Aufruf zur Beteiligung am open peer review "Den Kalten Krieg vermessen - Reichweite und Alternativen einer binären Ordnungsvorstellung"

Von
Frank Reichherzer

Aufruf zur Beteiligung am open peer review Verfahren

Den Kalten Krieg vermessen
Über Reichweite und Alternativen einer binären Ordnungsvorstellung
herausgegeben von Frank Reichherzer, Emmanuel Droit & Jan Hansen

1. Idee – Der „Kalte Krieg“ als Ordnungsvorstellung und ihre Wirkmächtigkeit

Das Schlagwort „Kalter Krieg“ prägte wie kein zweites die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. „Kalter Krieg“ meint und meinte jedoch vieles durchaus Verschiedenes. In diesem Essayband und seinen Beiträgen soll der von den Zeitgenossen so genannte „Kalte Krieg“ weder als eine Epoche, die von 1947/49 bis 1989/91 reichte, noch als Stilmittel verstanden werden, das den Zustand der Beziehungen zwischen Staaten beschreibt. Hier soll der „Kalte Krieg“ konkret als Manifestation eines Denkstils verstanden werden, der Welt in bestimmten Kategorien versucht(e) zu begreifen und zu ordnen. „Kalter Krieg“ markiert für unsern Band daher eine Chiffre, die für eine paradigmatische Ordnungsvorstellung steht, die ein bestimmtes Ordnungssystem hervorgebracht hat. Grundlage dieser Ordnung war die radikale binäre Logik des Entweder-Oder, die den Anspruch erhob, als leitendes Kriterium für die Ordnung der Welt und die Strukturierung von Gesellschaft zu dienen. In gewissem Sinn war der zeigt sich im „Kalten Krieg“ eine Form der Hypermoderne, die auf klaren Unterscheidungen und eindeutigen Zuordnungen beruht. Mit Hilfe dieses Musters und den damit verbundenen Wahrnehmungsfiltern ließen sich zum einen zeitgenössisch bestimmte Probleme erkennen, konkretisieren und einordnen. Zum anderen ist diese Setzung auch der analytische Ausgangspunkt des Bandes.

Bipolarität und binäres Denken schrieben sich als handlungsleitende Paradigmen in nahezu alle Bereiche der Gesellschaft ein. Sie waren aber niemals total – höchstens in ihrem Anspruch. Immer wieder und zu jeder Zeit wurden sie unterlaufen oder spielten nur eingeschränkt eine Rolle. Ja selbst das binäre Denken trug die Ambivalenzen in sich (Bernd Greiner). So standen der Konstruktion und Verfestigung der Ordnungsvorstellung „Kalter Krieg“ gleichzeitig Alternativen, Residuen und Widerstände gegenüber. Dass die im „Kalten Krieg“ zum Ausdruck kommende binäre Logik gewaltige Folgen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigte, die bis in die Gegenwart anhalten, steht außer Frage. In unserem Essayband wollen wir uns jedoch auf die Suche nach alternativen Ordnungen machen, die die Zeitgenossen entwarfen. Wir möchten ihren Transzendierungen nachgehen, Grenzverschiebungen ausmachen und Nischen aufspüren, in die der „Kalte Krieg“ nicht oder nur begrenzt eindrang. Damit soll die Präsenz und Wirkung der Ordnungsvorstellung des „Kalten Krieges“ mit ihren Ordnungssystemen nicht unterbewertet werden. Es geht vielmehr darum, den Kalten Krieg und seine binär codierte Ordnung und auch damit das Projekt der Moderne in einen breiteren Kontext einzuordnen – den „Kalten Krieg“ zu vermessen.

Dazu nehmen wir den „Kalten Krieg“ als Ausgangspunkt und Referenzrahmen. Vereinfacht dienen vier Modi als analytische Annährungen an das Thema, die auf den Grad der Transzendierung des binären Ordnungssystems gerichtet sind. Auf der ersten Ebene sind es alternative Konzepte und Rekonfigurationen, die sich innerhalb des Referenzrahmens abspielen und die lediglich binäres Denken modifizieren, Grenzziehungen neu ausloten und verschieben oder die Bezugspunkte mit neuen Inhalten füllen (z.B. Nord-Süd statt Ost-West). Zweitens sollen Nischen und Lücken im Ordnungssystem gesucht und betrachtet werden (z.B. kybernetisches Denken, Architektur). Drittens geht es um Transzendierungen, die die binäre Ordnung – also den Referenzrahmen selbst – herausfordern, sich an ihr abarbeiten und dem „Kalten Krieg“ alternative Ordnungen von Welt gegenüberstellen (z.B. Club of Rome, Interdependenztheorien). Viertens interessieren uns Diskurse, die in ihrem Denken vollständig vom „Kalten Krieg“ als Referenzpunkt losgelöst waren und – ohne ihn überhaupt zu thematisieren – Deutungsmuster produzieren (z.B. „One World“).

Daraus und in Mischung der Analyseebenen ergibt sich etwa folgender Fragenkatalog: Wann traten – auch in diachroner Perspektive – Irritationen in und an der Ordnung des Kalten Krieges auf? Inwiefern, in welchen Zusammenhängen und warum funktionierte die Logik des „Kalten Krieges“ nicht (mehr)? Welche Akteure und Institutionen imaginierten alternative Ordnungen, und wie sahen sie aus? Wo zeigten sich Widerstände gegen Grenzüberschreitungen des Ordnungssystems und von wem gingen sie aus? Welche Praktiken rissen wann Löcher in den „Eisernen Vorhang“? Welche Strategien zur Überwindung aber auch Anpassungen der Ordnungsvorstellungen und des Ordnungssystems ergaben sich? Wie beeinflussten sich etwa Ost-West-Rivalität, „Globalisierung“ und Interdependenzdenken wechselseitig? Wann und warum konnten Probleme nicht mehr in der manifestierten binären Struktur betrachtet und gelöst werden? Wie überlagerten und beeinflussten sich verschiedene, ja widersprüchliche Ordnungen? Wo zeigen sich Gleichzeitigkeiten des Ungleichzeiten oder Ungleichzeitigkeiten des Gleichzeitigen? Wie ordnete sich Macht neu bzw. um? Was waren die Räume und Orte der Diskussion und Aushandlung? Wer waren die Mittler, was die benutzten Medien und Kanäle? Und schließlich: Wo liegen die Grenzen dieser umfassenden Transformation? Wo blieb und bleibt die binäre Ordnungsvorstellung des „Kalten Krieges“ (auch nach 1989/91) dominant und welche neuen Manifestationen eines binär formatierten Ordnungssystems zeigen sich heute?

Um diese Fragestellungen zu operationalisieren und miteinander zu verbinden, lehnen wir uns an das Konzept der „Figur des Dritten“ (Albrecht Koschorke) an. Es dient als heuristische Suchhilfe, um Phänomene überhaupt erst zu entdecken. Das Dritte ist oft am Rande der Gesellschaft zu finden. Es stört, weil es der binär-modernen Komplexitätsreduzierung und spezifischen Rationalität zuwider läuft. Die verschiedenen Figurationen des Dritten – von sozialen Protestbewegungen über die Metapher des Netzes bis zur blockfreien „Dritten Welt“ – bieten eine Unendlichkeit von Optionen an und sind deshalb Störfaktoren jeder Bipolarität und der Einhegung von Kontingenz.

Es geht zusammengefasst in diesem Essayband in einem ersten Schritt darum, die Reichweite der Ordnung des Kalten Krieges, aber auch der alternativen Entwürfe sowie die sich hier zeigenden Reibungen und Wechselwirkungen zu skizzieren. Von dieser Basis aus wollen wir – in einem zweiten Schritt – Wege erkunden, um zu einer neuen Sicht auf die Zeit nach 1945 und das 20. Jahrhundert beizutragen und die Geschichte des „Kalten Krieges“ nicht nur in schwarz-weiß, sondern auch in bunt zu zeichnen.

2. Ansatz und Struktur – Verknüpfungen herstellen

Der Band ist daher als Essayband gedacht, in dem die oben skizzierten Ideen und Fragekomplexe auf je einen spezifischen Gegenstand angewendet werden. Die Autoren sind ausgewiesene Experten für die jeweiligen Untersuchungsgestände und wenden die gemeinsame Fragestellung auf „ihren“ Gegenstand an. Zentral für den Band sind die Verbindungen zwischen den Bereichen. Die hypertextuellen Verweise zu anderen Texten sind daher eine angemessene Form, die den Leser bewußt herausfordern, seine Lektürewege selbst zu wählen und sich das Thema mit all seinen Bezügen zu erschließen – oder auch nur selektiv in das Thema einzusteigen. Die Auswahl der Gegenstände kann nur unvollständig sein, sie deckt aber große Bereiche ab und macht Verknüpfungen möglich. In den Bezügen zwischen scheinbar beliebigen Themen, die der Band liefert, liegt ein großer Erkenntnisgewinn für der Vermessung und Historisierung eines Phänomens das eine Epoche bestimmte.

3. Machen Sie mit! Aufruf zur Teilnahme am open-peer review Verfahren.

Die Idee und die Konzeption des Bandes laden gerade dazu ein ihn im open peer review Verfahren zu gestalten. Open peer review, oder offenes Begutachtungsverfahren, liefert nicht nur ein Höchstmaß an Transparenz. Kommentare und Reaktionsmöglichkeiten der Autoren – also der Austausch und die Diskussion mit anderen Wissenschaftlern macht die Ergebnisse der Beiträge besser. Neben diesen allgemeinen Charakteristika der open peere review Idee ist dieses Verfahren wichtig. Kommentieren Sie nicht nur. Bringen Sie sich als Leser ein und helfen Sie uns Bezüge zwischen den Texten herzustellen! An alle, die sich an diesem Projekt beteiligen, möchte ich Ihnen schon jetzt auch im Namen meiner Mitherausgeber und des Verlags sehr herzlich für Ihr Engagement danken.

4. Organisatorisches

Zeitrahmen: Das Verfahren ist bis zum 15. August 2017 geöffnet
Zugang: https://opr.degruyter.com/den-kalten-krieg-vermessen/

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