Titel
Gerda Taro. Ausstellungskatalog


Herausgeber
Schaber, Irme; Whelan, Richard; Lubben, Kristen
Erschienen
Göttingen 2007: Georg Steidl
Anzahl Seiten
176 S., zahlr. Abb.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Ulrich Hägele, Universität Tübingen

Der Spanische Bürgerkrieg gilt als erster Medienkrieg in der Geschichte. Die meisten Tages- und Wochenzeitungen schickten Korrespondenten an die Front, um über die Ereignisse zu berichten. Einen besonderen Anteil nahmen die französischen Illustrierten „VU“ und „Regards“; neue Illustrierte erschienen – das amerikanische Magazin „LIFE“ – erstmals im November 1936. Die Reportagen und Bildstrecken vom Krieg in Spanien sind bis heute untrennbar mit einem Fotografen verknüpft: Robert Capa. Seine Bilder vom fallenden Soldaten, von den vor Bombenflugzeugen flüchtenden Menschen, von Kriegswaisen und zerschossenen Hausfassaden haben sich in unser kollektives Bildgedächtnis eingegraben. Kaum bekannt ist, dass viele Fotografien, die später Robert Capa zugeschrieben wurden, im Team-Work mit Gerda Taro entstanden sind. Der ungarische Emigrant – er hieß damals noch André Friedmann – hatte die deutsche Emigrantin im Spätsommer 1934 in Paris kennen gelernt. Gerda Taro wurde die Liebe seines Lebens. Es dauerte nicht lange und die beiden gründeten eine Fotoagentur. Ihre Abzüge trugen auf der Rückseite den Stempelaufdruck „Reportage Capa & Taro“.

Den Bildern von Gerda Taro widmete sich nun im bekannten International Center of Photography (ICP) in New York zum ersten Mal eine Ausstellung. Realisiert wurde die Schau – eine Welttournee ist geplant – auf Initiative von Irme Schaber. Die Kulturwissenschaftlerin gilt als Spezialistin für das Werk von Gerda Taro, über die sie bereits in den 1990er-Jahren eine viel beachtete Studie veröffentlicht hat.1

Der Spanische Bürgerkrieg war nicht nur der erste Medienkrieg. Während dieses Krieges ist auch die erste Fotojournalistin der Geschichte gefallen: Gerda Taro. Sie wurde gerade mal 27 Jahre alt. Ihre Karriere war extrem kurz und ihr Werk ist mit 250 bis 270 zweifelsfrei nachweisbaren Fotografien vergleichsweise klein. Dennoch nahmen an den Trauerfeierlichkeiten anlässlich ihrer Beerdigung auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise am 1. August 1937 rund hunderttausend Menschen teil, darunter der Dichter Pablo Neruda, der Verleger Lucien Vogel und der Poet Tristan Tzara, einer der Begründer des Dada. Die Pariser Presse brachte Titelstories.

Wer war diese junge Fotografin, die so viele betrauerten? Irme Schaber zeichnet in ihrem ausgezeichneten Essay den Lebensweg nach. Gerda Taro wurde 1910 als Gerta Pohorylle in Stuttgart geboren. Die Tochter eines jüdischen Eiergroßhändlers verbrachte eine relativ beschauliche Kindheit und Jugend in der schwäbischen Metropole. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erfuhr sie allerdings im Freundeskreis erste Anzeichen eines aufkeimenden Antisemitismus. Der begabte Teenager besucht die Höhere Handelsschule, lernt dort englisch, französisch und spanisch. 1929: Abbruch der Ausbildung und Umzug der Familie nach Leipzig. Gerta sympathisiert mit der KPD und beteiligt sich an politischen Veranstaltungen. Nach Hitlers Machtergreifung bewegt sie sich in Kreisen des antifaschistischen Widerstands, ihre Verhaftung erfolgt im März 1933. Im Herbst desselben Jahres gelingt ihr die Ausreise nach Paris. Die extrovertierte junge Frau mit dem modischen Kurzhaarschnitt kann in der französischen Hauptstadt Fuß fassen. Sie wird Mitglied eines linken Zirkels, der sich im Café Capoulade am Boulevard St. Michel trifft, versucht sich mal als Schreibkraft, mal als Zeitungsverkäuferin. Eine Zeit lang arbeitet sie im Büro des Regisseurs Max Ophüls und wird dann Assistentin von Maria Eisner, Eigentümerin der Agentur „Alliance Photo“ – ein Glücksfall für Gerta, denn nun hat sie ein festes Einkommen. In der Folge lernt sie die Arbeit in der Dunkelkammer kennen und kommt in Kontakt mit ausländischen Agenturen, die wiederum namhafte Zeitungen und Zeitschriften beschicken.

Während eines Urlaubs mit André Friedmann im Sommer 1935 entschließt sich Gerta Pohorylle, Fotografin zu werden – mit einer eigenen Fotoagentur. Das Paar denkt auch ans Marketing und gibt sich kurzerhand die universal klingenden Künstlernamen Robert Capa und Gerda Taro. Taro arbeitet weiterhin bei „Alliance Photo“; Capa erhält erste Aufträge des renommierten Verlegers Lucien Vogel, dessen Illustrierte „VU“ sich als ein Sprachrohr der Volksfront-Regierung unter Léon Blum entwickelt. Vogel schickt die beiden im August 1936 auf dem Luftweg nach Barcelona. Taro fotografiert zunächst mit einer Rolleiflex, Capa bevorzugt die Leica. Nicht zuletzt auf Grund ihrer eigenen schmerzlichen Erfahrungen als Migrantin sehen die beiden Fotografen ihre Aufgabe politisch. Ihre Bilder sollen Belege, Fakten und Argumente gegen die faschistische Bedrohung und gegen den Krieg liefern – ‚eingreifendes Fotografieren‘ lautete die Devise der ausländischen Journalisten und Fotoreporter, unter denen nicht wenige in letzter Minute dem Hitler-Regime entkommen waren.

Der Krieg in Spanien entwickelt sich zum Medienereignis. Gerda Taro und Robert Capa verkaufen ihre Fotos weltweit an Agenturen wie etwa Pix und Black Star in New York. Ohne ihr Wissen werden Taro/Capa-Fotos auch an die NS-Presse in Berlin verhökert, die sie mit gefälschten Unterschriften zur Propaganda missbraucht. Fotostrecken und Titelbilder von Gerda Taro erscheinen vor allem in der Pariser Abendzeitung „Ce Soir“, aber auch im kommunistischen Wochenmagazin „Regards“ sowie in „VU“, „LIFE“ und in einigen Schweizer Zeitungen.

Wieder in Spanien, trifft Taro den amerikanischen Schriftsteller und Kriegsberichterstatter Ernest Hemingway. Später wird kolportiert, Gerda Taro habe Hemingway zur Figur der Maria in seinem Roman „For Whom the Bell Tolls“ (Wem die Stunde schlägt) inspiriert. Verbrieft ist, dass Hemingway persönlich Fotografien von Gerda Taro ausgewählt hat, die das Magazin „LIFE“ 1941 in einem Artikel über die Buch-Veröffentlichung publizierte. Doch diese Ehrung sollte Gerda Taro genauso wenig erleben, wie die Liaison ihres Lebens- und Arbeitsgefährten Robert Capa mit Ingrid Bergman, die in der grandiosen Verfilmung des Hemingway-Romans (1943) die Rolle der Maria spielte. Gerda Taro starb während eines Luftangriffs der Legion Condor am 25. Juli 1937 an der Brunete-Front, westlich von Madrid. Ein Panzer der Republikaner war durch den Beschuss außer Kontrolle geraten und hatte die Fotografin überrollt.

Dass überhaupt Fotografien von Gerda Taro die Zeit überdauert haben, grenzt an ein Wunder, denn, wie Robert Capa, war die reisende Reporterin immer unterwegs: Ihre wenigen Habseligkeiten passten in einen Koffer; einen festen Wohnsitz hatte sie nicht. Es ist mit ein Verdienst von Roberts Bruder, Cornell Capa, der 2002 im Rahmen einer Schenkung etwa 200 Vintage-Prints und Negative der Fotografin an das ICP in New York gab. Cornell Capa hatte unter dem Eindruck von Schabers Taro-Biographie Mitte der 1990er-Jahre begonnen, systematisch jene Fotografien aufzukaufen, die sich noch in den Archiven einschlägiger Zeitschriften und Agenturen befanden. Außerdem konnte Irme Schaber im Pariser Nationalarchiv acht Alben mit mehreren Hundert Kontaktabzügen des Fotografenpaars aufspüren. Sie waren 1940 von den deutschen Besatzern beschlagnahmt, aber nicht vernichtet worden und nach der Befreiung in den Besitz des französischen Staates gelangt. Die Alben dienten Schaber und ihrem Co-Autor Richard Whelan – weltweit der beste Kenner von Capas Œuvre – als primäre Quellen. Um die Urheberschaft zu verifizieren, waren vor allem die handschriftlichen Bezeichnungen entscheidend – offenbar hatten Taro und Capa meist nur die eigenen Kontaktbilder mit einer Notiz versehen. In monatelanger Arbeit ist es Schaber und Whelan gelungen, rund dreihundert Aufnahmen herauszufiltern und diese Gerda Taro zuzuschreiben – von manchen Taro-Fotos existiert freilich nur mehr der gerasterte Abdruck in einer Illustrierten.

Der liebevoll gestaltete und sehr gut gedruckte Katalog zur Ausstellung zeigt 98 Beispiele aus dem Werk. Den Autoren ist eine würdige Retrospektive gelungen. Sie nähern sich der Person Taros mit dem gebotenen quellenkritischen und zeitgeschichtlichen Abstand; eine Glorifizierung der mutigen Kriegsfotografin unterbleibt. Obgleich vielfach auf Titelseiten publiziert, weisen ihre Bilder manchmal handwerkliche Defizite auf, die allerdings zu Gunsten einer intensiv geführten Bildsprache in den Hintergrund treten. Taro bewegte sich mit ihrer Kamera stets nah am Objekt. Ihre Lieblingsmotive sind Frauen und Kinder. Sie präsentiert Individuen und deren Alltag in einem Krieg, der die spanische Nation für Jahrzehnte in den Faschismus stürzen sollte. Robert Capa versuchte mit seinen späteren Fotografien den Krieg zu entsymbolisieren. Diesen Aspekt nehmen die Bilder von Gerda Taro ein Stück weit vorweg: Es sind unprätentiöse Aufnahmen, die sich im Prozess der Visualisierung, im Angesicht von Tod und Gewalt, eine außergewöhnliche Portion von Menschlichkeit bewahrt haben.

Bleibt zu hoffen, dass auch das europäische Publikum Gerda Taro, ihren Bildern und damit auch dem Katalog eine größere Aufmerksamkeit schenken wird. Die ersten Stationen – London (Herbst 2008) und Barcelona – sind bereits gebucht. Auch Hamburg hat Interesse gezeigt. Traurig aber wahr: Taros Geburtstadt Stuttgart sieht sich laut ICP anscheinend nicht in der Lage, die Wanderausstellung zu präsentieren.

Anmerkung:
1 Schaber, Irme, Gerta Taro. Fotoreporterin im spanischen Bürgerkrieg. Eine Biografie, Marburg 1994.

Kommentare

Re: I. Schaber u.a.: Gerda Taro

Von Binder, Beate

Mittlerweile hat das Kunstmuseum Stuttgart eine Ausstellung zu Gerda Taro in ihr laufendes Programm aufgenommen. Laut Mitteilung der Museumsleitung soll die Schau 2010 präsentiert werden.


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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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