H. Walravens: Joseph Franz Rock (1884-1962)

Title
Joseph Franz Rock (1884-1962). Tagebuch der Reise von Chieng Mai nach Yünnan, 1921-1922. Briefwechsel mit C. S. Sargent, University of Washington, Johnannes Schubert und Robert Koc


Author(s)
Walravens, Hartmut
Extent
580 S.
Price
€ 69,90
Reviewed for H-Soz-Kult by
Evelyn Gottschlich, Frühe Neuzeit, LMU München

Joseph Franz Rock war ein Geograph, Sprachwissenschaftler und Botaniker, der sich mit seinen Studien über die Flora Hawaiis und Chinas einen Namen machte. Von 1922 bis 1949 lebte er im Südwesten Chinas in der Nähe von Lijiang und erforschte die Kultur der Naxi, später eine der anerkannten Minderheiten in der Volksrepublik China. Seine letzten Jahre verbrachte er auf Reisen in den USA, Europa, der Himalayaregion und Hawaii. Sein umfangreicher Nachlass wird von Hartmut Walravens ausgewertet, der bereits mehrere Quelleneditionen 1 zu Rock herausgegeben hat. Vermutlich aus diesem Grund fehlen in dem vorliegenden Band umfangreiche biographische Angaben zu Rock. Walravens weist lediglich auf die bereits zu seiner Person erschienene Literatur hin. Den chinesischen Titeln fügt er eine kurze Inhaltsangabe bei.

In dem vorliegenden Band werden die Zusammenarbeit und die persönlichen Verbindungen Rocks zu den führenden Fachwissenschaftlern seiner Zeit sichtbar. Die Briefwechsel und das Tagebuch Rocks sind aussagekräftige Quellen zur Erforschung der internationalen Wissenschaftsgeschichte.

So nahm die institutionelle Tibetologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts langsam Gestalt an und Rock korrespondierte mit ihren wichtigsten Vertretern: zum Beispiel Giuseppe Tucci, dessen Quelleneditionen bis heute relevant sind, Turrell Wylie, der die heute gebräuchlichste Transliterationsschrift für Tibetisch verfasste und Johannes Schubert, der in Leipzig den ersten deutschen Lehrstuhl für Tibetologie inne hatte. Die Tibetologie wurde oft über den religiösen Aspekt mit der Indologie verknüpft – die hier deutliche Kooperation von Sinologen und Tibetologen korrigiert dieses Bild und weist auch auf manchmal ganz pragmatische Gründe für die Zusammenarbeit hin. Die Quellen bieten viel für eine Geschichte der Tibetologie und Sinologie, auch für die einzelnen Forscherbiographien. Arbeiten zu diesen Themen sind wünschenswert, da sich bisher nur vereinzelte Publikationen damit beschäftigen.2

Walravens will mit dem vorliegenden Werk auf folgende Aspekte von Rocks Leben hinweisen: a) die Rezeption seiner Arbeit in den USA, b) seine spätere Schaffensphase, c) sein persönliches Handeln und Fühlen, d) weitere Details zum Verlauf der Amnye-Machhen-Expedition3, e) Rocks Bereitschaft zur Teamarbeit, f) Rocks Reiseroute (1926) im Vergleich zu der von Major Davies (1909). Im weiteren Verlauf der Einleitung spricht Walravens unter den Überschriften „Biographisches“, „Persönliches Leben“, „Neffen“, „Amerika“, „Deutschland“, „Veröffentlichungen“, „Wissenschaftliche Beziehungen“ und „Bibliothek“ die Interpretation einzelner Textstellen an (S. 10–18). Diese Hinweise auf mögliche Lesarten der Quellen sind aufschlussreich und interessant. Die Deutungen können als Einladung verstanden werden, sich unter den von Walravens angesprochenen Perspektiven mit der Person Rocks zu beschäftigen. Der Herausgeber selbst liefert keine weitergehende Analyse.

In der Edition folgt der eher knappen Einführung der Abdruck einiger amerikanischer Zeitungsartikel zu Rocks Reisen und Arbeiten zwischen 1921 und 1934 sowie ein Leserbrief Rocks von 1955 (S. 19–34). Die Artikel berichten meist enthusiastisch über die Reisen und Entdeckungen Rocks und sind für die Untersuchung der öffentlichen Resonanz auf Rock und seine Arbeit relevant.

Anschließend werden mehrere Briefwechsel von Rock mit Fachkollegen und Freunden sowie mit seinem Neffen ediert. Zunächst werden die Briefe von Rock und Wissenschaftlern der University of Washington in den Jahren 1950 bis 1962 zusammengefasst (S. 35–132), in welchen vor allem die Übergabe von Rocks Bibliothek und weitere Kooperationen verhandelt wurden. Der Austausch Rocks mit Fachkollegen spiegelt sich auch in den Korrespondenzen von Rock mit Charles Sprague Sargent in den Jahren 1924 bis 1927 (S. 225–300) und dem Leipziger Tibetologen Johannes Schubert von 1935 bis 1961 (S. 301–364). Die Briefe bieten einen kontinuierlichen Einblick in die Arbeit Rocks – angesprochen werden unter anderem die Expedition Rocks in das Innere Chinas, konkrete Quellenfunde, Übersetzungen und Treffen mit anderen Kollegen. Teilweise gibt der Schriftverkehr die Meinungen und Urteile Rocks und der anderen Verfasser in sehr persönlicher Weise wieder. Die Briefe der Gelehrten sind nach den ersten Kontakten oft keine offiziellen Schreiben mehr, sondern berichten auch über das Privatleben, gemeinsame Freunde, Krankheiten und geplante Reisen. Insgesamt werden weitaus mehr an Rock adressierte Schreiben wiedergegeben, als von ihm verfasste. Eine sinnvolle Ergänzung wäre, auf andere schon veröffentlichte Briefe hinzuweisen. Die Briefe an seinen Neffen Robert Koc zwischen 1957 und 1962 geben nun Rocks genuine Aussagen wieder. Hier finden sich wiederum nur wenige Antworten Kocs. In diesen Briefen schrieb Rock oft über seine Gefühle und seinen Gesundheitszustand. Diesem Kapitel beigeordnet ist ein Briefwechsel zwischen Koc und Giuseppe Tucci (S. 133–224).

Auf seiner Reise 1921 bis 1922 von Chieng Mai nach Yünnan führte Rock das Titel gebende Reisetagebuch (S. 365–533). Neben seiner Reiseroute beschrieb der Botaniker Rock in langen Absätzen die regionale Pflanzenwelt. Sehr ergiebig sind in diesem Teil die Erzählungen von Begegnungen mit den einheimischen Völkern und ihren Kulten. Auch die Schilderung der Situationen, in denen Rock fotografiert oder versucht, zu fotografieren, sowie die Berichte über seine fotografischen Motive sind für die Begegnung der Europäer mit den chinesischen Völkern äußerst aufschlussreich.

Die Veröffentlichung dieser Briefe und Texte, die in verschiedenen Archiven zwischen Hawaii und Berlin liegen, ist sehr lobenswert. Die chronologische Übersicht über die Briefe vor jedem Abschnitt und die Register sind hilfreich, um Textsstellen schnell zu finden. Beim Lesen wird klar, wie vielschichtig und wie eng der Kontakt innerhalb der Tibetologen- und Sinologenwelt war. Es steckt noch weitaus mehr in diesen Quellen als die Punkte, die Walravens aufwirft. Die Verfasser äußerten sich zur politischen Lage in China, zu ihren Arbeiten und Verbindungen. Daneben lassen sich Hinweise zum Beispiel auf die Sammlungen tibetischer und chinesischer Quellen oder etwa auf die Reisemöglichkeiten finden. Einen Einblick in die Gefühlswelt und Motivation Rocks lässt sich natürlich erst nach einer umfassenden Analyse all seiner Äußerungen und auch dann nur mit Vorsicht gewinnen.

Dennoch wäre aus der Edition mehr zu machen gewesen. Bei den meisten Texten vermisst man einen ausführlichen Kommentar. Es fehlen Anmerkungen zu den Originalquellen. Bei den Zeitungsartikeln wären Informationen zu Layout, Rubrik, Bebilderung etc. interessant; bei den Briefen neben diesen Beschreibungen Kommentare zu dem Verhältnis von Rock und seinen Briefpartnern, wie sie Walravens bei der Einführung zu dem Schriftverkehr mit Schubert (S. 301–302) oder vor den letzten beiden Briefen (S. 535–539) bietet. Weiterhin fehlen Bemerkungen zur Quellenlage und -auswahl. Gerade weil die veröffentlichten Briefe oft auf Seiten eines Korrespondenzpartners liegen, wäre es wichtig, zu wissen, ob andere Briefe nicht eingesehen werden konnten, anderweitig veröffentlicht wurden oder verloren gegangen sind. Die Anmerkungen zum Inhalt der Briefe sind sehr spärlich, beim Tagebuch fehlen sie ganz. Die Einführung der erwähnten Personen ist im Allgemeinen sehr knapp. Die biographischen Informationen zu seinen Korrespondenzpartnern Sargent und Schubert muss man in den Fußnoten des ersten Abschnitts suchen (Sargent auf S. 50, Schubert S. 80). Unverzeihlich ist jedoch, dass die Biographie von Rocks Neffen Robert Koc an keiner Stelle erwähnt wird. Zum besseren Verständnis wäre ein kurzer Überblick über die Familienverhältnisse, etwa in der Einleitung unter „Neffen“ (S. 13), sinnvoll gewesen. Die Gliederung des Bandes und das Inhaltsverzeichnis könnten klarer strukturiert sein. Eine Bibliographie der verwendeten Literatur würde die Edition gut ergänzen.

Insgesamt ist es jedoch ein großes Verdienst von Walravens, diese handschriftlichen Quellen ediert zu haben. Sie sind für die Wissenschaftsgeschichte wertvoll und auf diese Weise in einer sinnvollen Zusammenstellung zugänglich.

1 Walravens, Hartmut (Hrsg.), Joseph Franz Rock. Briefwechsel mit Egbert H. Walker, 1938-1961 (=Österreichische Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse Sitzungsberichte, 738. Band), Wien 2005; ders. (Hrsg.), Joseph Franz Rock (1884-1962). Berichte, Briefe und Dokumente des Botanikers, Sinologen und Nakhi-Forschers. Mit einem Schriftenverzeichnis (= VOHD Supplement 36), Stuttgart 2002; ders. (Hrsg.), Joseph Franz Rock. Expedition zum Amnye Machhen in Südwest-China im Jahre 1926. Im Spiegel von Briefen und Tagebüchern (= Orientalistik Bibliographien und Dokumentationen 19), Wiesbaden 2003.
2 Z.B. Martin, Helmut; Hammer, Christiane (Hrsg.), Chinawissenschaften. Deutschsprachige Entwicklungen. Geschichte. Personen. Perspektiven. (=Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Hamburg 303), Hamburg 1999.
3 Vgl. Walravens (Hrsg.), Joseph Franz Rock. Expedition zum Amnye Machhen (wie Anm. 1).

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