T. Daniels u.a. (Hrsg.): Das Interdikt in der europäischen Vormoderne

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Titel
Das Interdikt in der europäischen Vormoderne.


Herausgeber
Daniels, Tobias; Jaser, Christian; Woelki, Thomas; Baumgart, Winfried
Reihe
Zeitschrift für Historische Forschung, Beihefte (57)
Erschienen
Anzahl Seiten
552 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ansgar Frenken, Ulm

Das Interdikt ist kein gänzlich neuer Gegenstand in der kanonistischen und mediävistischen Forschung, auch wenn dies dem Leser eingangs so vermittelt wird („[…] gehört zweifelsohne zu den am wenigsten erforschten Phänomenen der vormodernen Kanonistik, Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte“, S. 7). Bereits ein kurzer Blick auf die zitierte Literatur der Einleitung und zu den einzelnen Beiträgen dürfte ausreichen, um diese Einschätzung zu relativieren. Diese Art von Selbstvermarktung ist überflüssig. Sie lenkt nur davon ab, dass der vorliegende Sammelband in der Tat ein Meilenstein für jede künftige Beschäftigung mit dem Forschungsgegenstand „Interdikt“ ist: Zahlreiche Aspekte der aktuellen Forschung werden aufgegriffen, problematisiert und an Fallbeispielen exemplifiziert. Die dabei erzielten Ergebnisse können sich, soviel sei schon vorweggenommen, sehen lassen.

Außer der Einleitung der drei Herausgeber enthält der vorliegende Band insgesamt 18 Beiträge, die auf vier Blöcke – „I. Das Interdikt als Forschungsproblem“, „II. Das Interdikt als kanonistisches Problem“, „III. Städtische Interdikte zwischen Observanz und Widerstand“, „IV. Das Interdikt als publizistischer Streitfall“ – aufgeteilt sind. Die Beiträge, zumeist 20 bis 30 Seiten füllend, decken dabei den zeitlichen Rahmen von der Wende des 10./11. Jahrhunderts bis in das frühe 17. Jahrhundert ab, in dem Interdikte zur Ausübung von Druck auf Gläubige verhängt wurden. Um den Umfang der Rezension nicht allzu sehr überschreiten zu müssen, kann nur eine Auswahl der Beiträge vorgestellt werden, ohne dass dies ein Werturteil darstellt.

In ihrer gelungenen Einleitung zeichnen die drei Herausgeber ein erstes, skizzenhaftes Bild des Forschungsgegenstands und seiner unterschiedlichen Ausprägungen, je nach Raum, betroffener Person oder Art des Interdikts. Allerdings vermisst man eine präzisere Abgrenzung des Interdikts zur Exkommunikation sowie die bestehenden Verknüpfungspunkte. Diese Lücke wird erst von Johannes Helmrath in seinem Beitrag (S. 65–67) gefüllt. Ein besonderes Konfliktpotenzial sehen die Herausgeber im lokalen Interdikt, da es Rechtsempfinden und Gerechtigkeitsgefühl der unschuldig von dessen Verhängung Betroffenen massiv berührte und damit zu unbeabsichtigten, gegebenenfalls sogar kontraproduktiven Kollateralschäden führen konnte. Zurecht bezeichnen die Herausgeber das Interdikt als ein „vormodernes Querschnittsphänomen […], das gleichermaßen kirchen-, rechts- und allgemeinhistorische Perspektiven eröffnet“ (S. 11), welches in den vier unterschiedliche Schwerpunkte setzenden Blöcken ausgelotet werden soll.

Im ersten Abschnitt geht Peter Clarke der Entwicklung des Phänomens Interdikt nach. In seinem Forschungsbericht verweist er auf dessen Entstehung im 11. Jahrhundert und seine kanonistische Verankerung im Liber extra. Weiter geht er auf Fragen der Effektivität des Interdikts und seiner unterschiedlichen Zielsetzungen in der Forschungsliteratur ein, weist auf zentrale Fallstudien sowie auf die zeitgenössische Polemik um das Interdikt hin und gibt schließlich einen Überblick über neuere Perspektiven der Forschung. Clarke bildet sozusagen im Kleinen das ab, was der Band insgesamt bietet.

Auf eine weite tour d’horizon begibt sich anschließend Johannes Helmrath, der Schwerpunkte gegenwärtiger Interdikt-Forschung benennt, aber auch auf bestehende Desiderate hinweist. Dabei hebt er die Bedeutung des Komplexes „Stadt und Kirche“ hervor, da sich hier Interdiktspraktiken und Reaktionen der Betroffenen besonders sichtbar machen lassen. Eingehender befasst er sich mit der Problematik des Interdikts als Kollektivstrafe, die vor allem Unschuldige trifft. Denn „die Dialektik des Interdikts bestand darin, ‚Frömmigkeit‘ (als Gehorsam) zu erzwingen, indem man deren normale Ausübung verhinderte“; ein Interdikt bedeutete faktisch Entzug (S. 64). Diese unangemessene Kollektivstrafe führte schließlich, wie Helmrath exemplarisch zeigen kann, zu zahlreichen und vielfältigen Milderungen der durch das Interdikt verhängten Einschränkungen in der alltäglichen Praxis. Helmrath betrachtet darüber hinaus Frequenz und Dauer des Interdikts und problematisiert zuletzt die verbreitete Ansicht, das Interdikt habe sich im späten Mittelalter abgenutzt.

Der zweite Block wird eingeleitet von Kerstin Hitzbleck, die die Problematik (zu) lang anhaltender Interdikte beleuchtet. Sie beschreibt die Gefahr der Entfremdung der vom Interdikt betroffenen Gläubigen von der Kirche, die Gefahr für das Seelenheil durch den Entzug der Sakramente und das Problem der Häresie, das sich als Folge des Interdikts entwickelte. Hitzbleck richtet ihren Blick aber auch auf die andere Seite, die Probleme des Klerus, der zwischen dem Gehorsam gegenüber der eigenen Obrigkeit und seiner Gewissenspflicht zerrissen wurde. Damit zeigt sie, welche Gewissensrelevanz das Interdikt besaß. Am Beispiel des Bestattungsverbots verweist Romedio Schmitz-Esser auf die vielen Ausnahmeregeln, die das Interdikt erträglicher machen sollten. Seine Schlussfolgerung: „Ein Interdikt ließ sich also nicht ignorieren; es ließ sich aber auch nicht umfassend durchsetzen“ (S. 153). Auch Katharina Ulrike Mersch beschäftigt sich mit Umgehungsstrategien. Klöster und Klostergemeinschaften beschafften sich zum Beispiel päpstliche Privilegien, sodass kein Interdikt durch den Ortsbischof oder ein Domkapitel über sie verhängt werden konnte. Bei Streitigkeiten über die Berechtigung eines Interdikts wurde zunehmend bis an die Kurie appelliert. In diesen Kontext passt auch das von Bernado Pieri untersuchte letzte Consilium des berühmten Juristen Paolo de Castro (zusammen mit seinem Sohn, dem Kanonisten Angelo), in dem die Legitimität eines Interdikts in Frage gestellt und die Richtigkeit des städtischen Handelns nachgewiesen wird. Pieri kann zeigen, dass das Gelehrtenpaar vor allem mit weltlichem Recht argumentiert.

Interdikte konnten sowohl über einzelne Kirchen, Klöster und Bistümer verhängt werden, als auch über Burgen, Städte sowie Herrschaften und Königreiche. Am besten lassen sich die Konsequenzen vielleicht an den städtischen Interdikten beschreiben, da hier besonders viele Unschuldige betroffen werden, aus heutiger Perspektive könnte man von Geiselnahme sprechen. Anhand einzelner aussagekräftiger Fallbeispiele werden im dritten Block Ursachen und Folgen des Interdikts genauer untersucht. Frederik Keygnaert zeigt dies an den großen Städten in der Kirchenprovinz Reims um die Wende zum 11. Jahrhundert. Meist sind die Interdikte politisch motiviert, beispielsweise um die Position des Bischofs zu stärken oder die der französischen Krone. Ihr Erfolg hing letztlich von der Stärke des jeweiligen Bischofs ab. Hervorzuheben ist Keyngaerts Beobachtung, dass die Zahl der Interdikte mit dessen zunehmender Verankerung und Ausgestaltung im Kirchenrecht anstieg. Legitimiert wird die Verhängung des Interdikts biblisch, patristisch und zunehmend mit dem kanonischen Recht, die Rolle der „unschuldig Betroffenen“ gerne als Mittäterschaft begründet und sei es, dass kein Protest erhoben wurde gegen die Ursache des Interdikts und die dafür verantwortlichen Personen.

Am Beispiel Kölns zeigt Christian Jaser, wie in der Auseinandersetzung zwischen Stadt und Erzbischof im 13./14. Jahrhundert letzterer die geistliche Territorialstrafe des Interdikts als Zwangs- und Druckmittel gegen die Stadt und ihre Bürger einsetzt. Diese wissen sich aber durch prophylaktische Maßnahmen und reaktive Gegenmaßnahmen, sofern das Interdikt bereits verhängt worden ist, zu wehren, um dessen Auswirkungen möglichst gering zu halten. Letztlich zeigte sich, dass die Verhängung des Interdikts durch den Erzbischof eher kontraproduktiv ausfiel, da dieses zur Stärkung der Stadt führte.

Luca Delmonte beschreibt, wie Raimondo della Torre (Bischof von Como, Patriarch von Aquileia) das Interdikt gezielt als politische Waffe in den bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen Guelfen und Ghibellinen in norditalienischen Städten einsetzte. Delmontes Beispiel kann exemplarisch für den keineswegs normalen Fall eines erfolgreichen Einsatzes eines lokalen Interdikts stehen.

Am Beispiel des spanischen Valencias analysiert Vicente Pons Alós das Wechselspiel von Verhängung und Aufhebung von Interdikten, die vom 13.–15. Jahrhundert häufig erlassen wurden. Dabei beschreibt er Interdikt und Exkommunikation als Waffen der hohen Geistlichkeit, um die weltliche Herrschaft in den Städten oder im Königreich zu beeinflussen und zu kontrollieren. Weiter nennt er genaue Gründe für Interdikte, wie sie aus den Synodalakten hervorgehen. Konflikte zwischen Stadt und Kirche waren vor allem dann vorprogrammiert, wenn die weltliche Gerichtsbarkeit gegen Kleriker vorging.

Im abschließenden vierten Block wird der publizistische Umgang mit dem Interdikt untersucht. Martin Kaufhold zeigt die erfolgreiche Abwehr eines Interdikts im Reich infolge der Machtstellung Kaiser Ludwigs des Bayern und seines familiären Netzes, vor allem aber eines wirksamen publizistischen Kampfes gegen das Interdikt. Auch schreckte der Kaiser keineswegs vor dem Einsatz von Gewalt zurück gegen diejenigen, die die Verhängung des Interdikts verbreiten und seine Einhaltung kontrollieren wollten.

Das Interdikt als geistige, politische und mediale Waffe behandelt Massimo Rospocher. Er untersucht insbesondere die Formen der medialen Verbreitung der Interdiktsbullen, die emotionalen Auswirkungen auf die Betroffenen (Angstmacherei, erhöht durch parallele Katastrophen) und die Reaktionen in den entsprechenden Gebieten in der Zeit Julius‘ II. Der Papst zeigte sich als Propagandist in eigener Sache, unter Einsatz der neuesten medialen Mittel. Das interdizierte Venedig versuchte sich dagegen zu wehren: Ableugnen und gezielte Gegenpropaganda wurden neben kanonistischen Maßnahmen (Appellationen) zu einer mitunter wirksamen Waffe in diesem Kampf.

Zum Schluss beschäftigt sich Jaska Kainulainen mit Paolo Sarpis Argumentation, mit der dieser die Eingriffe des Papstes in innere Angelegenheiten der Stadtrepublik (Interdikt 1606/07) zurückwies. Der Versuch, den Kritiker Sarpi in die protestantische Ecke zu stellen oder als Atheisten zu disqualifizieren, zog nicht mehr, da dieser eine breite internationale Unterstützung für seine Position, die Kirche solle sich auf den geistlich-spirituellen Raum zurückziehen, gewann. Damit läutete diese Kontroverse auch das Ende des Interdikts als politisch wirkungsvolle Waffe des Papsttums ein und beschließt die Epoche seines Einsatzes als eines machtvollen kirchlichen Zwangs- und Druckmittels.

Der vorliegende Band bietet einen profunden Überblick über den aktuellen Stand der Forschung, er ist breit und vergleichend angelegt, sodass der Leser – von weiteren vertiefenden Detailstudien abgesehen – kaum etwas vermissen sollte. Allein die Seite der Betroffenen, vor allem der einfachen Leute, lässt sich oft nur indirekt ermitteln – am ehesten noch in den städtischen Fallbeispielen. Hier eröffnet sich ein weites Feld für mentalitätsgeschichtlich ausgerichtete Studien. Insofern regt der Band zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema Interdikt an, zeigt Perspektiven auf und gibt Anstöße.

Als überaus hilfreich für die Nutzung des vorliegenden Sammelbands ebenso wie für die künftige Arbeit erweist sich das doppelte Register (Personen und Werke / Orte und Institutionen). Nicht zuletzt ist dieser Band auch „handwerklich“ solide gemacht: Die Anzahl inhaltlicher wie drucktechnischer Fehler ist marginal. Leider ist diese Sorgfalt heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr; umso mehr sei den Herausgebern dafür gedankt.