Andrej-Mitrović-Preis 2016 geht an Dennis Dierks aus Jena

Von
Milan Kosanovic

Der Andrej-Mitrović-Preis, der alle zwei Jahre von der Michael-Zikic-Stiftung ausgeschrieben wird, wurde 2016 an Dennis Dierks für seine Dissertation „Nationalgeschichte(n) im multikulturellen Raum. Geschichtskonstruktionen und Erinnerungskulturen im habsburgischen Bosnien-Herzegowina (1878-1914)“ vergeben.
Die Preisverleihung fand am 30. November am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München statt. Gastgeberin der Veranstaltung war Frau Professor Dr. Marie-Janine Calic. Die Laudatio hielt Milan Kosanović, der stellvertretende Vorsitzende der Michael-Zikic-Stiftung, in Vertretung des Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, Professor Dr. Dittmar Dahlmann.
Dennis Dierks wurde 1979 in Flörsheim am Main geboren. Von 1999 bis 2005 studierte er Geschichte, Islamwissenschaften, Turkologie und Slawistik an den Universitäten Mainz, Dijon und Wien als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. Von 2006 bis 2009 war er Promotionsstipendiat des DFG-Graduiertenkollegs „Kulturelle Orientierungen und soziale Ordnungsstrukturen in Südosteuropa“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2009 bis 2011 folgte eine Tätigkeit als Projekt-Mitarbeiter am Institut für Europäische Geschichte in Mainz. Seit 2011 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dort erfolgte 2014 auch seine Promotion.
Die Dissertation von Dennis Dierks geht der Frage nach, wie die einzelnen Nationalbewegungen in Bosnien-Herzegowina während der österreichisch-ungarischen Herrschaft in ihren Geschichtsentwürfen auf den multikulturellen Charakter des Landes reagierten und rückt dabei die bürgerliche serbische Erinnerungskultur in den Mittelpunkt. Die Grundlage der Untersuchung bildet die Auswertung von Tageszeitungen, kirchlichen und religiösen Zeitschriften, Unterhaltungsblättern und Volkskalendern in serbokroatischer und teilweise auch osmanischer Sprache.
Ausgehend von der Analyse des bosnischen Mittelalterdiskurses, den er als regionale Ausprägung eines gesamteuropäischen Mediävalismus deutet, zeigt der Autor auf, wie sich Serben und Kroaten in ihren in verschiedenen Zeitschriften und den Volkskalendern popularisierten Geschichtsbildern an einer wie auch immer gearteten mittelalterlichen Staatlichkeit orientierten, die nun als Nationalstaat wiederentstehen sollte. Daraus wurde der Anspruch auf spezifische Räume abgeleitet, was dann schließlich nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu heftigen Polemiken zwischen den ethnokonfessionellen Gruppen führte, die im Kontext einer stets zu differenzierenden südslawischen Diskursgemeinschaft standen. Eine wichtige Rolle spielten in diesem Zusammenhang auch national-religiöse Gedenktage, wie der Autor am Beispiel des Gedenkens an die Schlacht auf dem Amselfeld und den Feierlichkeiten zu Ehren des Hl. Sava illustriert. Diese wurden nicht nur als gesamtserbische Feiern in Szene gesetzt, sondern enthielten auch das Angebot an die muslimische Bevölkerung, sich durch das Mitfeiern als Serben zu bekennen, was auf muslimischer Seite aber weit überwiegend auf Ablehnung stieß. Ein Grund hierfür waren neben der religiösen Prägung dieser Feiern auch in diesem Zusammenhang reproduzierte antimuslimische Geschichtsbilder. So erfolgte schlussendlich statt der angestrebten transkonfessionellen Identitätsbildung eine starke Polarisierung.
Dies führt Dennis Dierks dann schließlich zu dem allgemeinen Fazit, dass im bürgerlichen Nationalismus in Bosnien-Herzegowina die konflikthafte Dynamisierung kultureller Differenz zunächst weniger durch die Konstruktion von Negativstereotypen und Feindbildern ausgelöst wurde, sondern vor allen Dingen durch erinnerungskulturelle Vereinnahmungsversuche der jeweils anderen ethnokonfessionellen Gruppe, die als übergriffig empfunden wurden und daran scheiterten, dass sich die Aussender dieser „Integrationsangebote“ nicht von ihren konfessionell geprägten Geschichtsbildern zu lösen vermochten.
Bosnien-Herzegowina erscheint in der vorliegenden Arbeit dabei nicht als etwas Fremdes oder Fernes, eben Orientalisches, sondern als Teil eines europäischen Diskurses über die nationale Geschichte, der hier verspätet und unter der Prämisse der Überwindung der konfessionellen Vielfalt geführt wurde. Der Autor zeigt, wie er an diesem Anspruch letztlich scheiterte und damit zu einer Verfestigung der ethnischen Differenz beigetrug.
Mit der Arbeit von Dennis Dierks würdigt die Michael-Zikic-Stiftung eine Studie, die auf hohem Niveau Neuland betritt, wissenschaftlich differenziert argumentiert und dennoch gut lesbar ist. Sie ist nicht nur ein wesentlicher Beitrag zu den Forschungen über Nationalismus und Erinnerungskultur in Südosteuropa, sondern hat auch eine große Bedeutung für vergleichende und allgemeine Studien zu diesen Thematiken.

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