K. Gensicke: Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten

Cover
Titel
Der Mufti von Jerusalem und die Nationalsozialisten. Eine politische Biographie Amin el-Husseinis


Autor(en)
Gensicke, Klaus
Reihe
Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 11
Erschienen
Anzahl Seiten
247 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Platz, FB III - Geschichte, Universität Trier

Das anzuzeigende Buch ist nicht im eigentlichen Sinne neu: Die Arbeit über den sogenannten Großmufti von Jerusalem erschien bereits im Jahr 1988 als Dissertation an der Freien Universität Berlin. 1 Die jetzige Neuausgabe ist unter anderem das Verdienst des Herausgebers der Reihe „Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart“, Klaus-Michael Mallmann, der im vorvergangenen Jahr zusammen mit Martin Cüppers ein Buch über das Verhältnis der palästinensischen Nationalbewegung zum Nationalsozialismus herausgebracht hat.2 Im Zuge der Recherchen dazu waren die Autoren auf das Buch von Gensicke aufmerksam geworden, das in Fachkreisen mittlerweile den Rang eines Standardwerkes erreicht hat, nachdem es lange Zeit weitgehend unbeachtet geblieben war. Erst mit dem breiteren Interesse an der Geschichte politischer Bewegungen des Vorderen Orients und gefördert durch Matthias Küntzels grundlegende Studie zu „Jihad und Judenhass“ setzte eine breitere Rezeption von Gensicke ein.3

Die von Gensicke vorgelegte politische Biographie Amin el-Husseinis ist methodisch in weiten Teilen der Außenpolitikgeschichtsschreibung verpflichtet. Sie gliedert sich in sechs Teile. Im ersten Teil werden die biographischen Anfänge Amin el-Husseinis, sein familiärer Hintergrund und seine frühe Karriere bis zum Aufstieg zum Großmufti von Jerusalem behandelt. Im zweiten Teil werden die politischen Initiativen des Mufti mit der deutschen Palästinapolitik bis 1937 konfrontiert. Dabei wird der Weg von einer eher pro-zionistischen Politik der Weimarer Republik hin zu der bis heute umstrittenen Kooperationspolitik zionistischer Organisationen mit den Nationalsozialisten nachgezeichnet. Der Mufti nahm frühzeitig Kontakt zur politischen Führung des Dritten Reiches auf und versuchte, die Nationalsozialisten auf die Seite der palästinensischen Nationalbewegung und des Panarabismus zu ziehen. Im dritten Kapitel wird die erste Zeit des Muftis im Exil beschrieben, die über Libanon und den Irak führte. Im Irak war er am Putsch des achsenfreundlichen Politikers Rashid Ali Al-Gailani beteiligt und einer der Verantwortlichen für die Entfesselung eines antisemitischen Pogroms gegen die irakischen Juden. Bereits 1929 hatte er das Pogrom von Hebron angefacht und den antijüdischen und antibritischen Aufstand von 1936 bis 1939 maßgeblich verantwortet. Im Zweiten Weltkrieg wurde er schließlich zum Alliierten der Achse, nach einem kurzen Zwischenspiel in Rom kam es zu seinem Aufenthalt in Berlin, der im vierten Kapitel behandelt wird. Hier traf er sich zu Unterredungen mit Ribbentrop und Hitler im November 1941, bei denen der Großmufti der politischen Führung des Dritten Reiches allerdings keine entscheidenden Zugeständnisse in der Sache der arabischen Unabhängigkeit entlocken konnte. Dennoch kämpfte er unentwegt für die panarabische Sache. Im fünften Kapitel schließlich wird die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den Nationalsozialisten und dem Mufti nach der Kriegswende nachgezeichnet. Ausgehend von der Eröffnung des Islamischen Zentralinstituts in Berlin im Dezember 1942, bei der der Mufti eine scharfe antijüdische Hetzrede hielt, wird in diesem zentralen Kapitel die weltanschauliche Nähe zwischen dem Mufti und den Nationalsozialisten rekonstruiert. Hierbei zeigt sich, dass der Mufti einen radikalen Judenhass pflegte und radikalisierend eingriff, wo immer es ihm möglich war. Das lässt sich an seinen Interventionen gegen Rettungspläne für bulgarische, ungarische und rumänische Juden ablesen. Im Falle von Bulgarien etwa war Gegenstand der Verhandlungen, mehr als viertausend jüdische Kinder und Erwachsene nach Palästina ausreisen zu lassen. Der Mufti setzte alle Hebel in Bewegung und wandte sich an viele mit den Fragen der Deportation befasste Institutionen, um statt des Transfers nach Palästina eine Deportation nach Polen zu erreichen, was den sicheren Tod der Deportierten zur Folge gehabt hätte. Aus seiner Kenntnis des nationalsozialistischen KZ-Systems (ein Mitarbeiter des Muftis besichtigte das KZ Sachsenhausen und zeigte sich besonders am Schicksal der jüdischen Häftlinge interessiert) und seiner Beziehungen zur Führung des nationalsozialistischen Vernichtungsapparats, Eichmann eingeschlossen, lässt sich schließen, dass der Mufti vom Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten Kenntnis besaß und also im vollen Umfang für die Konsequenzen seiner Intervention verantwortlich war. Die weltanschauliche Nähe zwischen Heinrich Himmler und dem Mufti zeigte sich in engen Beziehungen zwischen der SS-Führung und der Entourage des Muftis, der maßgeblich an der Aufstellung von muslimischen Einheiten der Waffen-SS beteiligt war. In den muslimischen Einheiten der Waffen-SS waren Imame für die religiöse Betreuung der Rekrutierten zuständig, die auch die politisch-weltanschauliche Erziehung zu gewährleisten hatten. Bis in die Endphase des Krieges wiederholte der Mufti mehrfach seine Forderung, als Vergeltung des alliierten Luftkriegs gegen Deutschland Jerusalem und Tel Aviv zu bombardieren. Sein militanter Antisemitismus führte auch hier zu Projektionen, die handlungsleitend für seine politischen Initiativen wurde.

Im abschließenden sechsten Kapitel untersucht Gensicke die Frage, wieso der Mufti nicht als Kriegsverbrecher verfolgt wurde und wie er in der Nachkriegszeit wieder Einfluss in der palästinensischen nationalen Bewegung erringen konnte. Gensicke hält die Politik des Muftis für einen entscheidenden Faktor für die Ablehnung des UN-Teilungsplanes durch die palästinensische Nationalbewegung. Im Nahen Osten war der Mufti durch seine Nähe zu den Achsenmächten und seinen Antisemitismus immer noch hoch angesehen, anders als im Rest der diplomatischen Welt.

Gensicke ist eine bündige Darstellung der leitenden Linien der Politik des Großmuftis von Jerusalem gelungen, die die Arbeit von Mallmann und Cüppers sinnvoll ergänzt. Besonders überzeugt hat den Rezensenten der Gang der Argumentation im fünften und sechsten Kapitel sowie im zusammenfassenden Resümee. Gensicke weist hier einerseits die weltanschauliche Nähe des Muftis zum Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten nach, die auch vor der Forderung von „Vergeltungsangriffen“ gegen Jerusalem und Tel Aviv nicht halt machte. Es ist davon auszugehen, dass der Mufti auch von den Vernichtungsplänen für den Jischuw, die ansässige jüdische Bevölkerung in Palästina, die Mallmann und Cüppers in ihrer Arbeit aufgedeckt haben, keinen Abstand genommen hätte, hätte er davon Kenntnis besessen. Sein Engagement im Rahmen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik jedenfalls ist, allen Apologeten des Muftis zum Trotz, in der Arbeit von Gensicke minutiös rekonstruiert. Andererseits ist auch die übrige weltanschauliche Nähe zwischen einem sich politisch verstehenden Islam, wie ihn der Mufti vertrat, und den nationalsozialistischen Weltanschauungsapparaten nicht von der Hand zu weisen, wie Gensicke anhand der Bemühungen für den Aufbau muslimischer Waffen-SS-Einheiten belegt. Es ist erfreulich, dass das Buch in einer Neuausgabe herausgekommen ist und so ein Standardwerk der Fachwelt durch den prominenten Erscheinungsort in breiterem Umfang zur Kenntnis kommt. Wer an der palästinensischen Geschichte interessiert ist, wird an dieser Studie zur Kollaboration eines ihrer maßgeblichen Führer mit den Nationalsozialisten nicht vorbeikommen.

Anmerkungen:
1 Klaus Gensicke, Der Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, und die Nationalsozialisten, Frankfurt am Main 1988.
2 Klaus-Michael Mallmann / Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina. 2. Aufl., Darmstadt 2007 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 8). Vgl. hierzu Johannes Platz: Rezension zu: Klaus-Michael Mallmann / Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina. 2. Aufl., Darmstadt 2007, in: H-Soz-u-Kult <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-2-010> 05.04.2007
3 Matthias Küntzel, Djihad und Judenhass. Über den neuen antijüdischen Krieg, Freiburg im Breisgau 2002; ders., Jihad and Jew-Hatred. New York 2007.

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