Jazz im „Ostblock“ – Widerständigkeit durch Kulturtransfer
Projektleitung: Prof. Dr. Gertrud Pickhan
Projektkoordination: Dr. Rüdiger Ritter
Das Projekt wird aus Mitteln der VolkswagenStiftung finanziert.
Musik der Freiheit und Demokratie, der Modernität sowie Symbol des american way of life – dies sind die zentralen Elemente eines Mythos, der den Jazz seit seiner Entstehung umrankt und insbesondere in den staatssozialistischen Gesellschaften Ostmitteleuropas nach 1945 virulent wurde. Insider der Szene schreiben dem Jazz eine wichtige Rolle im Widerstand gegen die staatssozialistische Ordnung zu. Hier muss jedoch differenziert werden: Formen politischen, zielgerichteten Widerstands lassen sich im ostmitteleuropäischen Jazz kaum beobachten. Aber bereits auf den ersten Blick so „unpolitische“ Erscheinungen wie simple Spiel- und Improvisationsfreude oder die Existenz einer vom Regime schwer zu kontrollierenden Jazz-Szene machten den Jazz und sein Umfeld im Ostblock unweigerlich zu einem Politikum ersten Ranges, das zudem durch die Verbindung des Jazz mit seinem Ursprungsland geprägt wurde: Der Transfer US-amerikanischer Kulturformen bewirkte eine ideelle Stärkung oppositioneller Kreise; dies wiederum nutzen US-amerikanische Propagandaoffiziere aus und machten den Jazz ihrerseits zu einer politischen Waffe im Kalten Krieg.
Ziel des Projektes ist es, die Wirkungsparadigmen des Jazz im Staatssozialismus zu beschreiben und somit einen Beitrag zu einer Kulturgeschichte des Staatssozialismus von einer bislang aus wissenschaftlicher Sicht noch kaum in Angriff genommenen Perspektive zu leisten. Zu diesem Zweck sollen Akteure, musikalische Ausdrucksformen, Handlungsspielräume, Medien und Institutionen des Jazz im Zeitraum vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Zusammenbruch der staatssozialistischen Regimes in der VR Polen, der DDR, in Ungarn und in der CSSR betrachtet werden. Um die spezifische Zwischenstellung des Jazz zwischen Widerstand einerseits und Alternativkultur andererseits deutlich und zugleich das Rebellische des Jazz in seinem habituellen Charakter (Bourdieu) greifbar zu machen, wird zur Beschreibung der Wirkung des Jazz der Arbeitsbegriff „Widerständigkeit“ verwendet.
Die Verifizierung des postulierten „widerständigen“ Charakters des Jazz wird in insgesamt acht eng aufeinander bezogenen Teilprojekten unternommen, die (bis auf die Arbeitsbereiche der Projektleiterin und des Projektkoordinators) als Doktorandenstipendien angelegt sind. Unter Berücksichtigung sozial- und musikwissenschaftlicher Aspekte leistet das Projekt somit einen Beitrag zur Kulturgeschichte des Staatssozialismus. Als gemeinsames Projektendergebnis soll schließlich eine theoretisch und empirisch abgesicherte These zur gesellschaftlichen Wirkung des Jazz im Staatssozialismus erarbeitet werden, die Anstoß für weitere Forschungen zur Funktion anderer Musiksparten (Rock, Pop, Klassik) im betrachteten Zeitraum gibt.
Der öffentliche Startschuss für das von der VolkswagenStiftung finanzierte Forschungsprojekt findet mit der feierlichen Eröffnung der Ausstellung „Polski Jazz. Ein Fenster zur Freiheit“ am 23. November 2007 ab 19:00 Uhr im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin statt, zu der wir herzlich einladen möchten. Die Ausstellung zeigt Schwarzweiß-Aufnahmen von polnischen Jazzgrößen aus den Jahren 1958 bis 1979 des Fotografen Marek A. Karewicz. Im Anschluss wird um 20:00 Uhr in einer Gesprächsrunde mit Experten und Zeitzeugen der Frage „Welche Rolle hatte der Jazz in den kommunistischen Gesellschaften Ostmitteleuropas inne?“ nachgegangen.
Weitere Informationen zum Projekt und zur Ausstellung finden Sie auf der Website: http://www.oei.fu-berlin.de/projekte/jazz/index.html