Die Studie von Gudrun-Christine Schimpf konzentriert sich am Beispiel von Frankfurt am Main auf die Herausbildung städtischer Kulturpolitik in Deutschland seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Dieses Erkenntnisinteresse reagiert auf Desiderata in verschiedenen Forschungsfeldern, die die Autorin zum Teil in der Einleitung benennt. So wurde in der historischen Urbanisierungsforschung zwar die Entwicklung der städtischen Leistungsverwaltung bereits intensiv untersucht, kulturelle Förderungsmaßnahmen wurden aber bisher nur vereinzelt behandelt. Die Kulturpolitikforschung hat sich hingegen vor allem der Gegenwart oder der jüngsten Vergangenheit zugewandt, während für den Untersuchungszeitraum vor allem die nationale und die regionale Kulturpolitik untersucht wurden. Untersuchungen zu den einzelnen Kulturinstitutionen, und das gilt insbesondere für die bisherigen Studien zur Kulturpolitik in Frankfurt am Main1, haben kommunale Akteurskonstellationen selten und oft unsystematisch behandelt.
Die zentrale These der auf umfangreichen Quellenstudien basierenden Arbeit ist, dass sich bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im Zusammenspiel mit dem bürgerlichen Mäzenaten- und Stifterwesen eine eigenständige öffentliche Kulturpolitik in der Stadt herausbildete, institutionalisierte und in der Weimarer Republik in administrativen Strukturen verfestigte. Die Autorin verwendet einen engen Kulturpolitikbegriff, der nur die Aktivitäten der Stadt auf kulturellem Feld einschließt, diejenigen der Parteien, Verbände und Vereine aber außen vorlässt.
Die Studie geht einleitend aus von der Darstellung der allgemeinen politischen, demographischen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Frankfurt am Mains. Dann wendet sich die Autorin den Akteuren in der Stadt zu: der kommunalen Selbstverwaltung, dem Frankfurter Bürgertum und schließlich der Presse.
In zwei umfangreichen Abschnitten untersucht sie zuerst ausgewählte Frankfurter Kulturinstitute, um dann die Entwicklung und den Wandel der städtischen Kulturpolitik „vom bürgerlichen Engagement zur kommunalen Aufgabe“ darzustellen.
Die auf den ersten Blick logische Gliederung weist aber auch gewisse Tücken auf: sie leitet die Argumentation quasi natürlich auf die zentrale These der Autorin hin und lässt keinen Raum für andere Erklärungsmöglichkeiten.
1. Die Konzentration auf das Bürgertum als städtischen Akteur, der in Frankfurt unzweifelhaft eine zentrale Rolle gespielt hat, bringt natürlich auch eine auf das Bürgertum konzentrierte Erklärung hervor. Hätte aber nicht auch die Arbeiterschaft, die nach der Jahrhundertwende mit den Eingemeindungen zunehmend erstarkte und nach 1919 dann mit der SPD auch die stärkste Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung stellte, behandelt werden müssen, um möglicherweise neue Impulse auch im Bereich der Kulturpolitik feststellen zu können?
2. Die Auswahl der behandelten Kulturinstitute folgt auch dem Muster „vom bürgerlichen Engagement zur kommunalen Aufgabe“, indem das Historische Museum, die Rothschild-Bibliothek sowie das Theater und dessen Opernorchester betrachtet werden. Diese Wahl wird damit begründet, dass alle drei Einrichtungen im Untersuchungszeitraum entweder kommunal waren oder kommunalisiert wurden. Nun hätte aber auch danach gefragt werden müssen, ob dies für die kommunale Kulturpolitik denn nun die typischen Einrichtungen waren. Auf Theater und Orchester sowie das Historische Museum trifft das wohl zu, war aber die Rothschild-Bibliothek tatsächlich das exemplarische Beispiel für die Frankfurter Bibliothekspolitik? Hier sind doch zumindest Zweifel angebracht. Es wäre deshalb vielleicht sinnvoller gewesen, zuerst einmal die Entwicklung der Kulturpolitikstrukturen und Kulturpolitikfelder darzustellen, um davon ausgehend zentrale Politikfelder zu benennen und aus ihnen exemplarische Kulturinstitute auszuwählen. Schon der Blick auf die städtischen Kulturausgaben wäre hier aussagekräftig gewesen. Die Autorin gibt zwar im hinteren Abschnitt eine Übersicht, hätte diese aber intensiver nutzen können. Zudem betrachtet sie mit den genannten Einrichtungen auch nur bürgerliche Kulturinstitute, die im größten Teil des Untersuchungszeitraums bestanden. Auf diese Weise fällt es dann schwer, die Bedeutung der politischen Zäsur von 1918/19 im Feld der Kulturpolitik zu bestimmen. Die neuen Volksbildungsanstrengungen ab 1918/19 werden in der Studie leider kaum thematisiert, sondern als Fortsetzung früherer Volksbildungs- und Kultivierungsaktivitäten dargestellt. Zumindest in anderen deutschen Großstädten gab es aber einen deutlichen qualitativen Bruch zwischen alter, paternalistischer und neuer Volksbildungsbewegung. Auch zielten die Aktivitäten zur Verbreiterung des Kulturzugangs vor 1918 meistens auf das Klein- und Mittelbürgertum und weniger auf die Arbeiter, insbesondere was die Möglichkeiten zu Theater- und Konzertbesuchen betraf – hierauf weist die Autorin auch selbst hin. 1918/19 gab es dann aber einen grundlegenden Wandel mit dem Versuch, auch die Arbeiter breit daran teilhaben zu lassen.
Um hierzu aber Aussagen fällen zu können, wäre der Einbezug der Untersuchungen zur Erwachsenenbildung in der Weimarer Republik, zur so genannten Volkshochschulbewegung, in der auch Frankfurt eine wichtige Rolle spielte, sinnvoll gewesen. Auch eine genauere Untersuchung der Frankfurter Volksbühne hätte sich im großen Abschnitt zum städtischen Theater angeboten, der sich leider viel zu sehr an der Baugeschichte von Oper und Schauspielhaus aufhält. Insofern wäre ein etwas breiterer Kulturpolitikbegriff, der auch die Theaterbesucherorganisationen, die in der Stadt zahlreich entstanden (wie die Autorin auf S. 344 andeutet), mit einbezieht, hier wichtig gewesen. Die Schlussfolgerung der Autorin, dass die politische Zäsur von 1918/19 für die städtische Kulturpolitik keinen Einschnitt bedeutete, ist aufgrund der Anlage der Untersuchung daher kaum verwunderlich.
Kritisch anzumerken sind auch verschiedene unpräzise bzw. falsche Angaben: Edouard Herriot nahm 1927 am Fest „Musik im Leben der Völker“ nicht als Bürgermeister der Partnerstadt Lyon teil (die Partnerschaft wurde erst 1960 geschlossen), sondern als französischer Bildungsminister (S. 469). 1919 kam es in Deutschland nicht zur Einführung der 40-Stunden-Woche, vielmehr wurde der 8-Stunden-Arbeitstag eingeführt (u.a. S. 447). Die Autorin untermauert ihre Ausführungen mit zahlreichen Graphiken und Schaubildern, die mitunter allerdings verwirrend sind: Abbildungen 2 und 3 (S. 86f.) hätten präziser das Jahr der Erhebung (Abb. 3) bzw. das Feld der Einnahmen/Ausgaben (Abb. 2) angeben müssen; die Tabelle 29 erscheint zweimal im Band (S. 372, 432), wobei sich der Zusammenhang beim zweiten Mal nicht erschließt.
Trotz dieser kritischen Einwände, die hier so ausführlich ausgeführt wurden, weil sie eben die zentrale These der Autorin betreffen, weist die Studie aber auch deutliche Stärken auf. Sie kann einerseits deutlich machen, dass kommunale Kulturpolitik tatsächlich eine wichtige Wurzel im bildungsbürgerlichen Kulturbewusstsein und dem daraus resultierenden zivilgesellschaftlichen Engagement hatte. Die vom Bürgertum gegründeten Vereine, Stiftungen und Kulturinstitute traten in immer engeren Kontakt zur Kommunalverwaltung und es entwickelte sich eine frühe public-private partnership. Andererseits wurde mittels dieser Einrichtungen versucht, das bürgerliche Kultivierungsideal als Integrationsmittel für die städtische Gesellschaft zu nutzen. Gudrun-Christine Schimpf macht zudem als wichtige Motivation für zunehmendes kommunales Engagement auch das sich verschärfende Konkurrenzverhältnis der Großstädte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aus. Das ist ein Befund, der von Margaret Menninger auch für Leipzig bereits konstatiert wurde.2 Schließlich zeigt die Studie auch, dass in den 1920er-Jahren mit der Ausformung administrativer Strukturen, die schließlich in die Einsetzung eines hauptamtlichen Kulturdezernenten 1927 mündete, die Stadt Kulturpolitik fest in ihr Aufgabenspektrum aufnahm: Kulturpolitik setzte sich als legitimes städtisches Interventionsfeld durch. Ob und wie weit dahinter auch ein neues Kulturpolitikkonzept steckte, kann die Arbeit aus den angegebenen Gründen aber nicht eindeutig bestimmen.
Aufgrund dieser doch klaren Aussagen erstaunt es dann etwas, dass die Autorin in der Zusammenfassung feststellt, es hätte „keine eindeutige Position in der Kulturpolitik“ bestanden. In der Arbeit erkennbar wurde aber doch, dass die Kommune Kulturpolitik zuerst als Repräsentations- und Standortpolitik, seit Beginn des 19. Jahrhunderts und dann mit Nachdruck ab 1918/19 auch als Integrationspolitik konzipiert hat. Theater und Museen spielten dabei eine wichtige Rolle. Welchen Stellenwert andere Kulturpolitikfelder wie die Bibliotheks- oder Erwachsenenbildungspolitik besaßen, geht aus der Studie aufgrund ihrer strukturellen Anlage leider nicht hervor.
Anmerkungen:
1 Klaus Becker, Stadtkultur und Gesellschaftspolitik. Frankfurt am Main und Lyon in der Zwischenkriegszeit 1918-1939, Frankfurt am Main 2005; Andreas Hansert, Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1992.
2 Margaret Menninger, Art and Civic Patronage in Leipzig, 1848-1914, Ph. D. Dissertation, Harvard University 1998.