Der Berliner Bischof Konrad von Preysing (1880-1950) soll den Aufzeichnungen Walter Adolphs zufolge im Jahr 1937 beiläufig bemerkt haben, dass „die Historiker der kommenden Zeiten es sehr schwer haben würden, die subjektiven Urteile und Gefühle der einzelnen Bischöfe festzustellen, da die diesbezüglichen Quellen, z.B. Briefe, kaum vorhanden sein würden. Die Protokolle der Fuldaer Bischofskonferenz verrieten nichts über die vorangegangenen Gedanken und Erwägungen, sondern brächten nur in Kürze die gefaßten Beschlüsse.“1
In der Tat, die Protokolle der Fuldaer und Freisinger Bischofskonferenzen allein reichen kaum aus, um sich ein differenziertes Bild über das Meinungsspektrum des deutschen Episkopats in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu machen. Die vorliegende Edition, das sei gleich vorweg gesagt, ist daher sehr zu begrüßen, gibt sie doch einen guten Einblick in das kirchenpolitische Alltagsgeschäft des Episkopats während der Zeit der Weimarer Republik. Gerade angesichts der verstreuten Überlieferung in unterschiedlichen Diözesanarchiven ist das Zusammentragen wichtiger Dokumente – Briefe, Protokolle, Berichte – und ihre chronologische Reihung in zwei (von ihrem Umfang her gerade noch zu bewältigenden) Teilbänden ein dankenswertes Unternehmen. In Heinz Hürten hat es zweifelsohne einen kompetenten und erfahrenen Bearbeiter gefunden. Die Edition schließt damit eine wichtige Lücke zwischen den – ebenfalls in der Quellenreihe der Kommission für Zeitgeschichte erschienenen – „Akten der Fuldaer Bischofskonferenz 1871-1919“, die Erwin Gatz veröffentlicht hat, sowie den von Bernhard Stasiewski und Ludwig Volk vorgelegten „Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945“.2
Was die vorliegende Edition allerdings von der zuletzt genannten unterscheidet, ist die deutlich geringere Materialbasis. Während sich die Bearbeiter der Aktenedition zu den Jahren 1933 bis 1945 um eine Gesamtaufnahme des deutschen Episkopats bemüht und dafür immerhin sechs Bände und siebzehn Jahre Arbeit in Anspruch genommen haben, begrenzt Hürten, wie er in seiner Einleitung freimütig bekennt, seine Materialgrundlage auf die Überlieferung der (Erz-)Bischöfe von Breslau, Köln und München, wobei er mit diesen ohne Zweifel die wichtigsten Knotenpunkte des innerkirchlichen Kommunikationsnetzes in Deutschland in der damaligen Zeit ausgewählt hat. So finden sich in der vorliegenden Edition auch keineswegs nur Schriftstücke des deutschen Episkopats, sondern ebenso Schreiben einflussreicher Verbandspräsides sowie bedeutender katholischer Laien und Zentrumspolitiker.
Hingegen fehlen, worauf Hürten selbst hinweist, die bereits im Anhang des ersten Aktenbandes für die Zeit nach 1933 veröffentlichten Aktenstücke, welche die ab etwa 1930 einsetzende Warnung des deutschen Episkopats vor dem Nationalsozialismus betreffen. Andererseits finden sich bei Hürten Dokumente, die die frühe Ablehnung der nationalsozialistischen Bewegung dokumentieren, die dort nicht aufgenommen worden sind. Überhaupt ist es sinnvoll, bei der Durchsicht der vorliegenden Edition die anderen Quellensammlungen der Kommission für Zeitgeschichte zur Hand zu haben. Neben den genannten Dokumentenbänden für die Zeit nach 1933 gilt dies insbesondere für die Ausgabe der Akten des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Michael von Faulhaber, in denen zum Teil wichtige Seitenstücke zu hier veröffentlichten Dokumenten bereits publiziert worden sind.3
Ungeachtet dieses etwas komplexen Gewebes verschiedener, aufeinander bezogener Akteneditionen, das einer seit nunmehr über vierzigjährigen erfolgreichen Editionsgeschichte der Kommission für Zeitgeschichte geschuldet ist, bietet die vorliegende Dokumentensammlung einen gelungenen Überblick über das weitgestreute Wahrnehmungs- und Tätigkeitsfeld des deutschen Episkopats während der Weimarer Republik. Einen breiten Raum nimmt, wie nicht anders zu erwarten, die Neuordnung der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse in Deutschland nach der Revolution von 1918/19 ein. Konkordatsfragen, Debatten um das ausstehende Reichsschulgesetz sowie die breit, vielleicht etwas zu breit dokumentierten Auseinandersetzungen über die Neuregelung der Militärseelsorge ziehen sich durch beide Bände und zeigen, dass Kirche und Staat in den 14 Jahren der Weimarer Republik nicht wirklich zu einer beide Seiten zufriedenstellenden Übereinstimmung hinsichtlich ihrer „res mixtae“ gelangt sind. Aber auch stärker gesellschaftsbezogene Themen finden sich in den Bischofsakten breit reflektiert, so etwa die Verunsicherungen einer Männerkirche durch öffentliches Frauenturnen, durch Eurythmie, Kino und Radio. Hirtenbriefe zur Festigung der Sittlichkeit wurden erlassen, katholische Verbände zur Mitarbeit gegen „Schmutz und Schund“ aufgefordert. Insgesamt teilt sich in diesen Dokumenten ein seit dem 19. Jahrhundert unverändert antimodernistischer Grundreflex der katholischen Kirche mit: Allen Neuerungen im Konsum- und Freizeitbereich begegnete die Kirchenführung zunächst mit Skepsis, und nur sehr zögerlich war sie bereit, gesellschaftlichen Wandel überhaupt anzuerkennen.
Neben diesen großen durchgehenden und auch bekannten Wahrnehmungs- und Interpretationslinien des kirchlichen Führungspersonals finden sich in der Edition aber auch immer wieder einzelne Dokumente, in denen weniger bekannte Aspekte zutage treten, die jedoch interessante Anhaltspunkte für weitere Forschungen bieten. Das gilt beispielsweise für die beharrlichen Versuche katholischer Adeliger, den deutschen Episkopat für die deutschnationale Sache zu gewinnen. Das wurde von den Bischöfen jedoch stets zurückgewiesen, die darüber hinaus auch ihren Diözesanen eine Mitgliedschaft in völkisch-nationalen Vereinigungen untersagten, zumal diese zu einer echten Konkurrenz für die katholischen (Jugend-)Verbände heranwuchsen. Bemerkenswert sind auch die relativ offenen Worte innerhalb des deutschen Episkopats zu dem von deutschen Truppen in Belgien begangenen Unrecht zu Beginn des Ersten Weltkriegs, auch wenn diese Erörterungen erst von außen – durch den Erzbischof von Mecheln, Désiré-Joseph Kardinal Mercier – angestoßen wurden. Schließlich zeigt die Aktenedition, dass so mancher Katholik, ob nun Laie, Verbandspräses oder Bischof, ein durchaus kluger Beobachter tiefgreifender sozialer und generationeller Veränderungen der damaligen Zeit war. Wenn etwa der Generalpräses des Katholischen Jungmännerverbandes 1928 die Mentalität der neuen technik- und sportbegeisterten Jugend beschreibt, die – obwohl innerlich ungebunden – in viel stärkerem Maße Zuflucht zur „äußeren Autorität in der Masse“ suche als noch die natur- und romantikbegeisterte Jugend der direkten Nachkriegszeit (S. 882), so bringt er damit Verschiebungen der generationellen sowie politisch-kulturellen Lage der späten 1920er-Jahre auf den Punkt, die keineswegs auf das katholische Milieu begrenzt waren. Dass der gleiche Geistliche 1932 daran denkt, mit Hilfe des katholischen Sportjugendverbandes DJK eine „Selbstschutz-Organisation […] für die gefährdeten Punkte der Kirche“ aufzubauen (S. 1179), zeigt, wie sehr auch die Spitzenfunktionäre der katholischen Kirche in ihren Vorstellungswelten vom allgemeinen Bürgerkriegsszenario der späten Weimarer Republik geprägt waren.
Überraschungen größerer Art hält die Edition allerdings nicht bereit. Wer auf Enthüllungen – welcher Art auch immer – hofft, wird in den beiden Bänden nicht fündig. Auch die „subjektiven Urteile und Gefühle der einzelnen Bischöfe“ (Preysing) verschwinden einmal mehr hinter dem Kirchenamtsdeutsch der meisten Dokumente. Die Kommentierung der einzelnen Schriftstücke durch den Bearbeiter ist zum Teil zwar etwas sparsam ausgefallen, dafür entschädigt aber das detaillierte Personen-, Orts- und Sachregister. Unklar bleibt allein die editorische Angabe „nicht ermittelt“ in Bezug auf Schriftstücke, die in einem Dokument zwar erwähnt werden, in die Edition aber nicht aufgenommen wurden. Denn die Formulierung, so räumt Hürten in seiner Einleitung ein, bedeute „nicht in jedem Falle, dass ein solches Stück trotz entsprechender Bemühungen nicht aufzufinden war“ (S. XI) – was den Leser etwas ratlos zurücklässt, andererseits aber natürlich den Forschergeist weckt.
Im Ganzen betrachtet sind die beiden Quellenbände ohne Zweifel ein großer Gewinn für Forschung und Lehre und nicht nur als Nachschlagewerk für Kirchenhistoriker zu empfehlen. Vielmehr bieten sie als eine Art Lesebuch zur Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der Weimarer Republik reichlich Material, um in den Wahrnehmungshorizont der damaligen Zeit vom Standpunkt der katholischen Kirche aus einzutauchen.
Anmerkungen:
1 Adolph, Walter, Geheime Aufzeichnungen aus dem nationalsozialistischen Kirchenkampf 1935-1945, hrsg. von Ulrich von Hehl, Mainz 1979, S. 63.
2 Akten der Fuldaer Bischofskonferenz 1871-1919. 3 Bde., bearb. von Erwin Gatz, Mainz 1977-1985; Akten deutscher
Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945. 6 Bde., bearb. von Bernhard Stasiewski (ab Bd. 4 von Ludwig Volk), Mainz 1968-1985.
3 Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917-1952. 3 Bde., hrsg. von Ludwig Volk (Bd. 3 von Heinz Hürten), Mainz/Paderborn 1975-2002.