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Titel
Die Grenzen der Weltmacht. Sowjetische Indonesienpolitik von Stalin bis Brežnev


Autor(en)
Boden, Ragna
Reihe
Quellen und Studien zur Geschichte des Östlichen Europa 72
Erschienen
Stuttgart 2006: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
444 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Utz, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die Historiographie des Kalten Krieges hat seit den 1990er-Jahren sowohl von besser zugänglichen Quellen, als auch von einer theoretischen Durchdringung ungemein profitiert. Archive nicht nur in Russland, sondern auch in den ehemaligen Ostblockstaaten haben eine belastbare empirische Forschung ermöglicht, während sich das konzeptionelle Interesse ausdifferenziert hat: Die Rolle der Ideologie, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Zentrum und Peripherie sind Schlüsselbegriffe neuerer Untersuchungen. Ragna Boden unternimmt mit ihrer Arbeit nun auch den Versuch, kulturgeschichtliche Aspekte in ihre Darstellung der sowjetischen Indonesienpolitik von Stalin bis Breschnew zu integrieren. Es geht ihr allerdings dabei insgesamt um eine Erweiterung des klassischen diplomatiegeschichtlichen Ansatzes im Sinne der realistischen Schule und nicht darum, ein Kapitel sowjetischer Außenpolitik von der Kulturgeschichte her zu deuten.

Herzstück des Bandes ist die Periode der sowjetisch-indonesischen Beziehungen, die sich durch besondere Vitalität auszeichnet: die Chruschtschow-Jahre. Hier gelingt Boden eine eindrucksvolle und quellenreiche Gesamtdarstellung und Bewertung der sowjetischen Indonesienpolitik. Ausführlich konkretisiert Boden die unter Chruschtschow zunehmende ideologische Flexibilität der sowjetischen Weltsicht anhand der Themenkomplexe persönlicher Diplomatie, wirtschaftlicher und militärischer Unterstützung, Kulturpolitik und Parteibeziehungen.

Grundlage der sowjetischen Indonesienpolitik war zunächst eine erste Konzeptionalisierung sowjetischer Entwicklungspolitik unter Chruschtschow als Antwort auf die neuen globalen Optionen, die der Zerfall europäischer Kolonialreiche mit sich brachte. Dies äußerte sich vor allem in der Konzentration auf den antiimperialistischen Befreiungskampf der ehemaligen Kolonien und die Unterstützung dieser nationalen Bewegungen. Chruschtschow gelang es aufgrund seiner persönlichen politischen Fähigkeiten relativ schnell Kontakt zu verschiedenen Führungsfiguren in neuen unabhängigen Staaten der Dritten Welt aufzubauen – unter anderen auch zu Sukarno, dem ersten indonesischen Präsidenten. Dies war allerdings für die Sowjetunion nur kurzfristig ein Erfolg: die beinahe ausschließliche Konzentration auf diese eine personelle Option bedeutete, dass nach dem Sturz Sukarnos kaum mehr eine Basis für intensive Beziehungen bestand – ein Befund, der nicht nur für Indonesien gilt und insofern auf ein Strukturproblem sowjetischer Außenpolitik in der Dritten Welt hinweist.

Die Wirtschafts- und Militärhilfe der Sowjetunion für Indonesien sollte dieses Defizit beheben helfen und, ausgehend vom gemeinsamen Interesse der Orientierung gegen die ehemalige Kolonialmacht, die Grundlage für eine stetige Intensivierung der Beziehungen legen. Ziel seitens der Sowjetunion war, über die Demonstration ihrer Fähigkeit zur Wirtschaftshilfe Werbung für die Überlegenheit des sozialistischen Wirtschaftssystems im Allgemeinen zu machen und auf diesem Wege Indonesien enger an Moskau zu binden. Boden diagnostiziert hier nun den umfassenden Fehlschlag sowjetischer Politik: Die meisten Großprojekte wurden nicht realisiert, Kredite nicht zurückgezahlt und es kam kein für die Sowjetunion gewinnbringender Handel in Gang. Die Verschwendung sowjetischer Wirtschaftshilfe durch die indonesische Regierung hatte, so Boden, zur Folge, dass für die Bevölkerung keine positiven Ergebnisse der Zusammenarbeit sichtbar wurden und sich auch die ökonomischen Strukturen des Landes eben nicht in die von Moskau erhoffte Richtung einer Industriegesellschaft mit hohem Arbeiteranteil entwickelten. Ebenfalls bemerkt Boden, dass Teile der Wirtschaftshilfe von indonesischer Seite für Rüstungszwecke ausgegeben wurden und mit dem so erworbenen militärischen Potential eine Außenpolitik verfolgt wurde, die keineswegs immer den sowjetischen Interessen entsprach. Ein sowjetischer Militärstützpunkt in Indonesien stand zu keinem Zeitpunkt ernsthaft zur Debatte.

Trotz ihres integrativen Ansatzes kommt Boden in ihrer Bearbeitung der Kulturbeziehungen zu dem Schluss, dass diesen aus sowjetischer Sicht nur „flankierende“ Bedeutung zugekommen sei. Genauer in den Blick nimmt sie denn auch nur die Rolle der Wissenschaft, Religion und Propaganda – Themen wie bildende Kunst, Literatur oder Theater werden nicht behandelt. Dennoch sind ihre Darstellungen der sowjetischen Orientkunde und deren struktureller Probleme interessant, da sie herausarbeitet, dass genau wegen der Zweitrangigkeit der Kulturbeziehungen die Grundlagenforschung vernachlässigt wurde. Noch 1964 beklagte der sowjetische Botschafter in Indonesien, dass es in der UdSSR zu wenige Indonesienexperten gäbe – ganz im Gegensatz etwa zu der Situation in China. Ebenso bedeutsam ist die Beobachtung, dass Sukarno gerade die kulturpolitischen Initiativen Moskaus, die dazu geeignet schienen, die indonesische Bevölkerung direkt anzusprechen, häufig ins Leere laufen ließ, wenn nicht gar konterkarierte. Die Beziehungen zur Sowjetunion waren für Sukarno eben auch ein innenpolitisches Thema, und keineswegs mit der Entscheidung für die Zugehörigkeit zu einem sozialistischen Weltsystem verbunden. Dies wird besonders an der Instrumentalisierung der islamischen Religion durch beide Seiten deutlich: Moskau ging es darum, bei gleichzeitiger Unterdrückung des Religiösen im Innern, nach außen durch ostentative Toleranz zu punkten, und Sukarno versuchte, Vorbehalte gegen den sowjetischen Atheismus bei seinen Eliten abzubauen, um eine Zusammenarbeit mit der UdSSR akzeptabler zu machen. Eine tatsächliche kulturelle Verständigung war dies jedoch nicht und sollte es auch nicht sein.

Von Anfang an waren die Beziehungen zwischen sowjetischen und indonesischen Kommunisten von einem Störfaktor geprägt: der Rolle der chinesischen KP. Noch unter Stalin hatte Moskau die Kontakte zu den indonesischen Kommunisten im Wesentlichen der niederländischen und chinesischen Partei überlassen, und Chruschtschow konzentrierte sich beinahe ausschließlich auf die staatlich-persönliche Beziehung zum Nicht-Kommunisten Sukarno. Inzwischen zur mitgliederstärksten nicht-regierenden kommunistischen Partei der Welt angewachsen, war die indonesische Partei ausgesprochen selbstbewusst und eben nicht bereit, jede ideologische Wandlung Moskaus blind nachzuvollziehen. Insbesondere das Konzept der friedlichen Koexistenz entwickelte sich zum Spaltpilz, da es für die indonesischen Kommunisten zu nachgiebig gegenüber dem imperialistischen Westen war. Hier bot sich die kompromisslosere Linie Chinas als Alternative an. An diesem Scheitern Moskaus – auch wegen der ständigen Beschwörung der nationalen Befreiungskämpfe – wird nicht nur deutlich, dass die sowjetische Führung aus der Erfahrung mit Jugoslawien nichts gelernt hatte, sondern auch, dass sie nicht in der Lage war, das kommunistische Netzwerk außerhalb Europas zu steuern.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich Bodens Ansatz auszahlt: Die (vorsichtig formuliert) zwiespältigen Ergebnisse der sowjetischen Indonesienpolitik ermöglichen in ihrer Behandlung des Materials einen erkenntisreichen Blick auf die Problemzonen sowjetischer Außenpolitik im Kalten Krieg. Klar tritt am Beispiel Indonesiens die Bedeutung geographischer und kultureller Nähe als eine Voraussetzung sowjetischer Hegemonie in Osteuropa hervor – in Asien dagegen war es der Sowjetunion zum Einen unmöglich, als militärischer Machtfaktor in Indonesien zu agieren, und zum Anderen wurde sie an Einfluss spätestens seit 1963 von China überrundet. Ganz grundsätzlich fällt jedoch die ironisch anmutende Plan- und Konzeptlosigkeit sowjetischer Politik in der Dritten Welt auf, die es Politikern wie Sukarno ermöglichte, das Machtverhältnis beinahe umzudrehen: gerade der Kolonialherrschaft entronnen, hatte er kein Interesse an neuen Abhängigkeiten. Geschickt wurde die Angst der beiden Supermächte voreinander genutzt, um die eigenen Spielräume zu erweitern und von Angeboten beider Seiten zu profitieren. Vor diesem Hintergrund entzaubert sich einmal mehr der Mythos einer im Kalten Krieg kurz vor der Weltherrschaft stehenden, expansiven Sowjetunion nicht unerheblich. Dies ist kein geringes Verdienst der Arbeit Ragna Bodens. Auf eine kulturgeschichtliche Darstellung wird man jedoch weiter warten müssen.

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