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Titel
Ambivalenzen des Populären. Pan Tau und Co. zwischen Ost und West


Autor(en)
Srubar, Helena
Erschienen
Konstanz 2008: UVK Verlag
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Árpád von Klimo, Zentrum für Zeithistorische Forschung

Die Konstanzer soziologische Dissertation von Helena Srubar gehört zu den wenigen Arbeiten, die die Zeit des Kalten Krieges in Ost- und Westeuropa transnational und blockübergreifend untersuchen. Srubar analysiert TV-Kultserien, vor allem „Pan Tau“, die besonders die zweite Nachkriegsgeneration in Westdeutschland und in der Tschechoslowakei geprägt haben, und die aufgrund der hohen Zahl an Zuschauern und Fans als tschechisch-deutscher Erinnerungsort bezeichnet werden kann, obwohl sicher nicht allen Fans der jeweilige tschechische bzw. deutsche Anteil an dieser Koproduktion bewusst sein mag. Zugleich handelt es sich um Fernsehserien, die in ganz Europa äußerst erfolgreich waren und auch als Wiederholungen nach wie vor sind.

Helena Srubar gelingt es mit einem interdisziplinären Ansatz, der medienwissenschaftliche, zeithistorische und soziologische Fragestellungen und Untersuchungsmethoden miteinander verbindet, nicht nur die vielschichtigen Deutungsebenen der Serien, sondern auch den historischen und politischen Kontext gründlich herauszuarbeiten. Dadurch treten die teilweise sehr ähnlichen, teilweise sehr unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Rezeptionsweisen in Westdeutschland und in der ČSSR bzw. im heutigen Deutschland und im heutigen Tschechien deutlich zutage. Der große, europaweite Erfolg von „Pan Tau“, der „Märchenbraut Arabella“ und der Science-Fiction-Persiflage „Die Besucher“ erklärt sich zum einen daraus, dass die Serien mit ihrer Mischung aus Komik, Slapstick, Ironie und vor allem kindlicher Phantastik sowie bewährten, kulturell verankerten Erzählweisen einen hohen, vor allem in Europa „funktionierenden“ Unterhaltungswert aufweisen. Doch sind neben dieser populärkulturellen Deutungsebene weitere, ganz anders zu lesende Bedeutungsschichten vorhanden, die von den Zuschauern damals ausgeblendet wurden, obwohl ihre Wirkung in den Aussagen von Fans oder Beteiligten leicht nachzuweisen sind. So betonen alle, die an den Produktionen beteiligt waren (und von Srubar interviewt wurden) ebenso wie die überwiegende Zahl der Fans von „Pan Tau“, „Arabella“ und den „Besuchern“, dass die „unpolitische“, allgemein-menschliche Qualität der Serien ihren Erfolg erklären würden.

Andererseits wird die zweifellos ideologisch bedingte und der staatlichen Ideologie der „Normalisierungszeit“ nach der Niederschlagung des Prager Frühlings entlehnte, teilweise recht plumpe Kapitalismuskritik, die die Sendungen enthalten, von den gleichen Personen als besonderes Qualitätsmerkmal hervorgehoben, worin sich auch ein in Europa weit verbreiteter Kultur-Antiamerikanismus äußert. So heben viele der Befragten oder der sich im Internet zu den Serien Äußernden hervor, dass „Pan Tau“ oder „Arabella“ viel besser als die Kindersendungen aus „Hollywood“ seien, die vor allem von „Action“, „Konsum“ und „Gewalt“ geprägt seien. Typisch für diese weit verbreitete westdeutsche Sichtweise ist die von antiamerikanische Klischees durchsetzte Aussage des früheren SPD-Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein Björn Engholm in diesem Zusammenhang: „Kein Supermann mit geblähter Hemdbrust flattert da zwischen Wolkenkratzern herum, keine Autos werden in die Luft gejagt [...]. Pan Tau, das ist eine Figur wie aus dem schönsten Märchen. [...] Pan Tau steht auf der Seite der Kinder. Und die sind nicht bloße Staffage.“ (S. 90) Aus dieser kritischen, antiautoritären westdeutschen Perspektive wurde die grobschlächtige Kapitalismuskritik der Filme nicht etwa übersehen, sondern offenbar gutgeheißen. „Kapitalisten“, zumeist ältere Herren mit Bauch und Zigarre, die ihr Leben allein dem Geld widmen, werden am Ende der Serien entweder bestraft oder dürfen, nach längerem Läuterungsprozess, als anständige, ehrliche Arbeiter beim Plattenbau wieder in die sozialistische Gesellschaft zurückkehren (S. 201-249). Den Höhepunkt der antikapitalistischen Propaganda stellte die Darstellung von Umweltverschmutzung aufgrund kapitalistischer Raffgier dar – in einer Zeit, in der die sozialistische Energiewirtschaft der ČSSR erhebliche Umweltzerstörungen verursachte.

Noch interessanter sind aber die scheinbar völlig widersprüchlichen tschechischen Deutungsangebote und Lesarten der heutigen Kultserien. So kann Srubar sowohl traditionelle nationale, als auch staatssozialistisch-offizielle und sogar subversiv-oppositionelle Elemente ausmachen, die sich in dem von der Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts konstruierten, vor allem antifeudalen und antideutschen Selbstbild der „kleinen tschechischen Leute“ (malý český človĕk) treffen, das den Tschechen aufgrund ihrer „Anständigkeit“ und „Menschlichkeit“ eine moralische Überlegenheit attestiert. Auf diesen bis heute verbreiteten Topos bezogen sich sowohl die Kommunisten, die unmittelbar nach 1945 zur stärksten Partei wurden, als auch die sowjettreuen Apparatschiks, die von 1968 bis zur „samtenen“ Revolution von 1989 herrschten und diese repressive Herrschaft als bestmögliche Lösung für die tschechoslowakische Gesellschaft propagierten. Als „kleine tschechische Leute“ mit moralischer Überlegenheit empfanden sich aber auch die wenigen Oppositionellen, die sich zum poststalinistischen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ bekannten oder diejenigen, die sich zur Anpassung an das Regime gezwungen sahen. Faszinierend bei diesem Selbstbild ist aber auch die darin enthaltene, sehr ambivalente Beziehung zum Westen bzw. zu Europa – einerseits suggeriert die Rede von den malý český človĕk, dass diese die Werte des Westens, der Demokratie und der Menschenrechte auf eine besonders authentische Weise verkörpern, zugleich sind sie damit einem verdorbenen, etwa aufgrund seiner kapitalistischen Gier seine eigenen Werte verratenden Westen (etwa: Westdeutschland) wiederum moralisch überlegen. Möglicherweise kann diese Denkfigur nicht nur die große Stabilität des tschechischen Staatssozialismus erklären, der offenbar nicht auf dem Gebiet der Politik und der Ideologie gescheitert ist, sondern vor allem auf dem Terrain der Wirtschaft, wie auch die ambivalente Haltung der tschechischen politischen Klasse gegenüber der EU. Diese über das Thema des zu besprechenden Werkes weit hinausweisende Spekulation sei dem Rezensenten verziehen, denn sie sollte nur unterstreichen, wie anregend und lehrreich die faszinierende Untersuchung von Helena Srubar ist.

Die Stärken des Buches überwiegen eindeutig die Schwächen, doch auch diese seien genannt. Zum einen ist das Lesen trotz des Themas nicht immer vergnüglich. Es gibt zahllose Wiederholungen der Leitthemen und Hauptthesen und sehr viele Redundanzen. Ein wenig ist dies dem Genre Dissertation geschuldet, in dem üblicherweise selbst die einfachsten Schlussfolgerungen mit mindestens vier bis fünf Quellenbelegen untermauert werden. Während die meisten Begriffe sehr präzise eingeführt und verwendet werden, wirkt das häufig auftauchende Adjektiv „totalitär“ zur Beschreibung des Regimes der „Normalisierungszeit“ etwas übertrieben, eben weil es relativ erfolgreich auf einem ungeschriebenen „Gesellschaftsvertrag“ beruhte. Der häufige Gebrauch dieses Ausdrucks hängt wohl damit zusammen, dass sowohl die Regisseure, Schauspieler, Fernsehmacher, als auch die Fans die Serien völlig aus ihrem politischen Zusammenhang reißen und ihnen eine gänzlich „unpolitische“ Intention oder gar oppositionelle oder eskapistische Qualitäten unterstellen, die aber eben nur teilweise vorhanden sind neben staatsideologischen Zügen. Gegen diese auch noch heute verbreitete Sichtweise erinnert Helena Srubar zu Recht daran, dass die Serien zwar vieldeutig, aber eben auch Produkte einer Diktatur sind.

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