Nicht nur während der Corona-Pandemie, der Friedlichen Revolution in der DDR, im Osmanischen Reich oder in den Umwälzungen des Spätmittelalters bis zur Reformation: Religionen treten als Krisenakteurinnen in Erscheinung. Wie präfigurieren Religionen angesichts von Krisendiagnostiken soziale Kohäsion? Was tragen sie für gesellschaftlichen Zusammenhalt aus? Eine wesentliche Grundannahme der am Kolleg beteiligten Wissenschaftler:innen ist es, dass im Zuge kriseninduzierter Prozessierungen von Wissen als symbolische Ordnungen mittels Praktiken der Kritik immer auch Fragensozialer Konfigurationen mitverhandelt werden, die in direktem Zusammenhang mit Fragen sozialer Kohäsion stehen. Religionsgemeinschaften sind mit ihren religiösen Sinndeutungspraktiken Transformationsansprüchen ausgesetzt und agieren nolens volens als Krisenakteurinnen. Sie wirken krisenverursachend, krisenverstärkend, in konstruktiver Weisekrisenbearbeitend, in jedem Fall krisendeutend. Sie greifen in ihren Krisendiagnosen und Kritikpraktiken auf gesellschaftliche, wie im Kontext von Religionsgemeinschaften prozessierte narrativ strukturierte Symbolwelten, Wert- und Normvorstellungen und Ritualpraktiken als Formen verkörperten Wissens zurück.
Das intertheologisch ausgerichtete Graduiertenkolleg der Universität Hamburg und der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg fokussiert in der Bearbeitung des Gegenstandes vier Felder mit entsprechenden Leitperspektiven, die idealerweise in je einem Promotionsvorhaben in besonderer Weise aufgenommen werden: Über eine politische, eine ökonomische, eine ökologische und eine epistemologische Leitperspektive sollen Verbindungslinien zwischen Religion und Kritik, Krisendiagnosen und der Frage nach sozialer Kohäsion in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche untersucht werden. Dabei sollen kommunikativ-mediale Praktiken, Emotions- und Affektpolitiken, Argumentationsstile, soziale Dynamiken und Machtkonflikte in den Blick genommen werden.
Organisatorisch werden die verschiedenen Felder von den am Graduiertenkolleg beteiligten Wissenschaftler:innen gemeinsam verantwortet, wobei sich die intertheologische Perspektivierung des Gesamtvorhabens in primären Feldzuständigkeiten verschiedener Theologien bzw. religionsbefasster Fächer widerspiegelt. Die Supervision der Promotionsprojekte erfolgt voraussichtlich in interdisziplinären Tandems.