Elisabeth I. von England hat schon zu Lebzeiten die Menschen fasziniert; auch noch vierhundert Jahre später beschäftigen sich nicht nur Forscher sondern auch Hollywood-Regisseure mit ihr. Ihre Reisen und Feste bieten einen besonderen Kristallisationspunkt für diese Faszination, da hier sowohl ihre Inszenierung als Virgin Queen als auch das besondere Verhältnis, das sie zu ihren Untertanen hatte, sichtbar werden.
Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis einer 2004 abgehaltenen Tagung und gleichzeitig Teil des Großunternehmens „The Nichols’ Project”, das es sich zum Ziel gesetzt hat, die von John Nichols Anfang des 19. Jahrhunderts veröffentlichte Quellensammlung zu Elisabeths Festen und Reisen nach modernen wissenschaftlichen Standards zu überarbeiten. Für alle, die sich mit der Hofkultur Elisabeths beschäftigen, war Nichols’ Edition bislang trotz ihrer deutlichen Mängel unersetzbar. Diese Edition neu herauszubringen, ist somit nicht nur – angesichts der Menge des Quellenmaterials – eine unglaubliche Leistung, sondern auch ein außerordentlicher Beitrag für die heutige Elisabeth-Forschung. In dem nun erschienenen Sammelband demonstrieren die Autorinnen und Autoren, dass zu den Elisabethanischen Festen und Reisen – obwohl bereits sehr gut erforscht – noch lange nicht das letzte Wort gesprochen wurde. Sie alle bieten neue Blickwinkel, unter denen sich eine abermalige Betrachtung dieses Quellenmaterials lohnt.
Die Beiträge stammen sowohl von Historiker/-innen als auch von Literaturwissenschaftler/-innen, einige arbeiten selbst an der neuen Edition der ‚Progresses‘ mit. Grundlegend für alle ist die Annahme, dass Elisabeths Feste einen „ceremonial dance” darstellten, “in and through which hosts (civic and private), subjects, Queen, and Privy Counsellors compete to represent and advance their interests” (S. 3).
In der Einleitung gehen Jayne E. Archer und Sarah Knight der Faszination der progresses Elisabeths nach, die Generationen von Wissenschaftlern in ihren Bann geschlagen haben, weit über das Interesse an den Reisen anderer Herrscher hinausgehend. Elisabeth wurde eine mystische Beziehung zu ihrem Land zugeschrieben, die keiner ihrer Vorgänger oder Nachfolger hatte. Archer und Knight stellen die These auf, dass die Faszination der Elisabethanischen progresses darin begründet liegt, „[that] they were performed at the very moment when ‚Englishness’ was enfolded within ‚Britishness’, that they remain an insistent and potent symbol of Englishness” (S. 23). Sie wurden zu einem Symbol für „a unity – between ruler and ruled, monarch and land – that never was, and so can never be forgotten” (S. 23).
Mary Hill Cole und Felicity Heal legen im ersten Teil „The Elizabethan Progresses: Patterns, Themes, and Contexts“ die Grundlagen für das Verständnis der Reisen und Feste Elisabeths. Cole liefert einen Abriss über die Sommerreisen als grundsätzliches Phänomen der Herrschaft Elisabeths – angefangen bei den organisatorischen Problemen für den Hof, den Regierungsapparat sowie die Gastgeber bis hin zu der Frage, warum sie überhaupt reiste. Heal wiederum betrachtet die zeremonielle Seite der Empfänge Elisabeths aus der Perspektive der Ritualforschung, indem sie die Dynamik von Schenken und Erhalten analysiert. Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass Elisabeth bereits vorhandene Traditionen von Schenken und Gastfreundschaft nutzte, ihren Zwecken entsprechend umgestaltete und ihnen so eine neue politische und kulturelle Bedeutung verlieh.
Den Auftakt zum zweiten Teil „Civic and Academic Receptions for Queen Elizabeth I“ bildet Hester Lees-Jeffries mit einer Analyse der Krönungsprozession Elisabeths 1558 durch London. Dabei geht es ihr vor allem um die Bedeutung der Kanäle und Brunnen, an denen die Festarchitekturen aufgebaut wurden, und darum, wie diese sich in die Gesamtbedeutung der allegorischen Darstellungen einfügen. Anschließend untersucht Siobhan Keenan Elisabeths Besuche in den Universitätsstädten Oxford und Cambridge in den 1560er-Jahren. Sie betrachtet sowohl die Vorbereitungen der beiden Universitäten als auch die Besuche und das Programm selbst. Sie stellt sich die Frage, mit welchem Ziel Elisabeth diese Städte besuchte und kommt zu dem Schluss, dass sie ihr die Möglichkeit boten, die heranwachsende Generation von Politikern und Klerikern kennenzulernen und sicherzustellen, dass sie im Sinne ihrer Anschauungen ausgebildet wurden.
Die darauffolgenden drei Aufsätze befassen sich auf unterschiedliche Weise mit Elisabeths Besuch in Norwich 1578. C. E. McGee untersucht am Beispiel der Städte Sandwich, Norwich und Bristol den Wandel, den städtische Feste durchgemacht haben. Waren sie unter den frühen Tudors noch weitgehend autonom und von der mittelalterlichen Tradition der Mysterienspiele geprägt, so wurden unter Elisabeth höfische Traditionen zunehmend dominanter, was zu einer ‚Militarisierung’ – meist in Form von Turnieren oder nachgespielten Schlachten – der Darstellungsformen führte. Patrick Collinson beschäftigt sich mit der Bedeutung der Religion während Elisabeths Reise 1578 durch East Anglia, mit besonderem Augenmerk auf dem Besuch Norwichs. Mit Blick auf die innen- und außenpolitische Gesamtsituation zeigt er die Zerrissenheit Englands zwischen noch vorhandenem Katholizismus und einem Protestantismus, der radikaler war als der, den Elisabeth und die Führung der Anglikanischen Kirche vertraten. David M. Bergeron betrachtet den Besuch in Norwich – und Elisabeths Reisen insgesamt – aus einer neuen Perspektive: Bisher wurden alle Reisen und Feste mit dem Fokus auf Elisabeth bzw. auf ihre Gastgeber analysiert, Bergeron konzentriert sich nun auf den Autor der Festbeschreibung. Er stellt die These auf, dass Thomas Churchyard diese Festbeschreibung bewusst nutzte, um sich als Autor in ein gutes Licht zu stellen. „Throughout the text, he creates a self-image that conveys his accomplishment and his moral concern for the commonwealth.” (S.142) Bergeron zeigt so, dass nicht nur Elisabeth und ihre Gastgeber diese Feste zu ihren Zwecken nutzten, sondern auch die Autoren der Festbeschreibungen.
Im dritten Teil „Private Receptions for Queen Elizabeth I“ betrachtet Elizabeth Goldring eines der berühmtesten Feste – das Entertainment in Kenilworth 1575 – neu, indem sie die in diesem Zusammenhang entstandenen Portraits sowie die Gemäldesammlung von Kenilworth Castle in ihre Analyse miteinbezieht. Methodisch sehr reflektiert kommt sie zu dem Schluss, dass die Bilder nicht nur die Botschaften der szenischen Darstellungen, die Elisabeth präsentiert wurden, widerspiegeln, sondern dass sie darüber hinaus die Möglichkeit boten, Dinge auszudrücken, die in anderer Form nicht möglich gewesen wären. So wird das Werben des Earls of Leicesters um Elisabeths Hand durch seine quasi-königliche Darstellung in den Portraits auf eine Weise verstärkt, die in einer szenischen Darstellung Elisabeth vermutlich viel stärker brüskiert hätte.
Wie schon Patrick Collinson beschäftigt sich Elizabeth Heale mit der Darstellung der Religionspolitik. Hier ist der Gastgeber jedoch nicht die Stadt Norwich, sondern Lord Montague, ein Katholik, der einerseits der Regierung als Vorzeigekatholik und andererseits den englischen Katholiken als Beweis für ihre Loyalität der Krone gegenüber diente. Während Elisabeths Besuch in Cowdray 1591 nutzt er die Festivitäten, um seine Loyalität zu demonstrieren und für seine Glaubensgenossen einzutreten. Was nach Außen wie eine reine Loyalitätsbekundung wirkt, war tatsächlich eine kritische Auseinandersetzung mit der Elisabethanischen Religionspolitik, so Heale.
Peter Davidson und Jane Stevenson geht es in ihrem Beitrag nicht um die versteckten politischen Botschaften der Feste. Sie zeigen vielmehr am Beispiel der Festivitäten in Bisham 1592, wie auch Frauen als Auftraggeberinnen kulturell aktiv wurden und ihre eigenen Akzente setzten. Gabriel Heaton betrachtet Elisabeths Feste wiederum aus einer anderen Perspektive, indem er sich, am Beispiel der Harefield Festivities (1602), mit Entstehung und Verbreitung der Festbeschreibungen beschäftigt. Er geht davon aus, dass diese Manuskripte eigene „social lives“ (S.227) entwickelten. In ihrer Gestaltung und in ihrem Inhalt waren sie den Interessen ihrer Leserschaft angepasst und lagen außerhalb der Kontrolle der Auftraggeber des ursprünglichen Festes.
Im letzten, rezeptionsgeschichtlichen Abschnitt „Afterlife: Caroline and Antiquarian Perspectives“ untersucht James Knowles erneut das Entertainment von Kenilworth. Diesmal wird gezeigt, wie 58 Jahre später unter Karl I. die in Kenilworth stilisierte Elisabeth-Nostalgie genutzt wurde, um Kritik an der Herrschaft Karls zu üben. Abschließend bietet Julian Pooley einen aufschlussreichen Einblick in die Entstehungsgeschichte von John Nichols’ „The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth“, der für jeden Benutzer dieser Quellensammlung sehr erhellend ist.
Insgesamt zeigen die Beiträge durch ihre unterschiedlichen Perspektiven die Vielschichtigkeit der Reisen und Feste Elisabeths. Besonders Bergeron, Heaton, Davidson und Stevenson machen deutlich, dass diese nicht nur eine wertvolle Quelle für die Regierung und Person Elisabeths sind, sondern auch für das kulturelle und soziale Leben des Elisabethanischen Englands insgesamt.