T. Gnoli: The Interplay of Roman and Iranian Titles

Cover
Titel
The Interplay of Roman and Iranian Titles in the Roman East. (1st - 3rd century A.D.)


Autor(en)
Gnoli, Tommaso
Reihe
Veröffentlichungen zur Iranistik 43. Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. 765
Anzahl Seiten
136 S.
Preis
€ 26,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Sommer, School of Archaeology, Classics and Egyptology, University of Liverpool

Der römisch beherrschte Orient ist, angestoßen durch Fergus Millars epochalen „The Roman Near East“ (1993), zu einem der Schlüsselschauplätze der Debatte um kulturelle Identität, Integration und Interaktion im Imperium Romanum avanciert. Mit seiner reichen materiellen Kultur ist das Gebiet zwischen Mittelmeer und Tigris ein Laboratorium, in dem sich analytische Instrumente zur Erforschung historischer Identitäten trefflich auf die Probe stellen lassen. Im Wesentlichen stehen sich zwei Lager gegenüber, vorläufig ohne dass eine vermittelnde Position Konturen gewänne: Während die einen, vorwiegend mit epigraphischen Befunden im Blick, keinen Beleg für ein Fortleben vorhellenistischer Traditionen erkennen mögen und den kaiserzeitlichen Nahen Osten in Tiefe wie Fläche für „hellenisiert“ bzw. „gräzisiert“ (und damit, unter den Bedingungen der römischen Osthälfte, für „romanisiert“) halten, sehen die anderen statt Amnesie Kontinuität, statt „Romanisierung“ das hartnäckige Fortleben epichorischer Traditionen.

Die unterschiedlichen Standpunkte in der Debatte sind uneingestanden das Echo fundamental gegensätzlicher Konzeptionen von imperialer Macht in vormodernen Gesellschaften – sofern denn bei den diesbezüglich Forschenden überhaupt ein über das bloß Idiographische hinausgehendes Interesse vorhanden ist. Tatsächlich dürfte der Königsweg zu einer methodisch reflektierten und zugleich mit Quellen grundierten „Reichsgeschichte“ der römischen Kaiserzeit über die vielen Geschichten der diversen Großregionen führen. Wie so oft wird man allerdings erst einmal von stereotypen Dichotomien Abstand nehmen müssen, bevor sich die ganze Komplexität kultureller Austauschbeziehungen unter imperialem Vorzeichen offenbart. Im römischen Orient liegt ein Gutteil der Wegstrecke wohl noch vor den gerade hier oft mit obsessivem Materialsammeln ausgelasteten Spezialisten.

Wenig Aufmerksamkeit haben bisher Titulaturen von Funktionsträgern im römisch-parthischen bzw. römisch-sasanidischen Grenzbereich gefunden. Nicht nur die vermeintliche Trockenheit des Themas, sondern vor allem die erheblichen philologischen Voraussetzungen, an die jede Forschungsarbeit auf diesem schwierigen Feld unweigerlich geknüpft ist, haben bislang größeren Fortschritten im Weg gestanden. Abgesehen von mehr oder weniger impressionistischen Mutmaßungen, wie dieser oder jener Titel zu verstehen ist, hält die Literatur bislang wenig zu einem Gebiet bereit, das doch ein integraler – und dazu an Quellen noch vergleichsweise gut zu belegender – Teil der regionalen Institutionengeschichte ist. Wenn mit Tommaso Gnoli nun jemand, dessen philologische Qualifikation über jeden Zweifel erhaben ist, eine Monographie zu den Titulaturen im römischen Orient – gemeint ist stricto sensu das „aramäische Dreieck“ zwischen Palmyra, Hatra und Edessa – vorlegt, dann ist diese Arbeit schon deshalb so willkommen wie überfällig.

Bereits der Titel verrät, welche Auffassung Gnoli von der Region vertritt, der sein Interesse gilt: Aus dem Zusammenspiel („interplay“) römischer und iranischer Titel meint Gnoli Facetten der frappierenden Uneindeutigkeit rekonstruieren zu können, die überall zwischen Libanon und Tigris begegnet und die Forschung vor erhebliche konzeptionelle Herausforderungen gestellt hat. Gnoli beginnt seine Untersuchung mit einem Papyrus aus dem vor zwanzig Jahren „aufgetauchten“ Corpus vom Mittleren Euphrat, in dem von der hypateia (consularitas) des Aelius Septimius Abgar die Rede ist, des kurzzeitigen Königs von Osrhoene um 240 n.Chr.1 Gnoli führt den dem osrhoenischen Herrscher verliehenen römischen Titel auf die Ehrungen zurück, die bereits unter Nero mit der Einsetzung eines rex datus belegt sind – im konkreten Fall des armenischen Königs Tiridates durch Domitius Corbulo (63/64 n.Chr.). So riskant solche Versuche – und die Methode kennzeichnet das gesamte Buch – auch sind, die „Ursprünge“ einer Institution in einem durch ubiquitäre Hybridität geprägten Raum rekonstruieren zu wollen, die Frage nach der kulturellen und politischen Semantik von Institutionen ist doch wesentlich. Gnoli ist es indes nicht nur darum zu tun: Mehr noch geht es ihm um die sprachliche Semantik, für die er als iranistisch versierter Historiker Fachmann ist. So gelingt es ihm zu zeigen, dass der Titel des argapetes, als dessen Träger verschiedene Inschriften den hochrangigen Palmyrener Worod ausweisen, tatsächlich keine militärische Funktion implizierte 2, sondern im administrativ-finanziellen Bereich angesiedelt war.

Über die Rekonstruktion von Worods job description gelangt Gnoli zu einem Bild von Palmyras Institutionengeflecht, das stark mit der „cité grecque“ kontrastiert, die noch vor zwei Jahrzehnten Maurice Sartre aus der Oasenstadt machen wollte.3 Gnolis die Uneindeutigkeit der Steppengrenze und ihren Frontier-Charakter betonende Konzeption der institutionellen Gestalt des römischen Orients ist unbedingt zuzustimmen. Die Studie hat bewiesen, dass es möglich ist, durch subtile Ausdeutung scheinbar auch wenig signifikanten Materials zu einem Modell der kaiserzeitlich-provinzialen Gesellschaft im Nahen Osten zu gelangen, das vor mit der Brechstange herbeigezwungenen Dichotomien vom Typus „Orient“ versus „Okzident“ oder „Amnesie“ versus „Kontinuität“ den Vorzug hat, auch für die ohnehin allenthalben vorherrschenden Grauschattierungen sensibel zu sein. Gnoli hätte vermutlich gut daran getan, die Druckfassung seiner englischen Arbeit noch einmal einer strengeren sprachlichen Revision zu unterziehen und die teilweise etwas rhetorische Färbung zurückzunehmen – in der Sache aber ist ihm ein wichtiges Werk gelungen, das die Debatte um die römischen Orientprovinzen ohne jede Frage bereichert.

Anmerkungen:
1 Dazu auch Gnoli, Tommaso, Roma, Edessa e Palmira nel III sec. d.C. Problemi istituzionali. Uno studio sui papiri nell’Eufrate, Pisa u. a. 2000; „Pasgriba“ at Hatra and Edessa, in: Panaino, Antonio; Pettinato, Giovanni (Hrsg.), Ideologies as intercultural phenomena, Milano 2002, S. 79–87; Dalla hypateia ai phylarchoi. Per una storia istituzionale del limes Arabicus fino a Giustiniano, in: Ravenna da capitale imperiale a capitale esarcale. Atti del XVII Congresso internazionale di studio sull’alto medioevo, Spoleto 2005, S. 495–536.
2 Anders als etwa auch vom Rezensenten fälschlich angenommen: Sommer, Michael, Roms orientalische Steppengrenze, Stuttgart 2005, S. 174.
3 Sartre, Maurice, Palmyre, cité grecque, in: Annales Archéologiques Arabes Syriennes 43 (1996), S. 385–405.

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