Elitenwandel (DFG-Projekt)

Projektträger
-- ()
Ausrichter
Ort des Projektträgers
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.01.1997 - 20.10.1999
Von
Schiller, Rene

Liebe Kollegen,

im Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Berliner DFG-Projekts "Elitenwandel in der gesellschaftlichen Modernisierung", das ausfuehrlich unter der Adresse http://www2.rz.hu-berlin.de/inside/geschichte/ifg/projekte/eliten/elite3.htm vorgestellt wird, moechte ich hier einige Grundannahmen unseres Forschungsvorhabens zur Diskussion stellen.

In einer Langzeitstudie, die den Zeitraum von 1750 bis 1933 umfasst, untersuchen wir den Prozess moderner Elitenbildung aus Adel und Buergertum, und zwar aus der Sicht des Adels heraus. Dabei betonen wir die grundsaetzliche Notwendigkeit der Elitenkonstituierung - dass heisst der Herausbildung eines politischen und kulturellen Minimalkonsenses zwischen den Fuehrungsschichten - fuer die kapitalistische, buerokratisierte, wissenschaftlich entmystifizierte, demokratische Massengesellschaft. Dieses Minimum erfolgreicher Elitenneubildung kam in Deutschland bis 1933 - im Unterschied zu England und Frankreich - offensichtlich nicht weit genug voran, um maessigend auf den schmerzhaften Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung einzuwirken.

Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts sah sich der Adel in Deutschland als Positions- und Wertelite, doch setzte das aufklaererisch-liberale (Stadt-) Buergertum seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert seinen eigenen universalen Anspruch dagegen. Die sukzessive Aufloesung dieses Anspruches und die damit einhergegangene Pluralisierung des utopisch-sozialverbindlichen buergerlichen Wertesystems machte fuer die sich herausbildende moderne Industriegesellschaft die Ausbildung funktionaler Eliten noetig, in denen Teile des Adels und des Buergertums sich begegnen sollten, um schliesslich eine neue gesamtstaatliche Elite zu konstituieren.
Trotz unuebersehbarer Beharrungs- und Adaptionsleistungen ist die Geschichte des Adels im 19. und 20. Jahrhundert als eine Geschichte des, freilich immer wieder gebremsten oder gar gestoppten Niedergangs zu begreifen. Die sich rasch ausbildende moderne Massengesellschaft, der Aufstieg des Industriekapitalismus, die Bildung von Erwerbsklassen, die Saekularisierung und die "entzauberte" Weltdeutung, schliesslich der Druck zur offenen Partizipation entzogen dem Adel zunehmend die Grundlagen seiner urspruenglichen Vorrangstellung. Es gelang grossen Teilen des Adels wenig oder gar nicht, flexible Strategien zu entwickeln, mit denen der Weg in die moderne Gesellschaft statussichernd haette bewaeltigt werden koennen.
Es scheint fuer Deutschland paradigmatisch zu sein, dass der Diskurs ueber neue Fuehrungsschichten nicht um ein Konzept des Elitenaustausches oder - wandel kreiste, sondern die Frage nach der Bildung eines "neuen Adels" im Mittelpunkt stand. Nicht zufaellig und unabsichtlich tradierte das neohumanistische Kultur- und Bildungsideal des Buergertums in sich viele Elemente der alten Adelskultur. Sogar die Intellektuellen in Deutschland favorisierten "aristokratische" und "charismatische" Elitenmodelle gegenueber liberalen Partizipationsideen, wie an den Diskussionen ueber "Masse-Elite-Fuehrer" des fruehen 20. Jahrhunderts abzulesen ist.

Diese grundsaetzlichen Ueberlegungen bilden einen wesentlichen Teil des Hintergrundes der sondenartig angelegten Teilstudien der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts. Wir wuerden uns freuen, wenn unsere Diskussionen auf diesem Weg eine weitere Bereicherung erfahren.

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Projektsprache(n)
Deutsch
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