Seit Ende der 1980er-Jahre hat sich an der Universität des Saarlandes unter Federführung von Rainer Hudemann eine intensive Forschungstätigkeit zur saarländischen Nachkriegsgeschichte entwickelt.1 Als jüngstes Produkt dieser Forschungen ist pünktlich zum 2007 mit allerlei Festivitäten begangenen 50. Geburtstag des Bundeslandes Saarland ein „Quellen- und Arbeitsbuch“ erschienen, das sich mit der Saar „zwischen Frankreich, Deutschland und Europa“ vom Kriegsende über die Zeit des teilautonomen Saarstaats bis zu dessen Eingliederung in die Bundesrepublik befasst.2 Das Buch beleuchtet seinen Gegenstand ebenso aus regionalgeschichtlicher wie aus deutsch-französischer und europäischer Perspektive und macht umfangreiches bisher unveröffentlichtes Quellenmaterial einer breiten Leserschaft zugänglich.
Anliegen der Autoren ist es, eine „Quellengrundlage für das Verständnis der neueren Ergebnisse und Kontroversen der historischen Saar-Forschung [zu] bieten“ (S. 27). Das Buch wendet sich nicht nur an Spezialisten, sondern an ein „breiteres interessiertes Publikum“ mit besonderem Augenmerk auf die Verwendung in der schulischen und universitären Lehre. Dabei will es die „Leserinnen und Leser ermutigen, sich eigenständig mit der überaus komplizierten Geschichte dieses Landes auseinanderzusetzen“ (S. 27). Zu diesem Zweck wird den Quellen nicht nur eine ausführliche Einführung in den Forschungsstand und die Grundprobleme der Saargeschichte, sondern auch eine detaillierte, gut hundert Seiten umfassende (!) Chronik der Jahre 1945 bis 1959 vorangestellt.
Die 75-seitige Einführung geht zunächst auf Gegenstand, Forschungsentwicklung, Methodik, Archivsituation sowie die Prinzipien ein, die der Auswahl und Präsentation der Quellen zugrunde liegen. Sie ist, dem breiten Adressatenkreis entsprechend, sehr didaktisch gehalten und holt oftmals weit aus, etwa bei der Erklärung der französischen Archivlandschaft. Als Leitgedanke zieht sich durch die Einführung wie durch das Buch insgesamt die Betonung der Verflechtung von „lokalen, regionalen, nationalen, internationalen und interkontinentalen“ Zusammenhängen (S. 28), wie sie die Saargeschichte in besonderem Maße kennzeichnet – eine zutreffende Feststellung, auch wenn der immer wiederkehrende Verweis auf die daraus resultierende „Komplexität“ und „Kompliziertheit“ des Gegenstandes bisweilen etwas ermüdend wirkt. Es folgen ebenso konzise wie gekonnte Zusammenfassungen der französischen und bundesdeutschen Saarpolitik sowie der innersaarländischen Entwicklungen und Konflikte, jeweils mit ersten weiterführenden Literaturangaben.
Kern des Buches sind die 113 abgedruckten Quellen, die gut die Hälfte seines Gesamtumfangs ausmachen und von denen die meisten bislang nicht publiziert sind. Es handelt sich vor allem um Dokumente aus französischen Archiven (Archives diplomatiques du Ministère des Affaires Etrangères, Centre Historique des Archives Nationales und Archives de l’Occupation Française en Allemagne et en Autriche in Colmar), aber auch aus den Londoner National Archives (Bestand Foreign Office) und aus Privatnachlässen (insbesondere dem des ehemaligen Hohen Kommissars Gilbert Grandval). Hinzu kommen zahlreiche Artikel aus der zeitgenössischen Presse, ergänzt durch Dokumente des saarländischen Landesarchivs, des Stadtarchivs Saarbrücken und des Bistumsarchivs Trier sowie durch Statistiken zu Wahlen und zur Wirtschafts- und Lohnentwicklung.
Die Quellen sind in drei chronologisch aufeinander folgenden Teilen angeordnet, die die frühe Nachkriegszeit (1944-1947), den „Aufbau des teilautonomen Saarstaates“ (1948-1951) sowie die Lösung der Saarfrage und die Eingliederung in die Bundesrepublik (1952-1957) behandeln. Jeder der drei Teile ist sachlich in eine internationale und eine innersaarländische Perspektive untergliedert, hinzu kommt im dritten Teil ein gesonderter Abschnitt über die Zeit nach dem Abstimmungskampf (1955-1957). Was die internationale Ebene betrifft, wird die Entwicklung der französischen saarpolitischen Konzepte am stärksten gewichtet. Auf der innersaarländischen Ebene liegt der Fokus neben politischen Fragen auf der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Viel Platz eingeräumt wird insbesondere den Gewerkschaften, deutlich weniger gewichtet sind dagegen soziokulturelle Aspekte – eine Schwerpunktsetzung, die angesichts der Gesamtthematik des Bandes plausibel erscheint.
Die Dokumente sind meist ungekürzt und bis auf eine Ausnahme stets in Originalsprache wiedergegeben. Dass jede Quelle einzeln im Inhaltsverzeichnis aufgeführt wird, erleichtert die Orientierung und ermöglicht den schnellen Zugriff. Die Präsentation erfolgt „im Hinblick auf das Arbeitsbuch zu pädagogisch-didaktischen Zwecken“ (S. 28). So finden sich nicht nur die üblichen Informationen zu Provenienz, Quellentyp, Autor, Empfänger etc., sondern jeweils auch eine Einleitung, die die Quelle in historischen Kontext und Forschungszusammenhang einordnet, kurze Angaben zum Inhalt (insbesondere bei fremdsprachigen Texten) sowie erste Hinweise zur Interpretation liefert und auf die wichtigste Sekundärliteratur und auf weitere, thematisch verwandte Quellen im Band verweist.
Dem Quellenteil folgen eine gut 50-seitige, in Quellenpublikationen, Zeitungen und Darstellungen gegliederte „Arbeitsbibliographie“ sowie rund 180 Kurzbiographien. Letztere führen vor allem sämtliche in den Quellen genannten Personen auf. Separate Namens-, Orts- sowie Institutionen- und Firmenregister ermöglichen ebenfalls einen gezielten Zugriff auf einzelne Aspekte. Genauere Informationen zur saarländischen Zeitungslandschaft und zur Haltung der einzelnen Zeitungen im Abstimmungskampf liefert die beiliegende CD-ROM zum „Saarreferendum von 1955 im Spiegel der saarländischen Presse“, die insbesondere „für den Einsatz im Schulunterricht gedacht“ ist (S. 30). Präsentiert werden dort Zeitungsausschnitte, Karikaturen, Plakate und teilweise ganze Zeitungsseiten. Da diese jedoch starr in die Rahmentexte integriert und nicht einzeln aufruf- und vergrößerbar sind, sind viele von ihnen nur schwer oder gar nicht lesbar, was die Benutzbarkeit deutlich einschränkt.
Nützliche Hilfsmittel sind sowohl die Chronik als auch die Kurzbiographien. Letztere erweisen sich als besonders hilfreich im Falle weniger bekannter regionaler Akteure. Die Chronik informiert nicht nur über Ereignisse an der Saar, sondern auch über relevante Entwicklungen in Deutschland und Frankreich, die Verhandlungen zur Saarfrage sowie über Eckdaten der deutschen, französischen und europäischen Politik und des Kalten Krieges. Damit werden die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Ebenen bereits angedeutet. Positiv anzumerken ist ferner, dass an geeigneter Stelle immer wieder auf die abgedruckten Quellen verwiesen wird.
Gleichzeitig entzündet sich an Biographien und Chronik aber auch die bedeutendste Kritik an einer ansonsten gelungenen Publikation, denn es finden sich diverse Ungenauigkeiten und Inkonsistenzen. So war etwa Heinrich Welsch, nach dem Referendum 1955-56 kurzzeitig saarländischer Ministerpräsident, nicht von „1920-1940 Staatsanwalt in Saarbrücken“, sondern 1934/35 Leiter der Gestapo-Stelle Trier, 1935/36 deutscher Staatsvertreter beim Obersten Abstimmungsgerichtshof, dann Generalstaatsanwalt in Zweibrücken, bis er 1938 mit Gauleiter Bürckel (nunmehr Reichskommissar für den Anschluss Österreichs) nach Wien ging und 1940 Leiter der Justizverwaltung in Lothringen wurde.3 Zudem erscheinen die Kriterien für die Ausführlichkeit der Einträge als relativ willkürlich. Auch die Chronik hätte durch eine Straffung und eine Überprüfung auf innere Stringenz gewonnen. Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass bei der Fertigstellung des Bandes unter Zeitdruck gearbeitet wurde, um den Jubiläumstermin einzuhalten. Dies ging, zumindest in den peripheren Teilen des Buches, zulasten des letzten Schliffs und bisweilen der redaktionellen Genauigkeit.
Doch sind das letztlich Kleinigkeiten, die den grundsätzlichen Wert und die Verdienste des Buches nicht schmälern. Die Quellen sind ob ihres exemplarischen Charakters gut gewählt, und es gelingt insbesondere, die Verschränkung der regionalen, nationalen und internationalen Ebenen zu verdeutlichen. Auch ist die bei der Präsentation angestrebte „Balance zwischen wissenschaftlichen Prinzipien und Leserorientierung“ (S. 29) geglückt. Mit seiner ausführlichen Einleitung, den zahlreichen Querverweisen zwischen den einzelnen Rubriken und seiner umfangreichen Bibliographie eignet sich der Band gut als Einstieg in die Forschungsthematik.
Anmerkungen:
1 Unter den aus diesen Forschungen hervorgegangenen Publikationen sind hervorzuheben: Hudemann, Rainer; Poidevin, Raymond (Hrsg.), Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte – La Sarre 1945-1955. Un problème de l’histoire européenne, 2. Aufl. München 1995; Heinen, Armin, Saarjahre. Politik und Wirtschaft im Saarland 1945-1955, Stuttgart 1996; Hudemann, Rainer; Jellonnek, Burkhard; Rauls, Bernd (Hrsg.), Grenz-Fall. Das Saarland zwischen Frankreich und Deutschland 1945-1960, St. Ingbert 1997; Hahn, Marcus, Das Saarland im doppelten Strukturwandel 1956-1970. Regionale Politik zwischen Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland und Kohlekrise, Saarbrücken 2003.
2 Vgl. dazu auch Linsmayer, Ludwig (Hrsg.), Die Geburt des Saarlandes. Zur Dramaturgie eines Sonderweges, Saarbrücken 2007.
3 Vgl. Mallmann, Klaus-Michael; Paul, Gerhard, Das zersplitterte Nein. Saarländer gegen Hitler, Bonn 1989; dies., Herrschaft und Alltag. Ein Industrierevier im Dritten Reich, Bonn 1991. Muskalla, Dieter, NS-Politik an der Saar unter Josef Bürckel. Gleichschaltung – Neuordnung – Verwaltung, Saarbrücken 1995.