Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Listenmitglieder,

ich arbeite momentan u.a. an einem Manuskript zum historischen Ort der Liebe im Nationalsozialismus. Grundlage ist eine bislang unerforschte Sammlung persönlicher Liebesbriefe, die eine Vielzahl von Frauen höchst unterschiedlicher sozialer Herkunft an Adolf Hitler schrieben. Ursprünglich in der Reichskanzlei archiviert, gelangte diese Sammlung in den Nachkriegswirren über komplizierte Umwege in die USA und befindet sich heute in Privatbesitz.

Diese Briefe bewegen sich innerhalb zweier unterschiedlicher sprachlicher Bezugsrahmen, dem Genre des Liebesbriefes einerseits, den linguistischen Konventionen des NS-Regimes andererseits. Die ganz unzweifelhafte Ernsthaftigkeit, mit der die Schreiberinnen auf ein romantisches Zusammentreffen mit dem Diktator hofften und die unbeholfenen Versuche des Regimes, auf solcherart uneingeforderten und kaum zu kontrollierenden Ausbrüche erotischer Leidenschaft adäquat zu reagieren, werfen weitreichende Fragen nach der Bedeutung dieser auf den „Führer“ projizierten Gefühle, nach dem Zusammenhang von Liebe und öffentlicher Ordnung sowie nach der potentiell subversiv und/oder integrativen Funktion von Emotionalität in der europäischen Gesellschaft der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf. Andere Diktatoren wie Stalin und Mussolini erhielten im übrigen ganz ähnliche Briefe, die ich zumindest in Ansätzen zu Vergleichszwecken miteinbeziehen werde; zudem fragt sich, ob David Bowies umstrittenes Wort von Hitler als dem "ersten Popstar" hier seine unerwartete Berechtigung findet.

Nun bin ich selbst kein ausgewiesener NS-Experte -- und wäre daher für jeden, wie auch immer gearteten Hinweis besonders dankbar, den andere Listenmitglieder in diesem Kontext womöglich haben könnten; mit der umfangreichen Literatur zur Rolle und Position von Frauen im Nationalsozialismus bzw. zur Geschichte der Sexualität bin ich allerdings einigermassen vertraut.

Mit besten Grüssen und einem herzlichen Dank im Voraus,

Ihr

Alexander Geppert