedonische Kampf“ von 1904-1908 die feindliche Haltung der Griechen gegenüber der Staatswerdung des modernen Makedonien determiniert haben und immer noch tun. Zentrale Hypothese des Projekts ist, dass die „traumatische“ Erfahrung des Griechischen Bürgerkriegs, als bürgerliche Nationalisten gegen sowjetorientierte Kommunisten und makedonische Autonomisten kämpften, geschichtspolitische Akteure des nationalistischen Siegerlagers ab 1950 dazu veranlasst hat, die Stiftung einer stolzen, aber auch zugleich antikommunistisch und antislawisch ausgerichteten hellenisch-makedonischen Identität im Nachkriegsgriechenland zu fördern; dies erfolgte im wesentlichen durch die geschichtspolitische Kultivierung von drei Erinnerungen: erstens jene an das antike Makedonien als „erster einheitlicher hellenischer Staat“; zweitens die an den „Makedonischen Kampf“, der Anfang des 20. Jahrhunderts im noch osmanischen Makedonien zwischen griechisch-gesinnten und bulgarisch-gesinnten irregulären Truppen ausgetragenen wurde; und drittens die Erinnerung an die Rolle, die die makedonischen Autonomisten Nordgriechenlands und vor allem ihr „Patronagestaat“, die jugoslawische Teilrepublik Makedonien (gegründet 1944), bei der Entstehung und Entfaltung des Griechischen Bürgerkriegs (1946-1949) gespielt haben.
Als wichtigste Quellen zur Erkundung der o. g. Sachverhalte werden die Presse, historiographische Publikationen, Graue Literatur u. ä., aber auch staatliche und private Archive herangezogen. Während öffentliche Quellen akribische Informationen über die Praktizierung öffentlicher Erinnerungsrituale und deren Resonanz von Seiten der Gesellschaft übermitteln können, rekonstruieren die Akten staatlicher Provenienz die geschichtspolitischen Entwicklungen hinter den Kulissen und beleuchten Motive einzelner Akteure.
Zentrale Aktivitäten des Forschungsvorhabens sind: a) die Organisation eines internationalen Workshops („The Macedonian Question in the Politics of History: Leaving the Past behind”), b) die Herausgabe eines englischsprachigen Sammelbandes in einem international renommierten Verlag, der sich aus den Beiträgen der Tagung sowie aus einigen zusätzlich ausgewählten Essays zusammensetzen wird und c) die Erstellung einer Monographie mit den Ergebnissen des Forschungsprojekts.
Angesichts der weiterhin ungelösten Namensfrage im griechisch-makedonischen Verhältnis sowie der relativ konkreten Beitrittsperspektive der Republik Makedonien zu NATO und EU kommt dieser zeithistorischen Studie aktuelle Bedeutung für die mittelfristige Entwicklung im südöstlichen Europa wie in der gesamten EU zu.