Der Band „Die senatus consulta in den epigraphischen Quellen” präsentiert Teile der Ergebnisse der Tagung „Die Senatus consulta in den epigraphischen, papyrologischen und numismatischen Quellen: Texte und Bezeugungen“, die im November 2016 in Münster stattfand. In der sehr knappen „nota” (S. 7) erklären P. Buongiorno und G. Camodeca: „La mancata consegna del testo per la stampa da parte di alcuni relatori […] ha imposto […] di ristrutturare parzialmente l’impianto (e il titolo) del volume, ponendo l’accento sulla documentazione epigrafica“. An dieser Stelle hätte man auch das Thema und die Ziele des Buches definieren sollen (s.u.). Es fehlt außerdem die Einbettung der Thematik in den Forschungsstand, und es bleibt unklar, was „Texte und Bezeugungen“ heißen soll.
Der Band ist in drei Teilen organisiert. Der erste Teil, der nach den Absichten von P. Buongiorno und G. Camodeca einen einleitenden Charakter haben soll, fängt mit einem Beitrag (S. 9–53) der Herausgeber über die in Italien gefundenen senatus consulta (fortan s. c.) an. Dargestellt wird hier auch die allgemeine Struktur der s. c., und man geht der Frage der Archivierung dieser Dokumente im tabularium nach. Die Annahme von P. Buongiorno, dass die Aufbewahrung von s. c. auf Wachstafeln erfolgte (S. 12), scheint mir zu unsicher. Vielmehr sollte man die Archivierung der auch für die Publikation gedachten Bronzetafeln annehmen, wie Sueton (Caes. 28,2) nahelegt. Eine Tabelle mit den Inschriften aus Italien, die ein s. c. erwähnen, aber keinen Text wiedergeben, rundet den Aufsatz ab. Der Beitrag von W. Eck betrachtet die „im Wortlaut“ in den Provinzen gefundenen s. c. in lateinischer Sprache (S. 55–81). Seine allgemeinen Überlegungen (S. 55–67) zu Ziel, Funktion und Publikation der s. c. gleichen das Fehlen von solchen Überlegungen in der „nota“ von P. Buongiorno und G. Camodeca aus. Es folgt der Beitrag von K. Harter-Uibopuu über die Publikation von s. c. in griechischen Inschriften als Dossier – d.h. zusammen mit anderen Dokumenten – sowie als einzelne Texte (S. 83–105). Die Trennung der s. c. nach Italien und Provinzen einerseits und nach Sprachen andererseits überrascht. Warum das geschehen ist, dafür geben P. Buongiorno und G. Camodeca keine Erklärung. Da diese Unterteilung sich aber nicht aus der Sache ergibt (siehe z.B. die Beschlüsse zu Germanicus), wäre es nötig gewesen, den Benutzer des Bandes darüber aufzuklären.
Mit dem Beitrag von A. Gallo über die s. c. de Bacchanalibus im Vergleich mit der Überlieferung bei Livius (S. 107–145) fängt der umfangreichste Teil des Bandes an, der Arbeiten über einzelne s. c. bietet. A. Victor Walser präsentiert in seinem klaren und gut strukturierten Aufsatz die Ergebnisse seiner neuen Edition des s. c. Popillianum des Jahres 132 v.Chr. über die Situation des attalidischen Königreichs und stellt fest, dass der Senat gleich nach der Ankunft des Testaments des Attalos III. in Rom über die Freiheit seiner ehemaligen Alliierten entschied (S. 147–169). Mit dem sogenannten s. c. Licinianum de rebus Phrygiae ordinandis beschäftigt sich die Arbeit von É. Famerie (S. 171–185). Einen allgemeineren Ansatz zeigt die Arbeit von S. Saba (S. 187–197), die, ausgehend von dem in Astypalea gefundenen dreiteiligen Dossier mit s. c. und den Verträgen zwischen Rom und den griechischen Städten, die Rolle dieser Verträge und des s. c. aus der Perspektive der Gemeinden untersucht. S. Viaro (S. 199–244) stellt Überlegungen zu dem sogenannten s. c. de pago montano an, das bis dato nach der Verfasserin in der Romanistik wenig berücksichtigt wurde. Mit dem s. c. de Stratonicensibus und dem Verhältnis von Zentrum und Peripherie befasst sich die Arbeit von S. Marino (S. 245–293), der ausführlich über dieses s. c. zusammen mit den in derselben Inschrift wiedergegebenen Briefen Sullas berichtet. D. Bonanno (S. 295–312) widmet ihre Zusammenfassung („sintesi ragionata“) der in Oropos entstandenen Kontroverse über die Versteuerung des Landbesitzes des Amphiaraos, die mit der Entscheidung des Senats im Jahr 80 v.Chr. gegen diese Maßnahme endete. A. Raggi (S. 313–330) bietet in seiner Untersuchung über das s. c. de Aphrodisiensibus inzwischen veraltete und noch nicht auf Autopsie basierende Überlegungen. Schon aus der ersten Fußnote erfährt man, dass dieses Dokument in einem 2020 veröffentlichten Band neu ediert wurde1. Die erwähnte Entscheidung von P. Buongiorno und G. Camodeca „di conservare il presente contributo come traccia dello stato intermedio di avanzamento della ricerca“ scheint dem Leser gegenüber ungünstig zu sein. S. Lohsse (S. 331–342) präsentiert das s. c. Calvisianum des Jahres 4 v.Chr., das ein Senatsverfahren de repetundis und die Entwicklung des Strafprozesses vor dem Senat dokumentiert. Der Beitrag von A. Terrinoni (S. 343–368) widmet sich den im Senat über die Finanzierung der ludi saeculares des Jahres 17 v.Chr. getroffenen Entscheidungen. In der Inschrift, die an einer Stelle von der Verfasserin plausibel neu ergänzt wird, wird auch bestimmt, dass die memoria der ludi saeculares in einer Säule auf Bronze und in einer anderen auf Marmor festgehalten werden sollte. So befasst sich A. Terrinoni im letzten Teil ihrer Untersuchung mit der Frage nach der einmaligen Publikation desselben Textes am selben Ort, aber auf zwei Säulen aus unterschiedlichen Materialien. Weniger passend scheint der Vergleich von der Säule aus Bronze mit dem miliarium aureum und den Bechern von Vicarello, die auf keinen Fall den genannten Meilenstein reproduzieren2. Der letzte Beitrag des zweiten Teils ist von M. Rizzi verfasst worden und behandelt das s. c. de nundinis saltus Beguensis (S. 369–395).
Der dritte Teil beinhaltet zwei zwar interessante Arbeiten über die Dekrete der Dekurionen (A. Parma, S. 397–410) und die Erwähnung von s. c. auf Münzen (R. Wolters, S. 411–437), die aber nicht in die Thematik des Bandes passen. Ein Quellenregister (S. 439–458) rundet den Band ab.
Insgesamt kann man feststellen, dass dieser Band gute und ausführliche Beiträge beinhaltet, die – abgesehen von dem Beitrag von A. Raggi (s.o.) – den Forschungsstand und neue Überlegungen zu den einzelnen s. c. bieten. Es fehlen leider ein Gesamtkonzept und eine überzeugende thematische Einteilung. Anmerken könnte man auch, dass Abstracts sehr hilfreich gewesen wären. Zu lange Fußnoten (siehe z.B. S. 206–207) erschweren dagegen die Lektüre. Anachronistische Ausdrücke wie „diritto internazionale“ (S. 15, S. 256, S. 257), „relazioni internazionali“ (S. 16) oder „sistema internazionale“ (S. 260) sowie die Verwendung des Wortes „incisione“ für „Inschrift“ (s. z.B. S. 227) hätte man vermeiden sollen. Einige (wenige) Tippfehler und eine nicht immer korrekte Zeichensetzung zeugen von einer gewissen Eile und Flüchtigkeit der Redaktion, die sich besonders störend bei der Wiedergabe von Inschriften bemerkbar macht (s. z.B. S. 346 Frg. d-f Z. 52).
Anmerkungen:
1 Andrea Raggi, Pierangelo Buongiorno, Il senatus consultum de Plarasensibus et Aphrodisiensibus del 39 a. C., Stuttgart 2020, Acta Senatus. B 7.
2 Manfred G. Schmidt, A Gadibus Romam. Myth and reality of an ancient route, BICS 54 (2011), S. 71–86.