DFG-Projekt "Die reformationsgeschichtlichen und historiographischen Quellen des frühen 18. Jahrhunderts auf Schloss Friedenstein Gotha. Erschließung des Nachlasses des Theologen und Kirchenhistorikers Ernst Salomon Cyprian (1673-1745)"

Von
Daniel Gehrt

Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt zur Erschließung des Nachlasses des Theologen, Kirchenrats, Historikers und Bibliotheksdirektors Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) macht die für den europäischen Protestantismus, den Pietismus und die Gelehrtenkultur des frühen 18. Jahrhunderts zentrale Sammlung erstmals der Forschung zugänglich. Das etwa einhundert Handschriftenbände umfassende Überlieferungskorpus mit circa 8.000 einzelnen Schriftstücken in der Forschungsbibliothek Gotha und im Thüringischen Staatsarchiv Gotha auf Schloss Friedenstein zählt neben den Handschriften der Reformationszeit und dem Nachlass der Jenaer Theologen Johann (1582–1637) und Johann Ernst Gerhard (1621–1668) zum Kern der hochkarätigen Gothaer Sammlung zur Kulturgeschichte des Protestantismus in der Frühen Neuzeit. Es gelangte in Teilen bereits zu Lebzeiten Cyprians in die Bibliothek, ein weiterer Teil wurde nach seinem Tod für die Bibliothek erworben.

Cyprian wurde 1673 in Ostheim vor der Rhön als Apothekersohn geboren und besuchte das Gymnasium in Schleusingen. Er studierte in Leipzig Medizin und in Jena Theologie, widmete sich aber dann verstärkt der Kirchengeschichte. Er folgte seinem Mentor Johann Andreas Schmidt nach Helmstedt und erhielt dort 1699 eine außerordentliche Professur. Während seiner seit 1700 ausgeübten Tätigkeit als Direktor des Gymnasium Casimirianum in Coburg wurde er aufgrund seines Renommees als Historiker in die Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften in Berlin aufgenommen und wurde in Wittenberg zum Doktor der Theologie promoviert. 1713 übernahm er als Kirchenrat eine kirchenpolitische Schlüsselposition im Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg. Neben vielfältigen Aufgaben am Gothaer Hof, wo er bis zu seinem Lebensende 1745 wirkte, hatte er auch das Direktorat der Herzoglichen Bibliothek und des Münzenkabinetts inne. Cyprian baute die Gothaer Sammlungen umfassend aus, trieb ihre wissenschaftliche Bearbeitung voran und machte sie europaweit bekannt. Seine eigenen Forschungen lagen vorwiegend im kirchenhistorischen Bereich. Dabei leistete er beachtliche Beiträge nicht nur zur Geschichte des Protestantismus, sondern auch der römisch-katholischen Kirche. Als dezidierter Kritiker des Pietismus wandte er sich gegen Gottfried Arnolds immens einflussreiche „Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie“ (1699/1700). Einige Großprojekte, die Cyprian anstieß, wie die Gesamtausgabe von Melanchthons Briefen und die Edition der griechisch-orthodoxen Quellen der Herzoglichen Bibliothek, konnten nie vollendet werden, sind aber durch Briefe, Werkmanuskripte und Spuren in den Handschriften heute wieder nachzuvollziehen. Auf reichspolitischer Ebene war der Gothaer Kirchenrat wesentlich daran beteiligt, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts diskutierten Pläne einer Union zwischen der lutherischen und reformierten Konfession zu verhindern.

Durch Cyprians Aktivitäten wurde der Gothaer Hof zu einem Knotenpunkt in einem europaweiten Netzwerk von Theologen, Historikern, Numismatikern, Orientalisten, Bibliothekaren und anderen Gelehrten, das den Raum zwischen Paris, London, Amsterdam, Uppsala, Danzig, Moskau, Rom und Genf umfasste. Seine internationale wie transkonfessionelle Gelehrtenkorrespondenz umfasste etwa 3.900 Briefe.

Von der Erschließung des noch nahezu unbekannten Überlieferungskorpus sind neue Impulse für die Erforschung der lutherischen Spätorthodoxie und des Pietismus zu erwarten. Ebenso werden Untersuchungen zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte früher historiographischer Darstellungen und Editionsprojekte zum Protestantismus, Studien zur Kirchen- und Sammlungspolitik des Gothaer Hofes sowie Forschungen zur frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur von den Erkenntnissen des Projekts profitieren können.

Die Beschreibung der Handschriftenbände und der Einzeldokumente erfolgt gemäß den Richtlinien zur Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA). Die Ergebnisse werden kontinuierlich in das zentrale Nachlass- und Autographen-Portal Kalliope (http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/) eingepflegt. Nach Abschluss des Projekts werden die Erschließungsergebnisse auch in einem gedruckten Katalog zugänglich gemacht. Neue Studien zu Cyprian und der Bedeutung des Gothaer Hofes im 17. und 18. Jahrhundert als frühes Zentrum der Protestantismus-Forschung werden im Mai 2017 in der Forschungsbibliothek Gotha als Teil der Tagung „Thüringen als Erinnerungsraum der Reformation“ präsentiert.