Netzwerk "Auffang- und Flüchtlingslager in Deutschland nach 1945"

Netzwerk "Auffang- und Flüchtlingslager in Deutschland nach 1945"

Projektträger
Georg-August-Universität Göttingen, Zeitgeschichtlicher Arbeitskreis Niedersachsen (ZAKN) ()
Ausrichter
Ort des Projektträgers
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.04.2009 -
Von
Sascha Schießl

Im Rahmen eines am Zeitgeschichtlichen Arbeitskreis Niedersachsen (ZAKN) angesiedelten Projekts zum geplanten Museum im Grenzdurchgangslager Friedland soll ein Netzwerk von Doktoranden aufgebaut werden, die sich im weitesten Sinne mit Auffang- und Flüchtlingslagern und den dort betreuten Gruppen in Deutschland nach 1945 beschäftigen. Für den Frühherbst 2009 ist hierzu ein Workshop angedacht.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs bemühten sich die Militärverwaltungen der Siegermächte, die deutschen Behörden sowie die Kirchen und Wohlfahrtsverbände, Regelungen für die große Zahl von Menschen zu finden, die auf den Straßen Deutschlands unterwegs waren. Innerhalb kurzer Zeit entstanden vor allem entlang der Grenzen der Besatzungszonen zunächst improvisierte, dann rasch ausgebaute Flüchtlingslager. DPs, Evakuierte, Flüchtlinge und Vertriebene, elternlose Kinder und Jugendliche wurden für wenige Stunden oder ein bis zwei Tage aufgenommen und betreut, um dann rasch – oftmals in eine der anderen Besatzungszonen – weitergeleitet zu werden.

Daneben wurden in nahezu jeder größeren Stadt Flüchtlings- und Wohnlager errichtet, in denen die Menschen in Ermangelung anderen Wohnraums mitunter sogar mehrere Jahre lebten. Diese Lager verschwanden erst im Laufe der Jahre aus dem Stadtbild oder entwickelten sich zu festen Siedlungen.

Auch die meisten Auffang- und Durchgangslager wurden mit dem Nachlassen des ersten Flüchtlingsstroms aufgegeben. Allerdings blieben einige dieser Einrichtungen bestehen und übernahmen neue Funktionen. Sie beherbergten und betreuten nun entlassene Kriegsgefangene, Aussiedler, Flüchtlinge bzw. Auswanderer aus der SBZ/DDR, und politische Flüchtlinge (etwa aus Ungarn), bevor diese in lokale Aufnahmelager oder –heime bzw. andere Durchgangslager weitergeleitet wurden. Beispiele hierfür sind die Durchgangslager in Friedland, Furth im Walde, Schirnding, Gießen, Uelzen-Bohldamm, Frankfurt (Oder), die zum Teil bis in die 1960er Jahre bestanden. Das Grenzdurchgangslager Friedland existiert sogar bis heute als die bundesweit einzige Erstaufnahmeeinrichtung für Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion.

Obschon einige lokale Studien existieren, die sich mit einzelnen dieser Lager beschäftigen, ist die Forschungslage als äußerst dürftig zu kennzeichnen. Die wenigsten der größeren Flüchtlings- und Auffanglager sind bislang überhaupt erforscht. Für manche läßt sich nicht einmal problemlos ermitteln, wie lange sie bestanden, wer sie beaufsichtigte und für welche Gruppen sie zuständig waren. Wer heute auch nur diese grundlegenden Informationen sucht, muß in den meisten Fällen direkt in den zuständigen Archiven recherchieren. Eine systematische Erforschung dieser Orte sowie ihrer Verbindungen untereinander steht damit aus. So wird noch zu klären sein, welche Bedeutung diese unzähligen Institutionen für die Gestaltung der Nachkriegsgesellschaft zukam und welche politischen Entscheidungsprozesse die Entstehung und den Funktionswandel der Lager bedingten.

Für das Grenzdurchgangslager Friedland wird dieses Forschungsfeld am Zeitgeschichtlichen Arbeitskreis Niedersachsen bearbeitet, der das Projekt des Landes Niedersachsens zur Errichtung eines Museums im Lager Friedland wissenschaftlich begleitet. Hier werden neben der unerläßlichen Grundlagenforschung sowohl mögliche Objekte für das spätere Museum recherchiert als auch Interviews mit Zeitzeugen durchgeführt.

Eingebettet in dieses Projekt soll der Versuch unternommen werden, insbesondere Doktoranden zusammenzubringen, die zu einem der folgenden oder zu verwandten Themen forschen:

- einzelne Durchgangs- und Flüchtlingslager im Nachkriegsdeutschland sowie deren Verbindungen untereinander
- politische Entscheidungsprozesse bei der Errichtung der Lager und bei der Steuerung der Flüchtlingsströme
- Umgang der Verwaltungen mit den Gruppen, die die Lager durchliefen (Betreuung, aber auch der Aspekt der z.T. systematischen Befragungen)
- karitative Arbeit der Wohlfahrtsverbände und der Kirchen in den Lagern
- Funktionswandel der Lager im Laufe ihres Bestehens
- „unorganisierte“ Flüchtlingsströme von Lager zu Lager sowie abseits der Lager
- „Integration“ der die Lager durchlaufenden Flüchtlinge, Vertriebenen, Heimkehrer und anderen Gruppen in die Gesellschaft

Eine Vernetzung der an diesen und verwandten Themen Forschenden soll nicht nur ein besseres Verständnis für die Geschichte der Durchgangs- und Flüchtlingslager ermöglichen, sondern auch dazu beitragen, sich über die jeweiligen Forschungsprojekte auszutauschen, andere Forschungsansätze kennenzulernen, und Fragen, bei denen vielleicht Kollegen weiterhelfen können, zu klären. Ein erster Schritt soll die Einrichtung eines E-Mail-Verteilers sein. Für das Frühherbst 2009 wird ein Workshop zu dieser Thematik angestrebt, in dem die einzelnen Forschungsarbeiten vorgestellt und diskutiert werden können. Im Laufe der Zeit könnte eine Art Datenbank entstehen, in der Informationen zu den Durchgangs- und Flüchtlingslagern zusammengetragen und mit zentralen Dokumenten verbunden werden.

Doktoranden, die Interesse daran haben, sich an diesem Forschungsnetzwerk zu beteiligen, sind herzlich eingeladen, sich zu melden. Anregungen, Erweiterungen und Vorschläge sind ebenfalls sehr willkommen!