Wenn an dieser Stelle eine Untersuchung zur straßenbezogenen Verkehrsgeschichte besprochen wird, die auf den populärwissenschaftlichen Buchmarkt zielt, so ist das dem Umstand geschuldet, dass hier zwei Spezialisten ein randständiges Thema der Autobahngeschichte aufgegriffen haben. Volkhard Stern befasst sich seit vielen Jahren mit der Geschichte der Kraftpost und hat dazu Standardwerke publiziert. Alfred Gottwaldt, Oberkustos und Leiter der Abteilung Schienenverkehr im Deutschen Technikmuseum Berlin, ist durch seine Forschungen zur Reichsbahngeschichte im Dritten Reich bzw. zu den Berliner Bahnhöfen als Verkehrshistoriker bekannt.
Erwartungsvoll nimmt man das gebundene Buch im DIN A4-Querformat zur Hand – und findet auf dem Rücktitel eine eigenwillige Interpretation zum Autobahnbau im Dritten Reich, die hier nicht unwidersprochen bleiben darf. Zu lesen ist: „Unter der Direktive der nationalsozialistischen Verkehrspolitik wurden der Reichsbahn die organisatorischen und finanziellen Lasten des Autobahnbaus übertragen. Das exklusive Recht zur Nutzung der neuen ‚Bahnen‘ für die Personenbeförderung im Liniendienst diente als kleine Entschädigung.“ Dass dies so nicht stimmt, hätte ein Blick in die qualifizierte Forschungsliteratur ergeben. Da Stern aber für seine Ausführungen in größerem Umfang auf Primärquellen der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) zurückgegriffen hat, machte er sich offenbar unkritisch die larmoyante Argumentation des Staatsunternehmens zum bekannten Schiene-Straßen-Konflikt gegen Ende der Weimarer Republik zu eigen, ohne die differenzierenden zeitgenössischen Denkschriften und Diskussionsbeiträge zu beachten. Stern sieht deshalb die DRG einseitig in einer Opferrolle, die ihr Hitler zugemutet und damit den Beginn des Niedergangs der Schiene eingeleitet habe. Die offizielle Begründung zum Reichsautobahngesetz vom 27. Juni 1933 zeigt, dass die NS-Regierung eine Pazifisierung des von der DRG seit Jahren vehement geführten Streits gegen den Kraftwagenverkehr anstrebte, indem sie die Gründung des Unternehmens Reichsautobahnen als selbständige juristische Person des öffentlichen Rechts beförderte und der DRG die Verwaltung und Vertretung dieses Unternehmens nach außen übertrug. Die der DRG somit qua Gesetz eröffnete Möglichkeit, eine nach heutiger Diktion ‚integrierte Logistikgruppe’ für den Straßenverkehr aufzubauen, war für Hitler und Todt der Königsweg, sofort auf die Ingenieur- und Transportressourcen der DRG für den Autobahnbau zugreifen zu können. Die Führung der DRG in Berlin und die Reichsbahndirektionen spielten bereitwillig mit, weil sie in einem regimekonformen Verhalten die Chance sahen, die unliebsame Konkurrenz privater Straßenverkehrsunternehmen loszuwerden. Zur Finanzierung des Autobahnbaus reichte das seitens der DRG bereitgestellte Gründungskapital von 50 Mio. RM bei Weitem nicht aus, so dass die Gelder auf anderem Wege beschafft wurden (MEFO-Wechsel und produktive Erwerbslosenfürsorge zu Lasten der Arbeitslosenversicherung). Das Personal der Autobahn-Gesellschaft wurde aus diesem Budget bezahlt.
Der Zielgruppe entsprechend erfolgt der Zugriff Sterns auf sein Untersuchungsobjekt pragmatisch über ein umfangreiches Konvolut von Omnibusbildern. Das zum Teil seltene und bisher nicht veröffentlichte Material entstammt – neben den bekannten Bild- und Fotoarchiven von Bund, Fahrzeugherstellern und Museen – allein 26 privaten Sammlungen. Das spricht für eine gute Vernetzung Sterns, denn erfahrungsgemäß hüten gerade Privatsammler ihre Schätze argwöhnisch und geben sie nur ungern heraus. Die Aussagekraft der Abbildungen steigern ausführliche Bilderläuterungen, so dass sie weitaus mehr als nur begleitende Illustrationen zum Text der einzelnen Kapitel darstellen. Stellvertretend für mehrere ähnliche Formulierungen sei hier aber ausschnittweise eine ‚Stilblüte’ in der Bildunterschrift des Rücktitels zitiert, die zeigt, wie die Rhetorik der immensen Autobahnpropaganda des Dritten Reiches auch heute noch auf Autoren abfärben kann: „Wirkungsvoll ist das windschnittige Fahrzeug unter der aufsteigenden Wolkenwand in Szene gesetzt. Die Autobahn und der Omnibus dominieren in der Landschaft, ohne dass die Harmonie gestört wird.“ Auf der anderen Seite reibt sich der mit zeitgenössischen Quellen und Autobahnliteratur Vertraute hin und wieder verwundert die Augen, wenn er unter schon oft veröffentlichten Reichsautobahnkarten oder bekannten Fotografien ohne Bezug auf die Originalquelle den lapidaren Hinweis „Sammlung Volkhard Stern“ oder „Sammlung Alfred Gottwaldt“ liest. Bei allem Verständnis für die Intention des Verlages, möglichst wenig ‚historischen Apparat’ anzuhäufen, geht hier die Reduktion ein wenig zu weit.
Das Buch gliedert den Stoff chronologisch in sieben Kapitel. Zur Einstimmung handelt das erste Kapitel unter der Überschrift „Reichsbahn und Autobahn – das ungleiche Paar“ die Geschichte des Reichsautobahnbaus ab, ohne jedoch auf die wichtigen Standardwerke zu diesem Thema und die jüngsten Forschungsergebnisse zu verweisen. Bei der gerafften Form der Darstellung bleibt es nicht aus, dass manche Sachverhalte nur kursorisch berührt und nicht immer belegt werden; ebenso wird lapidar die offenbar nicht aus der Welt zu schaffende Legende wiederholt, Hitler habe mit dem Autobahnbau militärstrategische Absichten verfolgt. Spannung erhält die Erzählung durch die eingestreuten Fakten über die umfangreiche Beteiligung der Reichsbahn am Autobahnbau. Die Kapitel zwei („Die ersten Stromlinienbusse“), vier („Ein ‚D-Zug’ und andere Riesen auf der Autobahn“) sowie sechs („Die Entwicklung der Fuhrparks und die Technik ab 1935“) befassen sich mit den Innovationen im Fahrzeugbau, welche die Idee des Omnibuslinienverkehrs auf einem bis dahin unbekannten Schnellstraßensystem zwangsläufig hervorrief. Das Motto „Die dreißiger Jahre waren die Zeit der Stromlinie“ (S. 21) stellt für den unkundigen Leser den wichtigen Bezug zu vergleichbaren Entwicklungen im Schienenfahrzeugbau her. Die beigefügten 85 Abbildungen und die Erläuterungen bieten selbst weniger technikaffinen Verkehrs- und Wirtschaftshistorikern ein wirklich spannendes Lesevergnügen. Das Aufkommen der schnellen Reisebusse war nicht zuletzt die Stunde spezialisierter Karosseriebauer, um die als Ziel für Autobahnfahrten gesetzte Dauergeschwindigkeit von 100 bis 110 km/h bzw. die angestrebte Spitzengeschwindigkeit von 150 km/h (!) zu erreichen. Letztlich verhinderten die nur 60 bis 95 PS starken Motoren, das noch unzulängliche technische Niveau der Luftreifen für hohes Tempo und der damals zur Verfügung stehende, nicht klopffeste Kraftstoff aus deutscher Autarkieproduktion die Realisierung solcher euphorischen Vorhaben.
Aufmerksamkeit wecken die Ausführungen zu den Entwicklungsschritten bei der Lackierung der Schnellkraftwagen. Die Anlehnung an die seinerzeitigen Prestige-Schnellzüge („Rheingold“ und „Fliegender Hamburger“) deutet darauf hin, dass die DRG ihren Personenverkehr auf den Autobahnen als gehobenes Angebot positionieren wollte. Sie schien also durchaus gewillt gewesen zu sein, im Sinne der von ihr ständig geforderten Einheitlichkeit des Verkehrs zu Lande den Kraftverkehr als gleichrangige Alternative zum Güter- und Personentransport auf der Schiene aktiv zu gestalten. Infolge der widersprüchlichen Verkehrspolitik des Dritten Reiches und der Dominanz der Reichspost im Omnibusverkehr schlug die DRG aber daraus nur wenig Kapital, weil sie die neue Transporteinrichtung organisatorisch und preislich ihrem gewohnten Geschäftsmodell für den gehobenen Schienenverkehr unterwarf, den überwiegenden Teil der Strecken als Parallelverkehr zu bestehenden Bahnlinien betrieb und zudem keine Zwischenhalte in kleineren Gemeinden anbot, so lange die Autobahnen nicht durchgängig befahrbar waren. Somit blieben die Vorteile gegenüber dem Personenverkehr mit FD-Zügen auf der Schiene marginal, wenn sie überhaupt gegeben waren. Die geforderten Fahrpreise konnten sich damals die wenigsten ‚Volksgenossen’ leisten. Zur besseren Auslastung ihres rund 170 Fahrzeuge umfassenden Schnellbus-Fuhrparks bot die DRG zum Nachteil der konzessionspflichtigen Privatunternehmen und in Konkurrenz zur Kraftpost neben den fahrplanmäßigen Städteverbindungen über die Autobahnen auch Gelegenheitsverkehr an. Nach nur vier Jahren wurde der Omnibusverkehr auf der Autobahn kriegsbedingt eingestellt.
Die beiden noch nicht erwähnten Kapitel beschäftigen sich mit den „Omnibuslinien der Reichsbahn abseits der Autobahnen und in den ab 1938 neu hinzugekommenen Gebieten des Deutschen Reiches“ (S. 68ff.) und mit den „Reste[n] des Autobahn-Schnellverkehrs nach 1945“ (S. 93ff.). Besonders hervorzuheben sind die abschließenden Übersichten zum Wagenpark, zu den Reichsbahn-Kraftomnibuslinien und zu den Leistungszahlen, die in mühsamer Kleinarbeit rekonstruiert wurden. Von den damals gesetzten technischen Impulsen profitierte der Omnibusbau in der Nachkriegszeit, so dass er sich insbesondere im Freizeit- und Urlaubsverkehr Marktanteile eroberte, bis die Massenmotorisierung Omnibusreisen in den Hintergrund rückte.